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des Wohles der Arbeiter" in etwas zu erfüllen, also einen Teil der sozialdemokratischen Forderungen zu erfüllen, kapi- tulierte aber durch das Eingehen auf das Verlangen nach berufsgenossenschaftlichen Organisationen der Arbeit g e b e r vor dem Unternehmertum. Unter dem 8. Mai 1882 wurde dem Reichstage ein zweiter Entwurf eines Unfall- versicherungsgcsetzes vorgelegt. Er schlug, den Wünschen der Grobindustriellen weit entgegenkommend, ört- liche abgegrenzte Betrie bs g en ossens ch a ften und eine auf 13 Wochen verlängerte Karenzzeit vor. Der Entwurf gelangte nicht zur Verabschiedung. Am 6. März 1884 wurde ein dritter Entwurf über dieselbe Materie eingebracht. Dieser schlug die Einführung von Berufs- genossenschafien, ferner die 13wöchentliche Karenzzeit vor und wvUte den Reichszuschuß ersetzt wissen. Dieser Entwurf wurde am Xi. Juni 1884 vom Reichstag angenommen. Die Sozialdemokraten stimmten gegen denselben, weil sie zwar den Vorteil des Gesetzes anerkannten, daß der Arbeitgeber für alle nicht absichtlich verschuldeten Unfälle im Prinzip zu haften habe, der Entwurf aber unter anderem schwere Nach- teile gegenüber der Arbeiterklasse enthielt. So zum Beispiel die Beseitigung des Schadenersatzanspruchs für die ersten 13 Wochen, die H e r a b s e tz u n g des Schaden- ersatzanspruches auf höchstens zwei Drittel des wirk- l i ch e n Schadens, die Einführung der Berufsgenossenschaften als Organisation der Unternehmer, den Mangel ausreichender U nf a ll v e rh ütun g s- Vorschriften, den Ausschluß der Arbeiter von der Verwaltung und von einer ausreichenden Möglich- keit, Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen und zu über- wachen usw. Die Sozialdemokraten haben unablässig auf Verbesserung deS Unfallversicherungsgesetzes hingewirkt. In der Session 1896/97 wurden Verbesserungen angenommen, die das be- stehende Gesetz zugunsten der Arbeiter erheblich geändert hätten. Der Blind der Großindustriellen sprach sich darauf mißbilligend über die beschlossenen Verbesserungen aus und verlaugte von der Regierung, den Beschlüssen nicht«zustimme«. Die Rc- gierung gehorchte! Im Januar 1999 ging dann dem Reichstage ein den Wünschen der Großindustriellen im weiten Maße Rechnung tragender Entwurf zu. Mit einigen Aenderungen wurde dieser Entwurf, der gegenüber dem bisherigen Zustand von den Sozialdemokraten durchgesetzte Besserungen aufweist, angenommen. Die Sozialdemokraten stimmten für diese Ver- besserungen, wiewohl sie ihnen nicht weit genug gingen. Jetzt liegt die Reichsversicherungsordnung vor. Ihr In- halt ist weit von dem entfernt, was vor mehr als 25 Jahren die Sozialdemokratie gefordert hatte und was durchzusetzen möglich ist. Wahrlich, es liegt keine Veranlassung zu einer Feier für andere als diejenigen vor, die auf dem Gebiete der Sozialversicherung lediglich als Hemmer jeden Fort- s ch r i t t s gewirkt haben. Deren Reden werden heute von Lobpreisungen über denSegen" der Unfallversicherung über- triefen. Der Arbeiterklasse kann dies pharisäische Geschrei nur ein erneuter Ansporn sein, die Regierungen und die bürger­lichen Parteien zu wirklichen Reformen vorwärts zu peitschen. vor der CnticiKldung! Man schreibt uns aus HelsingforS : Hier bat niemand daran gezweifelt, daß die außerordentliche Landtagssession nur zu dem Zwecke einberufen wurde, um der russischen Negierung einen Borwand für ein verschärftes Vorgehen gegen Finnland zu liefern. Der finnische Landtag ist bereits an einem Punkte angelangt, wo er fich offiziell als arbeitslos erklären und die gesetzwidrigen Borlagen der russischen Regierung zurückweisen mußte. Er hätte diese Erklärung schon in den ersten Tagen der Session ab- gegeben, wenn nicht die schwerfälligen Vorbereitungen, die in dem feierlichen Eröffnungsgottesdienst in der Kirche und dem offiziell vorgeschobenen Akte des Byzantinismus, der Bekundung der.Treu- Untertänigkeit" durch den Präsidenten gipfelten» da» verhindert hätten. Zum Präfidenten wurde der bisherige Borfitzende, der Jungfinne Svinhufvud , mit 89 Stimmen wiedergewählt. Bon den Sozialdemokraten gaben öS leere Stimmzettel ab, während die Altfinnen ihre Stimmen ihrem eigenen Kandidaten gaben. Bisher rissen sich die Schweden und die Altfinnen um die Stelle des ersten Bizepräsidenten. Dank deren Uneinigkeit war eS möglich, daß die sozialdemokratische Fraktion, die stärkste im Landtage, diesen Posten behauptete. Auch diesmal wurde darum gekämpft. Im ersten Wahlgange erhielten Stimmen: T a n n e r sSoz.) 89, Söderholm(Schwede) 99, L i st o(Alts.) 42. Im zweiten Wahlgang war die Stimmenverteilung 79, 57 und 44. Im letzten Wahlgange einigten sich die Bürgerlichen, so daß Söderholm mit 93 Stimmen gewählt wurde, während Tanner 86 und Listo 9 Stimmen erhielt. Auf den Posten des zweiten Vizepräsidenten legten die Sozialdemokraten kein Gewicht. Der Altfinne Listo wurde mit 8k» Stimmen gewählt, während Tanner nur 21 Stimmen erhielt. Nachdem die Gewählten ihren AmtLeid in der vorgeschriebenen Form geleistet, sprach der Borsitzende folgende Worte, die als.Protest" in die Welt hinaustelegraphiert wurden: .Verehrte Delegierte! Ich danke für das Bertrauen, welches mir durch die Wahl erwiesen wurde. Die Einberufung de« außer- ordentlichen Landtags soll der erste und zugleich der schwerste Schritt sein zur Verwirklichung der Gesetzwidrigkeit, die im Sommer als.allgemein staatliches" Gesetz veröffentlicht wurde. Das finnische Volk unterstützt seine Vertrewng. Un« drohen schwere Zeiten. Doch wir sind einig in der Berteidigung unserer Rechtsordnung für die künftigen Geschlechter." Für die offizielle Eröffnungszeremonie bei dem General« gouverneur hatte Herr Swinhufvud wieder eine Rede ausgearbeitet. Aber er wollte fich über den Inhalt derselben zuerst mit der Volk«- Vertretung verständigen. Ungeachtet der Proteste der Sozialdemo- traten wurde die Angelegenheit auch diesmal in einer geheimen Sitzung beraten. Die Schweden und Jungfinnen wollten dem Vorsitzenden volle Freiheit gewähren, damit er bei dieser»feier- lichen" Gelegenheit im Namen der Bolksvertretung sprechen konnte. Unsere Genossen waren wie immer gegen ein solches Borgehen. Wollte der Präsident reden, so mochte er in seinem eigenen Namen und nicht für die gesamte Volks- Vertretung sprechen. So blieb die lange Rede weg und der Bor - sitzende erklärte bei der Eröffnungszeremonie in einem einzigen Satze, daß die Bolksvkrtretung dem Zaren treu und ergeben sei, was natürlich eine Phrase, aber durch die Bersassung vor- geschrieben ist. Der Säbelsenat glaubte nun auch seinerseits die Bolksvertretung erniedrigen zu müssen, indein er, im Widerspruch mit der Landtags- ordnung, die Borlagen durch einen Boten zustellte, während er das durch einen Senator hätte tun müssen, der dann auch die Vorlagen selber zu verteidigen gehabt hätte. Diesmal erhielt Herr Svinhufvud nur die Mitteilung, daß die Borlagen gedruckt an die Kanzlei abgegeben seien, um unter den Abgeordneten berteilt zu werden. Morgen findet die entscheidende Sitzung des Landtages statt, in welcher die Parteien ihre Stellung kund tun werden. Allgemein sieht man dieser historischen Sitzung mit der größten Spannung ent- gegen. '.* Ueber den Verlauf der Sitzung, deren Resultat wir bereits ge- meldet haben, entnehmen wir den Petersburger Zeitungen folgende Einzelheiten: Der Borsitzende Svinhufvud verlas nach Eröffnung der Sitzung eine Deklaration, daß gewisse Vorlagen eingelaufen seien, die er jedoch als gesetzwidrig betrachte und sie daher der Volks« Vertretung zur sachlichen Beratung nicht unterbreiten könne. Der Akt vom 17./39. Juni, der im Reiche herausgegeben wurde, hat keine Gesetzeskraft in Finnland . Dieser Akt vernichtet in den wichtigsten Teilen die finnländische Gesetzgebung und das Jahr- hunderte alte Recht der Selbstbesteuerung, das das finnische Volk genießt. Cr stößt also in den wichtigsten Teilen d i e finnländische Bersassung um. Der erwähnte Alt ist aber nicht aus einem Wege erlassen, den unsere Grundgesetze vor- schreiben.... Er kann darum für die finnländischen Bürger, wie für die finnischen Behörden und den finnischen Landtag nicht als obligatorisch angesehen werden. Daraus folgt, daß der finnische Landtag nicht ohne Verletzung der Bersassung an die Bollstreckung der Aufgaben schreiten kann, die in dem allerhöchsten Manifest angegeben sind, und der LandtagSvorjitzende kann diese in dem allerhöchsten Manifest erwähnten Fragen nicht dem Landtag unterbreiten. Ferner entsprechen die dem Landtag gesandten Vorlagen nicht den verfassungsmäßig vor- geschriebenen Anforderungen. Sie müssen von Seiner Majestät dem Kaiser stammen und vom Minister-Staatssekretär Finnlands kontra- signiert werden, während der russische Ministerrat dem finnischen Landtage keine Vorlagen überweisen darf. AuS diesen Gründen sehe ich keine Möglichkeit, die Borlagen dem Landtage zur Behandlung zu unterbreiten". Als erster Redner sprach Baron W r e d e, der die Deklaration des Vorsitzenden billigte und fich dafür aussprach, daß die Motive des Borsitzenden in einem Schreiben dargelegt würden, die die Antwort des Landtages bilden sollte. In ähnlichem Sinne sprachen sich Leo Mechelin und Jonas Kastren aus. Bon einem Teile der Abgeordneten, vorzugsweise von den Alifinnen und einigen Agrariern und Jungfinnen, wurde hierauf ein Antrag eingebracht, laut welchem«ine Adresse an den Zaren ab- gesandt werden sollte. Gegen diesen Antrag sprachen sich die meisten der folgenden Redner aus. Die Diskussion drehte sich vor allem um die Frage, ob der Landtag in seiner Antwort ausführlich die Motive seiner Abstimmung angeben solle. Der Sozialdemokrat Monner beantragte, daß eine Kommission gewählt würde, die eine ausführliche Antwort zusammen- stellen sollte, um der russischen Bureaukratte nochmals zu sagen, wie daS finnische Boll über diese Projekte denkt. Gegen diesen Antrag polemisierte der Sozialdemokrat Nuortewa, der von einem Teil der Fraktion unterstützt wurde. Er sei gegen daS System der Beschützung des Landtages. Die Pflicht der Sozial- demokratie sei es, jeden Schritt zu vermeiden, der als Entgegenkommen an die Bureaukratte gedeutet werden könnte. Bei der Abstimmung vereinigten fich auf die Resolution Monner 141 Stimmen, während 43 dagegen stimmten. Bei der nachfolgenden Debatte über die Adresse sprach sich vor allem der Sozialdemokrat Koronen gegen die Adresse au«, Während der bekannte altfinnische Führer Professor Danielson-Kalmari mit der größten Energie für eine solche Adresse eintrat. Mit 194 gegen 83 Stimmen wurde dieser Antrag vertvorfen. In der fol« genden Sitzung soll beschlossen werden, welche Kommission die aus- führliche Antwort des Landtages ausarbeiten soll. freidenkerliim und Sozlaldeinoltratk. Herr G. Tschirn-Breslau, Präsident des Deutschen reidenkerbundes, ersucht uns um Aufnuhme folgender uschrift: Unter obiger Ueberschrift brachte derVorwärt»" soeben einen Artikel, gegen dessen verallgemeinernde Behauptungen ich Protest einlege. Äuö einem besonderen Anlaß, weil ein polnisch-freidenkerisches Blatt nach Angabe durch ein polnisch-sozialdemokratisches Blatt dazu bewogen denunziatorisch aufgetreten sei und überhaupt Chauvinismus, Antisemitismus usw. betreibe, deshalb wird das ganze Freidenkertum in haltlosester Weise von jenem Artikel her- abgeseht. Zu den betreffenden Erscheinungen im polnischen Frei- denkertum kenn ich mich nicht äußern, da mir mit der Kenntnis der polnischen Sprache auch die Kenntnis der erwähnten literarischen Vorgänge fehlt. DerVorwärts" erkennt dem Freidenkertum in den westlichen Ländern einiges Verdienst zu, indem es auch das Bürgertum an die Hochhaltung der allgemein-menschlichen Ideale erinnert habe. Dennoch wird das Fverdenkertum unter Bezug« nähme auf französische, spanische, englische und deutsche Verhältnisse als dem Arbeiter wesensfremd, ja feindlich hingestellt, als bour- geoise Sekte und Rudiment einer früheren Zeit. Letzteren Aus- druck kann ich im Hinblick auf die speziell seit zehn Jahren ange- hobene EntWickelung des internationalen FreidenkertumS lächelnd übergehen. Daß dagegen die spezifische Freidenkerbewegung arbei- terfeinWich sei und nirgends Anhänger unter der Arbeiterschaft finde, daß, wenn ein freidenkerischer Strohkopf sich in« Lager des Proletariats verirrt, solchen Leutchen a la Dr. Rüdt beson- derö auf die Finger gesehen werden müßt«, diese grob« Entstellung der Tatsachen fordert öffentlichen Protest und öffentliche Richtig- stellung. Von dern sozialdemokratischen Parteiveteran KleeS ange- fangen, der soeben den Magdeburger Parteitag rednerisch einleitete, und der ebenso ein Veteran der freidenkerischen resp. freireligiösen Bewegung ist, wüßte ich gar nicht alle sozialdemokratischen Führer und VertrauenSpersonen aufzuzählen, die zugleich in der Frei- dcnkerbewegung stehen und denen Reichstags-, Landtags-, Stadt- verordnctcnmandate, Redaktions» und Vorstandsposten in der Partei übertragen find. Es wundert mich, daß derVorwärts" davon nichts weiß und diese freidenkerischen Parteigenossen so be- leidigt, indem er sie wegen ihres freidenkerischen Interesses beson- derer Ueberwachung empfiehlt. In Oesterreich steht cm der Spitze des organisierten FreidenkertumS der Wiener alte Arbeiterführer und sozialdemokratische Reichsratsabgeordnete Wutschel. In seiner Budgetrede 1998 besarnvte Adler widerwillig, daß die österreichische Arbeiterschaft die größte und begeiftersste Zustimmung spende, wenn von der Geistesunterdrückung durch die Kirchcnherrschaft gesprochen werde. Beim internationalen Freidenkerkongrcß in Paris 1999 faß nicht ein Clemenceau, sondern ein Alemane mit in der Lei- hing des Kongresses, wie die Seele der internationalen Freidenker. organifation der sozialistische Abgeordnete Furnemont-Brüssel ist. Beim internationalen Freidenkerkongreß in Prag 1999 trat der in- zwischen hingemordete Ferrer als Vertreter Spaniens auf, der Be- gründer der freien Schulen in dem ebenso geistig wie wirtschaftlich niedergehaltenen Volke. Schon 1994 waren zirka 499 Vertreter des spanischen FreidenkertumS zu dem Kongreß nach Rom gekom- men. Es sind nicht auffichtsbedürstige Strohköpfe, sondern großenteils die besten Köpfe der Sozialdemokratie mit, die das frei- denkerische Interesse spezifisch in sich tragen und die in allen Ländern dies Interesse gemeinschaftlich mitbürgerlichen Ideo­logen" usw. zu vertreten nicht verschmähen, weil eS sich dabei eben umallgemein menschliche Ideale" handelt, denen ja auch der .Vorwärts" einen gewissen Wert zuspricht. Doch auch im Namen derbürgerlichen" Freidenker weise lch die Unterstellung entschieden zurück, als ob wir dem Proletariat irgendwie fremd oder gar feindlich gegenüber ständen. Wenn ein Haeckel nicht nur dem politischen, sondern überhaupt dem öffent- lichen Leben praktisch fern geblieben ist, so ruht das in seiner Eigen- art, die fich aus seiner umfassenden, kämpfereichen Wissenschaft- lichen Arbeit und seinem besonderen Gelehrtenberuf erklärt. Aber die freidenkerischen Organisationen haben gerade auch in der Zeit der Ausnahmegesetze dem Proletariat weit offen gestanden, haben immer Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit im allgemein-mensch? lichen Sinne praktisch zu betätigen sich gemüht dahingehend, daß sie Bourgeois" undProletarier" in sich vereinigten, wo sonst gar keine Vereinigungsstelle im öffentlichen Leben gegeben war; sie haben desgleichen mit steigender Entschiedenheit anerkannt, daß zur Verkündung desHimmels auf Erden" an Stelle des himm- lischen Jenseits auch di. Aufrichtung der Menschenrechte, die Ver- wirklichung eines allgemein-menschlichen allerdings nicht partei­politisch festgelegten Sozialismus gehöre. Den Emanzipattons- bestrebungen aller Unterdrückten ob sie Sklaven, Leibeigene, Frauen oder Arbeiter heißen kann das Freidenkertum um so weniger teilirahmS- und verständnislos gegenüberstehen, als ja die moderne Aufklarung gerade dazu geHolsen hat, an die Stelle der Jenseitshoffnungen daS alleinige Ziel deS irdischen Menschheit?- glücks zu setzen, den Wert der Lebens allein inS Diesseits zu tragen, die innersten Interessen der denkenden Volkskreise umzu- gestalten. Daß Freidenkertum und Sozialdemokratie nicht identisch sein können, liegt im Wesen des einen wie der anderen. Die Sozial- demokratie»st parteiofsiziell neutral gegenüber der Konfession ihrer Angehörigen, daS Freivenkertum ist neutral gegenüber der speziellen Klaffen- und Parteizugehörigkeit seiner Mitglieder. Entgegen der Behauptung, daß die Arbeiterschaft kein Interesse am Freidenker- tum habe, ist kürzlich sogar eine besondere sozialdemokratisch-prole- tarische Freidenkerorganisation entstanden. Soviel ich weiß, hat diese Verquickung der beioen Bestrebungen aber auch bei der ofsi- ziellen Sozialdemokratie manche Ablehnung erfahren. Dies er- scheint begreiflich seitens einer konfessionell neutralen Partei, die sich ihre spezielle Tendenz nickt verrücken lassen will. Die beleidi- gende Art und Weise aber, mit welcher derVorwärts" auf Grund eines entlegenen, auch für ihn selbst noch nicht völlig geklärten An- lasses plötzlich dem Freidenkertum überhaupt in den Rücken fällt, ist schier unbegreiflich; besonders merkwürdig in einer Zeit, wo das Freidenkertum und Dissidcntentum speziell gegen die preußische Schulreaktion für eine geistige Befreiung der Jugend kämpft; in einer Zeit, wo die Sozialdemokratie sogar auf politischem Boden die Hand bürgerlicher Demokraten mindestens nicht zurückstoßen will. Um so mehr könnte derVorwärts" auf dem Boden all- gemeiner freiheitlicher Kulturziele und Menschheitsideale, wenn nicht Sympathie, dann doch Neutralität und objektive Gerechtigkeit gegen das Freidenkertum beweisen. KeinVorwärts"-Nedakteur wird aus vollerer Brust singen, als ich: Der Feind, den wir am ttefsten hassen, Der uns umlagert schwarz und dicht, DaS ist der Unverstand der Massen, Den nur des Geistes Schwert durchbricht. Pred. G. Tschirn-Breslau , Präsident des Deutschen FreidenkerbundeS. * Wir halten die Erregung des Herrn G. Tschirn für ganz überflüssig; denn nirgends haben wir uns in dem betreffenden Artikel der Nr. 226 desVorwärts" gegen die Freidenker- bewegung an sich gewandt, bezeichnen wir doch eine Anzahl ihrer Vorkämpfer selbst alsHeroen" undstolze Namen", sondern lediglich gegen jenes spezifischb o u r g e o i s e" Freidenkertum, das, wie es in unserem Artikel heißt, zu einer Sekte geworden ist, die anJntoleranz mit den Pfaffen wetteifert und die den revolutionären Kämpfen unserer Zeit mit Haß und Unverstand gegenüber st eh t"..Und damit es nicht zweifelhaft ist, welche Richtung wir meinen, nennen wir als deren Repräsentanten: Haeckel, Clemenceau , Bourgeois, Rochefort. Das ist, sollten wir meinen, deutlich genug. Hus der partei. Ein Bebel-Interview? DaSNeue Wiener Journal" behauptet, daß einer ihrer Mit- arbeiter eine Unterredung mit dem Genossen Bebel gehabt habe. Darin will Genosse Bebel gesagt haben:Singer fehlt überall, da muß man dopeplt arbeiten. Bei uns muß alles wie am Schnürchen gehen, besonders bei unserer Presse. Sie ist unser wichtigstes Instrument." Als der Wiener Journalist ihm dann einige Ausschnitte auS den Parteitagskommentarcn bürgerlicher Blätter vorlegte, habe Bebel ausgerufen:Die Aermstenl Sie waren schon so hoffnungSsroh. Mit dem Riß, der Spaltung zwischen Nord- und Süddeutschen ist eS nichtsl" Der Interviewer warf ein: DaS Hauptinteresse der bürgerlichen Parteien knüpft sich aber an Ihre Person, Herr Bebel." Und Bebel soll da geantwortet haben: Sprechen Sie es nur ruhig aus: Man konstruiert mir eine Niederlage aus dem Umstand, daß ich mit meinen Wünschen, mit meinen VermittelunaSvorschlägen nicht durch- gedrungen bin. Ich würde den Herrschaften ganz gern die kleine Schodenfreude gönnen, aber dann müßte ich mich auch wirklich als der P a r t e i p a p st fühlen, zu dem mich meine Gegner immer und immer wieder zu stempeln suchen. Wären die Leute ehrlich, o würden sie gerade auS dem Budgetstreit gelernt haben, daß ich eineswegs der Großmachthaber in der Partei bin, daß ich im Gegenteil keinem Genossen verwehre, nach seiner Fasson selig zu werden. Nur Böswilligkeit kann mir parteipästliche Allüren an- dichten. Ich bin weggegangen, weil mir da» Geplänkel vor der Abstimmung auf die Dauer zu viel wurde. In der vor» gerückten Stunde war es für mich höchste Zeit aufzubrechen. Solche Dauersitzungen find für mich, für mein Befinden Gift. Die stundenlagnen Reden und Verhandlungen vorher hatten es mir zum Gebot gemacht, beizeiten Schicht zu machen, llebrigens hätte ich auch durch meine Anwesenheit das Ergebnis der Ab- stimmung nicht mehr ändern können. Die Freude am Ta(je darauf war um so größer, die Freude zu beobachten, daß die vorangegangenen Parteikämpfe keinerlei Bitternis hinterlassen' hatten, auf keiner Seite." Der Interviewer will dann noch gefragt haben, tvaS mit den Budgetbewilligern geschehen wckrde, falls sie eigensinnig bleiben sollten. Er teilt folgende Antwort Bebels mit: Ich zähle mich weder zu den großen, noch zu den kleinen Propheten und halte es nicht meines Amtes, den Richter zu spielen. Warten wir doch erst einmal ab, wie die Süddeutschen die Berichte ihrer Delegierten aufnehmen werdenl Nun hat ja dort unten die Wählerschaft die Grünoe auch von den Gegnern der Budgetbewilliger gehört. Ob man dort Wetter für oder gegen sie eintreten wird---" Hier setzt der Berichterstatter deS Wiener BlatteS hinzu:Bebel macht eine Pause. Ihm fällt eS offenbar schwer, ein Urteil abzu- geben." Wenn die Behauptungen deS Wiener Blattes zutreffen, so müssen wir daS Urteil, das wir gestern hier über die Unsitte fällten, daß Genossen sich durch Vertreter bürgerlicher Blätter über Parteiangelegenheiten aushorchen lassen, auch auf diesen Fall auS» dehnen. Allerdinas hat Genosse Bebel nicht di« Taktlosigkeit deS Genossen Frank begangen, der vor dem Vertreter desBerliner Tageblatts" die eigene Partei krittsierte. Aber wir sind der Ansicht. daß ein Sozialdemokrat den Vertretern der bürgerlicher Press« überhaupt die Tür weisen sollte.