Nr. 230.
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N
Vorwärts
Berliner Volksblatt.
27. Jahrg.
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Redaktion: S. 68, Lindenstrasse 69. Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1983.
Sonnabend, den 1. Oktober 1910.
Wir klagen an!
Expedition: S. 68, Lindenstrasse 69. Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1984.
Wenn wir gestern der Hoffnung Ausdruck zu geben aufgebauscht oder gar total erfunden sind, ist ja die Stöcke und Gummiknüppel der Kriminalschuhleute malwagten, daß nach der grenzenlosen Blamage der Polizei in selbst von der Scharfmacherpresse inzwischen fest- trätiert wurden, das bedarf nach Ansicht unserer Presse Sachen der vier ausländischen Journalisten endlich die Vergestellt worden! Der Minister des Innern wird mit und unserer Polizeiobersten nicht der leisesten Entschuldigung! nunft bei den Polizeibehörden plakgreifen werde, so hatten wirklichen Tatsachen aufwarten müssen! Seine im Parforce- Das heißt also: vor dem Auslande hat man noch wir uns bitter getäuscht. Denn auch am Donnerstag tempo ausgeführte Automobilsprittour hat ihm natürlich einigen Respekt. Was das Ausland über die preußische abend hat wiederum der polizeiliche Terror wahre Orgien feinerlei Möglichkeit gegeben, persönliche Beobachtungen zu Polizeiwirtschaft sagt, vermag noch einige Scham, einige Gegefeiert. Nach den polizeioffiziösen Berichten scheint es aller- machen. Kommt es ihm wirklich darauf an, zweifelsfreie wissensstrupel hervorzurufen. Wie aber die breiten dings, als ob die uniformierte Schuhmannschaft sich Feststellungen zu machen, so bieten wir ihm und auch Herrn Boltsmassen Preußens selbst über die Polizeidiesmal größere Reserve auferlegt habe: desto brutaler ist aber von Jagow an, sich in Begleitung eines Vorwärts" vertreters taten urteilen, das ist unseren Polizeibehörden, ist unserer dafür die Kriminalschuhmannschaft vorgegangen, die in die Stadtteile zu begeben, in denen die Polizei die Presse völlig gleichgültig! Kann man sich eine ver. man jetzt in größerer Stärke zur Unterstügung der Schußleute Schreckensherrschaft proklamiert hat. Selbst in diesen Tagen ächtlichere Einschätzung des Urteils unserer Voltsmassen hatte anrücken lassen. Darüber, daß die Geheimpolizisten in der des Abflauens der Erregung würden die Polizeigewaltigen überhaupt vorstellen!? unerhörtesten Weise vorgegangen sind, daß sie wie Tob- noch Erfahrungen machen können, bei denen selbst ihnen die Wir klagen an! Wir flagen an die Verantwortlichen der süchtige auf die harmlosesten Passanten eingeprügelt haben, Haare zu Berge stehen würden! Polizei! Wir flagen an unsere bürgerliche, insonderheit unsere daß sie, was an ihnen lag, die glücklich gelöschte Flamme der Wir klagen aber nicht nur die oberen Polizeibehörden liberale Presse! Aber wir Klagen auch an den unglaubEmpörung wieder zur hellen Lohe anzufachen versucht haben, an. Wir klagen vor allen Dingen an die Preffe, die lichen Stumpfsinn und den Mangel an Ehr. darüber ist auch in der bürgerlichen Presse nur eine liberale Presse. Was von dieser liberalen Presse an Nichts- gefühl innerhalb unserer Voltsmassen! Ein wenig Stimme! Wäre die Masse des Proletariats dank der Er- würdigkeit geleistet worden ist, läßt sich im Augenblick schmeichelhaftes aber wahres Wort lautet: Jedes Volk hat ziehung der Sozialdemokratie nicht so außerordentlich geschult, auch nicht annähernd charakterisieren. Daß Blätter vom die Zustände, die es verdient. Sollte dieses Wort nicht wäre die Parole: ,, Laßt Euch nicht provozieren!" der Schlage der Freisinnigen Zeitung" jede brutalste Polizeitat auch für die preußische, ja selbst für manche Schichten unserer arbeitenden Klasse nicht in Fleisch und Blut übergegangen, so beschönigen und ihre höchste journalistische Aufgabe darin er- Berliner Bevölkerung zutreffen?! würde das beispiellos provokatorische Vorgehen der Kriminal- blicken, die Arbeiterschaft, also die Masse des Berliner Volkes Sollte zum mindesten denen nicht nach Gebühr gebeamten zweifellos dazu angetan gewesen sein, in Moabit zu verunglimpfen, versteht sich ja ganz von selbst. Aber daß schehen sein, die noch immer sogenannte liberale oder das hervorzurufen, was bisher nur in der Phantasie sogar Blätter vom Schlage des„ Berliner Tageblatts", unparteiische" Blätter unterstützen, Blätter, die in der Polizeiberichterstatter existierte: eine allgemeine Revolte sich in so bedingungsloser Weise zum Sprachrohr und Anwalt der jedem Ernstfall das Volk an Polizei und kapitalistisches gegen die skandalöse Schreckensherrschaft der Polizei! Polizei herabgewürdigt haben, das verdient als Kulturdokument Scharfmachertum verraten?!
Daß unsere Polizeiorgane mit solch unerhörter für das politische Niveau unseres Liberalismus sorgfältig der Rücksichtslosigkeit der friedlichen Bevölkerung gegenüber auf- Nachwelt aufbewahrt zu werden. Oder kann es eine jämmertreten, erscheint ja in Preußen nicht weiter rätselhaft. Die lichere Feigheit geben, als gerade in dem Augenblick vor der preußischen Behörden sehen ja in den Volksmassen nicht den willkür der Polizei zusammenzuknicken, wo es gilt, das Kern und den eigentlichen Repräsentanten des Staates, sondern Bürgerrecht von Hunderttausenden den polizeilichen An den Feind des Staates, die„ baterlandslosen Gesellen". Alles, maßungen gegenüber zu schützen?
fonnten!
Die Blamage der Scharfmacher.
Schelle umgehängt und der fast einstimmigen Ueberzeugung ber Die Scharfmacherpresse heult vor Wut, daß wir der Katje die Moabiter Einwohnerschaft auch in der Deffentlichkeit Gehör berwas an idiotischen Vorurteilen während der militärischen Es ist ja möglich, daß sich das Mosse- Blatt der Bürgerrechte schafft haben, daß an der Entwidelung und Ausdehnung jener be Dienstzeit den größtenteils vom platten Lande stammenden mit größerem Eifer angenommen hätte, wenn es sich nicht um dauerlichen Vorkommnisse im Nordwesten Berlins die Polizei durch Unteroffizieren eingepauft worden ist, was dann später durch den proletarischen Nordwesten, um Moabit , sondern die mindestens höchst ungeschickte Art ihres Vorgehens das HauptKriegervereinsreden, Ansprachen von Vorgesetzten und reichs- um den aristokratischen Westen, um die Tiergarten - maß der Schuld trägt. Man kann nicht bestreiten, daß die Polizei verbändlerischen Preßerzeugnissen den Schußleuten eingetrichtert viertel gehandelt hätte! Hätte sich dort die Polizei heraus- felbst durch ihre grotesten Umzüge bei der Begleitung der Kupferwurde, bricht sich bei Attionen wie in Moabit ungestüm Bahn genommen, unter den Bewohnern und Passanten dieser bevor- schen Wagen den Janhagel aus allen Teilen der Stadt nach in den sinnlosesten Gewalttätigkeiten. Man fühlt sich von den zugten Stadtteile in so standalöser Weise mit Säbeln und Moabit gezogen hat. Und man beginnt einzusehen, daß die Methode Gefahren einer„ Revolution" umwittert. Die Frozelei dummer Browningpistolen zu hausen, wie in dem proletarischen Moabit , Kind, auf arm und reich, auf Brave und Schlimme und vor allen der Ruhestiftung", bei der rüdsichtslos auf Mann und Frau und Jungen gewinnt in solchen Köpfen den Anschein eines revolutio- so würde das Berliner Tageblatt" zweifellos in hellster Ent. Dingen auf ganz wenige mehr oder minder wirklich Schuldige und nären Angriffs. Diese Aufgabe, einer Handvoll Standalmacher das rüstung aufgelodert sein! Aber in Moabit handelt es sich viele, viele böllig Unbeteiligte losgeschlagen wird, das denkbar Ver Handwerk zu legen, verwandelt sich in den Augen dieser vom ja nicht um kommerzienräte und dergleichen bevor tehrteste war, was man von seiten einer„ Sicherheitsbehörde" unterRotkoller befallenen Vaterlandsretter in die Mission, die zugte Glieder der monetengefegneten Genehmen konnte. Man muß auch allmählich zugeben, daß die BeRevolution der roten Rebellen niederzuschlagen! Und der sellschaft, sondern nur um Arbeiter oder höchstenfalls richte, die über die" Exzesse" in die Presse tamen, entstellt Fieberwahn solch kindischer aber zur gefährlichen Manie ent- leine Geschäftsleute und kleine Beamte! und übertrieben waren. Selbst ein Mitarbeiter der arteter Vorstellungen treibt dann die Sicherheitsmänner zu Darüber aber, daß solche Bevölkerungselemente mit dem" Deutschen Tageszeitung" führt in dieser aus: Exzessen, wie wir sie in Moabit hundertfältig beobachten Polizeisäbel oder dem Gummiknüppel der Achtgroschenjungen bearbeitet werden, braucht sich ein liberales Organ Troydem: wir klagen an! Nicht die untergeordneten natürlich nicht aufzuregen! Diese Proleten mögen sich Drgane, nicht die Schußleute und Kriminalbeamten, diese einfach vor dem Polizeigebot in ihre Löcher zurückziehen; Opfer des Kasernendrills, nicht einmal die Polizei- laufen sie unvorsichtigerweise der Polizei in die Finger, so offiziere, wohl aber die verantwortlichen Stellen der verdienen sie nichts anderes als die vollwichtigsten PolizeiBerliner Polizeibehörde! Wir klagen an Herrn v. Jagow, prügel! Für das ungeheuer Aufreizende und Beleidigende, daß den Berliner Polizeipräsidenten! Wir flagen an Herrn Hunderttausende von Staatsbürgern, die nichts tun, als die doch b. Dallwit, den preußischen Polizeiminister! dem Verkehr dienende Straße zu benutzen, den brutalsten PolizeiFür sie kann es Entschuldigungen solcher Art nicht geben, exzessen preisgegeben sind, hat die liberale Presse offenbar nicht gleichvier, aus welchen Kreisen sie hervorgegangen sind, das geringste Gefühl gehabt! Auch ihrer Ansicht nach hat eben gleichbiel, über welches Maß allgemeiner und speziell die" Canaille" unbedingt Order zu parieren. Ja, wenn es sich auch politischer Bildung sie verfügen! Sie tragen die um die oberen Zehntausende gehandelt hätte, dann wäre das etwas Verantwortung für die unsäglich beklagenswerten ganz anderes gewesen. Aber Arbeiter haben sich nun einmal Ereignisse in Moabit ! Sie mußten sich der Ver- bedingungslos auch der unglaublichsten Polizeidiktatur zu antwortung bewußt sein! Sie mußten wissen, welche An- unterwerfen! Tanzen sie nicht nach der Pfeife jedes beordnungen sie trafen und in welcher Weise diese Anordnungen liebigen Polizeiwerkzeuges, so haben sie damit jede Polizeiausgeführt wurden. Sie mußten wissen, daß man, um prügelei selbst verdient! Das ist also auch die Auffassung die Erzesse einer Handvoll Radaulustiger zu unterdrücken, selbst der am weitesten links stehenden liberalen nicht der Bevölkerung eines ganzen bolt- Presse! Und ein solcher Liberalismus glaubt noch auf reichen Stadtviertels den Krieg erklären irgendwelche Sympathien der Vollsmassen Anspruch erheben darf! Sie mußten Einsicht und Verantwortlichkeits- zu können!? gefühl genug besitzen, sich darüber im Klaren Klaren zu
Und eins noch ist besonders kennzeichnend für die geradesein, daß durch blinde Polizeifäbeleien und Schießereien zu infame Einschätzung der Rechte preußischer Staatsbürger. nicht das Nowdytum in seine Schranken gewiesen, sondern Dafür, daß bei den Polizeiattacken vier ausländische den breiten friedlichen Volksmassen die unerhörteste Ver- Journalisten verprügelt worden sind, hatte selbst Herr gewaltigung angetan werde. Mögen diese Verantwortlichen von Jagow Worte der Entschuldigung. Daß die vier der Moabiter Polizeischlächtereien sich einstweilen auch Ausländer den Säbel der bis zum Aberwih nervösen ficher fühlen: bor dem Parlament werden sie Polizeimannschaften zu spüren bekamen, berührte die Polizeisich der Verantwortung nicht entziehen können. Und behörde wie unsere bürgerliche Presse gleich peinlich.
bon
Nun ist es allerdings schtver, die über die abendlichen Bu sammenstöße einlaufenden Nachtmeldungen, namentlich der nicht nur für die eigene, sondern für eine Reihe von Zeitungen gleichzeitig tätigen Berichterstatter auf ihre Zuverlässigkeit hin mit bölliger Sicherheit zu prüfen. So erklären sich manche Widersprüche, die der Leser entschuldigen muß. Immerhin sollten die Redaktionen es sich zur Regel machen, nicht gerade das krassefte unbedingt für bare Münze zu nehmen, wie es vielfach geschieht. Jm„ Berl. Lokalanzeiger" z. B. finden wir heute die Schilderung eines Zusammenstoßes vom gestrigen Abend, die von gewaltigen lebertreibungen stroßt.„ Ein Bombardement Blumentöpfen, Gläsern, Flaschen ging aus den umliegenden Häusern auf die Schußleute nieder... Giner der Berittenen geriet ins Gedränge. Der Mob wollte ihn vom Pferde reißen, der... Die Schußleute richteten ihre Browningpistolen auf die nächsten geöffneten Fenster und forderten auf, sie zu schließen. Das hatte Erfolg. Man liest dann von der Grstürmung" eines Hauses und dessen darauf folgender Beschießung aus den Brownings. So soll es an der Reformationskirche hergegangen sein. Unser Vertreter hat der Szene beigewohnt, und hat sich nicht veranlaßt gesehen, sie in seinem Bericht mehr als ganz furz zu erwähnen. Wahrheit ist lediglich, daß dort eine Ansammlung auseinandergetrieben worden ist. Dabei hat eine An zahl Leute ein paar flache Säbelhiebe abbekommen; ein berittener Schußmann tam mit seinem Pferde auf dem Bürgersteig zu Fall; drei jämmerlich heulende Bengels von 13 bis 14 Jahren blieben neben einem Dußend männlicher und weiblicher Kopfbedeckungen, etlichen Kneifern und Handtäschchen sowie einem Dienstbuch als Kriegsgefangene auf der Wahlstatt zurück. Aus zwei benachbarten Häusern fiel( von uns fett ausgezeichnet. Red. 5.".") je ein Blumentopf auf die Straße hernieder, ohne daß man in der Dunkelheit erkennen konnte, woher sie tamen. Einer davon verletzte den Schuhmann Birschel leicht am Stopf. Die Schußleute riefen zu den Fenstern hinauf:" Fenster zu!", welchem Verlangen stattgegeben wurde. Daß fie dabei die Brow nings vorgehalten hätten, ist Unsinn; dazu lag feine Veranlassung vor, und zum Theaterspielen sind die Beamten zum mindesten in diesen Tagen nicht aufgelegt. Geschossen worden ist überhaupt nicht."
Herr von Dallwiß, der preußische Polizeiminister, mag Hier hielt man die höflichsten Entschuldigungen sich nur ja nicht einbilden, durch das Verlesen polizeilicher für selbstverständlich! Daß aber Hunderte und Aberhunderte Protokolle die Schuld von sich abwälzen zu können! Daß von ehrlichen und anständigen Staatsbürgern der eigenen diese polizeilichen Mitteilungen in der lächerlichsten Weise Nation in der brutalsten Weise durch den Polizeijäbel, durch richten
Woher stammen denn nun aber diese übertriebenen Nach