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»Reue Wiener Journal" bereits als Verfasser genannt bat, dein Blatt, ohne das geringste Hinzutun in einerseits, über- mittelt worden. Ich habe davon erst gleichzeitig mit den anderen Lesern desN. W. I," Kenntnis erhalten und habe mich erst, als Herr» Bebels erste Erklärung erschienen war, zu dem mir von der Stedaktion als Verfasser genannten, nur bis dahin völlig unbekannten Herrn Sonntag begeben, um festzustellen, was er zu seiner Recht- fertigung zu erwidern habe. Seine Behauptungen habe ich dann, ohne mich mit ihnen irgendwie zu identifizieren, in meiner Er- klärung wiedergegeben. Das hielt ich, der ich als hiesiger Vertreter desNeuen W. Journ." bekannt bin, zur Wahrung des Ansehens meines Blattes und zum Schutze meiner eigenen journalistischen Vertrauenswürdigkeit für geboten. Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochachtung Berlin  , 11. Oktober 1910. Dr. Emil Frankfurter. Die Organisationen zum Parteitag. Der dritteHamburgerWahlkreis setzte am Montag- abend die Debatte über den Parteitagsberichl fort. Es sind mehrere Resolutionen eingelaufen, die sich in ihren Haupt- punkten mit den Beschlüssen des Parteitages einverstanden erklären; die eine Resolution spricht noch ihr Bedauern aus über die Haltung einiger Hamburger Delegierten zur Reso- lntion Zubeil, Genosse Vruhns stimmt dem Genossen Perner darin zu, das; es zweckmässig gewesen wäre, wenn die Hau, burger Arbeiterschafi mit der preußischen in den Kampf zur Erringung eines besseren Wahl- rechts eingetreten wäre, weil gerade in Hamburg  , dem Staat mit der fortgeschrittensten Arbeiterschaft, das Wahlrecht bundsmiserabel sei. In Zukunft dürfte auch Hamburg   nicht hinter Preußen zurückstehen. Die Budgetbewilligung in Baden sei eine Folge der Blockpolitik, die dazu beitrage, daß der Klassenkampf verwischt werde. Redner exem- plifiziert auf Frankreich  , wo durch eine Ucberschätzung des Parla- menlarismus, hervorgegangen aus der Blockpolitik, der Rückschlag Syndikalismus erfolgt iei. Redner verlangt die Hochhaltung der altbewährten Taktik, die unS vorwärts gebracht und groß gemacht habe. Wenn Winniger in der vorigen Versammlung meinte, wir lebten nun einmal im Klassenstaat und hätten ein gewisses Interesse an dessen Einrichtungen, gegen deren Verbesserung man unter Umständen in der Endabstimmnktg nicht votieren dürfe, so verniöge er diesem Gedankengange nicht zu folgen, die Grenzlinien dürften nicht über- schritten werden, fBeifall.) Fischer ist der Meinung, daß der Budgetfrage eine zu große Bedeutung beigemessen worden sei. Es gebe doch noch andere wichtige Fragen, die man nicht vernachlässigen dürfe, so die Genossenschastsfrage. Alle organisierten Arbeiter müßten den Genossenschaften zugeführt, diese mit dem Geiste des Sozialismus durchtränkt werden. Redner wünscht die Verschmelzung der beiden in Hamburg   bestehenden Genossenschaften. Ferner wünscht er die strikte Durchsührung des Leipziger Parteitagsbeschlusses hinsichtlich der Meiduug des Branntweingenusses. Rheder wundert sich, daß es Genossen gibt, die erklären, daß die Beschlüsse des Parteitages in bezug auf die Budgetbewilligung verfehlt seien. Mit Reformen im Sinne des Revisionismus würde man den Klassenstaat nicht beseitigen. Wie könne man die Budget- frage als eine Frage der Taktik behandeln, wo sie doch eine solche des Prinzips sei 1 Manchem journalistisch und parlamentarisch tätigen Genossen scheinen die Motten des Parlamentarismus ins Hirn gestiegen zu sein. sHeiterkeit.) Redner erörtert noch die Frage des Massenstreiks, der sich nicht von oben dekretieren lasse, sondern er müsse getragen werden von dem Willen der Massen. H e g e m a n n warnt davor, jede abweichende Meinung als Revisionismus  " abzustempeln. Mit der Ausbreitung der Partei wachse immer mehr die Möglichkeit, die Beschlüsse des Partei- tageS restlos zur Durchführung zu bringen, fAha I) Man sollte es daher den Genossen in de» betreffenden Ländern überlassen, über ihre Abgeordneten zu wachen. Eine Verbrüderung mit der Reaktion werde nie erfolgen. Stellen wir uns auf den Boden des Programms und behalten wir das Endziel im Auge, dann kann keine Versuinpfung oder Verflachung eintreten, fZuruse: Frankreich   I Italien I) Die Streitpunkte in der Budgetfrage müßten genau untersucht werden. Deshalb überhebe man sich nicht, sondern prüfe, bevor man entscheide. Die Diskussion über die Budgetfrage werde nicht aushören, auch die Hamburger Arbeiterschaft werde, wenn ihr das Feuer auf den Nägeln brenne, eine andere Stellung einnehmen.(Widerspruch.) Man solle nicht Miß- trauen, sondern Vertrauen zu den Führern haben, falls man nicht einmal bei einer Volksbewegung schlechte Erfahrungen machen wolle. Wollen wir keine Disziplinbrüche in der Partei haben, so müssen wir unS über die Wirkung der zu fassende» Be- schlüsse klar sein. Mit den Resolutionen könne er sich daher nicht einverstanden erklären. Heese konstatiert, daß der Alkoholgenutz im Gewerkschaftshause ab- und der Genuß alkoholfreier Getränke zugenomen habe. Redner poleniisiert gegen die Ausführungen Paepelows und WinnigerS in der vorigen Versammlung. Obwohl beide Genossen Anhänger der Budgetbewilliguug seien, hätten sie doch ganz verschieden argumentiert, ein Beweis dafür, daß auch die sogenannten Revisionisten sich nicht klar seien. Wenn denRadikalen" vorgeworfen werde, sie negierten nur, so sei das grundverkehrt. Aber bei der Frage der Budget- bewilligung handle es sich um eine reine Vertrauensfrage, ein solches Vertrauen stelle man dem Klassenstaate nicht aus. Paepclow bewege sich in Widersprüchen, wenn er sage, in Hamburg   bewillige er das Budget nicht, in Baden liege das anders. Das Hamburger Budget enthalte mehr Positionen kultureller Art als das Badener, also könnte man doch eher für jenes stimmen als für dieses, doch sei dies der sozialdemokratischen Fraktion einschließlich des Genossen Paepclow noch nie eingefallen, LandeSsache dürfe die Budgetbewilliguug nicht sein, wie auch seinerzeit die Beteiligung der preußischen Genossen an der Landtagswahl nicht diesen Genossen zur Entscheidung überlassen Worden sei. Genossin Steinbach: Wen» der Massenstreik zur Anwendung kommen soll, so muß er organisiert werden, von selbst komme er nicht aus den Massen heraus. Es gebe nicht allein Disziplinbrüche in der Budgetfrage, es gebe auch andere, die aber nicht so hoch angerechnet würden. In einer demokratischen Partei müsse man Kritik vertragen können. Wo steht im Parteiprogramm, daß ein Budget nicht bewilligt werden darf? In dieser Frage könne man zweierlei Meinung sein. Für die den Disziplinbruch der- urteilende Hamburger Resolution habe sie zivar gestimmt, aber das Magdeburger   Scherbengericht halte sie für verfehlt. Mit der Reso- lution Zubeil sei weder der Genosse Bebel noch der Genosse Dietz einverstanden gewesen, wie sie ebenfalls damit nicht einver- standen sei. Da noch viele Redner eingezeichnet sind, soll in einer dritten Versammlung die Fortsetzung der Debatte stattfinden. RrichStagSkiindidiitur. Eine am Sonntag, den 9. Oktober, in B u r g d a m m tagende außerordentliche Generalversammlung des sozialdemokratischen Kreis- Wahlvereins für den 18. hannoverschen Reichstags­wahlkreis(Stade  - Blumenthal  ) stellte den Genossen Jean R ei tze- Vegesack als Reichstagskandidaten auf. In mlscrem Nachruf für den verstorbenen Genossen Ries- Nürnberg hatte sich ein Fehler eingeschlichen. Genosse Ries hatte nicht hervorragenden Anteil an der Eroberung des Landtags� Wahlkreises Würzburg   der ist erst noch zu erobern sondern an der des Reichstags Wahlkreises Koburg, der von dem anstoßenden Bayern   aus intensiv bearbeitet wurde. Die Vorbereitungen zum italienischen Parteitag. Rom  , 9. Oktober. Die vorbereitenden Diskassioncn in den Sektionen schreiten unter lebhafter Beteiligung fort. In vielen Orten ist die intransigente Tagesordnung der römischen Sektion, die die Wahlbündnii se und Unterstützung eines Ministeriums ausschließt, angenommen worden, foinChioggia, Carpi, Venedig  , Siena  , Viterbo  , P i o in b i n o usw. Auf der anderen Seite stimmen viele große Städte, so namentlich Mailand  , Florenz   und Genua  , für die Tagesordnung T u r a t i, für die auch die ganze ProvinzReggio-Emilia, die über 3000 Mitglieder hat, stimmen wird. Interessant ist die Konfusion, die am Vorabend des Kongresses in bezug auf die Ziele des ReforniisniuS gemacht wird. So veröffentlicht derAvanti" unter dem Titel: Der Sieg der Reformisten die in Livorno   zur Annahme gelangte Tagesordnung, die dem Delegierten zur Pflicht niacht, für jede Resolution zu stimmendie der Partei ihre intransigent proletarische Eigenart sichert". Das einzig Reformistische an dieser Tagesordnung ist der Name des Delegierten, nämlich des Genossen Modigliani  . Im Grunde ist eben die Tagesordnung Tnrati selbst nicht reformistisch, insofern sie die Wahlbündnisse nur aus ganz außer- gewöhnliche Fälle beschränkt wissen will und ganz von der Teil- nahine an der Regierung schweigt. ES ist zweisellos, daß der wahre und echte Reformismus, wie ihn z. B. Genosse Bissolati immer ver- treten hat, auf dem Kongreß das Aschenbrödel spielen wird. Die große Mehrheit der Reforniisten, Turati an der Spitze, passen sich der neuen Strömung in der Partei an und vertreten intransigente Forderungen. Eigenartig ist es, daß die Wahl- b und nisse, also der Teil der reformistischen Taktik, der reichlich experimentell erprobt worden ist, fast gar keine Verteidiger mehr finden, während die Unier- stütznng eines Kabinetts, und sogar dessen systematische Unterstützung also eine Takiik, die nur ganz vorübergehend und in einer aus- nahmsweisen Situation angewendet worden ist sich noch einer relativen Beliebtheit erfreut. Die offiziellen Referenten über diesen Punkt, die Genossen Treves und Buist, werden diese Taktik ver« treten. Auch mehrere Sektionen, die Resolutionen gegen Wahl- bündnisse angenommen haben, sind pem Votum für ein Kabinett und sogar dem Vertrauensvotum nicht abgeneigt. nieder mit der Lerechtigßeit! Der Schmied Wedow stand aus Anlaß des kürzlich be- endeten Streikes der Schmiede bereits am 12. Sep- tember als Angeklagter vor dem Schöffengericht, weil er groben Unfug" dadurch verübt haben sollte, daß er Bravo I gerufen und in die Hände geklatscht habe, als ein Streikender dem ihn verfolgenden Schutzmann entkam. Das Gericht ver- tagte damals die Verhandlung, um den Polizeileut- nant K u p s ch als Zeugen zu hören, ob er die Akten gegen Wedow mit folgendem Empfehlungsbrief an das Polizei- Präsidium geschickt hätte:Bemerkt wird, daß Medow   zu den zur Zeit streikenden Schmieden gehört, die zu Hunderten die Werkstatt des Schmiedemeisters Pobb belagern und dem Ne- vier die größten Schwierigkeiten machen. Um strengste Be- strafung wird gebeten." In dem jetzt am Montag abgehaltenen Termine be- kannte sich der Polizeileutnant Kupsch als Unterzeichner dieser anregenden Aktennotiz. Er wußte sie nur damit zu erklären, daßseine Beamten" ihm Medow   besonders emp- fohlen hätten..Sachlich ging aber aus der Aussage des Zeu- gen Kupsch hervor, daß dieBelästigung oder Beunruhigung des Publikums" schon in der Zeit vorlag, als Angeklagter Bravo  ! rief, als« schon deshalb grober Unfug von ihm nicht verübt sein konnte. Mit vollem Recht durste der Angeklagte daher seine Freisprechung erwarten. Es kam aber anders. Der Amtsanwalt verlangte. dem Antrag nicht stattzugeben, sondern die Strafe von 30 M. auf 2 Woche» Hast zu erhöhen. Diesen eigenartigen Autrag begründete er mit einem Hinweis auf dieVorgänge in Moabit  ". Der Verteidiger. Rechtsanwalt Dr. Oskar Cohn widersprach der Heranziehung dieser, 3 Monate nach der angeblichen Straftat liegenden, Ereignisse und bemerkte unter anderem, daß er, wenn er sich überhaupt über das Strafmaß äußern solle, den Antrag des Amts- crnwalts unerhört hart und ungerecht nennen müsse. Er verlangte Freisprechung. Während der Aus- führungcn des Verteidigers hatte der Amtsanwalt durch wiederholtes Aufspringen vom Stuhle sein Mißfallen zu er- kennen gegeben. Kauni hatte der Verteidiger geendet, so be- hauptete der Amtsanwalt, der Verteidiger habe sich durch die Kritik der amtsanwaltlichen Darlegung einer Ungebühr schuldig gemacht. Er beantragte gegen ihn die h ö ch st e n a ch dem Gesetze zulässige Ordnungsstrafe. Bei der Begründung entschlüpfte ihm folgendes interessante Ge- ständnis: Es sei zu befürchten, daß die Staatsanwaltschaft auch in den nach denVorgängen in Moabit  " bevorstehenden Prozessen Angriffe zu erwarten haben würde, weshalb dem beizeiten vorzubeugen sei. Der Verteidiger erwiderte, daß er es für sein Recht und für seine Pflicht halte, die Anklage zu kritisieren. und in der Bezeichnung unerhört hart und ungerecht keinen Anlaß zu einer Beschwerde finde. Das Gericht unter Vorsitz des Amtsgerichtsrats Wag)ler, verkündete als Urteil, daß es in der Sache bei der polizeilichen Strafverfügung von 30 M. bleibe. Außerdem habe das Gericht beschlossen, dem Verteidiger 50 M. Ordnungsstrafe aufzulegen, weil seine Kritik der Anklage eine Ungebühr enthalte. Wenn man einen Richter, so meinte der Vorsitzende, einen ungerechten Richter nenne, so könne das nur bedeuten, daß er wissentlich das Recht beuge; also habe der Verteidiger auch dem Amtsanwalt vorwerfen wollen. daß er bewußt ungerecht sei. So geschehen im Rechtsstaat Preußen! DaS Urteil ist falsch und ungerecht. Denn es verurteilt einen schon aus Rechtsgründen Schuldlosen. Noch irriger steilich ist die von dem Vorsitzenden verkündete Ansicht, ungerecht könne nur bewußt ungerecht heißen. Eine große Anzahl von diesem Richter gefällter Urteile sind in der Berufungsinstanz aufgehoben zu ihnen gesellt sich voroussichilich auch das Urteil gegen den Schmied Wodow. Die Aufhebung ist erfolgt, weil die Urteile un- gerecht waren. Glaubt in der Tat der Amtsgerichtsrat, das Landgericht habe ihm in all jenen Fällen den Vorwurf gemacht, er habe bewußt ungerecht verurteilt? Roch weit ungerechter und unerhörter als daS Urteil ist die erkannte Ordnungsstrafe. Sie bedeutet geradezu eine Gefährdung, ja ein Verbot der Verteidigung gegen Unrecht. Recht und Pflicht des Verteidigers war es, die von dem Amtsanwalt leider nicht ganz ohne Erfolg gemachten Versuche, das Gericht vom Wege deS Rechts und der Gerechtigkeit abzudrängen, aufs schärfste zu be­kämpfen. Der Amtsanwalt verstieß gegen das Gesetz, als er die Borgänge in Moabit  " zur Begründung feines Antrages heran- zog. Denn diese stehen mit der Straftat in keinerlei Beziehung, haben sich erst nachher nach der angeblichen Straftat ereignet und waren nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Es wäre das Recht, also auch die Pflicht des Vorsitzen» den gewesen, diesen Hinweis als nicht zur Sache gehörig zurückzuweisen. In der StrafprozeßordnungS- kommifsion haben die Regierungsvertreter ihrer Ueberzeugung Ausdruck gegeben, daß entgegen der Ansicht der Sozialdemokraten derartige nicht zur Sache gehörige Dinge, die lediglich geeigne! sind, die Leidenschaft aufzupeitschen, stets von dem Vorsitzenden zurückgewiesen und Remedur gegen solche Uebcrgriffe geschaffen würde. Es ist unerhört und schlägt dem Rechtsbewußtsein geradezu ins Gesicht, daß ein Amtsanwalt auf Dinge, die ihm und den Gerichtspersonen lediglich in verzerrtester Gestalt durch Tataren» Nachrichten bürgerlicher Zeitungen bekannt geworden sind, in die Verhandlung hineinzuziehen. Wir bedauern, daß der Angeklagte, da der Richter gegen diese vom Wege des Rechts abdrängenden HiiNveise Remedur nicht schuf, nicht beantragte, den Amts- anwalt als Zeugen eidlich darüber zu vernehmen, daß er, der Angeklagte, mit den Moabiter Vorgängen nichts zu tun habe« daß ferner der Amtsanwalt über die Vorgänge in Moabit   nichts wisse, mit Ausnahme der Tatsache, daß die Polizei aus Ver- anlassung des Zechenmagnaten Stinnes in einen wirtschaftlichen Kamps eingegriffen hat. und daß eine Anzahl Polizei- beamte völlig schuldlose Leute ohne jede Veran- lassung lediglich auf Befehl eines schlecht ge- kleideten Zivilisten mit Waffen attackiert und schwere Verwundungen Schuldlosen zugefügt haben. Die Bemerkung des Amtsanwalts, die Ungebührstrafe sei erforderlich, um für die bevorstehenden Moabiter Prozesse An« griffen gegen die Staatsanwaltschaft vorzu- beugen, ist vielleicht das Ungeheuerlichste, das jemals seitens eines Vertreters der Staatsanwaltschaft vorgebracht ist. Selbst wenn seine Bemerkung nicht von dem bösen Gewissen der Staatsanwaltschaft zeugen sollte, so beweist sie klarer als irgendetwas, daß die vom Verteidiger geübte Kritik eine noch viel zu milde war, denn wenn jene Bemerkung überhaupt einen Sinn haben kann, so dürfte sie ebenso wie der Hinweis auf Moabit   nur den haben können, dem Gericht nahezulegen, nicht lediglichnachMatzgabederzurAnklageg« st eilten Tat, sondern mit Rücksicht darauf zu urteilen, daß es sich um einen Vorgang handelt, der aus Anlaß des Gebrauchs des Koalitionsrechts von Arbeitern entstanden ist. Kann zur Ungerechtigkeit, ja zur bewußten Ungerechtigkeit, stärker provoziert werden, als durch diesen Appell: ohne Rücksicht auf die Tat, lediglich nach Maßgabe der Klasse, der der Angeklagte angehört, zu urteilen? Der Amtsanwalt hat das Bewußtsein, daß er zu Ungerechtigkeit provoziert, nicht gehabt. Er wollte nicht absichtlich ungerecht sein. DaS mag alleS zugegeben werden. Das zeigt aber gerade, wie total fern der Amtsanwalt der Möglichkeit objektiven. ge rechten Urteilens stand. Und die Tatsache, daß solchem Sachverhalt gegenüber der Vorsitzende nicht gegen den Amtsanwalt sich wendete, sondern gegen den Verteidiger eine Ordnungsstrafe verhängte, beweist, daß auch das Gericht von einer dem Rechts- bewußtsein des Volkes völlig fremden Grundanschauung beherrscht war. Erklärlich ist das, wenn man erwägt, daß derselbe Amts- gerichtsrat, wie sich unsere Leser aus dem Gerichtsbericht in Nr. 228 desVorwärts" entsinnen werden, es war, der sich dazu hinreißen ließ, den Schmied Markgraf, den er freisprechen mußte, bei der Urteilsverkündung dadurch zu beschimpfen» daß er sein Verhalten als rüpelhaft und pöbelhaft Jjezeichnete. 'Einen solchen Richter als befangen aözulehnerr, wird man keinem Angeklagten verdenken können. Aufs entschiedenste aber müssen wir dagegen protestieren, daß die AmtSanwaltschaft glaubt, eine gerechte Kritik über falsches Vorgehen der Staatsanwaltschaft durch Drohungen unterbinden zu können. Hoffenttich wird dieser Vorgang bei der zweiten Beratung des GerichtSverfassungS- gesetzes nun endlich dazu führen, durch Gesetz Schutz gegen Ueber- griffe eines Amtsanwalts und eines GerichtSvorsihenden zu schaffen. Er zeigt, auf welchem Niedergang unsere Rechtspflege sich befindet._ Soziales* Organisation der Heimarbeiter. Der Internationale Heimarbeiterkongreß hat die von sozialdemokratischer Seite stets betonte Notwendigkeit einer Organisation der Heimarbeiter anerkannt. Bei der ent- sprechenden Resolution heißt es:Solange Heimarbeiter- organisationen fehlen, müssen die Organisationen der Fabrik- arbeiter aufklärend wirken und für die Jnteressm der Heim- arbeiter eintreten." An die Mitteilung von dieser Resolution anknüpfend, haben wir am 30. Sept. aufgefordert, energisch Sturm zu läu- ten, um alle häuslichen Lohnarbeiter in allen Gauen Deutsch- lands aus ihrer Gleichgültigkeit aufzurütteln. Nur von einer Organisation der Heimarbeiter ist eine Besserung zu erwarten. Diese Organisationsarbeit ist schwer, wird aber unablässig betrieben und muß weiter betrieben werden. Jeder Heim- arbeiter gehört in d i e Organisation, die seine Beschäftigung aufweist, dieser in die Gewerkschaft der Sckineider und Schneiderinnen, jener in die der Schuhmacher, ein dritter in die der Sattler und so fort; es gibt wenige Beschäftigungen, die nicht auch als Heimarbeit betrieben werden. Wenn wir in unserem Artikel vom 30. September von der Notwendig- keit einerGründung" einer gewerkschaftlichen Organisation sprachen, so ergibt der Zusammenhang, daß damit nicht, wie einige Leser anzunehmen scheinen, die Gründung einer neuen selbständigen, etwa alle Heimarbeiter umfassenden Organisation gemeint war. Eine solche Organisation wäre ja völlig unfähig, die wirtschaftlichen Interessen der für die verschiedenartigsten Betriebe tätigen Heimarbeiter wahr» zunehmen. Was wir betonen wollten und hiermit nochmals betonen möchten, war: es muß»nablössig Propaganda unter den Heimarbeitern betrieben werden, damit diese den Gewerk- schnften zngefübrt werden, die für die Art ihrer Beschäftigung bestehe». Fabrikarbeiter und Heimarbeiter in einer Or- ganisation. Nicht eine Nengründung, sondern eine Herein- ziehung der Heimarbeiter in die für Fabrikarbeiter bestehen- den Organisationen ist der Weg, der zur Hilfe unserer ver- sklavten Arbeitsbrüder und-schwestern führt. Diese Propa- ganda zu einer tatkräftigen zu gestalten, muß das unab» lässige Bemühen derjenigen sein, die mit noch der Gewerk- schaft ihrer Beschäftigungsart fernstehenden Heimarbeitern zusammenkommen._ Hus Induftrie und ftandet Rückgang deS Viehauftriebs. Während die Debatten über Ursachen und Folgen der Fleisch« teiierung noch andauern, macht sich schon wieder von neuem ein Rückgang des MehangeboteS bemerkbar. Nach der Statistik über den Marktverkehr mit Schlachtvieh an 40 deutschen Plätzen blieb die Menge deS im September d. I. aufgetriebenen Schlachtviehs nicht unmerklich hinter der vom September 1909 zurück. Rechnen wir die in die 40 Städte eingeführte Viebmenge in Fleiichgewicht um und bringen davon die Wiederausfuhr des nicht verkauften Viehes nach einem anderen dieser Marktorte in Abzug, so erhalten wir für die Menge deS verkauften Viehes eine Fleischmenge von 79 353 962 Kilo» gramm gegen 71 136624 Kilogramm im September 1S6S. ES ist