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|t. 236. 27. Jahrgang. 1. KcilU des Jsrniirts" Kerlim MMll. SiMMiwA, 8,©Mute 1910. LoMhe Kapriolen der Ckiitenberser Polizei. Jjm Anschlich an die bekannten Vorgänge in Lichtenberg   hatte Genosse Schwenk, als Einberufer der gewaltsam verhinderten Ver- sammlung an den Polizeipräsidenten von Lichtenberg   eine Eingabe gerichtet, in der er um Angabe der Gründe ersuchte, die zur Auf- lösung der Versammlung geführt hatten. Man durfte mit Recht ge- spannt sein, womit die Behörde die flagrante Verletzung des Reichs- Vereinsgesetzes zu rechtfertigen versuchen werde. Die Antwort auf die Eingabe liegt uun vor. Sie ist zu köstlich, als dafj wir sie unseren Lesern vorenthalten möchten. Der Wortlaut ist: Der Polizeipräsident. Lichtenberg   b. Berlin  , 3. �Oktober 191». Tageb.-Nr. L Geh. 273. Alfredstr. 4. Auf die Eingabe vom 39. v. M. gereicht Ihnen zum Bescheide, dah eine Auflösung der«öffentlichen, nichtpolitischen Ver- sammlung am 29. September d. I. nicht stattgefunden hat, daß vielmehr das Lokal, in dem ein von der iönigl. Regierung. Abteilung für Kirchen- und Schulwesen, zu Potsdam   untersagter Unterrichtskursus abgehalten wurde, im Wege unmittel- baren Zwanges geräumt wurde, weil die Versammelten dem Verbote nicht«folge leisten wollten. An Herrn Paul Schwenk  , Friedrichsfelde. gez. Lewald. Um die ganze Tiefe dieser polizeilickien Logik ermessen zu können, halte man fich folgende Tatsachen vor Augen. Dem Genossen Graf wurde untersagt, an Jugendliche Unterricht zu erteilen. Des- halb wird von dem geplanten.Vortragskursus" Abstand genommen und eine nichtpolitische Versammlung einberufen, in der Genosse Graf einen n a tu rw is s e n s ch a ft li ch e n Vortrag halten sollte. denn zu sprechen war ihm und konnte ihm auch nicht untersagt werden. Er wird dennoch in Hast genommen, nachdem er sich weigerte, seine Ausführungen abzubrechen. Genosse Kliem, gegen den keinerlei Verbot vorlag, und ebenso Genosse Werner bringen hierauf einige schriftlich fixierte bezw. gedruckte Abschnitte zur Ver- lesung. Beide werden gefragt, ob sie ihren«Vortrag" abbrechen wollen, was sie natürlich verneinen, weil für sie nicht der mindeste Grund dazu vorlag. Auch sie werden verhaftet, und schließlich erfolgt die Räumung des Lokals,«weil die Versammelten dem Verbot keine Folge leisteten." Eine Frage, Herr Polizeipräfldent: Wann ist deyn an die Versammelten außer an Graf ein Verbot er- gangen? Und wogegen richtete sich das Verbot? Es hätte doch dem Einberufer etwas davon bekannt sein müssen. Dies ist jedoch nicht der Fall und auch das Gegenteil hätte den Einberufer nicht davon abhalten können, die Versammlung fortzusetzen, weil ein Verbot. wie eS an Graf ergangen ist, nach seiner Ansicht völlig un- gesetzlich und deshalb nicht zu beachten ist. Deshalb hat Genoffe Schwenk auch jedesmal den betreffenden Redner ausdrücklich auf- gefordert, in seinen Ausführungen fortzufahren. Eine andere Frage wäre, wenn man der polizeilichen Logik zu folgen sich bemüht, was denn eigentlich kein Unterricht ist, sobald die sämtlichen Handlungen, wie sie der Einberufer anordnete, als solcher angesehen werden. Und was geschieht dann mit der Polizei, welche nach der gleichen Deduktion doch unzweifelhaft den wirk- samsten Anschauungsunterricht über unsere be rühmten rechtlichen Zustände erteilte, der noch dazu hochpolitisch zu nennen wäre?? ».« Die Ausflucht des Lichtenberger   Polizeipräsidiums hat natürlich ihren wohlerwogenen Grund. Das Vorliegen einer Versammlung wird bestritten, das Stattfinden eines Unterrichtskursus behauptet, um den Betroffenen den Weg zum Verwaltungs st reitverfahren zu versperrenl Die Polizei will nur Hilfsorgan der Schul- abteilung der Potsdamer Regierung sein, weil gegen die Perfügungen der S ch u l a u f si ch t s b e h ö r d e ja skandalöserweise keine Klage vor den Ver- waltungsgerichten möglich ist, da somit durch eine kleines feuitteron. Das Volk von Liffabon. An den Ufern des Tejo tobte die Re- bolution. Das ist nichts Unerhörtes in Lissabon  , wo seit Jahr- Hunderten auf die grenzenlose Mißwirtschaft der Regierenden immer wieder gewaltsame Umwälzungen gefolgt sind. Aber es ist das Zeichen, daß die Verhältnisse wieder einmal unerträglich ge- worden sein müssen. Denn der Portugiese, den wir uns so gern als heißblütigen Südländer vorstellen, ist im Grunde genommen träge, indolent, ohne Jnitiaiive. Er liebt die Ruhe und die Be- quemlichkeit. Kein Volk des Nordens, so sagt ein deutscher Kauf- mann, der viele Jahre in Portugal   gelebt hat, würde� sich auf die Dauer die ungerechte Steuerbedrückuna gefallen lassen, die fast ausschließlich die Armen trifft, alle Gebrauchsartikel des täglichen Lebens, die meisten Nahrungsmittel mit dreifachen Abgaben be- legt, und die trotzdem niemals ausgereicht hat, Geld für die dring- lichsten Aufgaben der öffentlichen Wohlfahrt zu schaffen. Aber vier Fünftel dieses Volks können weder lesen noch schreiben. Wäre die Volksbildung größer in diesem Lande ewigen Sonnenscheins und üppigster Fruchtbarkeit, das Herrscherhaus Koburg-Braganza wäre längst schon aus dem Lande getrieben worden. Die Trägheit des Volkes und seine geringe Unternehmungslust sind der Grund, weshalb Portugal   heute noch ausschließlich Agrar- staat ist« Gewiß, es gibt in Lissabon   und seiner nächsten Um- gebung Fabriken der verschiedensten Art; aber ihre Produktion ist minderwertig, und sie reicht nicht aus, den Bedarf des wenig volkreichen Landes zu decken. Alle besseren Waren Iverden einge- führt aus England, Frankreich   und Deutschland  ,«voll ein Erzeug- nis als schön und gut gelten, so mutz es ausParis  " stammen, ganz gleich, os es in Sheffield  , in Berlin   oder Spremberg   hergestellt ist. Ein« Eigentümlichkeit des Lissaboner   Geschäftslebens ist der um- fangreiche.Handel mit Gold- und Silbertvarcn, mit Schmucksachen, feinen Filigran, und Handarbeiten. Die Herstellung dieser Av- tikol geschieht im Lande, und diese Industrie ist uralt. Der Reich- tum, der in Lissabon   bei einem Teile der Bevölkerung sehr respek- tabel ist, befindet sich vorwiegend in den Händen der Kaufmann- schaft. Großes Vermögen besitzt allerdings auch der Landadel, der feine Güter verpachtet und seine Zinsen in Lissabon   und in den eleganten Badeorten an der Küste verzehrt, sofern er nicht auf den alten Schlössern weilt. Zwischen diesen reichen Familien und der überwiegenden Mehrzahl des Volkes, dem Proletariat, gibt es keine Brücke, keine Ueberleiwng, keine iBerührungspuntte. Der Mittel- ftond sehbt. Breite Schichten des niederen Volkes ernähren sich vom Fisch- fang und Fischhandel. Ter Stockfisch ist sozusagen das wichtigste Voltsnahrungsmittel. Auch Obst und Wein sind billig, kosten nach unseren Begriffen fast nichts. Brot dagegen ist schon beinahe ein Luxus. Alle diese Fischweiber und Wasserträgerinnen, die man auf den verhältnismäßig stillen Straßen Lissabons   einhergehen steht, die schweren Lasten auf dem Kopfe tragend, alle diese Volks- angehörigen der untersten Klassen leben vornehmlich von Fischen «To Obst  . Die Weiber gehen barfuß, aber bei keiner fehlt Gold- schmuck. Auch der LoShandler ist, neben dem Stiefelputzer, dem Klage gegen die Schulaufsichtsbehördc die ungeheuerliche Ungesetzlichkeit ihrer Verfügung doppelt u n- geheuerlich, weil unter völliger Nichtachtung eines neuerdings ergangenen Rcichsgerichtsurteils er- lassen nicht erwiesen werden kann. Die Polizei dagegen ist vor den Verwaltungsgerichten zu fassen und deshalb be- streitet sie jetzt so energisch, einen Eingriff ins Versammlungs- recht getan zu haben. Indes hat nicht sie, sondern schließlich doch das Oberverwaltungsgcricht darüber zu entscheiden, ob in Lichtenberg   eine Versammlung stattfand, die durch die Polizei ungcsetzlicherweise aufgelöst wurde. Sie Parteipresse über issagdeburg. Freie Presse"-Stratzburg: Die Lübecker   Resolution, die Nürnberger Resolution stempeln sinngemäß erfaßt die Frage der Budgetabstimmung selbst zu einer taktischen Frage, mag man noch so oft wiederholen, daß sie eine grundsätzliche sei. Freilich besteht in der Partei die Tradition, das Budget abzulehnen. Und Jaures   hat ganz recht, wenn er sagt, daß ohne zwingenden Grund diese Tradition nicht verletzt werden darf. Nur wenn wirklich zwingende Gründe vorliegen, darf dem Budget zugestimmt»erden. Im Vadcncr Fall können wir diese zwingenden Gründe nicht aner- kcnycn. Und wir begreifen es recht gut, daß die Mehrheit der Partei, die in dieser Abstimmung einen grundsätzlichen Ver- stoß erblickt, über das Latum der Badenser empört war, und daher mit allem Nachdruck aufs neue ihren Standpunkt präzisierte. Was wir aber nicht begreifen, daS sind die Vorgänge in der Nachtsitzung vom Mittwoch. Die Mehrheit hatte sich mit der Vorstandsresolution, mit der Auslegung, die Bebel ihr ge- geben, wohl zufrieden geben können. Es war wirklich nicht notwendig, die Minorität auf die Knie zwingen zu wollen." V»lkszeituns"-Mainz  : Wir find allerdings der Ansicht, daß der Ausgang der Budget- debatten in Magdeburg   geeignet ist, der W e r b e k r a f t der Partei zu schaden und schon deshalb haben wir ihn aufs tiefste bedauert. Die Diskussion und die Beschlußfassung hätten nicht notwendigerweise Formen anzunehmen brauchen, die einen Augenblick stark den Geist der Kameradschaftlichkeit und Zu- sammengehörigkeit vermissen ließen, der in unserer Partei Herr- scheu mutz, und dadurch den Gegnern Grund zur Freude bot. Be- sonders auch deshalb nicht, weil unseres Erachtens der Budget- frage an sich gar nicht die Bedeutung zukommt, die man ihr beimißt. Man wird, nach unserer festen Ueberzeugung, auch in weiteren Parteikreisen dereinst erkennen, daß die Budget- abstimmung eine reine Zweck mäßigkeitSfrage ist, die fich nicht für alle Fälle und alle Zeit generell regeln läßt. Im Badcncr Fall durfte man unter keinen Umständen an dem guten Willen der dortigen Landtagsfraktion zweifeln, mit ihrer Abstimmung den Interessen der Partei zu dienen. Wenn man aber die gute Absicht der Badener erkannte, dann war daS Gerede vom Diszi- plinbruch so überflüssig, wie der partei  -ungesetzliche Antrag Zubcil." Rheinische Zeitung  "-Köln  : Zur Budgetdebatte selbst haben wir nach dem, was wir vorigen Donnerstag geschrieben haben, kaum noch etwas zu sagen. Aber mit allem Nachdruck sei wiederholt, daß durch das Ergebnis der Abstimmungen an dem tiefen Zwiespalt der Meinungen nicht das geringste geändert ist. Die Radikalen haben nicht die Revisionisten überzeug tund diese nicht die Radikalen. Man hat die Süddeutschen überstimmt und sie formell ins Unrecht gesetzt wie vorauszusebcn war, aber die Ueberzeugung, daß sie unrecht getan hätten, die hat man ihnen keineswegs beizubringen vermocht. Der Riß klafft immer noch weiter auseinander und ist durch die Zu- satzresolution Zubeil wahrscheinlich noch vergrößert worden. Wir finden kaum eine Spur von kluger Parteitaktik in dieser rücksichts- losen Ausnutzung der bloßen Macht der Zahl, und wir können das unangenehme Gefühl nicht los werden, daß sie leider schon tief eingefressene persönliche Gegnerschaft, in die eine Anzahl Genossen von Nord und Süd sich im Laufe der Jahre hineindiskutiert hat, heute zum größten Hemmnis der Verständigung geworden ist. Ohne diese persönliche Gegnerschaft wären auch die peinlichen Auf- wir an allen Ecken der Hauptstadt begegnen, eine typische Erschei- nung Lissabons  . Alle paar Tage ist Ziehung, und das staatliche Lotto hält ewig die Hoffnung der Armen auf eine Besserung ihres Loses lvach. Was dem Lissaboner   Straßenbild besonders einen fremdartigen, an füd- und mittelamerikanische Städte erinnernden Einschlag gibt, ist das zweirädrig«, mit Ochsen oder Akaulesoln bespannte Fuhr- werk. Denn die Stadt, amphitheatralisch auf Hügeln auffteigend, hat sehr viele äußerst steile Straßen, und das Pferd ist diesen Steigun- gen nicht gewachsen. Wohl sieht man stolze und rassige Pferde, aber nur vor den Equipagen der Reichen. Das Leben der besitzenden Stände ist überhaupt im Grunde genommen nicht viel mehr als ein geschäftiger Müßiggang. Selbst die Kaufleute überarbeiten sich nicht. Schon im Januar beginnt mit strahlendem Sonnenschein der Frühling; von April, spätestens Mai an herrscht tagsüber drückende Hitze und glühender Sonnenbrand und bis in den Oktober hinein fällt fast kein Regen. Nur etwa zwei Monate dauert der Winter; aber dieser Winter, der oft heftige Stürme bringt, ist immer noch so warm, loie ein normaler deutscher April. Kühl sind aber selbst im heißesten Sommer die Nächte, wenn der Wind vom Meere her weht. Theater. Kleines Theater:Die Zensur".Der Liebes- trau!" von Frank Wedekind  . Die Kritik hatte für Wede- tind eine interessante Rolle gefunden. Er sollte ein Spötter voll geheimeil TiefsiinlS sei», einer jener Stirncrschen Individualisten, die im abenteuerlich vagahundierenden Emanzipationsdrang ihre Sache.auf Nichts" gestellt haben inid im Gefühle dieser Freiheit ironisch mit dem Leben spielen. DaS fonnloS Sprunghafte. daS Durcheinander anscheinenden Ernstes und burlesker Wendungen in seinen Produklionen, das Marionettenhafte der Figuren sollte stil- gemäßer, bedeutsamer Ausdruck einer von jener Grundstiinnluiig ge­tragenen eigenartigen Persönlichkeit sein, die durch die formlose Zerfahrenheit ihres Dichtens nur die des wirklichen Lebens überlegen widerspiegelt und persifliert. Wer gegen diese Mode protestierte. in dem Mangel künstlerisch gestaltender Durchführung keine ver- borgeuen Tiefen sah. bewies damit seine eigene Zurückgcblicbenheit. Lange konnte die Mode nicht danern und niemand hat mehr zu ihrer Zerstörung beigetragen als der Dichter selbst. Was mau für Spiel genommen, seine Paradoxen: damit war eS ihm bitterer Ernst. Er, der Respektlose, der kecke Leugner hatte den Einfällen und Launen seines eigene» Denkens gegenüber so wenig kritische Schärfe, daß das Absurdeste ihu blenden konnte. In einem seiner besten Werke:«So ist das Leben", klagt er in der Figur des ver- triebenen Königs, der als Gaukler verkleidet das Volk zu lachendem Beifall fortreißt, daß niemand die Wahrheit hinter der Ganller- maske empfinde. Wenn die Kritiker ihn gerne als genialen Spötter konstruierten, konstruiert er sich selber als ringenden Sucher und Verkünder neuer Erkenntnisse, der von der unvernünftigen Menge als Spaßmacher bejubelt wird. Und seitHidalla", jenem wmtder- lichen Drama, tritt dieses Prätentiöse immer deutlicher hervor. Ein typisches Dokument dieser Art ist auch das neue Stück »Zensur", das sich im Nebentitel«Theodizee", Rechtfertigung Gottes tritte nicht möglich, die wir am Mittwochmorgen bei der Rede bet Genossin Luxemburg   und abends bei der Einbringung deS neuen Antrags Zubeil erlebt haben." i B-lksfreund"-KarlSruhe  :* Soviel über die Budgetsrage zu sagen wäre und es dürft« darüber noch gar viel geredet werden, so steht doch fest: D i e Budgetfrage wird in Badener st im Sommer 1912 wieder aktuell. Dann wird d-e zweite Seffion der vier- jährigen Legislaturperiode des badischen Landtags geschlossen und dann tritt ein, was Genosse Dr. Frank in Magdeburg   sagte: Wir haben selbstverständlich das allergrößte Interesse daran, daß die Partei einig und geschlossen bleibt. Wir werden nach jeder Richtung das unsrige tun, um dafür zu sorgen, daß das geschieht, aber keiner von uns kann Ihnen heute erklären, waS geschehen wird in Budgetabstimmungen der nächsten Jahre." Diese Erklärung hätte der Partcitagsmehrheit genügen müssen. Der Antrag Zubeil war völlig überflüssig. Man mußte da� Ver­trauen in die verantwortlichen Instanzen der badischen Sozial» demokratie setzen, daß diese bestrebt sind, die Einheit der Partei zu wahren. Und darauf allein kommt es an. Weder die Partei» tagsmchrheit, noch die süddeutschen Delegierten können wissen, wie sich die politische Situation Süddeutschlands   in der nächsten Zeit gestaltet. Also durfte man keinen Blankowechsel, ausgestellt aus die Zukunft, verlangen." Arbeiter-Zeitung  "-Essen: WaS uns seit Jahren nottat: Eine entschiedene Ab-' sage an die Politik der Konzessionen, der An» Passung an den Klassen staat, hat uns die Magdeburger  Tagung gebracht. Die Frage der Budgetbcwilligung war nur der äußere Anlaß zu einer solchen Entscheidung. Daß sie vorlag, war gut; daß ihre EntWickelung, die für sie ins Feld geführten Gründe, die Begleiterscheinungen wie die Hofgängerei, die zu nationalliberaler Politik führenden Theorien a la Maurenbrechcr, Ouessel und Kolb usw. recht deutlich beleuchteten, wohin die Partei kominen würde mit solcher Politik, war noch besser denn das alles zusammen ließ bei der großen Mehrheit der Delegierten den festen Entschluß reifen, unter allen Um- ständen dem Willen der überwältigenden Mehrheit der Partei die Geltung zu verschaffen, auf welche er in einer demokratischen Partei Anspruch hat. Wie oft haben wir uns in den letzten Jahren bei den Leistun- gen des Organs zur Nationalliberalisierung der Sozialdemokratie, derSozialistischen Monatshefte", fragen müssen: Ist eS denn möglich, daß so etwas sich als sozialdemokratisch geben kann? Diese Politik hat eine klare, entschiedene Ablehnung erfahren, und waS das beste dabei ist, sie hat sie erfahren in sachlicher, ernster Weise. Zuschanden wurde die Hoffnung der Gegner, daß Magdeburg   ein neues Dresden   werden möge." Arbeiter-Zeitung  "-Dortmund  : Bebel hatte ein überaus versöhnliches Schlußwort gehalten und im Anschluß daran hat Genosse Haase im Namen der 211 Unterzeichner des Amendements Zubeil dies Amendement zurück« gezogen. Und nun betrat der Korreferent Frank die Tribüne. Jeder- mann erwartete, er werde der radikalen Mehrheit für ihr weite?, viel zu weites Entgegenkommen danken und das feste Versprechen abgeben, daß man sich nun endlich, nachdem vier Parteitage ihren nicht mißzuverstehenden Willen dokumentiert hatten, fügen und künftighin Disziplin halten werde. Nichts von alledem! DaS war nicht der reuige Sünder, der da auf der Tribüne stand, das war der selbstbewußte Triumphator, der dje nachgiebige Mehrheit mit Hohn und Spott überschüttete, der über unserenRückzug" jubelte, der erklärte: ihr konntet einfach euren Willen meist durchsetzen, der, nachdem vorher schon Hildenbrandt und Ouessel gehöhnt hatten: ihr könnt beschließen, was ihr wollt, wir tun doch, was wir wollen, auch seinerseits namens der Minderheit offiziell proklamierte:Wie wir künftig uns zum Budget stellen werden, das können wir Ihnen heute noch nicht sagen das wird ganz von den jeweiligen Ver- Hältnissen abhängen". Damit war dann das Maß nun glücklich voll oder vielmehr: diese hohnvolle, unerhörte Provokation war der Tropfen, der das vorher schon bis zum Rand gefüllte Maß zum Ueberlaufen brachte! Der Revisionismus erstickte in seinem eigenen allzu frühen SiegeSjubel!... Stürmisch wurde eine halb- stündige Pause verlangt, um der Mehrheit Gelegenheit zu schaffen, zu erörtern, was nunmehr zu tun sei. Einmütig, ohne den ge- ringsten Widerspruch, wurde da beschlossen, das Amendement Zubeil «in einem Akte" nennt. Die Zerfahrenheit der Form und der Ge- danken kann nicht mehr überboten werden. Wedelind führt sich unter dem Pseudonym eines Literaten Walter Buridan selbst redend ein. Er plant ein großes Werk, das zeigen soll, wie sich die Freude an der Geisteswelt und den ewigen Gesetzen der Natur mit der Freude an der farbigen Schönheit der Erscheinungen vereinigen läßt. Zur Sammlung braucht er zwei Wochen Einsamkeit, indes die Eifersucht seiner Geliebten will ihm die kurze Trennung nicht ver» gönnen. Ein katholischer Priester kommt, von dem Buridan-Wedekind die Aufhebung des Zensurverbotes wider sein Drama.Pandora" erhofft, und ein langer Disput hebt an, in dem der Dichter nicht niüde wird, gegen die Angriffe des Orthodoxen den sittlichen Ernst und die Reinheit seiner Absichten zu beteuern. Man hat den Eindruck, daß ein anderer Kleriker, der nicht wie der des Stückes bei diesem völlig vagen ungefährlichen Bekenntnis zur Aernunft" gleich die Geduld verliert, den ehemaligen Ketzer leicht gewinnen könnte. Indessen vorläufig ist es �noch nicht so weit. Sinter dem fanatischen Priester erscheint am Schluß Kadidja, die eliebte, im Ballettröckchen auf einer Kugel balancierend«in Sendling   aus dem Reich der Schönheit. Aber sie sucht in seinen Augen vergeben« nach dem Widerscheine seiner Liebe und stürzt sich, gelränlt durch solche Kälte, von dem Balkon. Und er, von Angst für sie geschüttelt, ruft Gott   in stammelndem Gebete an. DaS heißt Theodizee! Das Interesse an dem persönlich dokumentarischen Charakter deS Stückes wurde durch das Auftreten des Dichters in der Hauptrolle erhöht. Seine Diktion hat noch dieselbe nüchterne, doch eindrucksvolle Art wie früher. Die anmutige Frau Tilltz Wedekind gab die Geliebte. Der folgende Wedekindsche Schwank  , in dem eine idiotische russische Durchlaucht einen als Hauslehrer engagierten Zirkusmenschen dazu zwingt, einen LiebeSza, ibertrank zu brauen, enthielt nur einige wenige drollige Schnurren, viel zu ivenig für drei volle Alte. Die Stimmung flaute zusehends immer weiter ab. Nur die Kuiist der Schauspieler hielt das Stück noch über Wasser. Brillant war Alexander Rott« ni a n n als hochgeborener Wutki-Trottel und Abel als gelenker selbstbewußter Trapezkünstler und Zigeunerphilosoph. ckt. Notizen. M u s i k ch r o II i k. Die Erstaufführung von Mozart  ».Don Juan' in der Volks o p e r findet Sonntag statt. Die Schwedische Sezession aus Stockholm  , die in den Räumen der Berliner Sezession   am Kursürstendamm ihre dritte Ausstellung im Auslände veranstaltet, wird am Montag eröffnet. Drahtloser Verkehr zwischen Europa   und Amerika  . Die Marconi  -Gesellschaft teilt»ist, daß eine von Marconi   in Buenos-AyrcS erhaltene Depesche des italienischen Lloyd den Empfang drahtloser Telegramme bestätigt, die von den tranS  - atlantischen Stationen zu Chifden in Irland   und Glace Bat) in Neuscholtland aufgegeben wurden. Die Telegramme wurden ohne Benutzung einer Wechselstation in einer Distanz von 6000 Meilen befördert. Die Möglichkeit einer direkten drahtlosen Telegraphen» Verbindung zwischen Europa   und Amerika   ist demgemäß gesichert.