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Beilage zumVorwärts" Berliuer Volksblatt. Jle. 155. Mittwoch, dru 5. IM 1893. 10. Jahrg. Darlanrenksbevichfe. Deutscher   Reichstag  . 1. Sitzung vom 4. Juli, 2 Uhr. Am Tische des Bundesrathes v. Boetticher, v. Mar- schall, G r af L erch e n f e ld, von Maitzahn, Gras Hohenthal  . Das Haus ist stark besetzt. In der Vertheilung der Plätze ist insofern eine Verschiebung eingetreten, als die Sozialdemo- kraten einen Theil der Plätze der süddeutschen Volkspartei, diese einen Theil der Plätze der freisinnigen Partei eingenommen haben, welche letztere einige Plätze an die Nationalliberalen ab- gegeben hat. Aus der rechten Seite hat die Vermehrung der Antisemiten und der Polen   eine Verschiebung der Plätze der beiden letzten Gruppen bis in die Reihen des Zentrums hinein zur Folge gehabt. Die Parteiführer haben fast sämmtlich ihre alten Plätze behalten. Um 2 Uhr 20 Min. eröffnete der Abg. Dieden die Sitzung mit folgenden Worten: Nach unserer Geschäftsordnung soll das älteste Mitglied des Hauses die Geschäste führen. Ich bin ge- boren am 10. Dezember 1810. Sollte sich niemand melden, der früheren Datums geboren ist, so werde ich den Vorsitz über- nehmen. Es meldet sich niemand, ich übernehme den Vorsitz. Nun bitte ich die Abgg. Melbach  , v. Buol, Kropatschcck und Pieschel, sich als Schriftführer an meine Seite zu fetzen. Jetzt wird die Konstituirung des Hauses erfolgen, wozu nach der Geschäftsordnung der Namensaufruf nothwendig ist. Der Namensaufruf ergicbt die Anwesenheit von 291 Mit- gliedern. Das Haus ist also beschlußfähig. Eingegangen sind 1. Gesetzentwurf, betreffend die Friedens- Präsenzstärke des deutschen Heeres, nebst Begründung, 2. Voll- ständiges neues Verzeichniß des als Eigenthum des Reiches fest- stehenden Grundbesitzes gemäß dem Bestände vom 1. Oktober 1892. Die Drucklegung der Vorlagen ist verfügt. Nach Schluß der Sitzung wird das Bureau die Verloosung der Mitglieder in die Abtheilungen vornehmen, welche sich morgen nach der Plenarsitzung konslituiren werden. Schluß gegen 3 Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 11 Uhr. (Wahl der Präsidenten und Schriftführer.) VnvlQnrenkQvtMzes. Die sozialdemokratische Fraktion hielt am 4. Juli ihre erste Sitzung ab. In den Seniorenkonvent wurde Singer delegirt, als Abtheilungsvorsitzender wurde Auer in Aussicht genommen. Einen Schriftführer für das Bureau des Reichstags, woraus sie Anspruch hat, wird die Fraktion nicht aus ihrer Mitte entsenden. Ferner einigte man sich betreffs der Abstimmung bei der Wahl des Präsidiums, sowie über das Vorgehen während der Session. Zur Militärvorlage werden im Austrage der Fraktion Bebel und Liebknecht   reden. Wie die Nationalliberalen in Dortmund   Möller'S Neichstaqs-Mandat ergaunerten. DieRheinisch-Westfälische Arbeiter-Zeitung" veröffentlicht weiter folgendes Material: Das sozialdemokratische Wahlkomitee sandte den Maler Karl Gey als Kontrolleur nach Dorstfeld. Gey begab sich, wozu er gesetzlich berechtigt war. in das Wahllokal Ziegler; kaum sich in demselben befindend, wurde er, trotzdem er auf die Ungesetzlichkeit dieser Handlung aufmerksam machte, auf Kommando des Ehren- amtmanns Schulte-Witten, von der Polizei und Gendarmerie gewaltsam herausgeworfen. Der Eingang zu diesem Wahllokale war rechts und links mit Zechenbeamten, welche Stimm- zettcl für Möller vertheilten, besetzt, dieselben wurden gefaltet aus- gegeben. Die dort postirten Beamten konnten genau beobachten, ob die Wähler die dort empfangenen Stimnizettel auch an der Urne abgaben. Neben dem Wahllokal war wiederum ein Zimmer geöffnet, worin sich Zechenbeamten, welche fortwährend Notizen machten, zur Kontrolle befanden. Die Thüre dieses Zimmers, welche zum Wahllokale führte, hatte man mit einem Tische ge- sperrt und die anderen Eingänge verschlossen. In dem anderen Wahllokal in Dorstfeld, welches sich in der Wirthschasl Schürmann befand, wurde Gey ebenfalls von dem Polizisten Hiddemann, im Einverständniß des Wahlvorstehers, herausgeworfen. Als Gey diesen Beamten auf den ß 9 des Wahlgesetzes und den Erlaß des Ministers Herfurth vom 8. Juli 1892 aufmerksam machte, wonach er ein gesetzliches Recht hätte, im Wahllokale zu verweilen, antwortete dieser Gesetzes- Hüter:Diese Gesetze kümmern mich nicht, iT habe meine eigenen Gesetze." Selbstverständli waren auch in diesem Lokale, zur Beobachtung der Wähler, bis dicht vor dem Eingange, links und rechts, allerlei dienstbare Geister des Kapitals postirt. In Wickede   wurden sozialdemokratische Stimmzettelver- theiler auf Kommando des Inhabers des Wahllokales, des Wirthes Kohlmann, von einer Anzahl nationalliberaler Zechen- beamten mit Schlägen und Fußtritten aus dem Lokale getrieben und als Schweine titulirt. Ja sogar mit einem Hagel von Steinen, von dem Platze, überhaupt aus dem Orte vertrieben. In Schwerte   wurde ein sozialdemokratischer Stimmzettel- vertheiler, der einen Zettel, welcher die nationalliberale Nachricht, der alte Tölcke sei gestorben, als hundsgemeine Lüge bezeichnete, vertheilt hatte, verhaftet; während der Polizist Knippkamp zu Schwerte   vor der alten Schule daselbst sich die ungesetzliche Handlnng jju Schulden kommen ließ, an städtische Arbeiter während seiner Amtsthätigkeil Stimmzettel zu vertheilen. In Annen wurden sozialdemokratische Stimmzcttelvertheiler aus dem Wahllokal Raffe von der Polizei verjagt; dieselben wurden nicht einmal auf der Treppe oder Trottoir geduldet. In Lünen   wurde von einem Beigeordneten den Arbeitern, welche Zettel für Tölcke hatten, dieselben aus der Hand gerissen mit dem Bemerken, das sei der richtige nicht und wurde ihnen ein anderer gefalteter Zettel in die Hand gedrückt. Unser Genosse Galh- mann von Gelsenkirchen  , welcher mit mehreren anderen Genossen die Wahllokale von Castrop   und Umgegend mit sozialdemokratischen Stimmzetteln zu versorgen hatte, schreibt uns wörtlich:In Bodcl- schivingh mußten unsere Stiiumzettelvertheiler am Sonnabend vom Lokale entfernt stehen bleibe» und durften den Platz zwischen Wahllokal (Schule) und Straße nicht betreten. Nachmittags postirten sich die Beamten einer nahen Zeche vor dem Lokale. Die Wähler mußten erst an unseren Genossen vorbei, welche ihnen auch einen Zettel verabreichten. Viele Wähler, meist Bergleute, mußten den von uns erhaltenen Zettel an die Beamten abgeben, von diesen wurden unsere Zettel zerrissen und ihnen ein Möller'scher gegeben, worauf genau aufgepaßt wurde, ob diese Zettel auch abgegeben wurden." v» In Rauxel wurden die Bergleute kolonnenweise, den Stimm- zettel in der erhobenen rechten Hand, zur Wahlurne geführt. Genau so machten es Ziegeleibesitzer in Holzwickede   und Hörde mit ihren Arbeitern u. s. w. Möller schämt sich nicht, im Reichstag zu sitzen. Vom Muth der Mamelucken. In der stumbenKreuz- Zeitung  " tobt zur Zeit ein gar grimmiger Kampf über die Frage, ob Herr Baron von Langen als neugewählter Abgeordneter für Rügen   sich wirklich konservativer Krautjunker ohne Furcht und Tadel nennen könne oder ob ihm vom Antisemitismus stänkerigster Sorte ein Erdenrest zu tragen peinlich verbleibe. Uns kann es nun wenig kümmern, ob der Herr Baron rein und zweifelsohne aus der Wäsche hervorgehen werden, wohl aber interessirt uns ein Zeugniß dcs Muthes, das seine Eideshelfer sich aus- zustellen belieben. Nachdem den Anhängern des ob seines Rein- falls sehr ärgerlichen Gegenkandidaten Fürsten Putbus der Vor- wurf gemacht worden war, daß sie um die Gunst der Deutsch- freisinnigen schmählich gebuhlt und mit deren Parteileitung einen Kompromiß geschloffen hätten, heißt es weiter: Wir Konservativen sind indeß muthig in die Reihen der Sozialdemokraten gegangen und haben sie von ihren Irrlehren bekehrt. dem Kaiser und Könige, dem V aterlande, den: Christenthume zu Hunderten wiedergewonnen. Ja, so ist es! SÖluthig waren die Konservativen nicht allein auf Rügen  , sondern überall im Lande, wo sie noch einen Käthner fanden, dem sie mit brutaler Faust drohen konnten, daß er von Haus und Hof gejagt werde, wenn er nicht den Mann ihrer Wahl wähle' muthig waren die Herren, wo es galt, die Knechte unter Aussicht des Verwalters zur Urne führen zu lassen; muthig waren sie auch, wo der kleine Handwerker von ihrer Gnade abhing. Wehe allen diesen, wenn sie sich nicht hätten dem Kaiser und Könige, dem Vaterlande, dem Christenthum wiedergewinnen lassen". Schwer zu ergründen ist nur, ob man den Herren Ostelbiern oder den Schlotjunkern des Westens die Palme reichen soll. Dies möge ein Wettstreit unter den Herren entscheiden. Parteifinanzen. In der'am Sonntag abgehaltenen Kon- serenz der Vertrauensmänner des Kreises Kalbe-Aschers« leben wurde die Kassenabrechnung über die stattgehabte Reichstagswahl verlesen. Danach betrugen die Einnahmen 906,95 M., die Ausgaben 812,90 M. und verblieb ein Ueberschuß von 94,05 M. In den Ausgaben ist eine Summe von 300 M. mit einbegriffen, die an den Partei-Vorstand abgeführt worden ist. Polizeiliches, Gerichtliches rc. Der Redakteur derBergischen Arbeiter- stimme" in Solingen  , Genosse Wilde und der Vorstand des Messerschlägervereins waren der Verletzung des§ 153 der Gewerbe- Ordnung, Genosse Laisiepen, außerdem wegen Z 20 des Preßgesetzes angeklagt, ein Vergehen, dessen sich die An- geklagten durch Veröffentlichung der Namen von Streikbrechern schuldig gemacht haben sollten. Gegen zwei Genossen, die glaubhaft nachwiesen, daß sie bei der Be- schlußfassung der Angelegenheit in der Versammlung nicht zu- gegen gewesen waren, beantragte der Staatsanwalt Freisprechung, gegen die übrigen Angeklagten je eine Woche Gesängniß. Das Gericht konnte sich von der Schuld der Angeklagten nicht über zeugen. Es erfolgte für sämmtliche Angeklagten kostenlose Freisprechung. Bei der Urtheilsbegründung führte der Vorsitzende aus, daß durch die Notiz in derBergischen Arbeiter- stimme" eine Einwirkung aus die sogenannten Streikbrecher nicht stattgefunden habe. Wenn auch unbedingt die Veröffentlichung der Namen eine Verrufserklärung enthalte, so sei doch nicht er- wiesen, daß dieselben dadurch eingeschüchtert werden sollten, und es sei den Angeklagten zu glauben, daß sie durch diesen Beschluß nur ihre Vereins- und Arbeitskollegen vor den Streikbrechern haben warnen wollen. Infolgedessen mußte die Freisprechung erfolgen. Lokales. Armuth schändet! Nur Heuchelei und Schönfärberei können diesen Spruch im Bonrgeoisstaate bestreiten wollen. Es giebt keine verlogenere Phrase als die, daß Armuth nicht schändet. Es giebt kaum etwas was mehr schändet, als die Armuth. Der Reichthum deckt alle Laster, ja selbst das Ver- brechen zu. Daher bewunderten wir kürzlich bereits die Naivetät des Genossen Singer, von den Bourgeois-Stadtverordneten zu verlangen, daß sie jedes Magistratsmitglied bei seiner Anstellung verpflichten, keinerlei Stellung als Direktor, Aussichtsrath u. s. w. bei Aktiengesellschaften oder sonstigen Geschäften anzunehmen. Der arme Stadtrath wäre dann blos aus sein Gehalt ange- wiesen und müßte sich mit 8000 bis 10 000 M. begnügen, während er als Mann bei der Spritze leicht das Doppelte und Mehrfache mit Leichtigkeit erwerben kann, wenn er als Stadtrath zugleich bei irgend einem Bourgeois-Unternehmen betheiligt ist. Je mehr er prosttirt, je höher steigt sein Werth und sein Ansehen; der Profit stinkt nicht und Reich- thum ist keine Schande. Wenigstens betrachtet die Städte- Ordnung ihn nicht als etwas, was eines Bürgers Rechte mindert, sondern durch das Dreiklassen-Wahlsystem stellt sie sogar den Reichen hundertmal höher als den armen Ehren- mann. Gegen den Armen, da kennt die Släde-Ordnung wohl Vorsichtsmaßregeln. Von dem Reichen fürchtet sie nicht, daß er das Gemeinwohl hinter sein persönliches Interesse stellen werde, daß er etwa als Aufsichtsrath der Elektrizitätswerke oder Direktor oder Aktionär der Pferdebahngesellschaft bei den Stadt- verordncten-Berathungen den eigenen Prosit in den Vordergrund stellen möchte. Bei den Reichen wird die höchste Noblesse von vorneherein angenommen. Anders steht es mit dem Armen. Dessen Wahlrecht ist schon an und für sich ein sehr beschränktes und schwindet ganz, wenn ein besonderes Unglück ihn die Hilfe des Gemeinwesens in Anspruch nehmen läßt. Die Gaben des Gemeinwesens, des Staates wie der Stadt, haben einen bitteren Beigeschmack; sie streichen den Empfänger aus der Liste der Bürgerrechte. Aus Spandau   bringt dieBrandenburger Zeitung" folgenden Bericht: Ueber ein in der Städte- Ordnung vorgesehenes, im ganzen aber wohl höchst selten eintretendes Vorkommniß hatte kürzlich die Stadtverordneten- Versammlung Beschluß zu fassen, nämlich über den Ausschluß eines Stadtverordneten, weil er öffentliche Armenunterstützung erhalten hatte. Einem hiesigen Stadtverordneten war eine Tochter an den Augen erkrankt und zwar so schwer, daß der Arzt deren Ueberführung in eine Ber­ liner   Augenklinik anordnete, wenn das Mädchen nicht völlig erblinden solle. Der betr. Stadtverordnete befand sich, weil zur Zeit arbeitslos, nicht in der Lage, die dazu nöthige Summe, die vorweg in der Klinik hinterlegt werden muß, herzugeben, und so wandte er sich denn an die Stadt, damit sie die fragliche Summe vorstrecke bezw. garantire. Hierdurch war er aber der städtischen Wohlthätigkeit zur Last gefallen und damit ist der Verlust des Bürgerrechts verbunden. Der Magistrat hat in solchem Falle nach der Städte- Ordnung die Pflicht, der Stadtverordneten-Versammlnng Mittheilung zu machen und sie aufzufordern, das Mandat des Betreffenden für erloschen zu erklären. Die Stadtverordneten konnten sich nun bei ihrer kürzlich stattgehabten Zusammenkunft diesen Gründen nicht ver« schließen; nur einer der Herren trat für seinen Kollegen ein und betonte, dieser würde, wenn auch ratenweise, sicher das vor- geschossene Geld zurückerstatten, sobald ihm die Rechnung über- bracht werden würde. Dein widersprach ein anderer Stadt- verordneter, der selbst als Mitglied der Armendeputation Ruck- spräche mit dem Betreffenden genommen hatte; er versicherte, jener habe erklärt, daß er vorläufig nicht in der Lage sei, irgend- wie seinen Verpflichtungen nachzukommen. Der Herr Vorsteher betonte, daß derartige Fragen gar nicht ins Gewicht sielen dem klaren Wortlaut der Städte-Ordnung gegenüber. Falls der Be- treffende inzwischen die Angelegenheit regele, so könne er bei einer Neuwahl immer wieder aus der Urne hervorgehen. Vor» läufig aber könne die Versammlung nichts anderes thun, als fem Mandat für erloschen zu erklären. Dem schloß sich denn auch die Sladtverordneten-Versammlung fast einstimmig an." Wir brauchen diesem Bericht keinen Kommentar anzufügen, Er spricht ganze Bände über den Klassenstaat. Zur Schließung der Krankenkasse des VereinsZu­kunft" theilt das königliche Polizeipräsidium mit, daß an stelle des inzwischen verstorbenen G. Steuk der zu Charlottenburg  , Pestalozzistraße 66, wohnhafte Prokurist Moritz Gotthardt zum Liquidator der Kasse ernannt worden ist. In betreff der Geschäftsstelle sowie der Geschäftszeit der Kasse findet eine Aenderung nicht statt. Die Liquidatoren beabsichtigen, im Laufe dieses Monats aus den vorhandenen Baarmitteln sünfundzwanzig vom Hundert als Abschlagszahlung auf die anerkannten Ansprüche an die Berechtigten'zu vertheilen. Diejenigen Kassen- Mitglieder, welche seit Empfang des Anerkennungsschreibens der Liquidatoren ihren Ausenthaltsorl oder ihre Wohnung gewechselt haben, ohne den Liquidatoren davon Nachricht zu geben, werden gut thun, diese Versäumnib alsbald nachzuholen. Die Erfahrungen mit dem sogenannten Verein �Zukunft" möge den Arbeitern eine Warnung sein vor jenen Menschen- beglückern, die ihr Geschäftchen init der Gründung eines Vereins maskiren. Es ist merkwürdig, wie Tausende auf den Verein �Zukunft" hineinfallen konnten, einenVerein", in welchem die Mitglieder nur Puppen sein konnten, während der Gründer im Statut bereits sich selbst zum unabsetzbaren Vorsitzenden, Ge­schäftsführer u. s. w. gemacht hatte, der die unbeschränkte Herr- schaff über alles hatte. Seines AmtcS entsetzt wurde am Montag durch Urtheil des Disziplinarhofes beim Kammergericht der Gerichtsvollzieher F. vom Amtsgericht I. Ihm war zur Last gelegt worden, daß er u. a. Psandgegenstände widerrechtlich freigegeben, auch für seine Ehefrau eine Pfändung vorgenommen habe. Gegen einen hiesige» Restaurateur schwebt zur Zeit eine Untersuchung, weil er Hazardspiele in seinem Lokale ge- duldet haben soll. Gestern haben mehrere Zeugenvernehmungen vor dem Untersuchungsrichter stattgefunden. Die Betheiligten gehören zuin größten Theil den sogenannten besseren Gesellschafts- kreisen an es befinden sich Aerzte, Juristen ec. darunter. Die Untersuchung wurde auf grund einer anonymen Denunziation eingeleitet, in welcher die Namen derTempler  ", sowie Stand und Wohnung genau angegeben waren. Selbstmord. Ein trauriges Geschick waltet über der Familie des Wildmeisters Weber in Wildpark  . Erst kürzlich hat sich eine Tochter desselben in Athen   vor LiebeSgram vom Parthenon  herabgestürzt. Am Sonntag erschoß sich ein Sohn des Wild- meisters. Der junge Mann diente beim Leib-Garde-Husaren- regiment in Potsdam  , wo er vor kurzem zum Unteroffizier avancirt war. Der junge Weber war fortwährend kränklich, so daß er überhaupt nicht zum Militär genommen werden sollte und nur aus Veranlassung des Kaisers, dem der Vater die Bitte vorgetragen hatte, bei den Leib-Garde-Husaren eingestellt war. Am Sonntag besuchte der junge Weber seine Eltern, bei denen er den Kaffee einnahm. Die Mutter bemerkte nun durch das fenster, daß aus dem Waldweg die Braut ihres Sohnes, eine örsterstochter aus Bornim   daherkam, und machte ihren Sohn mit den Worten:Jetzt kommt Marie!" aus den Besuch des jungen Mädchens aufmerksam. Schweigend erhob sich der junge Weder, und man glaubte, er würde seiner Braut entgegen- gehen, bis plötzlich auf dem Hofe ein Schuß erdröhnte, der, wie sich alsbald ergab, dem Leben des jungen Mannes ein iäheS Ende bereitet hatte; mit demselben Gewehr, mit dem sich vor einigen Jahren sein beim Garde-Jägerbataillon stehender Bruder g etödtet, hatte er sich erschossen. Was ihn in den Tod getrieben, steht noch nicht fest, doch dürften darüber Briefe Auskunft geben, die Weber vorher zur Post ge- geben hatte. Mit diesem Sohne verliert derffchwergeprüste Wild- meister sein viertes Kind durch S e l b st in o r d. Der Oranke-See bei Hohen-Schönhausen hat wiederum ein Opfer gefordert. Der Maurer Hermann Balzcr in Weißensee  , Königschaussee 75 wohnhast, hatte sich am Sonntag Vormittag mit mehreren Bekannten nach dem obenerwähnten Pfuhl begeben, um ein Bad zu nehmen. B. der des Schwimmens unkundig war, ging trotz der Warnungen seiner Freunde, die sich in der Nähe des Ufers aufhielten, bis in die Mitte des kleinen Ge- wäffers, als er plötzlich lautlos untersank und nicht wieder zum Vorschein kam. Ob der Unvorsichtige vom Schlage getroffen oder in eine Untiefe gerathen und so ertrunken ist, konnte, da die Leiche noch nicht gefunden, nicht ermittelt werden. Bestohlene Radfahrer. Am Montag in der 6. Nachmit- tagsstunde wurden zwei dreizehnjährige Knaben ans der Renn- bahn in Halensee   gewahr, wie sich ein etwa 18 Jahre alter Bursche in vier Umkleidezelle» der Radfahrer schlich und dann eiligst von der Rennbahn verschwand. In den Zellen hatten die Radfahrer Tischbeiu-Halle, Habich-Mannheim  , Lurqon-Wien und Larsen-Friedrichborggade ihre Anzüge mit der Sportskleidung vertauscht und Geld und Werthsachen liegen lassen. Der Dieb hatte Tischbein einen Brillantring im Wcrthe von 1300 M. und einen goldenen Kettenring, ferner 40 M. in baar, wie auch eine Elsenbahn-Fahrkarte nach Halle  : Habich eine Rückfahrtkarte nach Mannheim   und 10 M., Lurgon und Larsen je 20 M. ge- stöhlen. Der Verdacht fiel auf den von den Knaben bemerkten Unbekannten, und die Personalbeschreibung wurde gleich der Charlottenburger   Kriminalpolizei übermittelt. Kriminal- beamten machten sich auf die Suche, und ein Schutzmann be» merkte um 10 Uhr Abends auf einem Wagen der Pferde- Eisenbahn einen Menschen, der ihm verdächtig erschien und auch mit dem von den Kindern beschriebenen Aehnlichkeit hatte. Als er ihn sistirte, zitterte der Bursche am ganzen Leibe. Ein Kriminal-Wachtmeister nahm eine Durchsuchung der Kleider vor und förderte aus einem Stiefel die beiden werlhvolle» Ringe zu Tage. Von dem Gelde war aber nichts mehr zu entdecken. In dem frechen Diebe ist der 18 Jahre> lte frühere Schreiber Paul Haupt festgestellt worden, der in Charlottenburg   bei seiner