die Zahl der NrdeitSlosen 200 000 betrug, während im Winier 800 000 1 gezählt wurden. Durchschnittlich haben wir in Deutschland also etwa 300 000 Arbeitslose. 1898 war ein Krisenjahr. Da trat also die Arbeitslosigkeit besonders empfindlich hervor. Damals habe ich einmal Berechnungen angestellt, ob wohl in Deutschland eine Arbeitslosenversicherung möglich wäre. Ich bin zu dem Entschlusi gekommen, daß, wenn wir jedem unserer Arbeitslosen täglich 2 M. bezahlen würden, wir im Jahre etwa 280 Millionen Mark auszubringen hätten. Das ist zwar eine große Summe, aber wenn wir bedenken, daß unsere Arbeiterversichernng 000 Millionen jährlich erfordert, dann ist die Summe auch aufzubringen. Die Last niüßte eben entsprechend geteilt werden: der Staat und das Unternehmertum müssen herangezogen werden. Wenn die Unternehmer mit bezahlen müssen, dann werde» sie sich hüten, in Zeiten der Hochkonjunktur Ueberstunden auf Ueberstunden und SonntagSarbeit zu häufen, sie werden die überschüssige Arbeit besser auf die magere Zeit verteilen. Das Reich aber kann auf gesetzlichem Wege für die Arbeitszeitverkürzung wirken. Auch wird es die Erlaubnis zu Ueberstunden usw. einschränken, wo es diese zu erteilen ernrächtigt ist. Auch als Unternehmer und Arbeitgeber wird das Reich dann die Arbeiten, die eine Vertagung vertragen, auf eine Zeit verschieben, wo die Arbeit allenthalben knapp wird. Solange den Unternehmern und dem Staate die Arbeitslosigkeit nicht? kostet, werden sie keinen Finger für ihre Beseitigung rühren, denn die Arbeitslosigkeit bringt ihnen doch erhöhten Gewinn. Wenn wir die Statistik verfolgen, dann können wir feststellen, daß im Jahre 1903, im Krisenjahre, rund 600000 Arbeitslose mehr vorhanden waren als 1907. Daran kann man die Wirkung der letzten großen Krise ermessen. Auf etwa 30 Arbeiter kam ein Arbeitsloser. Nun, diese Last kann auch getragen werden. Wir in Deutschland haben schon in der Praxis den Anfang der gesetzlichen Arbeitslosenfürsorge. Das K a l i g e s e tz, durch das die Differenzen im vormals privaten Kalishndikat durch das gesetzliche Zwangs- syndikat beseitigt wurden, enthält die Bestimmung, daß bei Still- legung kleinerer Werke die von den syndizierten Werken ge- schiebt, um die Beteiligungsquote auf die größeren Werke über- tragen zu können— die arbeitslos werdenden Arbeiter von den betreffenden Werken auf die Dauer eines halben Jahres unter- stützt werden muffen. In unseren Forderungen an die Arbeits- loseuversicherung findet sich ein Passus, der die staatliche Arbeits- losenversicherung fordert; über die Einzelheiten gehen allerdings die Meinungen auseinander. Mit den Einzelheiten kann sich aber auch der Internationale Kongreß nicht befassen. Die besonderen Verhält- nisse der einzelnen Länder müssen respektiert werden. Das Recht auf Arbeit ist mit Recht von verschiedenen Seiten angegriffen worden. Wir wiederholen es nicht in der früheren Form, aber den guten Kern halten wir fest: Wenn der Arbeitsmarkt eine Krise, Arbeits- losigkeit meldet, dann müssen öffentliche Arbeiten in Angriff ge- nommen werden. Trochct-Belgien will nicht auf die vielen Seiten der Frage ein- gehen. Bor allem seien die Gewerkschaften an der Lösung des Problems der Arbeitslosenfürsorge interessiert. Die Be- dingungen hierfür gehen in den verschiedenen Ländern aus- einander, das muß bei Beratung der Vorschläge für die Milderung und Beseitigung der Arbeitslosigkeit erwogen werden. Wir müssen den Weg gehen, auf dem wir den wenigsten Widerstand finden. Tie Gewerkschaften allein können unmöglich das Problem bewältigen. In der Provinz Lüttich z. B. nehmen die Gewerkschaften 18 000 M. an Beiträgen ein, dagegen erfordert die Unterstützung der Arbeits losen über 90 000 M. In Brüffel mußten nur für die Handschuh- macher in einem Monat 10 000 Frank aufgebracht werden. Das können die Arbeiter allein nicht leisten. Die öffentliche Gewalt muß hier einspringen. Dabei muß natürlich die Freiheit der GeWerk- schaften erhalten bleiben. Die französische Resolution ist von hohen Gedanken getragen, aber wir rückhaltlos zustimmen. Die deutsche ist für dingungslos annehmbar. Lrauu-Oesterreich: Die Leistungen der GeWerk« schaften für die Unterstützung der Arbeitslosen sind das einzige bisher nennenswerte für die Unterstützung der industriellen Reservearmee, die mit derEntwickelung des Kapitalismus unzerreißbar verbunden ist. Die Gewerkschaften leiden aber nicht nur unier der Arbeitslosigkeit ihrer Mitglieder, sie werden auch gehemmt in allen ihren Känchfen um Lohnerhöhung und'Arbeitszeitverkürzung durch die Arbeitslosigkeit der Unorganisierten. Deshalb ist es auch ein gewerkschaft licheS Interesse, daß die Eigner der Produktionsmittel, die für die Arbeitslosigkeit verantwortlich sind, als Individuen zum Teil, immer aber als Glieder der herrschenden Klasse auch die Kosten der Arbeitslosenunterstützung zu tragen haben. Formell soll die Arbeitslosenversicherung eine öffentlich rechtliche sein. Eine möglichst weitgehende Einwirkung auf die Verwaltung soll den Arbeiterorganisationen gesichert sein. Die Kosten der Arbeits losenversicherung sollen progressiv den Unternehmern auferlegt werden unter Berücksichtigung der Verursachung der Arbeitslosig- keit. Betriebe mit regelmäßiger Beschäftigung einer während des ganzen JahreS gleichen Anzahl Beschäftigten sollen am niedrigsten, Betriebe mit kurzer Saison- und mit unregelmäßiger und zeitweilig übermäßig langer Arbeitszeit, mit Uebcrstundenbewilligung, mit überniäßiger Verwendung von Lehrlingen sollen am höchsten bc� steuert werden. Dadurch würde schon eine gleichmäßigere Verteilung der Arbeit über das ganze Jahr erzielt und die Arbeitslosigkeit ver- mindert werden. Als gewerkschaftliches Kampfmittel wird aber die Arbeitslosenunterstützung noch immer eine bedeutsame Aufgabe der Fachorganisation sein. Die Kommission setzte die Debatte für die Arbeitslosen- Versicherung fort. Die Abänderungsvorschläge waren aber so zahlreich und die Streitpunkte, namentlich über die Behandlung Streikender und Ausgesperrter durch die Arbeitslosenversicherung so verschiedenartig, daß die vorliegende Resolution an die Sub- kommission zurückverwiesen werden mußte. können ihr nicht uns auch nicht be der Mnfte Kommission sLesolutioneu). Kopenhagen , 30. August. Die Erörterung beginnt mit der persischen Frage. Eine Resolution von Armenien über die Lage in Persien , die gegen die Unterdrückung der Revolution und der konstitutionellen Bewegung in Persien protestiert, lautet: .In Anbetracht, daß gleich zu Anfang der persischen Revolution in Konsequenz des englisch -russischen Vertrages die zarische Re- gierung alle Mittel angewendet hat, um die konstitutionelle Be- wegling zu vereiteln; daß sie zu wiederholten Malen sogar mit bewaffneter Macht eingeschritten ist unter dem Vorwand, die Ordnung an der Grenze und das Leben ihrer eigenen Untertanen in Persien zu schützen, in Wirklichkeit aber, um die Bestrebungen der persischen Demokraten zu hemmen; daß diese Truppen, sowie die russische Polizei, in der Provinz Adcrbeidjan(Täbris ) offen gegen die Aufständischen und ihre Führer, welche der Partei .Daschnaktzoutioun" angehören, mit aller Strenge verfahren sind; daß heute noch die russische Regierung durch ihre zahlreichen verkappten Agenten ihre Intrigen und Provokationen in P ersten fortsetzt; daß ein beträchtlicher Teil der Truppen sich noch auf persischem Boden befindet, trotz der wiederholten Proteste von feiten der Regierung von Teheran ; in Anbetracht ferner: daß die nämliche russische Regierung sehr tätig in der Türkei „arbeitet", namentlich in türlisch Armenien ; daß sie beständig Emissäre hinschickt, um die Feudal- Kurden, welche das reaktionärste Element in der Türkei sind, gegen die Armenier aufzureizen und so die Unruhen zu unter- halten und die Gegenrevolution zu provozieren; daß der russische Gesandte in Konstantinopel , Tcharikoff, und der russische Konsul in Erzerum in diesem Sinne ganz spezielle Instruktionen bekommen haben; in Anbetracht, kurz: daß der Zarismus, welcher auf seinem freiheitsmörderischen Marsch im Innern seines Reiches siegreich ist, die an seinen beiden Grenzen eingeführte konstitutionelle Ordnung nicht leiden kann, systematisch und mit aller Beharrlichkeit darauf ausgeht, das Willkürshstem in Persien und in der Türkei ivieder herzustellen: in Anbetracht dieser bedenklichen Tatsachen, welche für die beiden jungen Demokratien des Orients eine beständige Gefahr sind, ersucht die sozialistisch-revolutionäre Partei„Daschnaktzoutioun", welche ihre Verzweigungen in den drei Reichen(Türkei , Rußland , Persienj hat, die sozialistischen Parteien in Europa aufs dringendste, alle in ihrer Macht stehenden Mittel anzuwenden, um dem reaktionären Treiben des Zarismus ein Ende zu machen." Die Resolution wird debattelos angenommen. ES folgt die Resolution der Arveiter von Saloniki über die Lage in der Türkei . Sie lautet: „In Anbetracht der von den kapitalistischen Staaten Europas der Türkei gegenüber gemachten Kolonialpolitik, der Verkündigung einer Verfassung, die jedem Bürger die Menschen- und Bürger rechte gewährte, der Verletzung des Rechtes der Berufsvereinig'ung und des Streikes durch die türkische Regierung und der Verhängnis vollen Folgen einer autokratischen Politik gegenüber der Arbeiter klaffe der Türkei , erklärt der Internationale Sozialistische Kongreß von Kopenhagen , daß einzig und allein eine auf einer Ver ständigring unter den Balkan st ante n beruhende Demokratie gegen die kapitalistische und koloniale Politik der europäischen Staaten ankämpfen kann; daß einzig und allein die Gewährung weitgehender Freiheit die Entwickelung der Neuen Türkei zu fördern vermag und begrüßt die in der Türkei ent- stehende sozialistische Bewegung." Paus Louis beantragt, im zweiten Teil zu setzen statt„Demo kratie"„soziale Demokratie". Rakowski-Rumänien widerspricht dem Amendement. Die Arbeiter in Saloniki hätten die Resolution im Einverständnis mit den sozial demokratischen Parteien gefaßt. Man will zunächst den Versuch einer Demokratisierung unternehmen. Burrow-England: Welche Anzeichen hat Rakowski, daß eine demokratische Verständigung möglich ist? Seitz-Oesierreich: Das Amendement, daß in der sozialen Demokratie die Lösung liegt, können wir in allen Fragen für alle Dinge annehmen, denn nach unserer Grundanschauung ist ja der Kapitalismus für alle Uebelstände verantwortlich. Hier handelt es sich aber darum, einen Weg zu finden, und den glaubt man in der demokratischen Verfassung zu finden. Rakowskis Einwand gegen das Amendement ist also richtig, nur muß man dann die mißver ständlichen Worte„einzig und allein" streichen, damit nicht der An schein erweckt wird, als ob in der politischen Demokratie schon die ganze Lösung gefunden sei. Paul LouiS-Frankreich hält sein Amendement aufrecht, weil man nicht durih eine diplomatische Verständigung zu einer bürgerlichen Demokratie gelangen könne, deren Bedeutung er ja nicht verkenne. Deshalb ist eine Fassung notwendig, die jedes Mißverständnis aus schließt. Ellenbogen-Oesterreich: Wir können nicht erwarten, daß in der Türkei die sozialistische Gesellschaft in nächster Zeit schon entsteht. Aber eine Demokratie ist möglich und dies verlangen die Genossen in Saloniki schon deshalb, um den schlimmsten Feind der Demokratie in Europa , Rußland und seinen Einfluß in der Türkei zu brechen. Deshalb fordern wir die türkische Bourgeoisie auf, zunächst einmal die Demokratie zu schaffen. Was wir dann mit der Demokratie an- fangen, ist unsere Sache. Deshalb rufen wir der türkischen Bour geoisie zu: Vorwärts I Kanaillen! Rappaport-Frankreich : Es handelt sich um eine sozialistische und demokratische Verständigung. Er beantragt eine Aenderung dahin, daß nur eine demokratische und sozialistische Verständigung möglich sei, gegen die kapitalistische und koloniale Politik der europäischen Staaten zu kämpfen. Rakowski: Wir müssen protestieren gegen die reaktiv- näre Politik der Jungtürken , die in der europäischen Demokratie überschätzt wird. Wir müssen ihr klar machen, daß sie nur dann auf Sympathie rechnen kann, wenn sie nicht die Arbeiterkoalitionen mißhandelt. Eine weittragende Demokratie ist ein Schutzwall gegen die kapitalistische Politik Europas . Von Seih- Oesterreich ist folgendes Amendement eingelaufen: „Daß jede verwerfliche kapitalistische und koloniale Politik der euro - päischen Staaten zunächst nur wirksam zu bekämpfen ist durch eine gründliche demokratische VerfassungSreform in den Balkanländern und durch friedliche Verständigung der Völker dieser Staaten, wie sie heute allein die Sozialdemokratie im Gegensatz zu den Re gierungen der Balkanländer und der übrigen Länder betreibt." Die Kommission stimmte nach längerer Debatte der Resolution mit dem Amendement Seitz zu. Ohne Diskussion wurde sodann einstimmig eine Sympathieerklärung zugunsten der unterdrückten Sozialdemokratie in Japan an- genommen, nachdem die Kommission die Mitteilung entgegen� genommen hatte, daß Kataya ma infolge der Weigerung der japanischen Regierung, ihm einenPaß auszustellen, an derTcilnahme am Kongreß verhindert worden ist. Eine weitere Resolution, die ebenfalls einstimmig Annahme fand, protestiert gegen die Greuel der Ausnahmegesctzgebung in Argentinien durch die dort herrschende Oligarchie. Ein von der Genossin Sorge beantragter Boykott der argentinischen Waren wurde gegen drei Stimmen ab- gelehnt. Die weiteren Verhandlungen wurden auf Mittwoch vertagt. Heute abend 8 Uhr findet eine Sitzung der Vertreter der Zentralverbände statt, die Stellung zu der Frage der Beteiligung an der Internationalen Hygiene-Ausstellung in Dresden nehmen soll. Sitzung der dkutschen Dtlegutiou. Kopenhagen , 30. August. Die deutsche Delegation hielt am Diensiag ihre zweite Sitzung ab. Die Kommissionen haben Beschlüsse noch nicht gefaßt, zu denen Stellung genommen werden könnte. Richard Fischer fragt an, ob sich nicht in der Genossenschaftsfrage Meinungsverschiedenheiten zwischen den deutschen Delegierten herausgestellt hatten. v. Elm: In der Kommission selbst sind sehr viele Differenzen vorhanden, die weder heute noch morgen behoben werden können. Die Beschlüsse der Internationalen Kongresse sind immer Kompromiß- beschlüsse. Wahrscheinlich wird auch hier ein vcrmsttelnder Beschluß angenommen werden. Wurm: Meine Anschauungen von der Genoffenschaftsfrage und dem Verhältnis der Genossenschaften zur Partei haben bisher mit denen Elms nicht gerade harmoniert. Wahrscheinlich werden wir uns aber doch auf eine gemeinsame Resolution einigen können.— Die Delegation sieht daraufhin von einer weiteren Be- sprechung ab. Legien macht Mitteilung über den tschechischen Streit und die Gewerkschaftsverwickelung in Oesterreich . Unsere österreichischen Freunde haben den Wunsch, daß der Kongreß die Einheit der Ge- werkschaftsbewegung ausdrücklich für notwendig erklärt. Wir hoffen davon einen günstigen Einfluß auf die Verminderung der Trennung. Es ist kein Zweifel, daß wir in dieser Frage durchaus auf dem Standpunkt der de utfch-ö st erreichischen Genossen stehen.(Allseitige Zustimmung.) Ebcrt-Bcrlin: Der tschechische Streit beschäftigt leider auch daS Internationale Bureau. Bekanntlich haben die Tschechen acht Man- date von tschechischen Vertretern der zentralen Gewerkschafts- organisation für ungültig erklärt. Sie wollen nur die Man- date derjenigen zentralen Gewerkschaften anerkennen. die für ihre tschechischen Mitglieder Beiträge an die neue Ge- Werkschaftszentrale in Prag zahlen. Die ausgeschlossenen Ge- »offen sind Mitglieder der böhmischen Parteiorganisation. Sie sind in Böhmen gewählt. Einer der acht Ausgeschlossenen hat auf sein Mandat verzichtet, weil er aus der tschechischen Partei ausgeschlossen ist. Das Bureau hat den Streit vorläufig noch nicht entschieden. Wahrscheinlich wird folgender Ausweg gewählt werden: die acht Ausgeschlossenen bilden die böhmische sozial- demokratische Sektion, die ihre Vertretung auf den» Kongresse und in die Kommission über die GeiverkschaftSfrage entsenden. DaS Internationale Bureau ist sich darin einig, daß diese acht Genossen absolut zugelassen werden müssen. ES 'ollen ihnen zwei Stimmen im Kongreß und eine Stimme im Internationalen Bureau überwiesen werden. Damit schließt die Besprechung der deutschen Delegatio». Nächste Sitzung morgen S Uhr.| nationalen Hygiene-AuLstellung in Dresden . Em Indurtm und Kandel . Justiz und Bücherrevisoren. Der jetzt verhaftete Bücherrevisor und Handelsschuldirektor Hartwig in Dortmund ist ein Schulbeispiel dafür, welch bescheidene Ansprüche die Gerichte an vereidigte Bücherrevisoren stellen. Hartwig, der Hauptmacher der Gründungen der„Nieder- deutschen Bank", war zum Liquidator einer in Konkurs erklärten Firma ernannt. Aus dieser Tätigkeit war gegen Hartwig eine Strafanzeige erfolgt, weil er die Liqui- dation in seinem eigenen Interesse über Gebühr verzögert und sich auch so n st ige Unregelmäßigkeiten hatte zu- schulden kommen lassen. Die Strafanzeige stützten die Gutachten von zwei Sachverständigen. Das Strafverfahren wurde aber ein- gestellt. In seinem Schreiben vom 13. April 1909 sagt der Staats- anwalt über die Liquidationsbuchführung des Hartwig folgendes: „Daß die Bücher unordentlich geführt sind, unter- liegt keinem Zweifel. ES ist aber nötig, daß die nachlässige Buchführung keine Ucbersicht des Vermögensstandes der Kommanditgesellschaft gewährte. DaS wird aber vom Gutachter verneint, der nur erklärt, durch mehrere Unrege l- Mäßigkeiten in der Buchführung werde die Nach- Prüfung der Geschäftsvorgänge außerordent- lich erschwert." Also war Hartwig noch nicht strafrechtlich zu fassen, aber man hoffte doch seiner Laufbahn als vereidigter Bücherrevisor ein Ende zu bereiten. Es wandten sich Dritte an den Präsidenten des Land- gerichtS zu Dortmund und forderten auf Grund des Gutachtens der Sachverständigen die Streichung Hartwigs von der Liste der vereideten Bücherrevisoren. Der Präsident antwortete unterin 3. November 1909 wörtlich folgendes: „Auf Ihre Eingabe eröffne ich Ihnen, nach eingehen- der Prüfung der Sachlage, daß ich es ablehne, die Streichung des Sachverständigen Hartwig im Verzeichnis der im allgemeinen beeidigten Sachverständigen anzuordnen. Ihre Ausführungen ergaben nicht begründete Bedenken gegen die Zuverlässigkeit und Sachkunde des Herrn Hartwig als Sachverständigen." Daß die Bedenken danach begründet waren, haben der Staats» anwalt und die Herren vom Landgericht nun wohl erkannt, mutzte doch Hartwig als Hauptschuldiger an der Millionenpleite neben Ohm im Untersuchungsgefängnis Quartier bezichen. *• « Die Untersuchung der Geschäftspraxis bei der Niederdeutschen Bank hat zu einer neuen Verhaftung geführt. Montag abend wurde Direktor Schmitt der Niederdeutschen Bank nach mehrstündigem Verhör durch den Untersuchungsrichter Schauer im Bankgebäude der Niederdeutschen Bank wegen Untreue und Vergehens gegen das Depotgesetz festgenommen und in die gerichtliche UntersuchungS- Haft abgeführt._ Gerichts-Zeitung Wegen unbefugter Ausübung der Schankwirtschaft war der Schmiedemeister Adami angeklagt worden, weil er regel- mäßig seinen Kunden, wenn sie ihn besuchten, einen Schnaps ver- abfolgte. Das Schöffengericht verurteilte ihn auch zu einer Geld- strafe. Es ging davon aus, daß A. mit jener unentgeltlichen Ab- gäbe von Schnäpsen an die Kunden die Absicht verfolgt habe, sich dadurch dauernde Einnahmen zu verschaffen, denn die Absicht sei dahin gegangen, sich durch die kleinen Liebesgaben die Kunden zu erhalten und sie zu bewegen, ihm neue Kunden zuzuführen. Des- halb sei eine gewerbsmäßige Ausübung der Schankwirtschaft an- zunehmen.— Auf seine Berufung hob das Landgericht Stade daS Urteil auf und sprach den Angeklagten frei. Es legte entscheidenden Wert darauf, daß es bei den Meistern der ganzen Gegend üblich sei, den Kunden ein Schnäpschen zu verabreichen.— Das Kammergericht als Revisionsinstanz hob aber daz landgerichtliche Urteil auf und verwies die Sache an daS Landgericht zurück. Das Land- gericht habe den Begriff der Gewerbsmäßigkeit verkannt. Wenn ein Gewerbetreibender an seine Kunden dauernd Schnaps un- entgeltlich verabreiche, um fein Geschäft dadurch zu fördern, also um einen dauernden Gewinn zu erzielen, so könne darin die ge» werbsmäßige Ausübung der Schankwirtschaft gefunden werden- Die Tausenbmarkscheine des Zuchthäuslers. Wegen wissentlich falscher Anschuldigung und verleumderischer Beleidigung mußte sich gestern der Arbeiter Wilhelm Schult vor der 10. Ferienstrafkammcr des Landgerichts I verantworten. Der Angeklagte verbüßt zurzeit in dem Zuchthause Sonnenburg eine mehrjährige Strafe. Wahrscheinlich um aus dem eintönigen Einerlei herauszukommen und sich gleichzeitig an dem Kriminal- schutzmann Kendzierski, der ihn seinerzeit verhaftet hatte, zu rächen, erstattete er eines Tages gegen diesen eine Anzeige wegen Diebstahls, der er folgende völlig aus der Luft gegriffene Be» hauptung zugrunde legte. Der Kriminalbeamte habe bei einer Haussuchung in seiner Wohnung unter anderem auch eine Bilder- bibel beschlagnahmt, in welcher er zwei Tauscndmarkschcine der» steckt habe. Diese Scheine seien, als ihm die Bibel zurückgegeben wurde, spurlos verschwunden gewesen, so daß sie sich nur der Kriminalbeamte angeeignet haben konnte.— In der Beweis- aufnähme stellte es sich heraus, daß diese Beschuldigung vollkommen erfunden war. Der Angeklagte, welcher mit den Gesetzes- Paragraphen nur so umhertoarf, verlangte unter anderem vor Eintritt in die Verhandlung die Namen sämtlicher Richter zu wissen. Da dieses Verlangen nach dem Gesetz zulässig war, er- folgte erst eine allgemeine„Vorstellung".— Das Gericht erkannte mit Rücksicht auf die überaus gemeine Handlungsweise des An- geklagten auf ein Jahr Zuchthaus zusätzlich. Rentiere und WarenhauSdicbin. Seiderauschend und brillantcngeschmückt betrat gestern die Rentiere Klara Geyer die Anklagebank der 0. Ferienstrafkammer des Landgerichts I , uin sich unter der Anklage des Diebstahls an— einem Paar Strümpfen zu verantworten.— Das Schöffengericht Berlin-Mitte hatte die Angeklagte wegen Diebstahls zu 14 Tagen Gefängnis verurteilt. Gegen dieses Urteil hatte die G. Berufung eingelegt.— Die Angeklagte, die sich Rentiere nennt, wurde eines Tages in dem Warenhaus Tietz in der Leipziger Straße von der Verkäuferin Lücker beobachtet, wie sie in ausfälliger Weise wieder- holt an dem Trikotagenlager vorüberging. Als die Verkäuferin sah, wie die Angeklagte mit schnellem Griff sich ein Paar Strümpfe von der Auslage anneigncte und verschwinden ließ, teilte sie diese Wahrnehmnug dem Abteilyngschef mit. Dieser verfolgte die An- zeklagte, die, als sie dies merkte, die gestohlenen Strümpfe auf wr Treppe fallen ließ.— Vor Gericht bestritt die Angeklagte ganz energisch, sich eines Diebstahls schuldig gemacht zu haben. Ihr Verteidiger, Justizrat Lconh. Friedman», beantragte zum mindesten auf Grund eines non liquet die Angeklagte freizusprechen, da die vorhandenen Beweismittel zu einer Verurteilung nicht ausreichend eien. Die Berufunasstrafkammer hielt die Angeklagte jedoch des Diebstahls für überführt und erkannte unter Bestätigung deS ersten Urteils M Berwckfgng der Berufygz.
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