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öu zeigen. Ich müßte an unserer starken organisatorischen Tis- ziplin, an der geistigen und sittlichen Selbstzucht der Sozialdemo- kratie und der Gewerkschaften verzweifeln, wenn ich fürchten müßte, wir könnten vor den Massen nicht �tas Wort Massenstreik aussprechen, ohne zugleich che» Massen- sager, zu können, heute ist der Moment noch nicht da, wo die Vo ra u s s eh u ng en �für den Massen st reik gegeben siiid. Es haiUrelt sich also absolut nicht darum, den Massenstreit für einen bestimmten Zeitpunkt oder überhaupt anzukündigen. Wer das glaubt, hat überhaupt das Wesen des Massenstreiks noch gar nicht verstanden.(Sehr richtig!) In der Resolution Luxemburg ist nicht die Rede davon, daß die Massen irgendwie angereizt werden sollen, zu einem b e st i m m t e n Zeitpunkt zur Waffe des Massenstreiks zu greifen. Aber weil wir mit der Tatsache rechnen müssen, daß in dem Proletariat einmal das Bewußtsein einer Mackzt erwacht und das Bewußtsein des Ein. flusscs, den es eines Tages durch die gekreuzten Arme in die Wag- schale werfen könnte, so gilt es, gerüstet zu sein, damit die Organi- sationcn immer das Rückgrat jeder künftigen Massenstreikbewegung sein können. Unsere Resolution soll nur die Ermutigung sein, den Gedanken des Massenstreiks immer mehr dorthin zu tragen, wo eines Tages die Entscheidung über seine Möglichkeit und Rotwen- digkeit.fallen muß, nämlich unter die Massen selbst. Selbstredend geht daneben die Notwendigkeit einher, immer besser in unablässiger Arbeit unsere politischen und gewerkschaftlichen Or- ganisationen auszubauen, sie, die eines Tages Herz und Hirn der Massenstreikbewegung sein werden. Ich bitte Sie deshalb dringend, die Resolution Luxemburg in der veränderten Fassung anzunehmen, nachdem das vollkommen harmlose Wortpropagieren" ausgemerzt stst, über das ich im übrigen anders denke wie Heine. Propagieren sagt nichts als Verbreiten eines Gedankens ohne jeden anderen Beigeschmack. Wir empfehlen die Resolution auch, um in den Massen den Aberglauben zu zerstören, als ob der preußische Wahl- rechtstampf, der ein Kampf von- lauger Dauer sein wird, in einer einzigen siegreichen Entscheidungsschlacht glänzend zu Ende geführt werden könnte. Wir wollen die Massen darüber nicht täuschen, daß der preußische Wahlrechtskampf noch viele Etappen auf- weisen wird, darunter vielleicht auch Niederlagen, aber solche Niederlagen, deren Hauptresultat nach den Worten des kommu- nistischen Manifestes die immer größere Vereinigung der A rb eit e r ma s s en ist, einer Vereinigung, die den - künftigen Sieg vorbereitet.-(Lebhafter Beifall.) Förster-Hamburg : Darüber-sind wir uns alle einig, daß unser schlimmster' Feind Preußen ist. Ich kann Leinert nicht zugeben, daß es ausschließlich eine preußische Frage ist.(Leinert: Die Taktik!) Dann braucht sich der Parteitag überhaupt nicht damit zu befassen. Ist es uns gelungen, in Preußen die Verhältnisse zu ändern, dann haben die anderen kleinen reaktionären Bundes- staaten keinen Rückhalt mehr. Der Massenstreik ist seit langem unserem Waffenarsenal eingereiht. Er ist eine der schärf- sten Waffen, aber auch eine zweischneidige Waffe. Wir müssen die Parteigenossen über die Handhabung dieser Waffe auf- klären. Wenn es-die anderen Genossen Nicht getan haben, so haben sie etwas durchaus- Notwendiges unterlassen.(Sehr richtig!) Ich denke, daß in der Vorstandsresolution sachlich dasselbe gesagt ist, wie in der Resolution Luxvmburg, man soll nicht gar zu viel Resolutionen annehmen, sonst vergessen wir sie schließlich.(Sehr richtig!) Die Hamburger halten die Vorstandsresolution für aus- reichend. Zum Ueberfluß mag man noch den ersten Teil des An- träges Luxemburg hineinnehmen, aber der zweite ist überflüssig und unangebracht.(Bravo !) Severing: Die Gewerkschaftsführer gelten draußen im Lande als Bremser. Sie werden bei der Führung des Massenstreiks eine wichtige Funktion zu übernehmen haben, vielleicht auch eine Funktion des Bremsens. Da müssen auch die Gewerkschaftsführer heute reden, wo nicht gebremst, sondern vorwärts getrieben werden soll. Durch die Annahme der Resolution Luxemburg würden Sie ist Widerspruch mit der Mannheimer Resolution die General- kommission der Gewerkschaften vor eine vollendete Tat- s a ch c st e l I e n. Der zweite Absatz der Resolution Luxemburg ist ganz unfraglich keine akademische Diskussioii mehr, sondern die 'Aufforderung, daß die Erörterung des- Massenstreiks gepflogen werden soll zur Erringung des preußischen Wahlrechts. Weder die Gewerkschaften noch die Pattei können einseitig die Frage drS politischen Massenstreiks regeln. Ich bin der Meinung, daß die Erörterung des politischen Massenstreiks an sich nicht Begeisterung in den Massen zu wecken imstande ist. Begeisterung ist keine Hcringsware, die sich einpökeln und vielleicht jahrelang aufbe- wahren läßt.(Sehr gut.) Wenn die Situation kommt, wird gehandelt. Entweder will die Resolution Luxemburg dasselbe, wie die Resolution des Parteivorstandes, dann ist sie über- flüssig, oder sie will etwas anderes, dann ist sie schädlich. Wir sollen nicht viele, sondern klare und durchführbare Resolutionen schaffen. Auch ich bin der Meinung, daß Bereitschaft alles ist. aber dazu bedarf es keiner neuen Resolution, sondern Ausbau der Organisation.(Beifall.) Karl Liebknecht : Leinert hat eS für zweckmäßig gehalten, mich persönlich anzugreifen und zu ironisieren. Seine gänzlich vom Zaun gebrochenen Angriffe dagegen, daß ich als Mitglied der preu- ßischen Fraktion den Antrag Luxemburg unterzeichnet habe, schüttele ich mit einer Aandbewegung von mir ab, ebenso die nicht gerade geschmackvolle Bemerkung über meinen Vater. Hat mein Vater jemals gesagt, er sei bereit, innerhalb 24 Stunden 24mal gegen grundlegende Parteitagsbeschlüsse zu ver- stoßen?(Zuruf: Taktik zu ändern!) Ich habe nicht die lächerliche Aeußerung getan, daß ich die Disziplin mit der Muttermilch eingesogen habe, sondern die Worte meines Vaters angeführt, daß die Disziplin das Heiligste der Partei sei. Ganz unzweifelhaft können wir hier über den preußischen Wahlrechtskampf wie über alle Wahl- rechtskämpfe sprechen. Die Angriffe auf, die Kompetenz des Partei- tagcs sind gänzlich deplaciert. Es dürfte sich empfehlen. daß sich bei künftigen Kämpfen die Organisationen der Bundes- staaten, in denen ungefähr gleiche politische Verhältnisse existieren, in engere Verbindung und Fühlung setzen, um den Kampf g e- m e i n s a m zu führen. Die Hauptsache ist, daß aus den Erörtc- rangen des Parteitages mit einer nichts zu wünschen übrig lassen- den Deutlichkeit das möglichst große Maß von Entschlossenheit hervorgeht, den Wahlrechtskampf zu einem guten Ende zu führen, wenn der Weg dahin auch etwas bitter vorkommen mag. Darum ist auch die Resolution Luxemburg nicht so abfällig zu kritisieren. Der Antrag ist nicht anders gemeint, wie cS die Genossin Zetkin in wahrhaft klassischer Weise klargelegt hat. Der Antrag ist in dem Sinne gemeint, daß wir den Boden lockern, die DiS- z i pfl i n schaffen sollen. Dagegen sollte doch' nichts einzu- wenden sein. In keiner Weise denkt die Genossin Luxem- bürg daran, den Gewerkschaften und der Generalkommission ihre Kompetenz zu beschneiden. Eventuell lassen sich ja formelle Bedenken, wenn sie auch nicht zutreffen� durch eine andere Fassung aus dem Wege räumen. Es ist ganz selbstverständlich. daß jvder von uns durch die Beschlüsse von Jena und Mannheim zur Propagierung des Massenstreiks legitimiert ist. Das einzige ist, ob der Parteitag empfehlen soll, in eine solche Er- örterung einzutreten. Man mag den Antrag für überflüssig halten, weil jeder das Recht zur Propagierung hat. Man mag auch der Meinung sein, es sei besser, wenn es' von unten kommt, als wenn es von oben suggeriert und oktroyiert wird. Diese Bedenken bewegen mich am ehesten, für die Streichung des ? weiten Absatzes zu stimmen, jedoch unter der Voraus- etzüng der ausdrücklichen Feststellung, daß jeder heute das Recht hat, in einer ihm angemessen erscheinenden Weise' ihre Propaganda zu' betreiben.'* Leinert meint, Parteivorstand und Generalkommission wissen, wan» der Generalstreik kommt. Aber das wäre eine schöne Form von Massenstreik, der in dieser Weise von oben herab suggeriert werden könnte. Niemand denkt daran, b\i Taktik für die Zukunft festzusetzen. Wir wollen nur Freiheit nach allen Rich- jungen haben. Wir wollen in jeder Situation die Waffe ergreifen können� die am geeignetsten ist, endlich Bresche in die Junkcrseste schießen, damit auch einmal ein Preuße, ivenn er sagt: Ich bin ein Preuße, einen gewissen Stolz dabei empfinden kann, während er gegenwärtig Schamgefühl empfinden muß. (Bravo !) Auf Antrag Mücke-Brandenburg wich die Debatte geschlossen. Das Schlußwort hat Borgmann: Ich enthalte mich jeder Auseinandersetzung darüber, ob die Resolution Luxemburg notwendig ist. Ich beschränke mich daraüf, aus die Aeußerung der Genossin Luxemburg zu antworten, daß ich nicht zum Ausdruck gebracht habe, wann wir den nächsten Wahl- rechtskampf beginnen werden. Da hat sich die Genossin Luxemburg au die falsche Adresse gewendet.(Heiterkeit.) Ich bin nicht in der Lage, Auskunft zu geben, aber selbst wenn ich es könnte, würde rch es hier auf dem Parteitag nicht tun.(Sehr gut!) Ich habe keine Veranlassung, den Gegnern die Art des Kampfes und den Zeitpunkt zu offenbaren.(Sehr richtig!) Wir müssen in dieser Beziehung das vollste Vertrauen zu den leitenden Instanzen haben. Die von Limbertz erwähnte Instruktion scheint nicht Pribatarbeit des betreffenden Generals zu sein, sondern eine Arbeit, zu der ihm vielleicht von recht hoher Stelle der Auftrag gegeben worden ist. Diese Instruktion be- weist die tiefe Kluft zwischen Volk und Regierung in Preußen. (Sehr richtige) Das Volk wird sich durch die Erkenntnis, daß seine Gegner es mit allen Machtmitteln unterdrücken wollen, nicht eine Minute seinen Weg beirren lassen. Ich halte nach wie vor die Vorstandsresolution für ausreichend. Wenn Sie aber wollen, fügen Sie den ersten Satz der Resolution Luxemburg hinzu. Die Wahlrechtsdebatte wird weit hinausklingen ins ganze Land und unsere Genossen werden allen denen, die mit uns in dieser Frage sympathisieren bezeugen, mit welchem Ernst der deutsche Parteitag dieser Frage gegenübersteht.(Lebhafter Beifall.) Vor der Abstimmung erklärt im Namen der Unterzeichner der Resolution Luxemburg Klara Zetkin :'Wir ziehen den zweiten Absatz zurück, weil wir der Ansicht sind, daß durch die Resolution des ersten Absatzes die Verbindung mit der Vorstandsresolution das Ziel er- reicht wird, das wir im gegenwärtigen Augenblick ins Auge gefaßt hatten. Hierauf wird die Resolution des Parteivorstandes in Verbin- dung mit dem ersten Satz der Resolution Luxemburg in folgender Weise angenommen: Der in Deutschland herrschende scheinkonstitutionelle Militär- absolutismus hängt aufs innigste zusammen mit den reaktionären Verfassungsverhältnissen Preußens. Während in einer Anzahl süddeutscher Staaten das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht zu dem Landtag eingeführt ist, bestehen in Preußen, Sachsen und den norddeutschen Kleinstaaten Wahlgesetze, die mit ihrer auf dem Geldsack beruhenden Klasseneinteilung oder der Gewährung von mehr Stimmen und sonstigen Privilegien an die Besitzenden ein Hohn auf die staatsbürgerliche Gleichberechtigung sind. Besonders das Dreiklassenwahlshstem in Preußen mit seiner öffentlichen Stimmabgabe bedeutet eine Diktatur der Großgrund- besitzer und Großkapitalisten in dem größten deutschen Bundes- staat und damit im Reich. Ihre skrupellose, lediglich der eigenen Bereicherung dienende Politik hindert jeden ernsten, kulturellen und demokratischen Fortschritt und bildet eine steigende Gefahr für das Reichstagswahlrecht. Der Parteitag protestiert gegen diese Verfassungszustände, die in schroffem Gegensatz zur wirtschaftlichen EntWickelung stehen und die schaffenden und politisch reifen Bolksmassen aufs tiefste empören. Er spricht seine Genugtuung aus über die mit großer Energie geführten Wahlrechtskämpfe tn den einzelnen Bundesstaaten. Der Parteitag fordert für alle über 20 Jahre alten Staatsbürger beider Geschlechter das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht auf Grund des Verhältniswahl- shstems für die Wahlen zu allen öffentlichen Körperschaften und Einteilung der Wahlkreise nach jeder Volkszählung. Der Parteitag erwartet, daß in Preußen und den- anderen Bundesstaaten die Genossen mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln den Wahlrechtskampf bis zur Erringung der vollen poli- tischen Gleichberechtigung weiterführen. Der Parteitag erklärt in völliger Uebereinstimmung mit dem jüngsten preußischen Parteitag, dessen Ausfassung durch die Lehren des Wahlrechtskampfes dieses Frühjahres vollauf bestätigt worden ist. daß der Wahlrechtskampf in Preußen nur durch große entschlossene Massenaktionen dcS arbeitenden Volkes zum Siege geführt werden kann, wobei alle Mittel, darunter auch der politische Massenstreik nötigenfalls zur Anwendung gebracht werden müssen". Der Antrag 86 wird einstimmig angenommen. An- trag 101 wird abgelehnt. Die Genoffenschaftsfrage. Referent Flrihner: Der Internationale Kongreß in Kopenhagen hat in einer ziemlich ausführlichen Resolution die Stellung zu den Konsum- vereinen festgelegt. Die Kvpenhagener Resolution stellt erstens die Nützlichkeit der Konsumvereine in materieller, sozialer und poli- tischer Beziehung für die allgemeine Arbeiterbewegung fest und konstatiert zweitens, daß die Konsumvereine nur dann einen wesentlichen Wert für die allgemeine Arbeiterbewegung haben, wenn sie mit sozialem und sozialistischem Geist ver- knüpft werden. Das ist die wichtigste Feststellung der Resolution. Die Reso lution sagt weiter, daß wir infolgedessen engere Be- ziehungcn zwischen Partei, Gewerkschaft und Genossenschaft herbeiführen müssen. Sie betont aber auch, daß man nicht die Anschauung auskommen lassen darf, daß etwa die Konsumvereine allein imstande wären, die Arbeiter aus dem kapitalistischen Joch zu befreien. Andere Punkte, namentlich die Frage der rechtlichen Stellung der Konsumvereine, überläßt die Resolution der Entscheidung der genossenschaftlichen Organisationen in den einzelnen Ländern. Die Produktivgenossenschaften und die Bau- und Wohnungsgenossenschaften sind nicht als selbständige EenossenschaftSarten zu behandeln, sondern sie haben in den Konsumvereinen möglichst aufzugehen. Es ist durchaus falsch, daß die sozialdemokratische Partei sich nie um die Genossenschaft be> kümmert habe. Marx und Lassalle haben den Produktivgenossen- schaften eine nicht unwesentliche Rolle in der EntWickelung der modernen Arbeiterbewegung zugedacht. Die Konsumvereine schieden fast völlig aus dem Kreise ihrer Betrachtungen aus oder man stellte sich ihnen ablehnend gegenüber. Marx hat an mehreren Stellen imKapital" darauf hingewiesen, daß die Produktiv- genossenschaften Triebkraft zur Umwandlung der bürgerlichen Ge- sellschaftsleitung sein sollen und sein können, während, da die Aus- beutung der Arbeiter durch die Händler eine sekundäre sei. die Konsumvereine und alle Organisationen, die sich auf den Handel beziehen, nicht in Betracht kommen können für die moderne Ar- beiterbewegung. Aehnlich äußerte sich Lassalle in seinem offenen Antwortschreiben, wo er ausführte, daß es falsch sei, den Arbeitern als Konsumenten helfen zu wollen, man müsse ihnen von der Seite helfen, wo sie der Schuh drückt, als Produzenten. Auch seine Theorie des eherneit Lohngesetzes führte ihn zu einer Ablehnung der Konsumvereine. Der Genfer Kongreß der Internationale von 1866 empfahl den Arbeitern, sich eher auf Prvduktivgenoffenschaften als auf Konsumgenossenschaften einzulassen. Die letzteren berühren nur die Oberfläche des heutigen ökonomischen Systems, die elfteren greifen«S in seinen Grundfesten an. Auch der liberale Schulze- Delitzsch hielt die Produktivgenossenschaften für den Schlußstein des ganzen Genossenschaftsgebäudes, wenn er natürlich auch in der GenossenschastSbewegung ein.Mittel zur Festigung, nicht zur Auf- Hebung der bürgerlichen Gesellschaft sah. Die Sozialdemokratie dagegen betrachtet, wie der Kopenhagener Kongreß wieder beweist, die Genossenschaften hauptsächlich als Mittel zur Beseiti- gung der herrschendes GesellschaftSordnjlng. Freilich find cS jetzt nicht mehr die Produktiö« genossenschaften, sondern die K o n s u mg e ns sf-e n- schaften, die mit dazu beitragen, die Arbeiterschaft bis zu 'einem gewissen Gvade in ihrem Kampfe zu unterstützen. Die Praxis hat ergeben, daß die P r o d u k t i v g e n o s s e n s cha f t e u nicht die' ihnen zugedächte Rolle spielen konnten. Bisher ist die' Genossenschaftsfrage noch nie selbständig auf einem deutschen Parteitag behandelt' worden. 1892 in Berlin nahm man lediglich zu den Produktivgenossenischaften Stellung. Die Konsumvereine hatten allerdings damals noch nicht entfernt die Bedeutung, den Umfang und Einfluß wie heute. Von den HSV Konsumvereinen des Zentralberbandes Deutscher Konsumvereine haben 1892 erst 199 bestanden. 1899 auf dem Parteitag in Hannover wurden einige recht eigenartige Anschauungen über die Bedeutung der Ee- uossenschaften von einflußreichen Genossen vorgetragen. ES wurde behauptet, man könne sie zum Klassenkampf nicht ge- brauchen, die Arbeiter würden Selbstmord begehen, wenn sie diese Waffe benutzen würden. Nun, in neuester Zeit haben die Arbeiter erfreulicherweise den genossenschaftlichen Grün­dungen mehr Interesse entgegengebracht. 1999 gab eS etwa 1 450 000 Konsumvereinsmitgliedcr, davon eine Million im Zentralverband. DieProduktion" in Ham« bürg, die 1899 gegründet wurde, zählt heute 28 999 Mitglieder. Aus der bürgerlichen Gcnossenschaftsbewegung sind leider eine Menge Fehler übernommen. Früher war in der Hauptsache der Gesichtspunkt maßgebend, den Leuten einen wirtschaftlichen Vorteil, eine Dividende zu ver- schaffen. In Sachsen hat zur Zeit des Sozialistengesetzes viel der Umstand zur Begründung von Konsumvereinen geführt, daß der ganze Mittelstand im antisemitischen Fahrwasser segelte und daß viele Arbeiter sich die Frage vorlegten, wie sie dazu kämen, ihren ärgsten politischen Feinden, die ihnen die Lokale abtrieben und ihnen jede Gleichberechtigung absprachen, am Sonnabend ihr schwer verdientes Geld in den Laden zu tragen. Die leistungsfähigsten Konsumvereine sind aus den kleinsten Anfängen hervorgegangen. Der Konsumverein Leipzig-Plagwitz wurde 1885 mit 78 Personen gegründet, heute hat er 49 695 M i t g l i e d e r,'ch. Millionen Mark Umsatz, den größten Umsatz aller Konsumvereine in der Welt, 76 Verkaufsstellen und zahlt an Löhnen 1 399 999 M. Wenn man sagt, die moderne Arbeiterbewegung hätte sich früher um die Konsumvereine kümmern sollen, so halte ich es gerade für ein Glück, daß die Arbeiter Deutschlands zunächst ihr Hauptaugenmerk auf die politische und gewerkschaftliche Organisation gerichtet haben. Das hat uns vor all den Fehlern und Uebertreibun- gen geschützt, die wir in anderen Ländern in bezug auf die Bedeutung oer Konsumvereine für die Arbeiterklasse wahrnehmen dürfen. Sie haben uns vor einer gefährlichen Ueberschätzung der Konsumvereine bewahrt. Auch heute ist ja diese Ueberschätzung vor allem in leitenden Kvnsumvereinskreisen noch hier und da vorhanden, wenn man z. B. davon spricht, daß die Konsumvereine, überhaupt die Wirtschaftsgenossenschaften, einen wesentlichen Faktor zur Lösung der sozialen Frage bilden könnten. Das Beispiel Englands be- weist, daß das völlig ausgeschlossen ist. Wir haben in England die größte und leistungsfähigste Konsumvereinsbewegung der Welt, aber es gibt nichts davon zu spüren, daß die Konsum» vereine dort einen wesentlichen Einfluß auf die kapi» talistischen Verhältnisse ausgeübt hätten. Die Arbeiter haben dort unter den kapitalistischen Verhältnissen als Produzen- ten genau so zu leiden wie bei uns. In Sachsen hat man zuerst erkannt, daß die Konsumvereine ihre eigenen Wege gehen müssen, wenn sie sich richtig entwickeln wollen. Dort hat sich zuerst ein besonderer Verband abgezweigt von dem allgemeinen Verband Crügerscher Richtung. Von sächsischen Konsumvereinen wurde auch die Großeinkaufsgesellschaft in Hamburg gegründet. Erst die eigene Organisation, der Zentralverband Deutscher Konsumvereine, hat die Konsumvereine lebensfähig gemacht. Die Gefahren der Konsumvereine will ich nicht verschweigen. Die Zu- aehörigkeit zu ihnen geht aus egoistischen Motiven hervor. Aber die Konsumvereine sollen mit sozialem und sozialisti» s ch em Ge i st e r f ü l l t s e i n. Das wird nur möglich sein, wenn die Konsumvereinsmitglieder aufgeklärte Genossen.sind. Darum müssen wir gerade die organisierten Genossenschaftler zum Ein- tritt in die Konsumvereine auffordern. Dann werden sie nicht mehr zu klagen brauchen, daß die Konsumvereine nur Dividenden- pressen sind. Eine große Rolle in der Konsumvereinsliteratur spielt das Schlagwort vom gleichen Interesse aller Konsumenten. Rein akademisch ist das richtig.. Aber ein richtiges und dringendes Jnter- esse an den Wirtschaftsgenossenschaften haben nur die besitz- losen Klassen, die kleinen Reichsbeamten natürlich ebenso wie die Fabrikarbeiter. Dem Besitzenden soll der Konsumverein nicht verschlossen sein. Aber die Interessen der Besitzlosen müssen über- wiegen. Diese Erkenntnis ist wichtig für den Streit um die söge- nannte Neutralität. Die Resolution des Kopenhagener Kongresse» wird hier hoffentlich auf beide Teile erzieherisch wirken, so daß cS nicht für alle Zukunft bei bloßen Sympathieresolutionen zwischen den Genossenschaften und dem Sozialismus bewenden mutz. Die Redensart, daß durch die Konsumvereine der Kapitalismus ausge- höhlt und unterwühlt werden könnte, ist allerdings nicht einmal ein schöner Traum. Es wäre doch ganz sonderbar, wenn die bürgerliche Gesellschaft in dem Augenblick, wo sie sehen würde, daß ihre ganze Existenz durch die Konsumvereine in Frage gestellt werde, ruhig zusehen und nicht politische Mittel in Anwendung bringen würde, um diesen Prozeß zu unterbinden und aufzuhalten. Die Konsumvereine können sehr verschieden wirken, je nachdem die Leitung ihre Aufgabe auffaßk. Selbst Unternehmer haben früh schon Konsumvereine gegründet, um die Arbeiter von Lohnforde- runaen abzuhalten. Partei und Gewerkschaft sind berufen, die Konsumvereine zu dem zu machen, was sie sein sollen und können. Das ist ja überhaupt der Grund, aus dem die Partei offiziell zur Genossenschaftsftage Stellung nimmt. In der Resolution heißt es ganz richtig, daß die Konsumvereine unter den dort näher dar- gelegten Voraussetzungen gute Hilfsmittel für die Bestre- bungen der modernen Arbeiterbewegung sein können. Das ist die richtige Anschauung, die fern ist von Ueber- oder Unterordnung. Von dieser Auffassung aus können wir die Konsumvereine in den Rahmen der modernen Arbeiterbewegung einpassen. Die Kopen- Hagener Resolution läßt die Frage offen, ob die Konsumvereine politische Vereine. Teile der Partei oder gar wie in Belgien die Partei selbst sein sollen. In Deutschland wäre es ganz falsch. die Konsumvereine in ein Abhängigkeitsverhältnis von der Partei zu bringen oder umgekehrt. Alles spricht dafür, daß sie wie bisher ihre volle Selbständigkeit wahren. Ganz unabhängig davom wie die Konsumvereine �ur politischen Bewegung stehen, kommt es lediglich darauf an, tn welchem Geist die in den Konsumvereinen tätigen Genossen wirken. Allerdings tun auch viele Parteigenossen ihre Pflicht hierin nicht, sondern bleiben aus Furcht, daß der Konsumverein von den Gegnern zu einem sozialdemokratischen ge- stempelt werden könnte, ihm fern, oder verleugnen in ihm ihre Zu- gehörijzkeit zur Partei. Eine andere Frage ist die: Ist der Konsumverein geeignet, in den Klassenkampf der Arbeiter selb st positiv einzugreifen oder wenigstens seinen Mitgliedern im Kampfe beizuspringen?) (Siehe auch Hauptblatt.) Eingegangene Drnchfchini'ten. Bericht dcS Instituts für Gemeinwohl zu Frankfurt a. M. Wer das vierzehnte Geschäftsjahr 1909/19. Druck von G. Aoelmann, Frankfurt a. M. Borbericht zur gesetzlichen Regelung der Akkorvarbeit� Bon MaglstratSret P. Wölbing Separatabdruck aus Gewerbe- und ktaiismaniiZ- geeicht 15. Jahrgang. Nr. IL. Verlag von Georg Zleimer, Berlin . März-- Halbmonatsschrift für deutsche Kultur. Herausgeber: Ludwig Thoma und Hermann Hesse . 2. Septemberheft 1910. Preis 1,20 M., im Abonnement da» Ouartal(ti Hefte) 6 M. Verlag von Wert Langen w. München .