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lt. 281. 27. Zahtgang. 2. f(iliijt i>cs ,|otiofittö" Cttlintt DcksdlM. Sonntag. 2. Oktober 1910. ?e»ttuw5-chMIIche Heuchelei. Aus Anlah der Sicherheitsmännerwahlen im Rnhrrevier Werfen diechristlichen' Führer und die Zentrumsorgane das Argu» ment in die Debatte, im Landtage hätten die Sozialdemolraten gegen die Sicherhe'tsmänner gestimmt, wie könnten die Verbändler es nun wagen, die Sicherheitsmänner für sich in Anspruch zu nehmen. Es ist ganz richtig, daß die Sozialdemokraten gegen das Gesetz gestimmt haben, das war ihre Pflicht. Das Gesetz bot weniger, als die Bergleute akzeptieren konnten. Die Bergleute ver- langten freigestellte, vom Staate bezahlte Hilfs- k o n t r o l l e u r e, die zu jeder Zeit berechtigt sind, die Gruben zu befahren, die namentlich auch in der L o h n f r a g e ein Wörtlein mitzusprechen haben sollten, zumal diese Frage in enger Beziehung steht zur Frage der Sicherheit in den Gruben. Nur die Anstellung solcher Kontrolleure könnte eine gewisse Garantie bieten, um Katastrophen wie auf Radbod zu verhüten. Diesen Standpunkt haben auch früher die«ch r i st l i ch e n' Führer eingenommen und mit Nachdruck vertreten, sie gaben ihn erst auf, al? die Mächtigen im Zentrum dies geboten. Verschiedene Junker im Zentrum sahen ihre kapitalistischen Interessen gefährdet, und deshalb mußten die.christlichen' Bergarbeiter aus ihre be- rechtigtsten Forderungen verzichten I Da kam den I m b u s ch und Konsorten plötzlich die Erleuchtung, daß es besser sei, die Kontrolleure lSicherheitsmänner) nicht freizustellen, daß es besser sei, die Gewählten vom Grubenbesitzer entschädigen zu lassen, als von» Staat. Da fanden sie, daß es genüge, wenn der Sicherheitsmann nur zweimal im Monat und noch in Begleitung eines Steigers das Revier befahre. Als die Sozialdemokraten gegen da? Institut der SicherheitS- männer in dieser Fassung stimmten, da verdienten sie sich den Dank der Bergarbeiter; die Zentrumschristen aber haben schnöde st en Verrat verübt. Wir werden hier beweisen, daß die.Christen' ehedem g e- nau das gefordert haben, was alle Bergleute forderten und was das Zentrum später als sozialdemokratische Forde- rungen bezeichnete und ablehnte. Nach dem großen Bergarbeiter- streik im Jahre IVOS fand in Berlin ein Delegiertentag der preußi- schen Bergleute statt, der auch von den. C h r i st l i ch e n' besucht war. Und einstimmig nahmen die Delegierten folgende Reso- lution an: Der Delegiertentag der preußischen Bergleute hält eine Mit- kontrolle der Gruben- und Tagesanlagen durch Arbeiterkontrolleure, gewählt in geheimer und direkter Wahl, für dringend geboten. Der Delegiertentag erblickt in dieser Mitkontrolle eine Einrichrung, wodurch die vielen Unfälle vermindert würden. Die Kosten dieser Einrichtung hat die Staatskaffe zu tragen." Kühme, der zweite Vorsitzende des.christlichen' Gewerkvereins, hatte auf dem Delegiertentag das Referat über den Punkt.Grubenkontrolle'. Unter anderem führte der Herr Kühme aus: Eine seit Jahren wiederholte Forderung der Bergleute ist die Mitkontrolle der Gruben durch aus den Reihen der Bergarbeiter in direkter und geheimer Wahl her- vorgegangene Kontrolleure.--- Die Aufgaben, welche diesen Mitkontrolleuren(also keine Sicherheitsmänner I) zugewiesen werden sollen, sind, kurz zusammengefaßt, folgende: Sie sollen daS Recht und die Pflicht falsa nicht nur das Recht!) haben, die Grubenbaue(also nicht nur das betreffende Revier 1) zu befahren.' Der christliche Diskussionsredner K ö st er» Saarabien geißelte scharf das in Saarabien geübte System der SicherheitS- männer lfür dessen Einführung im Ruhrrevier sich die Zentrums- christen später begeisterten I) Für dringend notwendig hielt es dieser Redner, daß die Kontrolle mindestens dreimal wöchentlich erfolgel Und wie überzeugend wußte derchristliche' Führer I m b u f ch die Forderung der Bergleute zu vertreten.Hätten unsere Unternehmer wirklich Lust', so sprach er,.die berg- Kainz, JVirfen, ScbUdkraut Drei Gehetzte...... In welch einer minderwertigen Zeit leben wir doch, daß die bürgerliche Presse, die doch auch denkende und respektable Mitglieder besitzt, fast für kein einziges öffentliches Ereignis ehrliches Unter- schcidungsvermögen, ehrliche Worte übrig hat! Zu keiner Zeit gab es soviele Zeichen deS Verfalles. Da wird in einem Arbeiterviertel Berlins auf schändliche Weise polizeilich gewirtschaftet, und von all den Geschrei machenden, arroganten, sich im gesellschaftlichen Leben eifrig bewegenden Berliner Journalisten, von all den so- genannten erleuchteten und radikalen Kämpfern fürFreiheit und Recht" steht auch nicht einer auf, der mit Begeisterung und Leiden- schaft gegen die Polizeiwidrigkeiten protestiert. Sie schreiben ganze Spalten voll über den Prozeß Schonebcck-Weber. Ein gewisser Herr Harden zieht sein Schwert, über Gäben und Schönebeck zu richten. In Leitartikeln wird über den Fürsten Eulenburg sal- badert. Und so wird alles, wopach die bürgerlichen Leser sich die Finger lecken, zur ekelhaftesten Sensation aufgebauscht, und das heißt dann..... Kampf für die Wahrheit. Ueber Moabit schweigen sie. Erst wenn die Hand eines englischen Journalisten (aus dem Felde der Ehre, wie der brave Herr von Jagow sagte) verstümmelt wird, erregt das mehr Aufmerksamkeit als die Wunden von soundsoviel Hunderten von preußischenUntertanen". Es ist ejne trübselige Jämmerlichkeit und würde für das ganze Zeitalter entehrend sein, wenn wir Sozialdemokraten nicht da wären, dieses erbärmliche Gchudel kühl und klar richtig zu stellen. Unter solchen Eindrücken, die mir beinahe die Lust benehmen, über etwas anderes zu schreiben, denke ich an drei Gehetzte im Küustlerleben. Kainz ist gestorben,in der Oeffcntlichkeit" ge- Korben, gestorben, während um ihn herum sich die ganze Welt und die ganze Presse auf die widerlichste Weise benahmen. Sein Ringen mit dein Tode ist tagelang zu einer Sensation aufgeblasen worden. Während die verschiedenen Todesfeuilletons bei allen Blättern sehnsüchtig im Satz standen, während die Mosse, Scherl, Ullstein einander neidisch zu überbieten trachteten und ein ganzer Schwärm von Journalisten wie Leichcngeier rund um das Sana- torium in Wien niederstrichen, hatten Kainz' Freunde, die an seinem Sterbebette wachten. Mühe, die Zeitungen mit Sensationsberichten dem Krankenzimmer fernzuhalten. Jeder las jeden Tag, wie Hofs- nungslos es um den Künstler stand, an welcher Krankheit er litt und wie der Tod jede Stunde eintreten könnte. Alle wußten es, und die Zeitungen trachteten, aus einem neuen Bericht neue Sen- Sation herauszuschlagen-- nur Kainz allein wußte es nicht. kainz' Sterbebett ist zu einem Monument ungeheuer­lichster moderner Journalistik geworden. Die un- bedeutendsten intimen Vorgänge im Krankenzimmer wurden hin- austelegraphiert. Sogar zwei Tage vor seinem Tode bekameg wir p o liz ei li ch en V o rsch ri ften zu beachten, so könnte ihnen dieAnstellung von Arbeiterkontrolleuren (also keine Sicherheitsmänner I) nur erwünscht sein. Die Forderung nach einem Mubestimmungsrecht der Arbeiterausschüsse bei der Gedingefestsetzung hielt er für besonders wichtig. U. a. sagte er:Heute ist jeder Beamte in der Lage, auch den tüchtigsten Arbeiter zum Verhungern z u ver- urteilen. Er braucht ihm nur ein viel zu niedriges Gedinge an« zusetzen, wenn der Arbeiter es nicht annimmt, so erhält er den ortsüblichen Tagelohn von 2,30 Mark.-- Ich arbeitete im vergangenen Jahre auf Zeche Christian Levin, mein Gedinge war so gesetzt, daß ich keine 3 Mark verdienen konnte. Trotz aller Beschwerden beim Steiger, beim Fahrsteiger und beim Betriebsführer wurde keine Abhilfe geschaffen und ich b e- kam für 21 Schichten S7.80 Mark ausgezahlt....' So sprach der gepeinigte Bergarbeiter Jmbusch. Der spätere Gcwcrkvcrcinsbcamtc und Landlagsabgeordncte Jmbusch lächelt über sein srühcrcö Auftreten und verwirft, was er vordem so energisch forderte! Lassen wir als letzten Zeugen von dem Delegiertentag der Berg» leute den.christlichen" Gewerkvereiusbeamten Walter- Gelsen- kirchen noch reden:.... Wir haben soviel Jnstitu- tionen, die soviel Geld kosten, warum sollten wir Bergleute, die so unzählige Schätze aus den Werken fördern, nicht unsere Vertreter haben auf Kosten des Reiches? Auch die Kon» trolle müßte auf Kosten deS Staate? ein- geführt werdenl' Im folgenden Jahre, am 11. und 12. Februar IVOS, fand in Essen eine zweite gemeinsame Koiiseceuz der Bergleute Preußens statt. Auf dieser Konferenz wurde die Forderung in einer Resolution zum Reichsberggesetz erneut und erweitert. Es heißt da: Zum Zwecke der Sicherung von Leben und Gesundheit der Arbeiter wählen die in Bergwerken, Salinen, Auf- bereitungsan st alten und unterirdisch betrieb enen Brüchen oder Gruben beschäftigten volljährigen Arbeiter in unmittelbarer und geheimer Wahl Grubenkontrolleure als Hilfsbeamte der Berg- aufsichtsbeamten. Dieselben haben die Gruben- und Tagesaniagen in Bezug auf ihre Sicherheit zu befahren und auf Beseitigung vorgefundener Mißstände zu drängen, sowie sich über die daselbst vorgekommenen Unfälle zu unterrichten. Die näheren Bestimmungen über die Zahl der Grubenkontrolleure und über ihre Befugniffe trifft die höhere Verwaltungsbehörde. Die Kosten für die Grubenkontrolleure trägt das Reich." Wenige Tage vorher, am 9. Februar, hatte derBergknappe' die Forderung der Grubenkontrolleure besonders scharf betont aus Anlaß des Unglücks auf Grube.Reeden' im Saarrevier: er schrieb damals: .Seit Jahren fordern wir Arbeiter-Kontrolleure, weil wir überzeugt sind, daß hierdurch die Zahl der Unfälle ver- mindert würde.... Ja. aber man hat dock, im Saarrevier Ar- beiterkontrolleure, hält man un§ entgegen. ES genügt wohl, hier an den Prozeß Hilger-Krämer zu erinnern, in welchem festgestellt wurde, daß diese Kontrolleure daS Recht hatten, zeit- weilig in Begleitung eines Beamten die ArbeitSpunkte zu befahren. Ferner wurde eidlich festgestellt, daß Kon« trolleuren, welche baten, allein die Betriebs« punkte befahren zu dürfen, damit die Arbeiter sich. besser aussprechen könnten, dieser Wunsch abgeschlagen wurde.... Freilich solche Kon- trolleure können dem Bergmann nicht viel nützen. Wir müssen verlangen, daß dieselben mit entsprechenden Rechten versehen werden und sie selbst nicht die Ungnade der Verwaltung zu fürchten brauche».' Im Jahre 1907 fand die Generalversammlung de»»christ- lichen" Gewerkvereins statt, auf der im Anschluß an ein Referat Jmbusch eine Resolution beschlossen wurde, daß ein besserer Bergarbeiterschutz gefordert wird und in welcher eS wört- lich heißt: schon zu hören, wie sein Testament aussah, wieviel Kronen cz hinterlassen würde und ivelche widerliche Komödie Baron Berger vom Burgtheater mit ihm spielte, indem er ihm auf seinem zur Schau gestellten Sterbebette seine Quasi- Ernennung zumRe- giffeur" des Burgtheaters überbrachte. Er ist gestorben-- er ist noch nicht gestorben er stirbt morgen er stirbt heute abend, es wurde zu einem journalistischen Spiel widerlichster Art. Und als der Mann, den wir alle respektieren, der aber mehr ein Günstling der Kaiser, der Könige und der teuer bezahlenden Bourgeoisie als des Volkes war, als er endlich beim Fützescharren der harrenden Leichengeier vor seinem Stcrbezimmer ausgelitten hatte, begann ein neues Schachern in Artikeln über den Ver- blichencn. Alles, was bereits in Satz gestanden, wurde hastig ab- gedruckt. Der verstorbene Schauspieler wurde zu einem Gott. Er war nicht nur Schauspieler, er war auch ein Regisseur, wie die Welt zuvor»roch keinen besessen hatte. Er war nicht nur Schau- spieler, er war auch ein Dichter, der verschiedene Dramen uach- gelassen hatte. Kurzum, er war alles. Er war soviel, daß, wenn er in dieser Woche gerade während der Krawalle in Moabit ge« starben wäre, die Krawalle noch weniger Aufmerksamkeit in Bürger- lichen Kreisen auf sich gelenkt haben würden. Und als der Tote noch über der Erde stand, versuchte jeder, der ihn eben gekannt, der einmal mit ihm zusammen gespeist, an seinem Sterbebett sich in Beleuchtung zu setzen. Wieder war die Presse der gehorsame Lakai, der charakterlose Diener Hunderter von eitlen Gecken, die bei einer Leiche Reklame für ihre eigenen kleinen Persönchen machten..... Kainz hat auf dem Sterbebett von der infamen VerfolgungS- Wut der Journalisten nichts erfahren. Bei Nissen, dem Vorsitzenden derDeutschen Bühnengenoffen- schaft" ist die Sache anders. Nissen liegt nicht im Sterben, aber Nissen muß zu Tode(je- martert werden. Aus abstoßende, empörende, niederträchtige Werse wird der größte Teil der bürgerlichen Presse gegen die Person Nissens. der Vorsitzender der Bühnengenossenschaft ist, wie eine Rotte Jagdhunde losgelassen. Fast kein Tag vergeht, ohne daß der Mann, der seine Pflicht tut(Beweis: das Vertrauen, das seine Kollegen ihm schenken), auf diese oder jene Weise angegriffen wird. Sogar Theaterkritiker, Leute, deren alleinige Ausgabe eS sein müßte, den Marktwert der Theaterstücke zu begutachten, schreien mit in diesem unritterlichen Chor, der Nissen, den berüchtigten Nissen, den unehrlichen Nissen, denbezahlten" Nissen, den unzu- verlässigen und für seine eigenen Interessen intrigierenden Nissen, gehängt sehen möchte. Die ganze Bühnengenossenschaft wird wie eine Truppe durch den Direktor Nissen tyrannisierter Dumme- jungen hingestellt. Es ist in der bürgerlichen Presse kein prinzi- pieller Kampf gegen einen Fachvcrein mehr, der für seine Rechte aufzutreten beginnt und einen Mann mit starkem Rückgrat nötig hat, nein, e» ist tzgs grmselige Bekämpfen eines einzelnen. Und Die Generalversammlung hält die Durch» führuug der bisher noch nicht erfüllten Forde» rungen deS er st en BergarbeitertageS zu Berlin für dringend notwendig.' Es mußte aber erst die Katastrophe von Radbod erfolgen, bis sich die Regierung zu einer Vorlage enlschließen konnte. Die Vorlage bot aber keinen Grubenkontrolleur, sondern SicherheitS- männernach saarabischemMuster- weiße Salbe I Ein Gesetz wollte der Minister schaffen, die Seelen der Bergleute zu fangen. Nun blieben allein die Sozialdemolraten konsequent und hielten sich an das, waS auch diechristlichen' Bergleute so laut und so oft gefordert hatten! Diechristlichen" Führer aber fielen um, weil die hochmögendcn Zentrumsjunker es so wollten. Jmbusch. der frühere Bergmann , sprach nicht mehr für die Forderungen der Bergleute, sondern er als Abgeordneter wetterte gegen die Sozialdemokralen. DerBergknappe' war ein Muster in Selbstverleugnung, er schlug sich selbst kreuzweis zwischen die Ohren. Er wurde plötzlich.objektiv' undleidenschasts- loS' und empfahl den Bergleuten Steine als leidlich genießbar. Wörtlich sagte er: Wer objektiv und leidenschaftslos das Für und Wider der beiden Arten von Grnbenkontrollenren(I) überdenkt, der muß, sofern er wirklich den Bergleuten ehrlich helfen will<?), zu dem Schluß kommen: Wir müssen für die im Arbeits« Verhältnis verbleibenden Grubenkontrollenre im Sinne der Regierungsvorlage eintreten, weil nur dadurch unter den einmal gegebenen Verhältnissen eine de» Wünschen der Arbeiter(?) entsprechende Grubenkontrolle möglich i st.' Der Christenmann, der das geschrieben, hat das gegen feine Ueberzeugung getan. DerBergknappe' selbst weist ihm in früheren Artikeln nach, daß er in ganz infamer Weise die Bergleute betrügt. Man lese nur einmal nach, was der Bergknappe' geschrieben aus Anlaß deS Unglücks ans Grube Reeden, so hat man schon den Beweis. Und warum war dieser ungeheuerliche Betrug notwendig, warum wurde er von denOber- chrrsten' verbrochen? Weil die Zentrumspartei ihn forderte, den Interessen dieser Partei wurden die wichtigsten Lebensinteressen der Bergleute geopfert. DaS erkennt zwar schon ein Kind, aber die verlogene Zentrums- presse erklimmt den Gipfel der Gemeinheit und wirft den sozialdemokratischen Abgeordneten Bergarbeiterverrat vor. weil sie gegen die Sicherheitsmänner, gegen die.weiße Salbe' stimmten l_ Gerichts-Zeitung. Ungültige Straßen-Polizeivrrordnungen. In öerschiedenen Städten, so in Hannover und Uetersen , hat man es bei Fassung der Straßen-Polizeiverordnungen für nötig gehalten, einleitend zu erläutern, waö man unter einer Straße im Sinne der Verordnung verstanden wissen wolle. In beiden ist nun der Begriff der Straße so dargestellt, daß danach unter die Ver- Ordnungen nicht nur öffentlich-rechtliche Straßen, Wege und Plätze fallen würden, sondern auch im Privatbesitz befindliche Straßen, Wege, Durchgänge und Plätze, wenn sich darüber ein öffentlicher Verkehr bewegt. Das Kammergrricht erklärte dieser Tage die beiden genannten Verordnungen für ungültig und sprach die An- geklagten Thies(Uetersen ) und Schenk(Hannover ) frei. Be» gründend wurde ausgeführt: Solche Straßen-Polizeiverordnungen könnten sich nur auf§ 6 b des Polizei-Verwaltungsgesetzes stützen. Wenn dort von öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen gesprochen werde, so seien damit nur öffentlich-rechtliche Wege und Straßen gemeint. Es sei unzulässig, den Begriff der öffentlichen Straße in einer derartigen Polizeiverordnung zu erweitern. Private Straßen. Wege, Plätze und Durchgänge, sowie die Wege auf Fried- Höfen ließen sich nicht unter die Vorschriften einer Straßen- Polizeiverordnung bringen. Da dies hier in beiden Fällen ge- schehen sei, sowohl bei der Verordnung für Uetersen , als auch bei der für Hannover , so seien beide Verordnungen ungültig, denn der fehlerhafte Begriff der Straße sei einleitend aufgestellt und allen anderen Bestimmungen zugrunde gelegt. Daraus ergebe sich die Freisprechung der Angeklagten. um diesen einzelnen in den Augen der Oeffentlichkeit und seiner Kollegen herabzuziehen und unmöglich zu machen, wird durch eine ganze Bande Hetzer im Privatleben des Verbrechers Nissen herum- geschnüffelt. Wirklich, das Berlin von heute ist eine Stadt peinlich kleiner Kreaturen! Das fieberhafte Hasten und Gewühl in der Hauptstadt, wo jeder Liliputaner, sosern er eine Zeitung zu seiner Verfügung hat, auf groteske Weise herumwirtschaftet, scheint die Charaktere hoffnungslos entarten zu lassen. Es ist zum Schaudern, wenn man in den Blättern liest: Die Affäre Nissen-Ledner-Vogt. Intendanz- rat Emil Ledner und Schauspieler Karl Vogt babcn mit Rücksicht darauf, daß Herr Hermann Nissen bis zum Delegiertentag der Bühnengenossenschaft auf ihre gegen ihn erhobenen Anschuldi- gungen nicht durch eine Klage reagieren wird, beschlossen, diese Anschuldigungen von 3 zu 3 Monaten öffentlich zu wiederholen, damit keine Verjährung der Klagefrist eintreten könne." Es ist zum Schandern, wenn man bedenkt, daß der normale Kamps zwischen dem Verein der Direktoren und der Genossenschaft der Schauspieler jeden Tag auf ein noch persönlicheres Niveau geführt wird. Und hoffentlich wird die Bühnengenossenschaft sich stark genug erweisen, den Mann, dessen Privatleben uns nicht interessiert, auf hochherzige Weise zu stützen. Kainz auf seinem Sterbebett wurde svie eine Panoptikum- Merkwürdigkeit betrachtet. Nissen wird von Outsidern mit kleinen Gemeinheiten hinterlistig verfolgt. Schildkraut, der noch lebende und nach so vielen Richtungen hin große Künstler, der auf sinan- ziellem Gebiet Dummheiten begangen und, wie die Blätter berichten, von hartherzigen Gläubigern schikaniert wird, Schildkraut tritt im Apollothcater in einem EinakterDer Schatten" auf, um sich von seinen drückenden Lasten zu befreien. Eine neue Sensation! Kein Sterbender und keine Leiche, kein von Theaterdirektoren gehaßter Mann, aber ein Künstler, der auf einen unkünstlerischen Weg ge- drängt wird. Eine an Baron Berger, der in Kainz' Krankenziiiimer solch eine schöne gefühlvolle Komödie aufführte, zu zahlende Kon- ventionalstrafe von 29 000 Mark zwingt einen erstklassigen Künstler in einen Sensationseinakter, mit spukhaften Knalleffekten und mit dem Schluß oes Wahnsinnigwerdens, seine Kräfte zu vergeuden. Man ist so daran gewöhnt, daß Menschen mit der Peitsche vor- wärts getrieben werden, daß niemand diese Sensation ernst genug auffaßt, um dagegen zu protestieren. Eine Konventional- strafe von 20 000 Mark ist nicht unsittlich. Einen Künstler durch seine Gläubiger ausjagen zu sehen, ist nicht unsittlich. AuS einem Sterberaum ein Kasperletheater zu machen, ist nicht unsittlich. Einen Nissen als Ehrlosen zu brandmarken, ist nicht unsittlich. Von den Vorgängen in Moabit ein verlogenes Bild zu geben, ist nicht unsittlich. Mit Entrüstung protestieren wir nur wenn die Hand erneS englischen Journalisten verletzt virtz, Heinz Sperber.