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Während in den«Inen Wahlkreisen viele Tausend Bürger der Minderheit ohne' j�de Vertretung sind, erhalten in den kleinen Kantonen schon Leute mit 700 und 900 Stimmen ein Nationalrats- Mandat. Unter diesen Umständen ist das gleiche Wahlrecht zu einer leeren Phrase geworden. Darunter leidet besonders die Arbeiter- schaft, die die stärkste Minderheit bildet. So wurden bei den letzten Nationalratswahlen im Herbst 1908 insgesamt 400 000 Stimmen abgegeben, wovon 300 000 bürgerliche lmschlicfiliche der der bürger­lichen Minderheitsparteien) und 100 000 sozialdemokratische. Ge- wählt wurden 100 Bürgerliche und 7 Sozialdemokraten. DaS heißt: auf 14 28b sozialdemokratische Stimmen kommt ein Vertreter im Nationalrat, auf 1875 bürgerliche ebenfalls, oder eine bürgerliche Stimme hat ebensoviel Wahlrecht wie 7 sozialdemokratische Stimmen. Es besteht also ein aufreizendes Mißverhältnis in den Wirkungen und Erfolgen des Wahlrechts der verschiedenen Klassen und Parteien. Listenwahl, Mehrheitssystem und WahlkreiLgeometrie zu sammen haben diesen Zustand der Ungleichheit geschaffen- In den Einerwahlkreisen, die in den meisten Ländern die Norm bilden, ist die Majoritätswahl selbstverständlich und dabei ist es der Ar- beiterschaft auch gelungen, sich eine mehr oder weniger befriedigende parlamentarische Vertretung zu erkämpfen. Dagegen bedeutet die Listenwahl ohne Proporz eine unerträgliche Vergewalligung großer Minderheiten und trifft vor allem die schweizerische Arbeiterklasse auf das empfindlichste. Würde die in der Theorie in der Bundesverfassung festgelegte Gleichberechtigung aller Schweizer Bürger auch in der Praxis Gel- tung haben, so würden die Arbeiter heute 40 Vertreter im National- rat haben, die Bürgerlichen aber nur 124. Sie hätten auch dann noch die große Mehrheit, um so mehr, als die Parteiunterschiede immer mehr verschwinden und die Bürgerlichen nachgerade in allen wichtigen, namentlich sozialen Fragen ohne Unterschied in der Parteirichtung einig sind. Die Vermehrung ihres politischen Ein- flusses ist aber für die Arbeiter um so dringender, da seit Jahren auf sozialpolitischem Gebiet völliger Stillstand besteht. Auf die Argumente der freisinnigen Gegner, mit denen sie den Proporz bekämpfen, einzugehen, das würde uns zu weit führen. Es ist ein öder, auf die Gedanken- und Urteilslosigkeit ihrer Anhänger berechneter Phrasenschwall voller Widersprüche, mit denen sie sich in gewohnter Abgebrauchtheit über die Tatsachen hinwegsetzen oder sie verdrehen, um den wahren Grund der Enrrechtung der Arbeiter zu verbergen. Für die freisinnige Partei ist eben die Proportionaltvahl keine Frage des Fortschritts, des Ausbaues der Demokratie, keine Idee der Gleichheit und Gerechtigkeit, sondern eine notfte Machtfrage, eine Klassenkampffrage, und ihr Kampf dagegen ein Kampf gegen die Sozialdemokratie. Trotzdem sind die Aussichten keine ungünstigen, günstiger als vor 10 Jahren. Im freisinnigen Parteiturm bröckelt es ab und die meisten freisinnigen Parteiführer sind Renegaten, die. als sie noch Ideale hatten, mit voller Ueberzeugung und Begeisterung für den Nationalratsproporz eintraten, heute aber als nackte Geldsacks- und kapitalistische Klassenpolitiker seine schärfsten Gegner sind. politische CleberficKt. Berlin , den 22. Oktober 1910. Klerikale Ministerhetze. Das Zentrum führt seit mehreren Wochen in Bayern einen erbitterten Kampf gegen den baiscrischen Berkehrs- minister v. Frauendorfer: einesteils deshalb, weil dieser in einem Teil der Zentrumsaristokratie und des höheren Klerus viele persönliche Feinde hat, emdernteils, weil er nicht, wie das Zentrum verlangt, den süddeutschen Eisenbahnerverband rücksichtslos zugunsten des ultramontanen bayerischen Eisen- bahnerverbandes bekämpft. Der bayerische Verkehrsminister wird deshalb der Sympathie mit der Sozialdemokratie be- schuldigt, und als ein furchtsamer, um seine Stellung bangen- der, unfähiger Beamter hingestellt. Da bislang diese Ver- suche der Ministerstürzerei nicht geglückt sind, scheint setzt das Zentrum schärfere Saiten auf seine Baßgeige spannen zu wollen. Am Mittwoch hat in München eine Zentrumsver­sammlung stattgefunden, in der der Zentrumsabgeordnete Redakteur Held aus Regensburg über das Thema: Rückblick und Ausblick in der bayerischen Politik" referierte. Redner verwies auf den Eisenbahner- streik in Frankreich und führte dann weiter aus. nach Ansicht des Zentrums müsse alles ferngehalten werden, was Vorgänge wie jetzt in Frankreich möglich mache. Man stehe unter dem Eindruck, daß das(Yesamtministerium und besonders das Ver- kehrSministerium nicht alles getan habe, was alle staaistreuen Bürger erwarten mußten. Eine solche Frage dürfe nicht voni Standpunkt der Popularität, sie müsse ausschließlich vom Standpunkt des StaatsiuteresseS und vom monarchi - schen Standpunkt aus behandelt werden. Darum könne es ntcht geduldet werden, daß Staats- beam'te und Staatsarbeiter einer sozial- demokratischen Organisation angehörten. Ebensowenig dürfe ein Schullehrer Mitglied der sozialdemo- kratischen Partei sein. DaS Zentrum stehe auf dem Stand- punkt, das Staatsinteresse verlange es. daß nur staats- treue und monarchisch gesinnte Arbeiter gestützt und gehoben w ü r d e n: nicht aber dürfe ein moderner" Minister Elementen, die auf den Umsturz hin- arbeiten, Vorschub leisten. Held versicherte, daß er trotz dieser Ausführungen kein Scharfmacher sei, er verlange kein Ausnahmegesetz für die Sozialdemokratie, er wolle auch keinen sozialdemokratischen Arbeiter in einen, privaten Betrieb seine Freiheit verkümmern, ettvaS anderes sei es aber bei einem Staatsarbeiter. Da müßten andere Wege eingeschlagen werden. Das Zen- trum lasse sich eine d e r a r t, g e St e II un g des Ministeriums einer Partei gegenüber, die die Monarchle stürzen wolle, nicht gefallen und sei nicht ge- willt. ein solches Ministerium weiter ge- währen zu lassen..« Wenn dieses Gerede mehr als eine bloße kindische Dro­hung bedeutet, dann beabsichtigt also das Zentrum, im nächsten Landtag dem Vcrkehrsmiiiister sein Gehalt zu streichen. Beim Kamps um wichtige Volksrechte hat sich das Zentrum bisher zu solcher Tat nicht aufzuschwingen vermocht. UebrigenS billigt Nicht das game bayerische Zentrum die Ministerhetze. Wie bei anderen Gelegenheiten stellt sich auch bei diesem Vorgehen die Heimsche Gruppe der Ortercr- Plästerschen Gruppe entgegen. DasBayerische Vaterland" sällt plötzlich der Orterer-Picklerschen Clicme in den Rücken und seierti den VerkehrZmiiiistcr v, Frauendorser als be� deutenden Staatsmann. Er nennt die Mache der Orterer und Konsorten eine Ministerstürzerei. die lediglich von einer gefoilfen aristokratisch-pfäffischen Clique aus persönlichen Gründen eingefädelt sei. Preustlschc Landräte als konservative Wahlagenten Der Reichstagsabgeordnete Gothein erzählt in derLiberalen Korresp." allerlei Erfahrungen aus seinem früheren Beamtenleben die gerade jetzt um so interesiauter sind, als sie die Ergebnisse ver schiedener Landratsprozesse der letzten Zeit bestätigen, daß die große Mehrzahl der preußischen Landräte und Regierungspräsidenten sich nicht nur als amtliche Vertrauensmänner der Großgrundbesitzer ihres Kreises und Wahlagenten der konservativen Partei betrachten, son- dern auch ihre Qualifikation an der höheren Stelle in Berlin danach eingeschätzt wird, wie weit es ihnen gelingt, sozialdemokratische und liberale Wahlen in ihrem VerwaltungSlreise zu verhindern. Abg. Gothein erzählt, daß ihm zu seinem Erstaunen, als er noch Assessor und Hilfsarbeiter des Bcrgrevierbeamten in Waldcn- bürg ivar, vom damaligen Oberberghouptmann Dr. Huysien das vielbegehrte Bergrevicr Magdeburg angeboten wurde, aber nur unter der Bedingung, daß er sich dort im konservativen Interesse parteipolitisch be tätigen sollte. Im Jahre 1886 äußerte sich bei einem zufälligen Zusammentreffen im Seebade Westerland der Veiter des Abg. Gothein, der damalige Oberpräfident v. Sleinmann, ihm gegenüber dahin, daß die Tätigkeit eines Oberpräsi» denten ebenso wie die des LandratS nach den Wahlen eingeschätzt werde, die sie zustande brächten, und daß es daher notwendig sei, auch in die Ehrenämter nur zuver- lässige Personen zu bringen. Im Reichstage hat vor ungefähr sechs Jahren ein hoher Beamter dem Abgeordnelen Gothein gesagt:Wie ist es möglich, bei uns liberal zu regieren? Seit 23 Jahren ist kein Landrat, kein RegierungSrat oder Regierungspräsident, kaum ein Oberpräsident, kein Amlsvor> steher, kaum ein Gemeindevorsteher in Ostelbien bestätigt worden. der nicht konservativ bis in die Knochen gewesen märe. Wir befinden uns in einem eisernen Netz kon« servativer Verwaltung und Selbstverwaltung. und es gehört eine ungewöhnlich starke staatSmäimische Kraß dazu, dieses Netz zu zerreißen, und sagen Sie selbst, wo wäre eine solche ungewöhnliche staatsmännische Kraft zu finden." Da der hohe Be- amte noch lebt, ist Abg. Gothein nicht in der Lage, seinen Namen zu nennen. Charakteristisch war, daß im Reichstag niemand cm der Wahrheti dieses Gespräches gezweifelt hat. Reichstagsvorlagen. Dem Reichstage wird, wie eine halboffiziöse Berliner Kor- respondenz meldet, bei seinem Wiederzusammentritt am 22. No- veinber nur das Schiffahrtsabgabengesetz vorgelegt werden, während der Etat mit der Militärvorlage erst zu Beginn de? Dezember, die elsaß - lothringische Verfassungsvorlage und die Vorlage über die Privaibeamtenversicherung ihm erst im Januar zugehen werden. Vom Frühjahre harren der Erledigung noch zehn Ent- würfe: das Arbcitskammergesetz, daS HausarbeitSgesetz, die Novelle zur Gewerbeordnung betreffs Lohnbücher, daS Reichs- bestellerungsgesey, die neue Strafprozeßordnung, die Novelle zum Strafgesetzbuch, die neue Fernsprechgebührenordnung, die Reichs- versicherungsordnung, das Zuwachssteuergesetz und der Entwurf zur Errichtung eines obersten KoloninlgerichtshofeS. Aus der katholischen Arbeiterbewegung. Nachdem die christliche GewerkschaftSpreffe erfahren hat. daß der Wind aus Rom wieder günstiger weht, beginnt sie sich ernstlich gegen die Angriffe und Verdächtigungen der K o p p i st e n" zu wehren. DasZcntralblatt der christ- lichen Getverkschaften" veröffentlicht einenSitz Berlins letzte Rettungsversuche" überschriebenen Artikel, in der es die Berliner katholische Fachabteilungsbewegung von oben herab wegen ihrer Erfolglosigkeit verhöhnt. Es be- rechnet die Mitglieder der katholischen Fachabteilungen auf nur rund 16 990, die Mitgliederzuuahme des Berliner Ver- bandes katholisckier Arbeitervereine auf ganze 89 999. gegen- über den 959 999 Mitgliedern, um die die dreiKonkurrenz- organisationen"(Volksverein für das katholische Deutschland , katholische Arbeitervereine West- und Süddeutschlands und christliche Gewerkschaften) im gleichen Zeitraum zugenoinmen haben, und zeigt schließlich, wie dürftig es mit den Kassen- Verhältnissen der bei Kardinal Kopp so beliebten katholischen Fachabteilungen, die im Jahre 1999 nur 199 999 M. Ver­mögen hatten, bestellt sei. Und doch hat, wie dasZentralblatt" schreibt, die Lei- tung des Sitzes Berlins (gemeint ist ist vor allem der Zen- trmnsabgeordnete Fleischer) mit den widerlichsten Mitteln gearbeitet, um die christlichen Gewerkschaften niederzuzwingen: Weiter hat derSitz Berlin " in Ermangelung anderer Mittel, die ihm aus seiner jammervollen Lage heraushelfen könnten, in den letzten Monaten geradezu mit verzweifelten Anstrengungen gearbeitet, um gegen die christlichen Gewerk- schaften Deutschlands ein kirchliches Machtwort zu pro- dozieren. Wie dabei zu Werke gegangen wurde, spottet jeder Beschreibung... Allein auch diese Bemühungen sindSitz Berlin ", wie nunmehr endgültig feststeht, vorbeigelungen." Das klerikale Geiverkschaftsblatt sollte nicht zu früh triumphieren. Ist es vorläufig auch den Günstlingen Kopps nicht gelungen, ein kirchliches Machtwort zu provozieren, dos den christlichen Gewerkschaften ihre Lebensbedingungen nimmt, so kann doch die Stimmung im Vatikan recht bald umschlagen, zumal der größte Teil des deutschen EpiskspatS aus feiten Kopps steht, wenn er auch vorläufig noch'aus politischen Gründen einen offenen Kampf gegen das christliche Gewerk- schastlertum scheut. Die Kronprinzenreise. Offiziös aber nicht amtlich wird mitgeteilt, daß di« allgemeinen Reiseaufwendungen des Kronprinzen für seine Reis« nach Indien aus der Zivilliste, die Aufwendungen für besondere Empfänge. die als Staatsakte zu betrachten seien, aus dem Dispositionsfonds des Auswärtigen Amte» bestritten werden. Das Auswärtige Amt will später dem Reichstag Rechnung legen über die Art der Ver- Wendung der Gelder.__ Städtische Lebensmittelsteuern im Zeichen der Fleischnot. Die Entscheidung de« Oberlandeßgerichts Colmar i. S. vom 14. d. M. in der Klagesache des Straßburger Wildbrethändlers Umsonst(nicht Ruprecht, wie der Druckfehlerteufel uns in Nr. 245 sagen ließ) gegen die Stadt Straßburg , beschäftigte am Mitt- woch den Straßburger Eemeiuderat und wird ihn, wie der Bürger- mcister ankündigte, noch weiter bsschqfligen Das Urteil des Ober- landeSgcrichteö. daS mit Berufung auf K 13 des Zolltarifgesetzes von 1902 die Weitercrhebung von Ottroi auf Wild und Ge- flügel fett 1. April 1910 für gesetzwidrig erklärt� hat nach Mit- teilung des Bürgermeisters Dr. Schwander für die Stadt Sttaßburg die fiiianziclle Folge, daß die städtischen Oktroi- e l n n a h m e n s i ch um rund 100 000 fPl. i m Jahre ver- mindern, was eine Erhöhung der direkten Steuern um 4 bis 5 ZuschlagSpsennige"(45 Proz. kommunale Zuschläge auf die Staatssteuern) benötigen würde. Die Stadt Straßburg kann, wie der Bürgermeister hinzusetzte, den Prozeß Umsonst nicht bis ans Reichsgericht weiterverfokgen, weil der Streitwert nur 600 M. be­trägt. Sie wird die somit rechtskräftig werdende Entscheidung des höchsten Gerichtshofes des Landes respektieren, indem sie Oktroi auf Wild und Geflügel nicht mehr mehr erhebt, aber sie läßt die Oktroibeträge der Geflügel- und Wildbrethändler notteren, um den ersten Fall, in welchem die Summe von 4000 M. erreicht wird, aufs neue gerichtlich austragen zu laffen und dann vor'S Reichsgericht zu bringen. Denn die Stadt Straßburg ist, wie der Bürgermeister ohne Widerspruch betonte, der Ueberzeugung, daß der Reichstag bei Annahme des§ 13 des Zoll- tarifgesetzeS nur die eigentlichen.Schlachttiere" vom Oktroi befreien wollte, nicht auch Wild und Geflügel, welchesLuxus- artikel" feien,kein Genußmittel für die breiten Massen." Dieser Standpunkt de? Bürgermeisters der Stadt Straßburg ist schon zu normalen Zeiten nicht haltbar, in dieser Zeit der Fleisch- t e u e r u n g ist er's noch weniger als sonst. Das Oktroi auf Wild und Geflügel ist in den elsässischen Stadien nach deutschen Begriffen ganz unglaublich hoch: es beträgt z. B. für zerstückeltes Wildbret aller Art 30 M. pro 100 Kilo oder 30 Pf. pro Kilo, für Haien 50 Pf. pro Stück, für Kaninchen und Wildenten 1b Pf., teilweise 2b Pf. pro Stück, für zahme Enten und Hühner 10 und 15 Pf. pro Stück, für gemästete Hühner 40 Pf. pro Stück, für gemästete Gänse ohne Leber 60 Pf., mit Leber 90 Pf. pro Siück usw. Das Oktroi beträgt als» hier vielfach 1V Proz. des Preises und mehr. Dabei ist bei den gegenwärtigen Preisverhälwisien beisptelS" weise das Gänsefleisch billiger als Kalb- und Schweinefleisch, wenn man das Oktroi abzieht, wodurch es in den oktroihabenden Städten unverhältnismäßig verteuert wird. Dann kommt doch auch die Einwirkung aus die allgemeinen Fleischpreise in Betracht, sobald in diesen Städten Hasen, Kaninchen, Hühner usw. frei von Oktroi auf den Markt gelangen. Wie kann noch im Ernst gesagt werden, Wild und Geflügel seienLuxusartikel", sie seienkein Gemißmittel für die breiten Massen", wenn die Maffen diese Artikel nach der Befreiung vom Oktroi zum Teil billiger erstehen können als anderes Fleisch? Freilich, wenn man sich auf den Standpunkt stellen will, daß der Fleischgenuß für die breiten Maffen sich zeitgemäß aus Hunde und Katzen oder auf das Fleisch verreckter Kühe reduzieren soll, so ist die Erklärung des Straßburger Bürgermeisters vor versammeltem Rate erllärlich. Ist daS soziale Verständnis der bürgerlichen Gemeindeverwaltungen in den beteiligten Städten bereits glücklich so weit?_ Auch ein Fortschrittler. Der fortschrittliche Professor E i ck h o s f, bis 1911 Abgeordne- ter des Reichstagswahlkreises Remscheid-Leimep-Meitmann hat dieser Tage in Remscheid eine Rede gehalten, worin er sich den Real- tionären, aus deren Stichwahlhilfe er bei den kommenden Wahlen hofft, in empfehlende Erinnerung bringt. DerFortschrittler" hat den Kaiser gegen die Kritik an der Königsberger Rede warm in Schutz genommen und sich als Schützer des ThroncS vor sozial­demokratischem Umsturz herausgestrichen. So sagte der Herr: Die Kritik an der Königsberger Kaise'rrede war von der Presse, nicht nur von der sozialdemokratischen Presse, so über- trieben wie nur möglich. Der Kaiser har nicht gesagt und nicht sagen wollen, daß er die Reichsverfassunz antasten wolle, die er volle 22 Jahre in Treue geHollen hat. Eine Heraus» forderung des Volkes liegt nicht in der Kaiierrede. Daß der Kaiser selber mit ollen seinen Worten und Handlungen nicht nur wie jeder ehrliche Mann seiner redlichen Ueberzeugung folgt, sondern daß er dabei auch dem Besten des Landes und des Volkes zu dienen glaubt, davon sind wir alle überzeugt, wir olle. die wir, trotzdem wir als freigesinnte Männer noch lange nicht jede seiner Aeußerungen zu billigen vermögen, dennoch allezeit treu zu Kaiser und Reich st ehe n. Ich möchte das am heutigen Abend hier mit vollem Nachdruck betonen, nachdem vor wenigen Tagen der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Lieb« knecht in New Dort sich nickt entblödet hat. zu sagen: die Kaiser - kröne würde bato weggeblasen sein wie die Krone von Portugal . M. H., wir werden die Kaiserkrone auch gegen Liebknecht und seine Genossen zu verteidigen wisse n."<Bravo !) Ein untadeliger Patriot, der Herr Professor Eickhoff. Daß er mit der Sozialdemolratie nicht« zu tun haben will, namentlich nach dem schrecklichen Magdeburger Parteitag, versteht sich danach von selbst, zumal er mit der bösen Sozialdemokratie um da« ReiwStags- maudat zu tämpsen hat. Und wenn eS ein Mandat zu retten gilt, dann läßt sich Herr Eickhoff an Kaisertreue von keinem blauschwarzen Revolutionär übertreffen. Nebenbei sei bemerkt, daß Genosse Liebknecht den ihm von Eickhoff unterschobenen Ausspruch ntcht getan hat. Wie wir aus den Berichten der New Borker Parteipresle ersehen, hat unser Genosie lediglich erklärt, daß die deutsche Kaiserkrone in Gefahr ge- raten könne, wenn der Königsberger Kurs weiter verfolgt werde. Die vielgerühmte preußische Sparsamkeit. .Die Regierungspresse bringt fast täglich Notizen, in denen ver- sichert wird, daß in Anbetracht der ungünstigen Finanzlage die Regierung bei der Etatsaufftellung mit peinlichster Sorgfalt versähtt und mit Argusaugen danach ausspäht, wo sich vielleicht bei den Ausgaben sparen ließe. Wie es um diese vielgerühmteSpar­samkeit" tatsächlich bestellt ist. zeigt folgendes interessante, von den Posener Neuesten Nachr." berichtetes Beispiel auS dem Nessort der Zollverwaltung: In der Nähe von Mikiiszewo, dem riesigen Tüterkomplex, den die AnsiedellmgSkommission dem Fürsten von Sachsen-Meiningen im Interesse de» Deutschtums abgekauft hat, in N e u d o r f am Berge(Krei, Wrelchen, Provinz Posen ), befand sich seit etwa 30 Jahre» ein Hauptzollamt. Drei geräumige Häuter nebst den dazu gehörigen Nebengebäuden gewährten einem Oberzollinspektor und seine» Beamten Amtszimmer und Dienstwohnungen. Da der Handelsverkehr mit Nußland auf der Warthe mit der Zeit gänzlich nachließ, wurde da» dortige Haupt- zollamt aufgehoben und nach Wresche» verlegt. Wahrscheinlich wären mit dem Oberzollinspektor zugleiär audj die anderen Zoll­beamten(ein Zolleiunehmer und drei Zollausseher) zurückgezogen worden, wenn dann nicht die sämtlichenDienst- gebäude leergestanden hätten Die Behörden ent- schlössen sich also, die genannten vier Beamte» an Ort und Stelle zu lassen, trotzdem sie nicht die geringste dienstliche Beschäftigung haben, und die Grenze selbst durch den Zollaufseher in dem unweit gelegenen Splawic gedeckt ist. Da« eine Hau« wird von den vier Zöllnern, das andere von einem Briefträger bewohnt, da» dritte dient zwei eigens dorthin versetzten Gendarmen und einem Betsaal zur Nuierklmst, in dem alle sechs WochenGottes« dienst st a t t f i n d e t. Die Bersetzung des Briefträger» ist nur »iue Frage der Zeit, da die zurzeit von dem Zvlleinuehmer verwaltete Postagemur infolge ihreS schwache» Geschäftsganges aukgehoben weiden soll, und auch der Betsaal wird sich in Kürze erübrigen, weil die AusiedelungSkommisston drei Güter i» per Nähe hat, die sie an evangelisch« Ansiedler austeilen wird, für die der Bau einer Kirche geplant ist- ES leuchtet also ein, daß wenn auch die Zollstellr ausgehoben wird, zwei Häuser mit Nebenaebäu- den frei werden. Trotzdem der vorgesetzten Behörde infolge ihrer Revisionen die Zwecklosigkeit von vier Zollbeamten in Nendorf am Berge durchaus nicht unbekannt ist und auch gelegentlich pcrsön- lich anerkannt wurde, hat sie sich nicht dazu entschließen können, diese anderweitig zu verwenden. Man kann eS verstehen, daß die Gebäude nicht verkauft werden sollen,