9t 203. 27. Aahrgaag. 3. Skilme des Joiiitfs" Kllim UcksblR Piftiroil;, 31. Z>»Mß 1910. flnter Lholersverclscht. Neue Erkrankungen in Berlin . Während die Cholera in dem benachbarten Spandau einKand» frei festgestellt worden ist, haben die Untersuchungen der Berliner Fälle glücklicherweise bis jetzt keinen Anhalt dafür ergeben, daß die Cholera in Berlin ihren Einzug gehalten hat. Außer der Ehe- frau des verstorbenen Hausdieners Vogt, ihrer bei ihr wohnenden Schwester und ihrer beiden Kinder ist auch noch eine Frau Schulz aus demselben Hause unter Choleraverdacht dem Rudolf» VirchMvkrankenhauZ zugeführt worden. Indessen scheint auch hier keine Choleraerkrankung vorzuliegen. Unter dem dringenden Verdacht der Cholera» erkrankung ist gestern abend in der sechsten Stunde der 31jährige Arbeiter Paul Friedrich, Korsörer Straße 20. in die Baracken des Virchow-Krankenhauses ein- geliefert worden. F. war in der Munitionsfabrik in Spandau beschäftigt. Bekanntlich ist dort der erste Cholerafall aufgetreten und es ist nicht ausgeschlossen, daß sich F. auch dort die Keime für die Choleraerkrankung geholt hat. Er erkrankte gestern mittag unter äußerst verdächtigen Er» fcheinungen und ein aus der Nachbarschaft hinzugezogener Arzt stellte fest, daß Choleraverdacht vorlag. Starkes Er. brechen bildete die Hauptgrundlage für diese Konstatierung. Unter den notwendigen Vorsichtsmaßregeln wurd F. in einem Kranken» wagen des Verbandes für erste Hilfe sofort nach den Cholerabaracken des Virchow-Krankenhauses gebracht und in Behandlung genommen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß man es hier tatsächlich mit der epidemischen asiatischen Cholera zu tun hat. Gleichzeitig wurde auch die aus vier Köpfen bestehende Familie des F. nach den Isolierbaracken gebracht. Sie werden dort vorläufig unter Quarantäne bleiben. Der Zustand de? erkrankten F. ist äußerst kritisch und man glaubt nicht, daß er dem Leben erhalten bleibt. Die Symptome sprechen ganz dafür, daß er an Cholera erkrankt ist. Auch aus dem Hause KorsörerStraßeLI mußten gestern abend um 8 Uhr zwei Choleraverdächtige in die Baracken de? Virchow-Krankenhauses eingeliefert werden. ES handelt sich um die beiden Kinder des Portiers E n g c m a n n. Die Kleinen hatten sich am Tage in der Wohnung des Arbeiters Friedrich, über dessen Erkrankung wir oben be- richteten, aufgehalten. Im Laufe des Nachmittags stellten sich bei ihnen sehrverdächtigeErkrankungserscheinungen ein, so daß man eS für angebracht hielt, beide nach den Cholera» ibaracken zu schaffen. Amtlich wird gemeldet: Der Verdacht, daß der Hausdiener Qlto Vogt, Oderberger Straße 47, an Cholera gestorben sei, ist durch die bisherigen Untersuchungen, die allerdings noch nicht ganz abgeschlossen sind, nicht bestätigt worden. Vogt war ein schwächlicher Mensch, der seit einiger Zeit an einem Darmloiden litt, an dem er gestorben sein dürfte. Die Familienmitglieder des Verstorbenen werden bis zum Abschluß der Untersuchung im VirchowkrankenhauS verbleiben. Die in vergangener Nacht unter choleraverdächtigen Erscheinungen erkrankte 42 Jahre alte Ehefrau Berta des Ar- ibeiters Robert Schulz, ebenfalls im Haufe Oderberger Straße 47 wohnhast, befindet sich im Virchowkrankenhause verhältnismäßig wohl. Auch hier dürfte sich der Verdacht auf Choleraerkrankung nicht bestätigen. Der Berliner Polizeipräsident «erläßt folgende Mitteilung: „Da in Spandau zwei Fälle von Cholera festgestellt worden sind, sehe ich mich veranlaßt, die Herren Aerzte und die zur An- zeige von Cholcraerkrankungen sonst verpflichteten Personen an die Borschristen in den ßz 1 bis b des Reichsgesetzes über die Be» tämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 80. Juni 1900 (Reichsgesetzblatt S. 306) zu erinnern und sie zu ersuchen, vor» kommcndenfalls dieser Pflicht in sorgsamster und schleunigster Weise zu entsprechen. Nach jenen Bestimmungen ist jede Erkrankung und jeder Todesfall an Cholera(asiatischer) sowie jeder Fall, der den Verdacht dieser Krankheit erweckt, der für den Aufenthaltsort der Erkrankten oder den Sterbeort zuständigen Polizeibehörde unver» züglich mündlich oder schriftlich anzuzeigen. Wechselt der Erkrankte den Aufenthaltsort, so ist dies sofort bei der Polizeibehörde des bisherigen und des neuen Aufenthaltsortes zur Anzeig« zu bringen. Zur Anzeige sind verpflichtet: 1. der zugezogene Arzt, 2. der Hausha l tu ngsvorstand, 3. jede sonst mit der Behandlung oder Pflege des Erkrankten beschäftigte Person, 4. derjenige, in dessen Wohnung oder Behausung der ErkrankungS- oder Todesfall sich ereignet hat, b. der Lvichenbefchauer. Die Verpflichtung unter Nr. 2 bis b genannten Personen trifft nur dann ein, wenn ein früher genannter Verpflichteter nicht vorhanden ist. Für Krank- heitS» und Todesfälle, welche sich in öffentlichen Kranken-, Ent- bindungS», Gefangenen», Pflege» und ähnlichen Anstalten er- eignen, ist der Vorsteher der Anstalt oder die von der zuständigen Stelle damit beauftragte Person ausschließlich zur Erstattung der Anzeige verpflichtet. Auf Schiffen oder Flößen gilt als HauS» Haltungsvorstand(siehe Nr. 2) der Schiffer oder Floßführer oder deren Stellvertreter. Die Herren Aerzte sowie die Vorstände der obengenannten Anstalten bitte ich, die etwaigen schriftlichen An» zeigen bei Cholcraerkrankungen und choleraverdächtigen Fällen nicht auf den in ihrem Besitz befindlichen Kavtenbriefen zu er» statten. Die Anzeiger selbst ersuche ich, wie schon aus der Adresse kenntlich gemacht worden ist, gleich den übrigen KrankheitSmel» düngen der Sanitätskommission ungesäumt in jedem einzelnen Falle einsenden zu wollen. Die übrigen außer dem behandelnden Arzte zur Anzeige verpflichteten Personen ersuche ich dagegen, vorkommenden Falls die Anzeige bei dem zuständigen Polizeirevier unverzüglich mündlich oder schriftlich zu erstatten. Bei Erkran- kungen auf Schiffen oder Flößen ist die Anzeige von dem Schiffer oder Floßführer dem der Anlegestelle zunächst gelegenen Polizei» revier zu machen. Ich weise schließlich darauf hin, daß als choleraverdächtige Erkrankungen insbesondere hef. tige Brechdurchfälle aus unbekannter Ursache anzusehen find." •• * Neben den an Ort und Stelle getroffenen Vorsichtsmaßregeln find weitere für den unwahrscheinlichen Fall getroffen worden, daß in Berlin doch noch ein Cholerafall vorkommen könnte. DaS Depot des Verbandes für erste Hilfe in der Bclle-Alliancestraße ist seit gestern nur für Transporte verdächtiger Kranker reserviert worden. Ebenso wie in dem vorletzten Jahre wurde das Depot sofort bei Bekanntwerden des ersten verdächtigen Falles für alle anderen Transporte geschlossen. Die Transporteure werden beim Elbliefern der Erkrankten im VirchowkrankenhauS sofort deSinfi- Giert, und auch bis Wage» wurden einer Desinfektion unterzogen. Neue Erkrankungen in Spandau . Aus Spandau kommt die Meldung, daß zwei weitere Per- fönen an Brechdurchfall erkrankt sind. Gestern vormittag erkrankte der neunzehnjährige Schreiber Willy Buchholz aus der Hamburger- straße 95. Der junge Mann fühlte sich bereits am Montag den ganzen Tag über unwohl und blieb deshalb dem Geschäft, in dem er angestellt ist, fern. In der Nacht zum Dienstag stellten sich bei ihm heftiger Brechreiz verbunden mit Durchfall ein, so daß heute vorniittag ein Arzt zu Rate gezogen' wurde. Da sich bei dem Patienten bisher noch keine ausgesprochenen Symptome von Cho- lera gezeigt haben» konnte der Kranke vorläufig in seiner Wohnung verbleiben. In dem zweiten Fall handelt es sich um die 20 Jahre alte Arbeiterin Elise Schweder, Lhnarstraße 35 in Spandau wohnhaft. Das Mädchen befand sich feit Sonntag in einem Zustand nervöser Ueberreizung. Als die Schweder am gestrigen Nachmittag auf dem Treppenflur des Hauses Lynarstratze 35 einem städtischen Desinfektor begegnete, der mit einem weißen Mantel, weißer Mütze und einer Schutzbrille bekleidet war, fiel sie in eine schwere Ohn» macht. Heute früh begab sich Fräulein Schweder nach ihrer Ar- beitsstätte in Charlottenburg , wo sie in den städttschen Werken be- schäftigt ist. Gegen 10 Uhr vormittags wurde das Mädchen von Erbrechen und Durchfall befallen und sofort nach dem Kranken- hause Westend übergeführt, w» sie in einer Isolierbaracke Aufnahme fand. Der Vater der Schweder, der als Arbeiter in dem könig- lichen Feuerwerkslaboratorium in Spandau angestellt ist, wurde sofort von seiner Arbeitsstelle nach dem städttschen Hospiz über» geführt, wo er und seine Frau unter Quarantäne gestellt wurden. Die Wohnung der Familie Schweder wurde sofort desinfiziert und ein Kriminalschutzumnn an dem Hauseingang postiert. « Der Glasermeister Wachtel, Spandau , Pichelsdorfer Straße, bittet uns um die Veröffentlichung der Mitteilung, daß er nicht, wie der„Berliner Lokal-Anzeiger" in seiner Abendausgabe von gestern berichtete, unter Choleraverdacht erkrankt und nach den Jsolierbarackten gebracht worden sei. Auch seine Familie ist nicht unter Quarantäne gestellt worden. Herr Wachtel befindet sich vielmehr mit seiner Familie ganz wohl. In den Isolierbaracken. Das Befinden des am vorgestrigen Tage in das Spandauer Krankenhaus eingelieferten Desinfektionsarbeiters Neumann ist ein außerordentlich ungünstiges. Dagegen ist in dem Befinden des Hilfsrevisors Barno eine leichte Besserung zu verzeichnen. Der Patient schwebt zwar noch immer in Lebensgefahr, doch haben sich bei ihm bisher keine weiteren Anfälle der Cholera wiederholt. Die Aerzte sprechen die Hoffnung auS, den S. am Leben erhalten zu können. Die in den Isolierbaracken des Spandauer Kranken- Hauses internierten Personen befinden sich wohl und munter. Bis. her hat sich bei keinem ein Symptom der Krankheit gezeigt, so daß, falls nicht Komplikattonen eintreten, die Entlassung sämtlicher unter Quarantäne stehender Personen bereits am heuttgen Mittwoch, also am fünften Tage erfolgen kann. Die Untersuchungen über die Entstehung der Cholera in Spandau sind noch in vollem Gange, doch hat man bisher immer noch keine sicheren Anhaltspunkte finden können. Das Haus Weißenburgerstraße 16a ist inzwischen von der Polizei freigegeben worden. Nur die Wohnungen der Familien Sttung und Mügge verbleiben immer noch unter polizeilichem Siegel, bis die Bewohner aus dem Krankenhause entlassen sind. Wie die Cholera verhütet wird. Die Cholera tritt in Europa zumeist in der wärmeren Jahres» zeit auf, wenn sie überhaupt bis in das kulttvierte Mittel- oder Westeuropa vorzudringen vermag. Aber auch im Winter erlischt die Seuche oft nicht ganz, wenn sie auch da bei starker Kälte sehr bedeutend zurückgeht. Ihre Uebertragung erfolgt nicht etwa durch persönliche Ansteckung oder durch Berührung von Personen, fondern nur, wenn durch Wasser, Nahrungsmittel oder Gegenstände, die von einem Cholerakranken verunreinigt wurden, der Krankheitserreger in den Mund gelangt. Ost wurde bei Epidemien bemerkt, daß sich die Krankheitskeime durch das Grundwasser von einem Brunnen in den anderen verbreiteten oder daß sie durch schlechte Kanalisa- tum verschleppt werden konnten. In Zeiten, während deren einzelne Cholerafälle vorkommen, genieße man nie rohes Obst, nie ungekochte Milch, auch keine saure Milch, trinke nur Hochquellenwasser oder, wo dieses nicht zu haben ist, abgekochtes Wasser, das gekühlt wurde, dem überdies ein kleiner Zusatz von Zitronensäure oder Salzsäure zugesetzt ward. Eine leichte Ansäuerung deS Wassers verbessert die Verdauung. Man vermeide auch, durch übermäßigen Genuß von Speisen, von Obst oder von Gurken sich eine Magenverstimmung zu holen. Der Magen soll immer in Ordnung sein. Gurkensalat soll gar nicht gegessen werden, auch vermeide man, Obst und Bier zusammen in den Magen zu bringen. Vor allem ist große Reinlichkeit die Hauptsache. Nach dem Angreifen schmutziger Wäsche oder von Sachen von zweifelhafter Herkunft wasche man die Hände gründlich mit Essig und Seist, eventuell mit DeSinfekttonSmitteln, also einprozenttger Lysol» lösung. Vor jeder Mahlzeit sind die Hände gründlich mit Seist zu waschen, ebenso nach der Berührung von Marktobst. Mit ungereinigten Händen komme man nicht dem Munde nahe. Da auch durch Fliegen die Krankheit von den Verunreinigungen auf Milch und andere Nahrungsmittel übertragen»erden kann, muß Milch immer unmittelbar vor dem Gebrauch abgekocht und nicht etwa roh genossen werden. Die Frist von der Erwerbung der Cholera bis zu ihrem AuS- brach beim Menschen dauert in der Regel fünf Tage. Zuerst erfolgt einige Tage lang ein Durchfall, der nicht abnormal ist. Erst gegen den fünften Tag, manchmal auch früher, steigern sich die Durchfälle in enormem Maße. Sie werden flüssig, eS tritt Erbrechen ein, der Stuhl gleicht dem Reiswasser. Die Kranken haben starken Durst, behalten aber keine Flüssigkeit, verfallen rasch, werden heiser, bekommen Krämpfe, der Puls ist nicht zu fühlen und sie sterben zumeist innerhalb ein bis zwei Tagen. Viele er- holen sich wieder. Die Hälfte der Cholerakranken fttrbt aber, Partei- Mgelegenbeiten. Zweiter Wahlkreis. Am Sonntag, den 4. September, findet in den Gefamttäumen der Berliner Bockbrauerei unser dies» jähriges Volksfest statt. Billetts im Vorverkauf 20 Pf., an der Kasse 30 Pf. Anfang des Konzerts 4 Uhr. Siehe Inserat in heutiger Nummer. Daö Komitee. Lankwitz . Heute Mittwoch, den 31. August, abends 8'/, Uhr: Sitzung des Wahlvereins im Restaurant Ebel, Mühlenstraße. Vortrag des Genossen Kali Ski;»Wilhelm das Instrument des Himmels". Erkner . Heute abend v Uhr Lese» und Diskutierabend des Wahlvereins. Der Vorstand. Friedrichshagen . Heute Mittwoch, den 81. August er» abends SVa Uhr, findet bei Witwe Lerche, Friedrichstr. 112, unsere Mitgliederversammlung statt. Tagesordnung: 1. Bortrag des Ge» nossen Dr. Alfred Bernstein über:„Die öffentlicheGe» sundheitspflege". 2. DiSlusfion 3. Vereinsangclegenheiten und Verschiedenes. Die Versammlung wird pünktlich eröffnet. _ Die Bezirksleitung. Berliner JVacbricbten. Der Ruf«ach dem Schutzmann. Heber die„Unsicherheit in Berlin " wird wieder mal in der bürgerlichen Presse gejammert. Weil in der letzten Zeit zufällig rasch hintereinander mehrere Ueberfälle vorgekommen sind, wird in sinnloser Uebertreilbung be» hauptet, daß man geradezu schon von Berliner „Apachen" reden könne. Der Name ist importiert ans Paris , wo die gewerbsmäßigen Straßenräuber nach einem durch seine Grausamkeit berüchtigten Jndianerstamm als„Apachen" be- zeichnet werden. Das Tollste an Geschrei über die„Apachen"-Gefahr in Berlin und die hier angeblich immer mehr zunehmende Un- sicherheit wird jetzt im„L o k a l a n z e i g e r" geleistet, der bisher stets bemüht gewesen war, die Berliner Polizei als eine der tüchtigsten zu preisen. Unter Hinweis auf den räuberischen Ueberfall, der auf dem Bahnhof Großgörschen- straße ausgeführt wurde, wird da— man traut seinen Augm nicht, wenn man es liest— folgendermaßen geklagt: „Das Verbrecher- und Rowdytum Berlins wird von Tag zA Tag frecher! Es vergeht fast kein Tag, an dem nicht Ein- brüche, Ueberfälle im Tiergarten, auf öffentlichen Straßen, im Eisenbahnwagen mit der größten Dreistigkeit ausgeführt werden. Es vergeht fast kein Tag, an dem man nicht von Mord- versuchen und anderen Gewalttaten hört, und die Sicherheit in Berlin ist derartig zurückgegangen, wie man dies vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren in der Hauptstadt deS Deutschen Reiches und in der Residenzstadt der preußischen Könige für unmöglich gehalten hätte." Was ist der Zweck dieser sonderbaren Stilübung deS sonst so polizeifrommen Scherlblattes?„Die Polizei ist," so werden wir belehrt,„ohnmächtig: sie hat zu wenig Menschen, um dem Verbrecher- und Rowdywm endlich Schranken zu setzen." Und dann wird erzählt, in Berlin könne man nicht mal alle im Etat vorgesehenen Schutzmanns- stellen besetzen, es seien hier NX) Mann zu wenig vorhanden, aber man kriege nicht genug Bewerber, weil in Bertin der Dienst zu anstrengend und auch gefährlich fei, während an Gehalt nicht mehr als in Provinzstädten gegeben werde. Diese Klage über Unsicherheit in Berlin und Mangel an Schutzleuten läßt bald aus diesem, bald aus jenem Blatt sich vernehmen. Man gewinnt geradezu den Eindruck, daß von einer bestimmten Stelle aus ganz planmäßig die Bevölkerung bearbeitet werden soll. Daß diese Absicht besteht, darauf deutet auch der folgmde Satz des er- wähnten„Lokalanzeiger"-Klageliedes hin: „So liegen die Tatsachen und so werden sie vorläufig liege» bleiben, wenn nicht das Publikum selbst energisch bei den Be- Hörden vorstellig wird, damit Berlin wieder in den Ruf kommt, eine Stadt zu sein, in der man abends sicher über die Straße gehen, in der man einen Spaziergang oder eine Eisenbahnfahrt unternehmen kann, ohne Leib und Leben zu riskieren." Also darum die Grauligmacherei mit den„Apachen". Das Publikum soll„energisch bei den Behörden vorstellig werden", soll einstimmen in den Ruf nach dem Schutzmann, nach mehr Schutzleuten. Richtig ist, daß man in der Tat nur zu oft keinen Schutzmann findet, wenn man ihn braucht, richtig auch, daß in Berlin die Schutzleute einen schweren Dienst haben und zeitweise überbürdet sind. Aber ist es denn nötig, daß sie jeder harmlosen Ungehörigkeit nach- laufen, einen umständlichen Bericht nebst Strafanzeige zu Papier bringen und dann vor Gericht als Zeugen einen halben oder ganzen Vormittag sich auf den Korridoren des Moabiter„Justizpalastes" umherdrücken? Und ist es nötig, daß bei jeder Versammlung, durch die das arbeitende Volk seinen Willen kundgibt, ein Heer von Polizisten mobil gemacht wird, die sich bereit halten müssen, gegebenen- falls die heimziehenden Verfammlungsteil- nehmer zu attackieren? Doch hinter diesen immer wiederholten Rufen nach dem Schutzmann steckt anscheinend gerade der Wunsch, gegen den„inneren Feind" noch schneidiger als bis- her vorgehen zu können. Auch die Leute des Herrn Scherl dürsten sehr wohl wissen, warum sie sich dazu her- geben, mit solchem Geschrei über„Apachen" die Bevölkerung zu bearbeiten und sie in einer Weise zu beunruhigen, die man einem sozialdemokratischen Blatt sicherlich als groben Unfug ankreiden würde. Man faßt sich an die Stirn, wenn man da liest:„ � „So geht es nicht weiter, unter keinen Umstanden! Die Bürgerschaft Berlins , die jährlich Millionen und abermals Millionen für die Polizei aufweichet, kann verlangen, daß diese Millionen nicht zum Fenster hinausgeworfen werden und daß die Sicherheit Berlins nicht soweit herabgeht, daß schließlich auch die Fremden aus dem Ausland und aus der Provinz fernbleiben werden, weil sie nicht Lust haben, in Berlin ihr Eigentum und ihre Haut zu Markte zu tragen." Ist es auch Wahnsinn, hat es doch Methode I Zum Schluß leistet das Scherlblatt sich noch die Dreistigkeit, zu versichern, daß das alles keine Uebertreibungen seien._ .Ein Stticklein Kulturarbeit." Vor einigen Wochen erhielten wir Kenntnis von der Existenz eines KnabenchoreS auS Berliner Gemeindeschul- lindern, der öffentliche Kongerte gegen Entgelt veranstaltet und in den diesjährigen Sommerferien sogar eine KonAertrei.se nach dem Harz gemacht hat. Man übersandte unS einen der„Nordhäuser Zeitung" entnommenen Ausschnitt, eine Besprechung des Konzerts, das der Chor auf feiner Heimfahrt aus dem Harz noch in Nordhausen gegeben hatte. Ein Begleitschreiben an unS, das die schwungvolle Ueberschrift„Ein Stücklein Kulturarbeit" trug, sprach die Bitte aus, den Bericht zu benutzen und der Berliner Bevölkerung zu erzählen,„ioie Jung- Berlin seine Volkslieder in die deutschen Lande hinausfingt". Wir lasen da, daß aus der Berliner 13 6. G e m e i n d e s ch u l e (P f l u g st r a ß e) 66 Knaben mit ihrem Chordirigeutcn G e- meindeschullehrer Schwarzmeier am 4. Juli von Berlin aufgebrochen waren, in Quedlinburg , Blankenburg, Ilse- bürg, Kleinwerther , Nordhausen konzertiert hatten und nach einem letzte» in Lelbva zu gebend«!» Konzert«it erheblichem Ucberschuß
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