Wie Zeder schon durch einen flüchtigen Vergleich der Briefe deZ Amtsvorstehers mit der Handschrift auf der Karte feststellen kann, ist diese Karte vom Amtsvorsteher Scheschonka auS Laukischken geschrieben. Der Besitzer hat nur seinen Namen darunter gekritzelt. ".* Mit welchem Hochdruck die konservative Parteileitung im Kreise Labiau-Wehlau für die Ersatzwahl arbeitet, die nunmehr auf den 2. Dezember anberaumt worden ist, zeigt ein vom Bund der Land- wirte erlasiencr Aufruf an seine Mitglieder. Es heißt in diesem Schriftstück: „Für die konservative Partei und Bund der Landwirte viel- leicht die schwerwiegendste Wahl, welche im Osten ausgefochten wird. Ist es doch Ehrenpflicht beider, für Ostpreußen die Scharte Oletzko-Lyck wieder auszuwetzen. Das muß unter allen Umständen durch einen glänzenden Wahlsieg unseres Kandidaten Burchard im ersten Wahlgang erreicht werden. Wir wollen und müssen den Beweis liefern, daß der demokratische Zug unserer Zeit an dem bewährten königstreuen und patriotischen Sinn der Ost- Preußen zerschellen soll. Es gilt ein Wahrzeichen aufzurichten, das diesen Gegnern mit weithin leuchtender Flammenschrift entgegen- ruft:„Bis hierher und nicht weiter." Der Ausfall dieser Wahl ist für die konservative Partei— nicht nur Ostpreußens — nein: Preußens und ganz Deutschlands von ausschlaggebender Be- deutung. Ihr für uns glücklicher Ausgang wird alle verzagten Gemüter wieder aufrichten und aller derer Herzen mit neuer Hoff- nung erfüllen, welche mit tiefem Schmerz auf die zügellos dcmo- kratische Entwickelung der letzten Jahre blicken." „Zuverlässige" Richter für Moabit . In Sachen der Moabiter Vorgänge hat eine Konferenz der Strafkammervorsitzenden dem Antrage der Staats- anwaltschaft zugestimmt. Es wird danach die Haupt- Verhandlung vor der dritten Strafkammer des Landgerichts l unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors Lieber stattfinden. Die erste Verhandlung findet schon am 9. November statt. Gegen die des Landfriedensbruchs angeklagten Personen findet Termin am 17. November vor dem Schwurgericht des Land- gerichts l unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors C rüg er statt. Fischer, Kopp und der Vatikan . Unter dieser Ueberschrift veröffentlicht unser Kölner Partei- blatt, die„Rhein . Ztg.", einige kleine interessante Enthüllungen über den Brief des Kardinals Kopp an Fräulein v. Schalscha: „Der alarmierende Brief Kardmal Kopps ist der„Kölnischen Volkszeitung" schon lange bekannt gewesen, bevor die liberale Presse von seiner Existenz zu berichten wußte. Aber sie hielt es für geraten, nach außen die Unwissende zu spielen. Der geistliche Redakteur Kirsch ist mit dem Briefe zu Fischer in daS Dekanat Heinsberg gereist, um die Eminenz von der fieundschastlichen Gesinnung des Breslauer Kirchen- fürsten zu überzeugen. Die Behauptung von der Verseuchung des Westens war noch nicht das stärkste, was der Brief enthielt— die hektographierten Abschristen sind nur Auszüge—, sondern Kardinal Kopp schreibt unter anderm auch, daß auch Rom dem Westen nicht mehr traue. Er habe von Rom aus den Auftrag er- halte«, nach Köln zu gehen zum Eucharistischen Kongresse, und zwar um der dort stattfindenden Bischofs- konferenz zu präsidieren. Auf seine Entschuldigung mit seiner kurz überstandenen Krankheit sei ihm von Rom die Antwort geworden, er müsse unter allen Umständen hin und wenn er sich tragen lasse, denn„dem Kardinal Fischer könne man nicht trauen". So wörtlich Kardinal Kopp. Uebrigens hat Kardinal Kopp in letzter Zeit einen anderen Brief gleichen Inhalts an den Präses der Jugendvereine Deutschlands Pfarrer Dr. Dranrmer in Aachen gerichtet. Der Brief enthielt mißbilligende Bemerkungen über Drammers„Faktotum", den Generalsekretär Mostert in Düsseldorf . Kaplan Mostert ging mit dem Briefe zu Kardinal Fischer und erhielt den Auftrag, dem Kardinal Kopp brieflich mitzuteilen, daß er sich eine Ein« Mischung inseine soz ia lp o liti sch e Tätig keit v er- bitte... Man sieht an diesen Beispielen, wie eS um den„Frieden" der Eminenzen bestellt ist. Der schroffe Gegensatz und die gegen- seitige persönliche Abneigung sind nach wie vor vorhanden und werden durch ölige Beschwichtigungsreden nicht aus der Welt geschafft."_ Konservative Opposition gegen die Januschanerei. Die politischen Hanswurstiaden des Herrn Kurt, Maria, Fürchte- aott, Elard v. Oldenburg auf Januschau werden selbst den kon- servativen Wählern im Kreise Elbing-Marienburg zu bunt. Der Hauptverein der Konservativen in Berlin hatte beim Konservativen Verein in E l b i n g angefragt, ob er nicht eine Aussprache der städtischen Wähler mit Herrn v. Oldenburg herbeiführen wolle. Der Verein lehnte es ab und begründete daS, wie folgt: „Der Verein hat von vornherein kein Hehl daraus gemacht, daß er in dem Auftreten des Bundes der Landwirte mit seinem rücksichtslos eigennützigen demagogischen Charakter eine Gefahr für die konservative Partei erblickt. Was wir befürchtet haben, hat sich leider erfüllt. Den Anschluß an die neukonservative Richtung, die ihre einzige Aufgabe darin erblickt, dem Bunde der Landwirte dien st bar zu sein, lehnt der konservative Verein zu Elbing ab. Er lehnt es deshalb auch ab, in der Wahlagitation für einen Kandidaten tätig zu fein, der dem Bunde der Landwirte an« gehört. Er hält es vielmehr für seine Pflicht, einen Kandidaten dieses Bundes, der als Mitglieder Angehörige aller Parteien auf- nimmt, um der konservativen Grundsätze willen und im Interesse des inneren Friedens zu bekämpfen. Der Konservative Verein wirkt deshalb mit an der Sammlung aller national ge- sinnten Elemente im Wahlkreise zum Kampfe gegen daS Demagogentum deö Bundes der Landwirte und der Sozialdemokratie. Die„Deutsche Tageszeitung" meint dazu, daß der konservative Hauptverein aus diesem Verhalten der Elbinger Konservativen die nötigen Konsequenzen zu ziehen habe. Preusien im Zeichen des Verkehrs. Mit der preußischen E i se n b a h n v e r w alt un g wurde in der letzten Stadtverordneten-Sitzung in Höh scheid bei Solingen , wo unsere Genossen bekanntlich die Mehrheit haben, scharf ins Gericht gegangen. Dem Vorgehen schlössen sich aber auch sämtliche bürgerliche Stadtverordnete ein- Nlütig an. Dem Vorgang lag nachstellender Sachverhalt zugrunde: Im Jahre IbSS wurde der auf Höhscheider Gemeindcgebiet liegende Haltepunkt Landwehr an der Eisenbahnstrecke Elber« feld-OHHgS-Köln eingerichtet. Die blutarme Gemeinde, in der zum größten Tetl Arbeiter wohnen, mußte das Gelände dafür unentgeltlich hergeben, über 6000 M. Kosten dem Fiskus zahlen und außerdem die Verpflichtung übernehmen, auf eigene Kosten einen Warteraum und einen Fahrkartenverkäufer zu stellen. Bei der' Eröffnung der Haltestelle hielten täglich je vier Züge beider Richtungen in Landwehr; der Fahrkartenvcrkauf war in- folgedessen damals noch nicht besonders umfangreich, und es fand sich daher auch ein Wirt in nächster Nähe des Haltepunktes, der den Kartellverkauf unentgeltlich übernahm. Inzwischen haben sich die Verhältnisse bedeutend geändert.; heute halten in beiden Richtungen der Bahnstrecke am Haltepunkt Landwehr schon zwölf Züge, der Fahrkartenvcrkauf beginnt schon vor ö Uhr morgens und dauert bis nach 1 Uhr nachts und hat infolge der lebhaften Eni- Wickelung der beiden Gemeindebezirke Höhscheid und Richrath, die auf den Haltepunkt angewiesen sind, einen solchen Umfang erreicht, daß jährlich für mehr als 30 000 M. Fahrkarten verkauft werden, und zwar fast ausschließlich Karten mit sehr niedrigem Fahrpreis. Unter diesen Umständen will kein Wirt den Fahrkartenverkauf mehr unentgeltlich besorgen; sie verlangen 3 Proz. des Umsatzes als Entschädigung; die Eisenbahnverwaltung Elberfeld besteht aber auf ihrem Schein und lehnt auch die geringste Entschädigung ab; sie fordert vielmehr nach lvie vor, daß die Gemeinde, die boch gewiß als Arbeits- und Arbeitergemeinde genügend Lasten zu tragen hat, ihr das„Bahnhofs- gebäude" mit dem„Vorsteher", dem Fahrkartenverkäufer, stellt. In der Stadtverordneten-Sitzung wurde an diesem Verhalten der Eisenbahnverwaltung scharfe Kritik geübt und ein Ausschuß gewählt, der dem Landtagsabgeordneten des Bezirks die Sache unterbreiten soll, damit sie im Landtage zur Sprache gebracht wird. Der jetzige Fahrkartenverkäufer will am 15. Januar seine Tätig- keit einstellen. Der Gemeinde Höhscheid bleibt deshalb vorläufig nichts anderes übrig, als den Fahrkartenverkäufer aus Gemeinde- Mitteln zu entschädigen._ Polen -Enteignung. Wie den„Elbinger Neuesten Nachrichten" gemeldet wird, ist dem Staatsministerium der fertig ausgearbeitete Autrag der Ansiedelungs- kommission auf Enteignung von siebzehn polnischen Gütern zugegangen_ Ziillichau-Krossen. Die Landratspresse des Kreises teilt mit: In der verflossenen Woche haben in unserem Wahlkreis die konservativen Wahlvereine Vertrauensmänner-Versammlungen abgehalten, in denen eiiistiminig der Sekretär der Handwerkskammer zu Hannover , Dr. Wienbcck, als Kandidat der rechtsstehenden Parteien für die ReichStagSwahl 1911 aufgestellt wurde. Dr. Wienbeck erklärte, der Reichspartei im Falle der Wahl beitreten zu wollen. Im übrigen trat er ein für Schutz- Zollpolitik und für Förderung des Mittelstandes. In den Versamm- lungen wurde zum Ausdruck gebracht, daß auch diesmal, wie bei den letzte» Wahlen, die nationalliberale Partei sich der Kandidatur anschließen möchte. Vertreten wurde der Kreis seit 1903 durch den Bürgermeister Schlüter-Sommerfeld Meichspartei). Schon im Vorjahre brachten wir die Mitteilung, daß Herr Schlüter sein Mandat niederlegen werde. Die Angst vor der roten Flut aber war. anscheinend der Grund, daß die Volksausbeuter es zu einer Nachwahl nicht kommen ließen._ franhrcicb. Der Freibrief der Gesetzlosigkeit. Paris , 39. Oktober. (Eig. Ber.) Wäre gestern abend nach Briands herausfordernder Erklärung die Abstimmung über die zur Streikpolitik der Regierung vorgelegten Tages- ordnungen vorgenommen worden, so wäre das Ministerium wahrscheinlich unterlegen. Noch niemals ist das Parlament der dritten Republik vor ein so offenes Bekennwis der Dikta- wr gestellt worden. In einem Augenblick schienen die Gegen- sätze der Linksparteien, ja die der Klassen selbst aufgehoben und die ideelle Solidarität hergestellt, die gemeinsam durch- gekämpfte Revolutionen erzeugen. Es war eine Szene von unerhörter dramatischer Gewalt, als zweihundert Republikaner mit ausgestrecktem Arm Genugtuung für das beleidigte Gesetz forderten und- seinem Verhöhner zuriefen, das von ihm cnt- würdigte Amt zu verlassen. Im tosenden Sturm der Em- pörung schien das Briandsche Piratenschiff verloren. Heute schwimmt es wieder in ruhigeren Gewässern. Aber es ist doch ein verlorenes Wrack. „Aber ich will Ihnen jetzt einen Satz sagen, der Sie emporfahren lassen wird. Wenn ich nicht die notwendigen Waffen gehabt hätte, uin die Sicherheit der Ordnung und der Landcsgrenzen aufrechtzuerhalten, wenn es nötig gewesen wäre, zur Illegalität zu greifen, ich hätte nicht gezögert..." Mit diesen Worten hat Briand das Ungewitter entfesselt. Nach einer halben Sekunde allgemeiner Verblüffung loderte auf der Linken die Entrüstung empor, während die Rechte und das Zentriun dem regierenden Staatsmann der radikalen Republik Beifall klatschten. Und dem vorstürzenden Genossen Colly, der den Herausforderer von der Tribüne zu verjagen suchte, stellte sich eine Schutzgarde von Monarchisten und Nationalisten entgegen. Fast eine volle Stunde dauerte da's wilde Brausen. Briand blieb aber auf der Tribüne und versuchte sich wenigstens den Stenographen verständlich zu machen. In den Morgenblättcrn bekam man eine offizielle Version seiner weiteren Rede zu lesen. Sie versucht, die Trag- iveite jenes Satzes abzuschwächen und eben diesem Zweck galt auch Briands heutige Rede in der Kammer. Das Parlament hat sie akzeptiert und damit eigentlich erst der ganzen Diskussion über den Streik ihre eigentliche Bedeutung wiedergegeben, die ihr durch die plötzliche Auf- rollung des„Falles Briand" verloren gegangen wäre. Eine Woche lang hat in der Kammer die Vertretung der französi- scheu Arbeiterklasse der geeinigten Bourgeoisie gegemiberge- standen, die bereit war, alle von der Regienmg zur Niederwerfung des Eisenbahnerstreiks verübten Willkürakte zu billigen. Noch Jaurds glänzende gestrige Rede galt vor allem der Feststellung dieser Rechtsbrüche. Wenn nun die Radikalen gestern auf einmal entrüstet waren, weil Briand erklärte, daß er unter Umständen zum Rechtsbruch bereit sei, so war ihre Entrüstung gleichwohl nicht Heuchelei. Der Glauben an die Rechtsgaranüen des bürgerlichen Staates ist eine für die vom Kapital ausgeplünderten kleinbürgerlichen und bürgerlichen Massen notwendige Illusion. Der Vulgärdemokrat, der ihr politisches Denken repräsentiert, setzt voraus, daß nicht nur der Bedrückte im demokratischen Staatswesen sein Recht finden kann und darum nicht autorisiert ist, sich vom Himmel die ewigen Rechte herunterzuholen und nach dem Schwert zu greifen, sondern auch der Regierende die Legalität unbedingt einhält. Darum haben auch heute rund hundert Radikale für die einfache Tagesordnung gesfimmt. Briand mag ja historisch- philosophisch tausendmal recht haben, wenn er behauptet, daß die Verteidigung der„nationalen", d. h. der Kapitalsinter- essen an der Legalität nicht Halt macht, aber das ist eine Wahr- heit, von der sich die bürgerliche Demokratie nicht Recfyenschäst geben kann, ohne an sich selbst zu verzweifeln. Aber freilich, in Briands Erklärung steckte doch noch etwas anderes, als der theoretische Ausspruch, daß in letzter Linie immer die Machtverhältnisse und nicht die gesetzlichen Formeln in der Politik wirksam sind. Was Briand wollte, war ein offener, unzweideutiger Appell an die Rechtsparteien. Der Gedanke war nicht so unklug und unüberlegt, wie es den An- schein hat. Briand hat nämlich richtig herausgefühlt, daß ihm die Diskussion der letzten Woche auch bei den radikalen Repu- blikanern einen schweren Schaden getan hat. Sie hat sein moralisches Ansehen vollständig vernichtet und gerade in der kleinbürgerlichen Demokratie, spielen moralische Werte immer eine gewisse Rolle. Anders in der Großbourgeoisie, die den Amoralismus der Marktwertung auch in das politische Leben überträgt und bei der feudalen Reaktion. In dem reaktionären „Gil BlaZ" hat man dieser Tage die cymsche Bemerkung über Briands Vergangenheit lesen können, es komme nicht darauf an, ob die Rampe schön geivesen sei, die Hauptsache bleibe doch der Schmetterling. Und das Blatt, das Briand mit den lautesten Jubelrufen als den Besieger der Revolution feiert, ist der nationalistische„Eclair". Briand gibt sich keiner Täuschung darüber hin, daß er auch von der republikanischen Bourgeoisie für die Zukunft nichts zu hoffen hat. Sie hat während des Streiks ihre Geschäfte gern von ihm besorgen lassen, aber auf die Dauer ist er ihr doch zu kompromittierend und zu unzuverlässig. So lag der Gedanke nahe, durch ein demonstratives Bekenntins zu beweisen, wie nahe er der Ge- dankenwelt der reaktionären Parteien steht. Dabei mögen auch persönliche Einflüsse mitgespielt haben. Jauräs spielt heute in der„Humanits" darauf an, indem er vom„dicken Weihrauch einer blödsinnig und greise gewordenen Aristo- kratie" spricht, die„an F o u ch 6" glaubt. Es ist bekannt, daß Briand im Salon gewisser feudaler LebeJmmen als pikantestes Dessert aufgetragen wird. Das mag dem Parvenü, der ehe- dem in den unsicheren Verhältnissen der Bohäme lebte, den Kopf verdreht haben. Damit soll nicht behauptet werden, daß Briand wirklich schon, wie der combistische„Rappel" glauben machen möchte, mit Staatsstreichplänen gespielt habe. Zum Bonaparte gehört doch etwas mehr als eine babouvistische Vergangenheit und zu einem 18. Brumaire eine andere Situation, als eine von der offiziösen Presse und der Polizei fabrizierte, aber vom Publikum nicht ernst genommene Ver- ängstigung. Darüber täuscht sich auch Briand schwerlich. Aber die Flucht zu den Reaktionären ist eben seine letzte Zuflucht. Briands Fall ist durch die heutige Sitzung aufgeschoben worden, er ist aber gleichwohl besiegelt. Die Entfernung dieses bei all seiner virtuosen Geschicklichkeit im Grunde un- bedeutenden Ehrgeizlings wird für das französische öffent- liche Leben sicher eine Reinigung bedeuten, den großen Kampf der Klassen wird sie nicht beeinflussen. Schon heute trat er wieder klar in Erscheinung, als Jules G u e s d e s Antrag auf Anklagcerhebung gegen Briand zur Abstimmung kam. Hier kam die Unterdrückungspolitik, die begangen, nicht die in Zukunft möglichen Gesetzesbrüche in Frage. Und siehe,: die Tagesordnung erhielt 75 Stimmen genau die der ge- einigten Sozialisten. _ Das Vertrauensvotum für Briand . Paris , 30. Oktober, nachmittags. Die Sitzung der D e p u- tiertenkammer wurde in Gegenwart sämtlicher Minister und bei überfüllten Tribünen eröffnet. Kammerpräsident B r i s s o n verlas mehrere Tagesordnungen� diejenige, welche Raynaud im Namen der demokratischen Lmkev einbrachte und welche der Regierung das Vertrauen ausspricht, fand besonderen Beifall. Landry(unabhängiger Soziali st) billigte(I) die gestri- gen Worte Briands. Mini st erPräsident Briand betonte, der Lärm habe ihn gestern gehindert, seine Gedanken vollständig zur Kenntnis zu bringen. Er habe gesagt: ES gibt ernste Stunden, in welchen die Regierung zu Ausnahmemaßregeln Zu- flucht nehmen muß, er habe indes hinzugefügt, er sei immer glück- lich gewesen, sich auf dem Boden der Gesetzlichkeit bewegen zu können.(Widerspruch auf der äußersten Linken, Beifall auf den anderen Bänken.) Dann fuhr der Ministerpräsident fort: Heute, nachdem ich ernsten Ereignissen gegenübergestanden, die ich nicht voraussehen konnte und angesichts deren die Regierung nicht auf- gehört hat, ihren Willen zur Gerechtigkeit für alle zu bekunden ohne gewaltsame Unterdrückung mit Mäßigung und Zurückhaltung, trete ich. nachdem die Ordnung auf der Straße wiederhergestellt, vor Sie, ohne die Grenze der Gesetzlichkeit überschritten zu haben, ohne einen Tropfen Blut an den Händen und bitte Sie um das- selbe Vertrauen. Verweigern Sie es, so wird der„Diktator" sich beugen, wollen Sie ihn aber stürzen, so tuen Sie es am hellen Tage!(Beifall.) Briand schloß: Die Regierung kann dieses Haus nicht verlassen mit einem zweideutigen Vertrauensvotum, das ihr nicht gestatten würde, gewissen Ereignissen die Stirn zu bieten. Sie sagen, die Regierung sei reaktionär; gut, Sie haben sie in der Hand, zerbrechen Sie siel Aber ich bitte Sie, es am hellen Tage und nicht im Finstern zu tun!(Alle Minister beglückwünschen Briand und nehmen dann ihre Sitze auf der Ministerbank wieder ein.— Wiederholter, lebhafter Beifall im Zentrum und bei einem Teil der Linken.) C r u p p i erklärte, er habe gestern gegen die Worte Briands protestiert, weil er sie dahin verstanden habe, daß die Regierung sich über die Majorität hinwegsetzen wolle. Wenn Sie, fuhr Cruppi fort, Diktator sein wollen, dann haben Sie den Mut, es bis ans Ende zu sein! Wenn Sie aber unter den Re- publikanern Beruhigung wollen, so verzichten Sie auf Ihr Amt! Er, Cruppi. billige jedoch die von der Regierung getroffenen Maß- nahmen und ziehe seine tadelnde Tagesordnung zurück. Hierauf wurde die von der Regierung bekämpfte ein- fache Tagesordnung mit 384(jegen 155 Stimmen abgelehnt. G u e s d e(geeinigter Sozialist) forderte sodann die Kammer auf, daS Werk heilsamer Gerechtigkeit zu vollenden und den Ministerpräsidenten in den Anklagezustand zu versetzen. Seine in diesem Sinne gehaltene Tagesordnung wurde mit 503 gegen 75 Stimmen abgelehnt. Hierauf bat Briand , über die Tagesordnung Raynaud abzustimmen und stellte die Ver- trauensfrage hinsichtlich ihrer Priorität. Die Priorität wurde hierauf mit 346 gegen 183 Stimmen angenommen. Der erste Teil dieser Tagesordnung, welcher die Sabotage, die Gewalttätig- ketten und den AntiPatriotismus verurteilt, wurde mit 521 gegen eine Stimme, der zweite Teil, welcher die Mahnahmen der Re- gierung billigt, mit 415 gegen 116 Stimmen angenommen. Der dritte und letzte Teil, welcher der Regierung das Vertrauen ausdrückt, daß sie nach Recht und Gesetz die legitimen Interessen der Beamten und Arbeiter der Eisenbahnen, sowie die Freiheiten der Republik und die vitalen Interessen oeS Landes schützen werde. und welcher weiter jeden Zusatz ablehnt, wird mit 329 gegen 183 Stimmen angenommen. Schließlich wurde die ge- samte Tagesordnung Raynaud mit 388 gegen 94 Stimmen angc- nommen und die Sitzung geschlossen. Nächste Sitzung Donnerstag. Die reaktionäre Masse. Paris , 31. Oktober. Die Mehrheit, die für den dritten Teil der Tagesordnung, in dem der Regierung das Vertrauen ausgesprochen wird, gestimmt hat, setzte sich zusammen aus 26 Mit- gliedern der Action Liberale Catholique, 3 Mitgliedern der Rechten, 15 Unabhängigen, 71 Progressisten, 71 Mitgliedern der demokra- tischen Linken, 79 Radikalen, 53 Sozialistisch-Radikalen, 8 nicht geeinigten Soziali st en, 2 Deputierten, die keiner Gruppe angehören, Briand und Millerand. Für die Eisenbahner. Paris , 31. Oktober. Der nationale Rat der geeinigten Sozialistenpartei hat in einer gestern abend abgehaltenen Versammlung beschlossen, durch Anschläge und Veröffent- lichungcn Anklage gegen das Ministerium zu erheben und am nächsten Sonnabend in den Großstädten eine große Kund- gebung zugunsten der Eisenbahner zu veranstalten. Lkw». Für die Verfassung. Peking , 31. Oktober. In der heutigen Sitzung des Reichsausschusses erklärte Prinz Su. die gesamte Nation stimme darin überein, daß eine baldige Ein- berufung des Parlaments not>v endig sei. Diese Erklärung wurde von langandauerndem Beifall begrüßt, da man sie als den Altsdruck der Zustimmung der Regierung ansah.
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