ButBcHjeit öl§ Stu&Tmelt! frühkrer UnlffildeTuttgSgetloScft»H sich schleppt, so schleppt die kapitalistische Gesellschaft daS Schwanz- wirbelchen des bourgeoisen Freidenkertums mit sich. Eine besondere Erscheinung können wir zurzeit in Russisch- Polen beobachten. Auch hier gibt es Freidenker, aber von ganz 'eigenartiger Spezies. Diese Leute verdanken es dem Helden- mutigen Kampfe des russischen und polnischen Proletariats, dasi sie ihre Propaganda entfalten können. Eine der Errungenschaften des revolutionären Kampfes ist eine etwas größere Bewegungs- freiheit der Presse. Freilich werden sozialdemokratische Blätter unterdrückt, aber die bürgerliche Presse hat bedeutend mehr Spiel- räum als früher, und das kommt ganz besonders den Freidenkern zugute. Ihr Blatt,„M y s l N i e p o d l e g l a"(Unabhängiger Ge- danke), das unter Redaktion eines gewissen Herrn Andreas Niemo- jewski in Warschau erscheint, benützt nun diese Freiheit vor allem dazu, die polnische Sozialdemokratie in unflätigster Weise zu be- schimpfen. Es werden da alle Register gezogen, die in Deutschland zum Böstande der landrätlichen Reptilblättchen niedrigsten Kalibers gehören, wie der Vorwurf, daß die geistigen Vertreter der klassen- bewußten Arbeiter sich vom Schweiße der Arbeiter mästen, daß sie durch die Arbeiterbewegung Karriere machen wollen(eine Anklage, die in Nußland, wo die„Karriere" in den meisten Fällen in den Zuchthäusern Sibiriens endet, besonders grotesk wirkt). Es wird der verlogenste persönliche Klatsch breitgetreten und die Ehre der Mitarbeiter der Arbeiterpresse in den Kot gezogen. Das Blatt schreckt selbst vor der Aufdeckung von Pseudonymen nicht zurück. Wem dadurch unter den russischen Verhältnissen ein Dienst er- wiesen wird, ist klar. Man muß sich fragen, ob es Gewissenlosig-- keit, mors! insanity oder Unzurechnungsfähigkeit ist, die in diesem Falle dem„freidenkerischen" Skribifax die Hand leiten. Ein Spezifikum dieses polnischen„Freidenkertums" ist krasser Chauvinismus und Antisemitismus. Die Sozialdemokratie sei „verjudet" und das sei eine Schande und Schmach. Aber auch liberale jüdische Schriftsteller werden in den Kot gezogen, nur weil sie Juden sind. Der Ton, der dabei angeschlagen wird, ist derart, daß unsere Ahlwardt und Stöcker im Vergleich damit als höchst an- ständig gelten müßten. Diese Merkmale sind um so befremdender, als das einzig gute am wirklichen Freidenkertum die Hochhaltung allgemein menschlicher Ideale ist. Die Freidenker, die diesen Namen wirklich verdienen, treten für die Idee des Weltbürgertums ein, wenden sich gegen den bornierten Chauvinismus und Rassenhaß. Wenn dieses Freidenker- tum in den Ländern des Westens auch wenig leisten kann für die Verwirklichung dieser Ideen, wenn es sich von der Arbeiterbewe- gung, dem einzigen Träger des sozialen Fortschritts, abwendet, so kommt ihm immerhin das Verdienst zu, daß es das Bürgertum an seine früheren Ideale erinnert. Das Freidenkertum in Polen da- gegen ist dermaßen entartet, daß sein Organ auf das Niveau eines antisemitischen Hetzblattes Herabfinken kann. Das ist jedenfalls idarauf zurückzuführen, daß die Unfreiheit jede soziale Klasse, die nicht gegen diese Unfreiheit kämpft, korrumpieren muh. Das „freidenkerische" Schmutzblatt spiegelt also nur den geistigen und moralischen Verfall der polnischen Bourgeoisie wieder. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß die geistige Verwilderung, die aus diesem Blatte spricht, bei jedem zivilisierten Menschen Ekel hervor- rufen muß. Unter den Kanipfmitteln, dessen sich dieses Blatt gegen die Arbeiterbewegung bedient, spielt natürlich auch das bekannte Aus- spielen der Sozialisten fremder Länder gegen die des eigenen Landes eine Rolle. Für unsere Reaktionäre sind bekanntlich stets Jaures oder Vanderbelde Musterknaben, Bebel der schwarze Mann. Das polnische Freidenkerblatt lobt die deutschen Sozialdemokraten, um die polnischen beschimpfen zu können. Da auch der„Vor- wärts" bei diesem tölpelhaften Spiel jenes Blattes herhalten muß, so nehmen wir um so mehr Gelegenheit, unserem Abscheu gegen diese Art von„Freidenkertum" Ausdruck zu geben. «»• ♦ Es lag für uns ein besonderer Anlaß vor, uns mit dem Blätt- ichcn des Herrn A. Niemojewski zu befassen. Er schickte uns nämlich ein Heft zu, das von solchen Unflätigkeiten strotzt, mit einem Be- gleitschreiben, in dem er einen seit zwei Jahren in der deutschen Parteipresse tätigen polnischen Genossen moralischer Delikte an» klagt. Da er behauptet, hierbei auf Wunsch eines im Auslande er- scheinenden polnischen Parteiblattes zu handeln, so können wir nicht umhin, an die Adresse des letzteren folgende Be« merkungen zu richten: Ist unser Mitarbeiter wirklich so schlecht und unmoralisch, so war es die verdammte Pflicht und Schuldigkeit des betreffenden sozialdemokratischen Blattes, die Redaktion des„Vor- wärts", der„Leipziger Volkszeitung " und der„Neuen Zeit", wo dieser Genosse Artikel unter seiner Unterschrift veröffentlicht hat, bereits vor zwei Jahren über seine Person aufzuklären, zumal die angeblichen Delikte, laut dieser Anklage, mehrere Jahre zurückliegen. Ferner war dieser Genosse Delegierter auf dem Liapenhagener Kon. greß und die Vertreter des Blattes, das ihn jetzt anklagt, saßen mit ihm an einem Tische. Wie konnten sie es unterlassen, sofort das Bureau über die Qualifikationen dieses Delegierten zu informieren? Erst jetzt, nachdem der betreffende Genosse die Taktik dieses Blattes in Sachen der Grunwaldfeier neuerdings scharf angegriffen, erfolgt die Anklage, und zwar nicht in dem sozialdemokratischen Blatte selbst, sondern durch Vermittelung eines bürgerlichen Schinutz- blatteS. Diese Tatsachen werfen ein sonderbares Licht auf die An- klage. Das wird freilich den betreffenden Genossen nicht hindern, der Sache auf den Grund zu gehen. Zmiti; desavouiert die Budget- bewiiliger. Hebet den von uns schon in der Sonntagsnummer zitierten Artikel deS Genossen Jaures schreibt uns unser Pariser Korre- spondent: In seinem heutigen Artikel in der„Hümanite" polemisiert Jaures gegen die LieblingSargumente der Budgetbcwilliger. Er schreibt:„Vielleicht läßt sich sogar vom theoretischen sozialistischen Gesichtspunkt mancher Einwurf gegen die totale, ständige und systematische Ablehnung des Budgets erheben. Aber es ist natürlich, daß daS Proletariat, als es in die gesetzgebenden Körperschaften eindrang, durch alle ihm zur Verfügung stehenden parlamentarischen Mittel dem auf das kapitalistische Eigentum gegründeten sozialen System in seiner Gesamtheit seine fundamentale Opposition kundgeben wollte. Das ist eine Tradition. für die sehr starke Gründe sprechen und in keinem Fall ist es das klägliche Gezeter unserer Gegner, daS uns veranlassen könnte, auf sie zu verzichten. Wenn sie behaupten, daß wir durch die Ablehnung des Budgets das Recht verlieren, es zu diskutieren und zu kontrollieren oder daß wir, weil wir gewisse Partien des Budgets bewilligt haben, gehalten sind, für das Ganze zu stimmen, worin sie eingeschlossen sind, so sagen sie eine Ab- surdität und verneinen einfach daS ganze parla- mentarische Prinzip. In den freien Parlamenten ist es die ständige Praxis, zu diskutieren, zu verbessern und dann das Gesetz im ganzen abzulehnen, wenn die durch- gesetzten Amendements nicht genügen� den wesentlichen Mangel gut- zumachen. Waren die Gegsier der EmkoiUmensteu'et und der Trennung Von Kirche und Staat verpflichtet, für diese Gesetze im ganzen zu stimmen, weil es ihnen im Verlauf der Verhandlungen gelungen war, einige ihrer Anträge durchzusetzen? Ich wiederhole es, das ist ein absurder Einwand. Als in der letzten Legislaturperiode die radikale Mehrheit die Sozialisten unter diesem Vorwand systematisch aus der Budgetkommission ausschloß, hat sie einen Ge- waltakt begangen, den ein plumper Sophismus nicht decken konnte. Ilm eine alt« Praxis, die zumindest in der Periode der Formation des Sozialismus dem tiefen Instinkt der Arbeiterklasse entspricht und in unserem Einigungspakt steht, wieder inDiskussion zu zie hen, bedürfte es sehr dringender Gründe und ich sehe keine. Für uns französische Sozialisten war die Frage niemals wirklich gestellt, selbst nicht in der Zeit der Blockpolitik. Als K a u t s k y mich auf dem Parteitag in Nürnberg als ein Exempel der Disziplin hinstellte, indem er sagte, daß ich vor dem Amsterdamer Kongreß das Budget bewilligt und hernach, um mich den Beschlüssen der Internationale zu fügen, abgelehnt hätte, hat er mir ein Kompliment gemacht, das ich nicht verdiente. Denn niemals, selbst nicht in der Zeit, wo ich zur Rettung der republikant scheu Freiheit und für das große Werk der Trennung von Kirche und Staat die Blockpolitik mit Leidenschaft betrieb, habe ich für daS Budget gestimmt. Ebenso wie ich in jener Periode ohne Unterlaß meine sozialistische und kommunistische Ueberzeugung betonte, vor- mied ich mit Sorgfalt jeden unnötigen Konflikt mit den Traditionen der Partei." Jaures setzt dann auseinander, daß er das Budget bewilligt'hätte, wenn die Reaktionäre versucht hätten, die Opposition der Sozialisten zu einer Vereitelung der Trennung von Kirche und Staat und der antiklerikalen Gesetzgebung zu mißbrauchen. Die Ablehnung des Budgets sei kein unbeweglicher Ritus, kein ge- weihter Symbolismus, den unsere Gegner zu einer Gefahr für uns machen dürften. Aber die Frage war in Wirklichkeit niemals ge. stellt und wird es voraussichtlich nicht so bald werden. Man sieht, Genosse JaureS gibt seine reformistischen Anschau- ungen durchaus nicht auf, aber trotzdem lehnt er die Argumentation der Frank, Kolb, David und Genossen klipp und klar ab, den an, meisten beliebten Hinweis auf den angeblichen Widerspruch zwischen der Bewilligung der einzelnen Budgetposten und der Ablehnung des Gesamibudgets gar mit der verächtlichen Bezeichnung„sbouräe quereile". Jaures hält also die Ablehnung des Budgets für eine bedeutungsvolle Tradition, die er ohne dringende Gründe nicht aufgeben will, obschon die bürgerliche Republik für die parlamen- tarische Demokratie denn doch zweifellos ein freieres Feld darbietet als die Königreiche und Großherzogtümer der Budgetbewilfiger und obschon die französischen Radikalsozialisten das Recht hätten, sich eine Parallele mit deutschen Nationalliberalen entschieden zu verbitten. Wie Jaures beweist, verstehen die deutschen Budget- betvilligungspropheten weder den Parlamentarismus noch den— Reformisums. Der bedeutendste Vertreter der reformistischen Methoden in der Internationale lehnt das Budget ab und dieses nicht nur aus Parteidisziplin, sondern weil er die Ablehnung für einen durch seine Wirkung bewährten Akt hält, für den er nicht einen unnützen Konflikt mit den Traditionen der Partei eintauschen will. Wohl will er sich nicht für alle Zukunft binden. Wohl erklärt er, daß die parlamentarische Taktik unter der„sehr Ungewissen und jedenfalls sehr fernen Hypothese", daß sich der bürgerliche Radika- lismus ermannt und zur Durchsetzung des ihm mit dem Sozialis- mus gemeinsamen Reformprogramms der Hilfe der Partei bedarf, eine Veränderung fordern könnte, aber vorläufig sieht er keinen Grund, diese auch nur in Diskussion zu ziehen. Auf die konkreten Verhältnisse des Magdeburger Parteitages übertragen, besagen diese Ausführungen: Auf Jaures können sich weder die Gegner der Resolution des Parteivorstandes, noch die Anhänger der Resolution Braun berufen. politifebe GcbcrHcbt Berlin, den 26. September 1910. Das höchste Gebot agrarischer Ethik. Die„Allg. Fleischerztg." berichtete vor einigen Tagen, daß eine Gruppe Berliner Viehhändler die Absicht habe, die fünf Besitzer in der Graudenzer Gegend auf Schadenersatz zu verklagen, die den Ausbruch der Maul- und Klauenseuche bei ihrem Vieh verheimlicht und dieses an Händler verkauft hätten, scr daß die Seuche nach dem Berliner Viehhof ver- schleppt worden sei. Das Hauptblatt des Bundes der Land- wirte, die„Deutsche Tagesztg.", die sonst immer die strengsten Maßnahmen gegen die Einschleppung von Viehseuchen aus dem Auslande fordert, ist wegen dieser Absicht der Viehhändler höchst aufgebracht und wendet sich in einer heftigen Notiz gegen den Versuch, die gewissenlosen Viehhalter zum Schaden- ersatz heranzuziehen. Das ehrsame Organ der Viehwucherer schreibt: „Nun, dasselbe Recht, wie diese Berliner Händler hätten dann auch alle Biebbesitzer, zu denen die Seuche aus jenen selben Ställen bei Graudenz angeblich eingeschleppt worden ist. Auch sie könnten Schadenersatzansprüche erheben. Ebenso müßte künftig jeder Händler aus Schadenersatz verklagt werden, der für Seuchenübertragung von dem Viehstande eines Gehöfts zum anderen verantwortlich gemacht werden könnte. Vollkommen berechtigte Ansprüche auf vollen Ersatz ihres Schadens müßte man auch den deutschen Biehbcsitzern zu- gestehen, denen bei der von Fleischern und Händ- lern geforderten völligen Freigabe der Vieh« einfuhr vom Auslände die Seuche in ihre Ställe geschleppt würde. Wir fürchten, dieser Schaden würde sich sehr bald als so groß herausstellen, daß er selbst die reichen Geldmittel der eben- genannten Gewerbetreibenden wesentlich überschreiten dürfte. Im Gedenken hieran sollten die Herren etwas zurückhaltender mit ihrem Ansturm gegen die Seuchengrenzsperre werden." Die Haltung des Agrarierblattes scheint auf den ersten Blick höchst widerspruchsvoll; denn man sollte meinen, ein Blatt, das die strengsten Grenzsperremaßnahmen zur Verhütung der Einschleppung von Viehseuchen ans dem Aus- lande fordert, müßte unbedingt auch die Verschleppung der Seuchen im Inlands bekämpfen und die schärfste Bestrafung jener inländischen Viehhalter fordern, die den Ausbruch von Seuchen auf ihren Gehöften verheimlichen und durch Verkauf erkrankten Viehes die Seuche verbreiten. Wer so folgert, verkennt jedoch, daß nach der Auffassung jenes Agrariertums, das die„Deutsche Tageszeitung" vertritt, wichtiger als alle Logik und Konsequenz der Profit i st. Das Oertelsche Blatt befindet sich mit seiner Inschutznahme der Viehhalter, die den Ausbruch der Maul- und Klauenseuche in ihren Stallungen verheimlicht haben, durchaus im Einklang mit der agrarischen Ethik. Nicht die Verhütung der Seuchenein- oder-Ver- schleppung ist nach dieser Ethik das wichtigste, sondern die Steigerung des eigenen Profits. Dieser hätte aber unzweifel- hast gelitten, wenn die Viehbesitzer die Setzche sofort angezeigt und den Verkauf des erkranktet! Viehes nnterkassen hätten. Deshalb ist ihnen uach den sittlichen Begriffen der„Deutschen Tageszeitung" durchaus kein Vorwurf zu machen, haben sie doch lediglich ihr heiliges Recht auf Profit geltend gemacht. Wenn dadurch anderen Leuten Schaden ver- ursacht wurde, so geht das doch die Viehbesitzer nichts an. Jeder ist sich eben selbst der Nächste. Besser als durch diese schöne Leistung der„Deutschen Tagesztg." kann gar nicht bewiesen werden, daß das Gerede der Agrarier, durch die Aufhebung der Grenzsperre würde das inländische Vieh verseucht werden, nur Mittel zum Zweck ist, nämlich zu dem Zweck, den Profit zu steigern. Der Kaiser und der Magdeburger Parteitag. lieber die Verhandlungen des sozialdemokratischen Parteitages in Magdeburg ist dem Kaiser, wie der„Nhein.-Westf. Ah." aus Berlin berichtet wird, laufend Bericht erstattet worden. Von einer den Parteitag besuchenden Vertrauensperson erhielt das Mi- nisterium täglich mehrere Male einen Auszug aus den VerHand- Handlungen, fast wörtlich wurden diese Berichte unverzüglich dem Kaiser mitgeteilt. Am Tage erfolgte dies durch chiffrierte Telegramme, den Nachmittags- und Abendbericht brachte der kaiserliche Kurier. Als anfangs der neunziger Jahre einmal der Kaiser aus den Tageszeitungen ersah, daß ein Bericht stark redigiert und frisiert war, hat er seinem Unwillen hierüber Aus- druck gegeben._ Die ironisierte Zivilliste. Hamburg , 26. September (Pribattelegramm des„Vorwärts".) Gegen die Anklage der Beleidigung des Königs von Preußen hatte sich am Montag vor der Straskammer III des Landgerichts Hamburg der Redakteur des„Hafenarbeiter", Genosse L i n- dow, zu verantworten. Im Nr. 13 dieses Blattes vom 18. Juni dieses Jahres erschien ein Artikel mit der Ueberschrift:„Aufruf zu- gunsten einer Nationalspende für den König von Preußen!" Der Artikel wendet sich„An alle Christen! An lüle Patrioten! An alle Nationalen!" Wie die Anklagebehörde behauptet, soll durch diesen Artikel die damals im preußischen Landtage eingebrachte Gesetzes- Vorlage wegen Erhöhung der Zivilliste des Königs durch Gegenüber- stellungen und Schlagworte verspottet werden. Der Angeklagte gebe sich den Anschein, als riefe er im Stile einer Aufforderung zur Spendung von Gaben für einen wohltätigen Zweck alle christlich, national und monarchisch gesinnten Bürger auf zu Spenden für den notleidenden König Wie der ganze Artikel ironisch und höhnisch gemeint sei, so auch sämtlich in ihm enthaltenen einzelnen Schlag- Worte. Der Artikel habe es aber ersichtlich in der Hauptsache nicht etwa auf eine Verspottung derjenigen, die geneigt sein könnten, der Gesetzesvorlage zuzustimmen, sondern auf eine_ Verunglimpfung des Königs abgesehen, den er als einen Ueber- reichen darstelle, der schamlos, trotz eigener Steuerfreiheit, dem Volke zu seinem Vorteil neue Steuern abpresse und nur die Reichen begünstige. Daneben werde der König von Preußen verspottet durch ironische Anführung von Eigenschaften und Aussprüchen, meint der Verfasser der Anklage. Auf die inkriminierten Stellen können wir aus naheliegenden Gründen nicht eingehen. In der Verhandlung stellte der Verteidiger Dr. Herz fest, baß die politische Polizei den Artikel zunächst nicht beanstandet hat. Erst auf ein Telegramm deS Berliner Polizeipräsidenten sei ein- geschritten worden. Der Antrag der Staatsanwaltschaft lautete auf sechs Monate, das Urteil auf drei Monate Gefängnis, weil der Artikel eine Herabwürdigung des Kaisers enthalte. Das preußische Klassenwahlrecht der stärkste Schutzwall des Absolutismus und Junkertums. „Wjenn wir erst Preußen haben, dann haben wir alles." Dieses, auf dem Magdeburger Parteitag gefallene Wort Bebels benützt die„Deutsche Tageszeitung"(Nr. 4SI vom 26. September), um die Notwendigkeit der preußischen Reaktion zu erweisen: „Es ist ein grundlegender Fehler der„öffentlichen Mek» nung" in Deutschland , daß sie in der Behandlung der preußischen Fragen gemeinhin zu wenig die Bedeutung der preiißi» scheu Verfassung für die ganze Reichsver- fassung in Betracht zieht. Um so mehr sollte man sich an den matzgebenden Stellen vor dem gleichen Fehler hüten. Es ist doch eine ganz oberflächliche Auffassung, wenn man behauptet, Preußen— was doch schließlich heißen muß: der Preuße— habe ein„unfreies" Wahlrecht. Das' preußische Volk besitzt doch in erster Linie daS Reichstagswahlrecht..... Dem preußischen Landtage kommt freilich eine gesamt- deutsch « Bedeutung von höchster Wichtigkeit und Notwendigkeit zu: Er füllt in gewisser Weise die Lücke aus, die im deutschen Verfassungsleben durch daS Fehlen eines deutschen Ober, Hauses gegeben ist. Es fehlt im Deutschen Reiche ein Organ, daS zwischen der monarchischen Spitze und der demokratischen Volksvertretung im Sinne einer besonderen Berücksichtigung der geschichtlichen Tra- dition, einer starken monarchischen und Staatsgewalt; des Besitzes und der organischen Gliederung der Gesellschaft aus- gleichend wirkt; das, obwohl eine Volksvertretung, die Dinge nicht nur von unten, sondern auch von oben zu sehen vermag. Diese Funktion übt der preußische Landtag, in dem die mittleren Schichten zusammen mit den oberen den Ausschlag geben, insofern aus, als es der preußischen Regie» rung, und damit direkt und indirekt dem stärksten Faktor ü» der„Reichsregierung", in der Art einer Ersten Kammer gegen- über der demokratischen Zeitströmung den Rücken st ä r k t. Würden die preußische Krone und die preußische Regierung, die zugleich die monarchische und ministerielle Spitze im Reiche ver- körpern, auch in Preußen einem demokratischen Parlamente gegenüberstehen, so würde es gar kein„Hindernis" mehr zwischen der monarchischen Regierung und einem demokratischen Par- lamentarismus geben. Damit aber wäre für die Demokratie in Deutschland , zunächst für das Streben nach der Umwandlung der konstitutionellen in eine parlamentarische Monarchie freie Bahn geschaffen." Diese durchaus zutreffende Darstellung der Verhältnisse kann als junkerliches Eingeständnis der Bedeutung, die daS Klassen- Parlament für die Reaktion in Preußen und Deutschland hat, im Kampfe um ein demokratisches preußisches Landtagswahlrecht gute Dienste leisten._ Fortschrittlicher Provinzialparteitag für Schlesien« In Breslau hielten die Fortschrittler einen Parteitag für Schlesien ab. Der Leiter des Parteitages, Justizrat Heilberg, er- klärte, daß die Liberalen die„S a m m l u n g s p o l i t i k' des Reichskanzlers nicht mitmachen würden. Mit den Konser- vativen und dem Zentrum könne man auf keinen Fall zusammen- arbeiten. In der Diskussion wurde der Gedanke eines Grotzblocks von Bassermann bis Bebel verworfen. Weiterhin beschäftigte sich der Parteitag mit der Anfrage über die Stellungnahme zu einer Re» form des Arbeiterrechts. ES gelangte eine Entschließung zur Annahme, in der erklärt wird, der Parteitag stände dem Ge- danken einer Reform des Arbeiterrechts sympathisch gegenüber und halte eS für zweckmäßig, daß die auf dem Delegiertentag der Gewerkvereine aufgestellten Grundsätze sobald als möglich von Partei wegen eine eingehende Erörterun a erfahren. — Der Parteitag nahm auch eine ähnlich verschwommene Resolution über die Stellung der Fortschrittler zu den Berufsorganisationen an. Vor allem soll nach der Resolution die Selbständigkeit der Par, tei gewahrt und ein„Interessenausgleich" unter den Stäfl« den angestrebt werden,
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