Die Willkürherrschaft der Polizei in Hallewächst sich immer üppiger aus. Wie kürzlich erst berichtet,drang die Polizei in eine Blitglrederversammlung des Metall-arbeiterverbcmdes ein, um zu„überwachen". Dieses Vorgehenhat sie nochmals wiederholt, trotzdem an den Saaleingängeneine Mitgliedsbuchkontrolle vorgenommen wurde.In einer Zuschrift an ein bürgerliches Blatt, das ebenfalls dieunverständlichen Maßnahmen der Polizei getadelt hatte, sagtdiese nun, welche Gründe sie leiten. Die Mitgliederzahl derZahlstelle sei zu groß, ihr Vereinsgebiet zu ausgedehnt undder Zusammenhang unter den Mitgliedernein zu loser, als daß diese Gewerkschaft noch als Vereinim Sinne der Reichsgerichtsentscheidung bezeichnet werdenkönne. Diese aus Magdeburg. Breslau usw. abgeschriebene».Begründung" in die rechte Beleuchtung zu rücken, genügt es,auf die von der bürgerlichen Presse gern wiederholten Räuber-Pistolen vom„Kadavergehorsam" der Gewerkschaftsmitglieder,die„Ausplünderung" der Arbeiter durch die„hohen Gewerk-schaftsbeiträge" und den„Terror der sozialdemokratischen Ge-werkschaften" hinzuweisen. Wird hier die gewerkschaftlicheund politische Organisation der Arbeiter als eisern g e-schlossener„Staat im Staate" hingestellt, so in der Ar-gumentation der Polizei von Halle als lose zusammengewür-felter Haufe von wechselnder Form und Größe, ohne jedeninneren Zusammenhalt. So oder so, wie's trefft!Bei der zweiten Metallarbeiterversammlung war einriesiges Polizeiaufgebot zusammengetrommelt worden. DerVolkspark wimmelte von Polizisten, aus Nachbar-grundstücken mußten die dort widerrechtlich versteckt gehaltenenPolizciorgane hinausgewiesen werden. Rings um den Volks-park standen zahlreiche Posten, radfahrendeKundschafter und„Geheime" waren massenhaftunterwegs. Das Versammlungslokal glich einer belagertenFestung. Und alle diese vom schlechten Polizeigewissen zeugenden Maßnahmen im Angesicht der vorbildlichen Ruhe undBesonnenheit der Arbeiterschaft!Die Parteigenossen hatten nun eine kleine Ueberraschungfür die Löbliche von Halle vorbereitet. Um ihr einen An-schauungsunterricht von der Festigkeit ihrer politischen Organi-sation zu erteilen, beriefen sie auf vertraulichem Wege eineMitgliederversammlung nach dem„Volkspark" ein, die dennauch von 1000 Mitgliedern besucht war. Die Polizei merktedavon trotz ihres Spitzelapparates nicht eher etwas, als bisdie Versammlung tagte; jetzt erst wurde der ständige Beob-achwngsposten vor dem Lokale aufmerksam, ganz nach demProgramm der Parteigenossen. Nim begann eine ergötzlicheHetzjagd von Polizisten nach dem Volkspark. Als aber dieInspektoren und Kommissare mit den verfügbaren Mann-schaften erschienen, war die Sache bereits aus. Die Versamm-lung war von einem eifrigen Kommissar der nächsten Polizei.wache wegen„Nichtanmeldung" a u f g e l L st worden. Konse-guenterweise muß nun die Polizei dem Veranstalter einsS traf Mandat schicken und die Angelegenheit geht auchden zweiten Instanzenweg. Um den arbeitswilligen Polizei-organen ausreichende Beschäftigung zu geben, hat derSoziald�emokratischeVerein zum Montag in allenTeilen der Stadt 21 Mitgliederversammlungeneinberufen. Vis weit in das Bürgertum hinein findet dasVorgehen der Polizei, das sich auch in fortgesetzten Verfügun-gen gegen die Volksparkverwaltung in Halle äußert, schärfsteVerurteilung. Die Parteigenossen erwarten von der Polizei-Willkür die nachhaltigste Belebung der Agitation zur kommen-den Reichstagswahl. Die Polizeigewaltigen in Halle wie inanderen Orten werden sich über die Früchte wundern, die ihreordnungshüterische Saat erzeugen wird.Hallesche Justiz.Vom Landgericht in Halle a. S. wurde Genosse RedakteurLeopoldt zu der ungeheuerlichen Geldstrafe von IVOS Markverurteilt, weil er in einem Artikel des„Volksblattes" einen Ober«agrarier, den Oekonomierat Finger ans Gut Mötzlitz, Kr. Bitterfeld,beleidigt haben soll. In dem Artikel war hervorgehoben, daß dieAgrarier allgemein billige und willige Arbeitskräfte vom Auslandeholen und diese in Wohnungen unterbringen, die zur Behausung vonMenschen nicht geeignet sind. Daran schloß sich die Beschreibungder Arbeiterwohnungen auf dem Gute des Herrn Finger, die allenhygienischen, sittlichen und kulturellenForderungenHohn sprechen sollten.Der Artikel baute sich auf den Angaben einer Landarbeiterfamilieauf, die von dem Gute mittellos und ohne Papiere gekommenwar. Jetzt find merkivürdigerweise, wie durch Lokaltermin fest-gestellt wurde, die Wohnungen in erträglichem Zustande, dagegen istdie Landarbeiterfamilie spurlos verschwunden. GenosseLeopoldt hatte somit keine Zeugen, da auch die Polen vom GuteMötzlitz längst in ihre Heimat gereist sind. Der Vorsitzende desGerichts glaubte zuerst die Sache durch Vergleich beenden zu können�Da aber der Oekonomierat, der zugleich Amtsvorsteher ist, erklärte,datz er auf Veranlassung seiner vorgesetzten Be-Hörde— also des Landrats— handele, verstummte der Vor-fitzende und— erkannte mit den Beisitzem auf die höchste Gel d-strafe, die überhaupt zulässig ist.Hallesche Justiz und Hallesche Polizei genießen nicht umsonstnationalen Ruf. Im Anschluß an den Prozehbericht teilt daS„Volks-blatt für Halle" mit, daß noch elf Preßprozesse gegen seineRedakteure anstehen._Nachklänge zur Königsberger Kaiserrede.Wie auS Heidelberg gemeldet wird, hat der dort tagende Bunddeutscher Fraucnvereine in der heutigen Sitzung zu der die Frauen«bewegung mißbilligenden Rede des Kaisers in Königsberg Stellunggenonunen. Es ivurde auf da« tiefste bedauert, daß die Be-mühungen des Bundes, die B/z Millionen außer dem Hause tätigenFrauen besser als bisher den nenen Formen anzupassen, durch jenekaiserliche Kritik in Mißkredit gebracht worden sind. Dtese Kund-gebung ivurde mit Händeklasichen begrüßt und debattelos an-genommen. Lediglich die 6i Vertreter de§ deutsch- evangelischenFrauenbundes erklärten, dagegen zu stimmen.Möglichst baldige Auflösung de? Reichstagsverlangt die„National-Zeitung". In einem Leitartikel sNr. 385 vom8. Oktober) macht das nationalliberale Blatt dem Reichskanzlerwegen seiner unentschlossenen zaudernden Haltung heftige Borwürfe.ES schreibt:„Der Reichskanzler will die Session solange als möglich hin-ausziehen, um die großen Bor lagen zur Verabschiedung zubringen, die nach seiner Meinung ein Ergebnis darstellen würden,das auf die W ä h l e r n: a s s e n immerhin einen guten Ein-druck von dem positiven Schaffen der Parteien zu machen geeignetwäre. Aioeifellos erwartet der Reichskanzler von den Neuwahleneine Klärung der Lage und eine Neuorientierung für seine Politik.Logisch wäre eS deshalb, wenn der Lebensfaden desReichs-tagS bald abgeschnitten würde, je früher, desto besser.Denn wenn sich der jetzige Wirrwarr noch längere Zeit hinzieht,kann die allgemeine polnische Lage nur schlimmer, aber niemalsbesser werden."„Wissenschaftliche" Natkonalitätenhatz.Neben anderen gutgesinnten Größen sitzt an der Akademie zuPosen der Hakatistische Professor Dr. Otto H ö y s ck. Der HerrProfessor gibt im Nebenamt eine Korrespondenz„Der Osten" heraus,deren jede Nummer nichts weiter als schärfere Maßregeln gegen diePolen verlangt. Wenn es nach Hötzsch ginge, würde jeden Monatein neues Gesetz für die Ostmark gemacht. Schon des öfteren istdiesem Hochschullehrer der schwere Vorwurf gemacht worden, daß eres mit der Wahrheit nicht so genau nehme, unter anderem hat derpolnische Graf Bröl-Plater ihn vor drei Jahren einen Lügner ge-nannt und sich erboten, vor Gericht den Wahrheitsbeweis dafür an-zutreten. Herr Hötzsch hat unseres Wissens darauf geschwiegen.Nun hat„Der Osten" in seiner letzten Nummer eine Statistikgebracht über solche Güter, die in den letzten Wochen aus deutschemin polnische» Besitz übergegangen sind. IIb Güter mit 50000 MorgenLand sollten das sein.Zufällig kam nun diese„wissenschaftliche" Statistik einemInteressenten eines der angegebenen Güter in die Hände, dem dieUnstimmigkeit sofort auffiel. Ein Mitarbeiter der„Pos. Neuest. Nachr."machte sich nun an eine Prüfung des ganzen Artikels und stellteschließlich fest, datz viele„Unstimmigkeiten" darin enthalten waren.Güter, die überhaupt nicht verkauft worden waren, sind in derStatistik an den Mann gebracht. Verkäufe wieder, die von Polenan ihre Landsleute stattgefunden hatten, werden als aus deutschenHänden erfolgt angegeben. AuS Bauernwirtschaften von kaum100 Morgen waren Tausende von Morgen gemacht. Allein für denBezirk Gnesen ergab sich, daß die Angaben von Hötzsch zwanzigfachübertrieben waren.„Wohin man also sieht, nichts als falscheAngaben", konstatiert das genannte Blatt.Professor Hötzsch aber schweigt wieder.franhmcfo.Die Radikalen gegen Briand.Paris, 8. Oktober. Die vereinigte Radikale undRadikalsoziali st ische Partei hielten vorgestern undgestern ihren Jahreskongretz in Rouen ab. Der Bürger-meister von Rouen Müller hatte sofort in seiner Begrüßungs-anspräche gegen die Politik des jetzigen Minister-Präsidenten Briand Stellung genommen, indem er sieunter stürmischer Zustimmung des ganzen Parteitagesals die Politik eines Soziali st en bezeichnete, der miteiner radikalen Mehrheit gemäßigte Politikmachen wolle. Gestern übten die Deputierten Professor Thala-m a s und Camille P e l l e t a n eine ungemein scharfeKritik an der Beschwichtigungspolitik Briand S,welche die radikale Partei lähme und den k o n s e r-vativen Parteien gestatte, sich der Regier» ngs-Mehrheit anzuschließen. Pelletan verlangte dieStückkehr zu einer Kampfpolitik weltlicher undsozialer Reformen. Der Parteitag nahm ohneWiderspruch eine Tagesordnung an, welche die dieRadikalen kompromittierende Beschwichtigungs-Politik verurteilt. Die Zeitungen fragen sich nun heute,was die radikale Mehrheit in dem am 25. Oktober zusammen-tretenden Parlament tun werde. I a u r e s meint, entwederstürzen die Radikalen Briand oder sie unter-werfen sich. Das bedeutet entweder den Bankerottder Regierung oder denjenigen der radikalenPartei. Die radikale„Lanterne" sucht dagegen nach einemAusweg. Sie ist überzeugt, daß Briand, der nächsten Dienstag inParis eine Bankettrede halten wird, den Radikalen diejenigeaktive Zukunftspolitik versprechen wird, welche sie beanspruchen.Spanien.Das Programm Canalejas.Madrid, 7. Oktober. Im Senat erklärte MinisterpräsidentC a n a l e j a s, die Haltung der Regierung während der parla-mentarischen Ferien sei durchaus gesetzlich gewesen. Canalejassprach sich dann tadelnd über die Haltung des Episkopats und derreaktionären Elemente aus, die für seine Person beleidigend sei.Er werde gegen die Beleidiger vorgehen. Er lassesich von niemand einschüchtern, sondern werde die Verwirk-jichung seines Programms eifrig betreiben undbesonders das dem Senat vorliegende Cadenasgesetz aufrecht-erhalten. Der Ministerpräsident bestritt, daß im Kabinett,dessen Mitglieder alle eng verbunden und ent-schlössen, zu siegen oder zu st erben, auch nur diegering st e Uneinigkeit bestehe. Canalejas V e r°t e i d i g t e weiter das Borgehen der Regierung bei demStreik in Bilbao und San Sebastian. Schließlich er-klärte der Ministerpräsident, er hoffe dem Parlament im nächstenMonat über die Verhandlungen mit dem Papste undmit Marokko Aufklärungen geben zu können.foklUand.Streikende als Sklaven behandelt.Am 30. September wurde Warschau durch die Alarmnachrichtin Schrecken gesetzt: die Angestellten der elektrischen Straßenbahnstreiken! Um zu würdigen, was das bedeutet, muß man bedenken,daß über Warschau noch immer der Belagerungszustand verhängtist und daß durch ein spezielles Gesetz die Angestellten aller öffent«lichen Verkehrsmittel mit den schwersten Strafen bedroht werden,wenn sie streiken. Trotzdem streikten die Angestellten; die Stadtblieb ohne Straßenbahnverkehr. Die Aufregung war also berechtigtund ängstliche Philister behaupteten denn auch: das ist der Beginneiner neuen Revolution.Was nun folgte, dürfte indessen einzig in der Geschichte derArbeiterbewegung dastehen. Die Polizei verhaftete sofort alle An-gestellten. Am 1. Oktober fuhren nur einige Wagen der Straßen-bahn, die von den Werkmeistern und Ingenieuren unter dem Schutzeder Polizei geleitet wurden, während Bureaubeamte als Kon-dukteure figurierten. Am 2. Oktober aber wurde der Betrieb imgroßen Umfange aufgenommen; man sah die Führer und Kon-dukteure im Dienst, aber unter ganz besonderen Verhältnissen:neben dem Führer standen zwei Soldaten mit aufgepflanztemBajonett, auf der hinteren Plattform standen ebenfalls Soldaten:die Angestellten verrichteten den Dienst alS Gefangene.Man hat die Verhafteten unter militärischer Bedeckung aus demGefängnis nach den Remisen geführt, hat sie hier gezwungen, dieWagen zu besteigen und den Dienst zu verrichten; am Abendwurden fie wieder in daS Gefängnis geführt. So haben diezarischen Schergen ein Novum geschaffen: die Streikenden werdenals Sklaven behandelt, die man zur Arbeit zwingt unter An-Wendung der Militärmacht.Die Ursache des Streiks waren rein wirtschaftliche Forde-rungen der Angestellten. Der elektrische Betrieb wurde vor zweiJahren auf der Warschauer Straßenbahn eingeführt.(Es istübrigens der Siemens-Halske-Konzern, der den Betrieb ein-richtete und die Leitung der Stratzenbahngefellschaft ist in seinenHänden.) Bald daraus kam es zu Konflikten mit den Angestelltenin bezug auf die Arbeitsdauer, das Salär, die Gratifikationen,ärztliche Hilfe usw. Die Angestellten wurden eben hinten undvorne bestohlen und betrogen. Als am 30. September die Wer-trauenSleute der Angestellten den Vorgesetzten eine Beschwerde-schrift überreichtem wurden sie brutal beschimpft; das brachte denBecher zum überlaufen, die Arbeit wurde niedergelegt.Nachdem dieser Zustand der Sklaverei vier Tage gedauert hatte,Ivurde den Gefangenen eröffnet, die Direktion erkläre sich bereit,ihre Forderungen„zu prüfen und in kurzer Frist zu beantworten".Die K.ekjovde perjprach. daß nicmnud gemassregelt werden soll Ludalle auS der Haft entlassen werden, wenn sie den Betrieb auf»nehmen. Zur Bedingung wurde ihnen jedoch gestellt, daß sie umdie Befreiung bitten sollen. Die Angestellten antworteten:„Dawir nicht gebeten haben, daß man uns einkerkert, werden wir auchnicht um die Befreiung bitten." Man sah also davon ab undforderte nur die Unterschrift der Beamten, daß sie unter den Be-dingungen, die die Direktion anbietet, den Dienst aufnehmen,was denn auch geschah. So besteht wohl Hoffnung, daß dieser inseiner Art einzige Streik den Angestellten schließlich doch zu ihremRechte verhilft.Unseren Scharfmachern dürfte vielleicht da? Vorgehen derzarischen Behöroen den Weg zur Lösung der Arbeiterfrage nachihrem Sinne weisen: streikende Arbeiter werden zu Sklaven ge-macht, die die Arbeit unter dem Zwange der Bajonette verrichten.Das Ei des Kolumbus ist gefunden.Der Arbeiterschaft aber sollte das Vorgehen der bravenStraßenbahner in Warschau zum leuchtenden Beispiel werden.Sie haben gewußt, was ihnen bevorstand und haben trotzdem derUebermacht getrotzt. Man konnte sie ins Gefängnis werfen undsie zur Sklavenarbeit zwingen mit roher Gewalt, aber man könnteden Geist der Solidarität nicht brechen. Darin liegt die großeGewähr, daß eine solche Arbeiterschaft schließlich auch mit demzarischen Regime fertig wird.Finnland.Der Landtag aufgelöst.Helsingfors, 8. Oktober. Der Landtag ist aufgelöstworden. Die Neuwahlen sind auf den 2. Januar 1911neuen Stils, der Zusammentritt des neuen Landtages auf den1. Februar angesetzt._Weiter im Verfassungsbruch!Petersburg, 8. Oktober. Da der finnländische Land-tag die Beratung der Gesetzesvorlagen über die Gleichberechtigungaller russischen Untertanen in Finnland und über die Ablösungder Wehrpflicht der Finnländer durch Zahlung einer Summe andie Staatskasse abgelehnt hat, hat der Kaiser Befehl gegeben,auf Grund des am 30. Juli 1910 erlassenen Gesetzes für Finnlanddiese Vorlagen bei der Reichsduma einzubringen.Cürhd.Das Verhältnis zu Griechenland.Konstailtinopcl, 7. Oktober. Der griechische GesandteGryparis ist nach Athen berufen worden. Er versichert.die Berufung habe keine politische Bedeutung.Die hiesige Polizei hat vier Griechen verhaftet undzwei griechische Kaufleute aufgefordert. K o n st a n t i-nopel bis morgen zu verlassen, widrigenfalls sie aus-gewiesen würden._Zur Lage in Mazedonien.Saloniki, 3. Oktober. Es verlautet, angesichts der Bedrückungder christlichen Bevölkerung Mazedoniens habe der BandenchefApostol eine Verständigung zwecks Wiederaufnahme der revolutio-nären Bewegung in Mazedonien erzielt. Man werde zunächstwieder terroristische Attentate verüben.Unruhen au der türkisch-montenegrinischen GrenzeRom. 8. Oktober.(„Preß-Telegraph".) Der„Abanti"meldet Unruhen von der türkisch.-montenegrini-scheu Grenze. Aus Scutari sollen 200 Familien vordem Terrorismus der jungtürkischen Beamtengeflohen und die Ufer des Scutarisees entlang nach Monte-negro gewandert sein. Zwei Bataillone Infanterie habendie Wege und Pässe besetzt, um weitere Grcnzüberschreitungen zuverhindern.Soziales*Behördlicher TcrroriSmus gegen eine Krankenkasse.Herr USlar, Landrat des Kreises Apenrade, der seinerzeitauf Befehl Wilhelms II. fern in unserer afrikanischen KolonieSüdwest mit der Wünschelrute nach Wasser suchte, bemüht sichschon seit geraumer Zeit wieder in seinem Königreiche in derNordmark, Dänen und Sozialdemokraten zu vernichten. In diesemSommer glaubte er eine besonders siegreiche Bataille zu schlagen.Unser Genosse Nis Toft war zum Rendantrn der OrtskrankenkasseApenrade gewählt worden. NiS Toft wird aber von der Behördeals NichtPreuße angesehen, während er der Ansicht ist, daß er daSpreußische Staaisbürgerrecht besitzt. Der Lanbrat hatte kaum vonder Wahl unseres Genoffen zum Rendanten Kenntnis erhalten.so setzte er sich hin und fertigte eine Verfügung an die Kasse aus,das) sie einen anderen Rendantrn zu wählen habe. Für denWeigerungsfall drohte Herr Uslar eine Geldstrafe von 100 M.an. Als das nichts fruchtete, ließ er zwangsweise auf einem Zieh-wagen die Bücher und den Kassrnbestand der Kasse von demRendantrn NiS Toft wegschaffen. Er begründete sein Vorgehendamit, daß es ein bestehendes, wenn auch unbeschriebenes Gesetzsei, daß Nichtdeutsche keine Aeinter in einer Krankenkasse bekleidenkönnen. Die Ortskrankenkasse Apenrade klagte im Berwaltungs-streitverfahren gegen den Landrat. Der BczirksanSschuß inSchleswig gab der Kasse recht, hob die Verfügung des Landrats aufund verurteilte ihn, der Kasse die entstandenen Auslagen zu er-statte».Das Urteil des Bezirksausschusses ist jetzt den Parteien zugestelltworden. Es dürfte von allgemeinem Interesse sein, den wichtigstenTeil seines Inhalts zu veröffentlichen.Der Landrat schließe, so heißt es dem Sinne nach in derUrteilsbegründung, aus dem Umstände, daß die Beamten desReiches und des Staates deutsche Staatsbürger sein müssen, daßdas auch für die Beamten der Krankenkassen zutreffe. Diese Auf-fassung sei falsch. Das AufsichtSrecht des Landrats über die Kassengehe dahin, von der Kasse die Einhaltung der gesetzmäßigen undstatutarischen Bestinimungen zu verlangen. Weiter gehe daß Auf-fichtSrecht aber nicht. Eine Vorschrift, daß der Kassierer oderRendant einer Kasse deutscher Staatsbürger sein müsse, seinirgends zu finden, das ergebe sich vor allem auch nicht aus demKrankenverstcherungSgesetz. DaS gehe schon daraus hervor, daßnicht einmal von den Vorstandsmitgliedern— zu denen derRendant nicht ohne weiteres zu gehören brauche— die deutscheStaatsbürgerschaft verlangt werde. Die Vorstandsmitgliederwerden nach§ 1 des KrankenversicherungsgesctzeS aus den Mit-gliedern der Kasse gewählt; Mitglieder sind alle verfichcrungS-Pflichtigen Personen ohne Rücksicht a«f ihr Untertanenvcrhältnis.Daraus folgt, daß Vorstandsmitglieder einer Kasse auch Ausländersein können. Wenn daS aber für die Vorstandsmitglieder gilt,so auch für den Kassenführer oder Rendanten. Anders wäre esallerdings, wenn im Statut der Kasse eine Bestimmung enthaltensei, daß der Kassenführer deutscher Staatsbürger sein müsse. DaStreffe in diesem Falle nicht zu, deshalb sei das Vorgehen des Land-rats unberechtigt.Herr Uslar hat die Bataille verloren. So wenig wie daSWassersuchcn mit der Wünschelrute immer Erfolg bringt, bringtdas schneidige Vorgehen gegen Sozialdemokraten immer Ruhm.Wir hoffen jedoch nicht, daß der Landvat des Kreises Apenradcaus seinem Rcinfall eine Lehre ziehen wird.