Nr. 236.
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Redaktion: S. 68, Lindenstrasse 69.
Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1983.
Sonnabend, den 8. Oktober 1910.
Expedition: S. 68, Lindenstrasse 69. Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1984.
Arbeiter, Parteigenoffen, Gewerkschaftsmitglieder!
Das Anwachsen der Arbeiterbewegung auf politischem wie gewerkschaftlichem Gebiete, Den großen Unternehmern, den Zechen- und Kohlenbaronen, sind starke, ruhig wachsende das seit dem Nachlassen der Krise in ganz Deutschland in so machtvolle Erscheinung tritt. Gewerkschaftsorganisationen ein Greuel, weil solche sie in ihrer schrankenlosen Ausbeutung liegt dem Unternehmertum und den reaktionären Parteien im Reiche arg auf den Nerven. hindern; den reaktionären Parteien und ihrem Werkzeuge, der Regierung, sind starke sozialIn dieser Situation erscheinen den Scharfmachern und der Regierung die Unruhen in demokratische Organisationen verhaßt, weil diese sie hindern, ihre politische Macht uneinMoabit geeignet, Wasser auf ihre reaktionären Mühlen zu leiten. geschränkt zur Schröpfung und Unterdrückung der breiten Volksmassen zu benuken. Darum gesetzen zu erwürgen.
Ausnahmegesetze gegen die Sozialdemokratie, Streif- und Zuchthausgesetze gegen die Gewerkschaften!"
So heulen die bezahlten Scharfmacherorgane von der Post" bis zur Rheinisch- Westfälischen
Zeitung", von den Hamburger Nachrichten" bis zur„ Norddeutschen Allgemeinen", die jedem
Reichstanzler ihr Stüd weißes Papier" gesinnungslos zur Verfügung stellen.
Die Vorgänge in Moabit find bekannt. Infolge Parteinahme der Boltzek für die
ihre ewige Sehnsucht, die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen mittels AusnahmeStreif
Statt eines freien Wahlrechtes in Preußen und Zuchthausgesetze gegen die Arbeiter!
Das droht für die nächste Zukunft!
Arbeiter! Diese nichtswürdigen Pläne müssen vereitelt werden!
In Massenversammlungen muß die ganze Bevölkerung aufgeklärt werden über diese hinterlistigen Absichten der Scharfmacher!
Streitbrecher und den Unternehmer gegen streifende Lohnarbeiter entstanden gelegentlich der durch berittene Polizisten geschützten Kohlentransporte Ansammlungen, bei denen der großstädtische Janhagel, der sonst bei Paraden u. dergl. johlt, gemeinsam mit einer Anzahl halbwüchsiger Jungen Uit und Radau machte. Die bekannte Art, in der die Berliner Polizei bei solchen Anlässen eingreift, indem sie förmliche Hezjagden gegen friedliche Zuschauer oder ruhig ihres Weges gehende Arbeiter und Bürger veranstaltet, erbitterte die ganze Bevölkerung der betreffenden Stadtgegend und forderte sie förmlich zu Demonstrationen gegen die Polizeiwillfür heraus. Die Polizei trieb es so arg, daß dieselbe Presse, die erst nicht genug tun fonnte in Berhimmelungen der Polizei und Schmähung des Pöbels und Janhagels", fett Tag für Tag von Aerzten, Beamten, Arbeitern, Vertretern der Presse Klagen veröffentlichen die öffentliche Sicherheit gefährden. muß über unglaubliche Ausschreitungen der Schuhleute in Uniform und Zivil.
"
Trotz alledem lügen die Scharfmacherorgane: In Moabit handelte es sich um den Anfang der Revolution", die Unruhen waren von den organisierten Arbeitern vorbereitet". Die Berichte der Polizei selber tonstatierten gleich in den ersten Tagen das Gegenteil! " Die sozialistische Jugendorganisation hat ihre Leute zu den Krawallen kommandiert!" usw. Eine Schwindelnachricht löst die andere ab!
Man will die Bevölkerung im ganzen Reiche mit dem roten Lappen" graulich machen! Man will fie in Angst versetzen, um sie den reaktionären Zwecken dienstbar und gefügig zn machen.
Die Republik vergißt die Arbeiter und Bauern. Die republikanische Regierung hat sich konstituiert und hat bereits ein Programm verkündet. Es lautet nach den vorliegenden Meldungen:
Es ist Protest dagegen zu erheben, daß die Polizei bet jedem Streit für die Unternehmer eintritt und durch Massenaufgebot von Polizeiorganen, das angeblich dem Schutze der Streitbrecher dienen soll, die Streifenden hindert, ihre gefeglichen Rechte auszuüben!
Es ist Protest dagegen zu erheben, daß die Streitbrecher, die vielfach vorbestrafte, gewalttätige Glemente sind, mit Waffen ausgerüstet werden, mit denen sie die Streikenden und
Es ist Protest dagegen zu erheben, daß Vorgänge wie in Moabit , deren Ursachen in dem Verhalten der Polizei bei Streits zu suchen sind, dazu herhalten sollen, die Notwendig. feit von Ausnahmegesehen gegen Streifende, das heißt gegen die Gewerkschaften zu begründen. Nur eine Aenderung des Verhaltens der Polizei bei Streits wird Krawalle wie in Moabit verhindern. Nicht gegen die gewerkschaftlich organisierte Arbeiterschaft, sondern gegen die Uebergriffe der Polizei sind Gesetze notwendig!
Arbeiter! Wir rechnen auf Euch! Tut Eure Schuldigkeit! Der neue Anschlag der Reaktion muß mit aller Wucht abgeschlagen werden!
Die Generalkommission der Gewerkschaften.
größte Teil des Bodens befindet sich in Händen des Adels Die Ereignisse der Revolutionsnacht. und der Mönchsorden. Die Bauern sind daher zumeist soLondon, 7. Dftober. Dem„ Daily Chronicle" wird aus genannte„ Halbpächter". Sie bebauen den Boden und Lissabon gemeldet: Die Revolution ist selbst dem Ausschuß der müssen einen Teil der Bodenerzeugnisse an die Grundherren republikanischen Partei überraschend gekommen. Die große abgeben und erliegen unter dem Drucke der Steuern und der Maffe der Bevölkerung zeigte sich apathisch und nahm nur wucherischen Pachtbedingungen. Mit dem Schweiße der geringen Anteil an den Kämpfen, die hauptsächlich zwischen den Bauern mästen sich die Mönche und adligen Prasser, während treu gebliebenen und den aufrührerischen Truppen stattfanden. die Bauern selbst im tiefen Elend leben und deshalb auch Die treu gebliebenen Truppen, besonders die Munizipalgarden, schlugen fich dreißig Stunden lang mit bemerkenswerter Brabour, obfchon fie in der Winderzahl waren und ihnen die Zuversicht durch den Mangel an Enthusiasmus auf Seiten der Offiziere genommen war; viele von den Offizieren sympathisierten im geheimen mit den Republikanern. Schließlich ging die große Masse der Truppen zu den Republikanern über.
1. Alle bestehenden Verträge und Verpflichtungen werden jeder Fortschritt der Produktion der landwirtschaftlichen anerkannt; besonders geschätzt wird das Bündnis mit Eng- Technik ausbleibt. Somit ist eine durchgreifende Agrarland. 2. Dezentralisation. Große Vollmachten für die Auto- reform die erste Bedingung des sozialen und wirtschaftlichen nomie sollen den Provinzen und Städten ge- Fortschrittes. Die neue Regierung aber scheint in dieser 3. Sparsamteit. Die verschwende Lebensfrage des portugiesischen Volkes nichts zu sagen zu rischen Ausgaben unter den beiden lezten Königen sollen gründ- haben. lich verringert und der herrschende Nepotismus und die Korrups Aber ebensowenig finden wir in dem Programm ein tion abgeschafft werden. 4. Kolonien. Die Republikaner geben Wort über die Arbeiterfrage. Das portugiesische Proletariat das Vorhandensein großer Mißbrauche, die fast an besitzt bis heute noch nicht das Koalitionsrecht, die Gilaberei grenzen, in den afrikanischen Rolo- erste Bedingung für ihren sozialen Fortschritt. nien zu. Eine besondere Kommission soll zu dem Zwecke der Ansäße einer industriellen Entwickelung sind vorhanden, Reorganisation der Verwaltung entfandt werden. Der erste und die Konflikte zbischen Kapital und Arbeit mehren sich. reformatorische Schritt wird die Behandlung der Eingeborenen Daher muß eine der ersten Forderungen des Preoletariats als menschliche Wesen sein. 5. Trennung von Kirche eben das Koalitionsrecht sein. Ebenso wird die Arbeiter und Staat. Die religiösen Orden sollen aufgehoben werden. Schutzgesetzgebung auch in Portugal zu einer dringenden 6. Freihandel. Frage. Es ist das ein durchaus liberal- bourgeoises Programm. Aber auch auf politischem Gebiete muß das arbeitende Die politische Anlehnung an England liegt im Interesse der Wolf seine Interessen geltend machen: es muß das all Republik . Die Einführung der Selbstverwaltung ist not- gemeine, gleiche, direkte und geheime Wahl wendig, um die Kräfte, die im Volfe ruhen, zu weden. Die recht verlangen, während das bestehende Wahlrecht wohl Sparsamkeit in der Staatsverwaltung und der Kampf gegen die Interessen der Bourgeoisie, nicht aber der arbeitenden den Nepotismus sind selbstverständlich eine dringende Auf- Maffen zur Geltung bringt. Auch über diese Frage steht in gabe. Die Zustände in den afrikanischen Kolonien Portu- dem Programm der Regierung kein Wort. gals sind geradezu grauenhaft und durchgreifende Reformen find ein Gebot der Menschlichkeit. Die Trennung von Staat und Kirche ergibt sich von selbst als erste Frucht dieser Revolution. Der Freihandel schließlich liegt im Interesse jener Gruppe der Bourgeoisie, die zurzeit den größten wirtschaftlichen Einfluß besißt, der Kaufmannschaft.
Dagegen sehen wir in diesem Programm nicht die Spur von sozialem Verständnis, es werden die dringendsten Bedürfnisse des arbeitenden Volkes mit Stillschweigen übergangen.
Portugal ist ein Land mit nur geringer industrieller Entwidelung, der Schwerpunkt des wirtschaftlichen Lebens liegt in der Landwirtschaft. Diese aber liegt danieder infolge der bestehenden Agrarverfassung. Der weitaus
Das alles beweist, daß die Republikaner , die durch eine Militärrevolte das alte Regime in Stücke schlugen, nicht im entferntesten an die Wahrnehmung der Interessen der arbeitenden Massen denken. Nun wohl: die Proletarier Portugals werden dafür zu sorgen haben, daß die Früchte dieser Revolution nicht ausschließlich der Bourgeoisie in den Schoß fallen. Die Arbeiterklasse darf und wird es nicht zu geben, daß der einzige Effekt die Ersetzung des flerifal aristokratischen Klingels durch eine bourgeoise Clique ist. Anfäße einer sozialdemokratischen Bewegung sind vorhanden, und der Moment ist günstig, um die Interessen des Prole-| tariats zur Geltung zu bringen.
Die Regierung wurde durch den Ausbruch vollständig überrascht. Der Aufstand am Abend des 3. Oftober( Montag) wurde zuerst unterdrückt. Die Aufrührer begaben sich dann aber in die Arrifleriekaserne. Die Artilleristen meuterten infolgedessen, setzten ihre Offiziere ge fangen, verteilten Gewehre an die Bevölkerung und setzten sich mit vier Feldgeschützen in einer beherrschenden Stellung nach dem von den Revolutionären im Voraus entworfenen Plan fest. Auch die anderen Truppen gingen sodann zu den Meuterern über, bevor die Negierung imstande war, die Aufstellung der Munizipalgarden zu
bollenden.
Der Kommandant von Lissabon und viele Dffiziere befanden sich zur Zeit des Ausbruchs außerhalb Lissabons in Cascaes, und der König gab dem Marschall Hermes da Fonseca ein Bankett. Das vermehrte die Verwirrung und Unsicherheit in den royalistischen Truppenteilen. Inzwischen waren Offiziere der Flotte an Land gekommen, hatten sich mit Droschtenpferden beritten gemacht, waren durch die Reihen der Royalisten gesprengt und hatten die Führung der aufständischen Truppen übernommen, die bis dahin von Rebellen befehligt worden waren. Das Feuergefecht dauerte die ganze Nacht, vom Montag zum Dienstag hindurch.
Mit Tagesanbruch rüdte das Gros der Aufrührer auf Necessidades( das königliche Schloß), wurde aber dort von dem Feuer der Maschinengewehre der Jufanteriegar de empfangen und floh in Unordnung unter Zurücklassung von vielen Gefangenen. Mit Sonnenaufgang hißten die Seeleute auf den Marinekasernen die republikanische Flagge, und verschiedene Abteilungen rückten zum Stampfe gegen die Besagung des Palastes aus. Gleichzeitig hißten drei Kriegsschiffe die republikanische Flagge und feuerten Salut. An Bord des Artillerieſchiffes Dom Fernando" entspann sich ein heftiger Ueber den Verlauf der Kämpfe und über die gegen Stampf, der damit endete, daß die Flagge der Aufrührer zeitweilig wärtige Lage laufen folgende Nachrichten ein:
wieder niedergeholt wurde. Die in den Händen der Aufrührer be