Nr. 257. 27. Jahrgang.1. KÄU des, Jonsirts" Krlim PcksMMlttlvoch, 2. November 1910.krozeli ßrohn und Genoffen.Ob der ReichStaIZnbgeordnete Bruhn wegen Erpressung der-mtcilt werden wird, interessiert nach dem Lauf der Verhandlungenweit weniger als: weshalb er nicht verurteilt werden wird. Nachder Rechtsprechung begeht eine Erpressung: wer um sich einen ver-mögenSvorteil, auf den er keinen Anspruch hat(also z. V. Inserate)zu verschaffen, einen anderen durch Drohung zu einer Handlung(Jnseralenaufgabe) nötigt. Vruhn hat selbst zugeben müssen, daß eres als etwas für die bürgerliche Presse Selbstverständliches an-sieht, daß.man selbstverständlich gewisse Rücksichten auf Inseratenimmt und nehmen muß�. Er hat nach seinem Geständnis Aimcmeen— in einem Falle sogar gegen fast bierfach höhere Bezahlung alssonst bei ihm üblich— von Warenhäusern usw. aufgenommen, dieer grundsätzlich bekämpfen zu wollen vorgibt und hat es als selbstverständlich bezeichnet, sich bei den Großinserenten vor einem ihnenunangenehmen Angriff zu erkundigen, denselben Groß-inserenten über den er, wie er zugibt, früher teilweiseerfundene herabsetzende Nachrichten verbreitet hat. Obdas nicht nur ein schmutziges, geldgieriges Verhalten, ein„Schachern mit Prinzipien" ist, sondern auch ein strafbarerErpressungsversuch, wird Sache der Entscheidung des Gerichts sein.Das Bestreben des Angeklagten und seiner Verteidiger, eine ver-neinende Antwort zu erhalten, führte sie dazu, darzulegen, daßdie gesamte nationale und auch die liberale Presse ebenso schmutzigwie der Angeklagte verfahre. Der Nachweis kann die sozialdemo-kratische Presse nur freuen.Die Erpressung« v e r s u ch e der„Wahrheit" würden zu einervollendeten Erpressung, wenn der Inserent zur Aufgabe derInserate sich durch die Anwürfe der„Wahrheit" hat bewegen lassen.Da ist die Stellung der verschiedenen Warenhäuser zu Bruhninteressant. W e r t h e i m, meint er, sei zu groß geworden: vorder Ntacht dieses Großen beugt er sich. Er fühlt aus dem VerhaltenWertheimS so etwas wie„laß der Hund den Mond anbelleir" heraus.An T i e tz traut er sich heran. Der nimmt den Bruhn aber sofort da.wo er empfindlich ist, an seinem Geldbeutel. Eine Schadensersatzklagein Höhe von öl) OOO M. ist die Antwort von Oskar Tietz auf einenArtikel der bekannten Art in der.Wahrheit". FlugS klapptBruhn zusammen: er verpflichtet sich gerichtlich, bei Ver-meidung von 1000 M. nicht mehr unanständige Artikel gegen Tietz zubringen. Inserate erhält er von Tietz auch nicht; Tietz macht vielmehrernst, als abermals in der„Wahrheit" Unwahrheiten gegen ihn ver«breitet werden, und läßt 1000 M. gegen Bruhn festsetzen und ein-treiben. Bollendete Erpressung gegen solche Warenhäuser kannnicht begangen werden, weil ihnen die„Wahrheit" zu niedrig steht.um sie einzuschüchtern. Steht eS mit I a n d o r f anders? In dergestrigen Verhandlung bekundete dieser, e r habe sich zu den Inseratennicht durch die Furcht vor Angriffen bestimmen lassen, freilichhabe er angenommen, Angriffe gegen ihn würden ihm erst zueiner eventuellen Entgegnung vorgelegt werden. Ob danach im FallJandorf vollendete Erpressung vorliegt, mag für jetzt dahin-gestellt bleiben. Gestern war das Belastendste gegen Bruhn dieAuslassung des Zeugen Jacobsohn. Er, nicht Jandorf, istauf die Idee gekommen. in der.Wahrheit" inserierenzu lassen, um in der Zukunft Jandorf vor Angriffenin der„Wahrheit" sicher zu stellen. Eine dahingehende stillschweigende Abrede mit Bruhn bekundete er auch. Sofortwurde das schwerste Geschütz gegen den Zeugen aufgeführt: er sei„meschugge", sei in einem.Sanatorium" gewesen, habe sich.inNachtlokalen" herumgetrieben usw. Diese Einschüchterungsversuchedes dem Angeklagten so unbequemen Zeugen stehen in seltsamemKontrast zu dem von konservativer und antisemitischer Seiteoft heuchlerisch ausgesprochenen Bedauern, daß Zeugen lediglichum sie bloßzustellen, durch Fragen inquiriert würden. diemit der Sache nichts zu tun haben. DieS Bedauern wird mit demWunsch nach Knebelung der Wahrheit verquickt. Ist in der Tat derZeuge schutzlos? Keineswegs. Er hat nach dem bestehenden Gesetzkleines feuilleton.Wie Henri Dunaut da? Rote Krcuz begründete. Henri Dunant,der nun am Sonntagabend zur Ruhe eingegangen ist, hat sich einunvergängliche« Verdienst um die Menschheit dadurch erworben, daßer den entscheidenden Anstoß zur Begründung des Roten Kreuzesgab. Sein Buch:.Eine Erinnerung an Solferino", das 1802 er«schien und überall die Gemüter tief ergriff, trat mit leidenschaft-sicher Begeisterung für die im Kriege Verwundeten ein, derenLeiden und Oualen durch eine internationale Verbindung gelindertund geheilt werden müßten. WaS damals noch vielen als die un-ausführbare Idee eines Schwärmers erschien. dafür wirkteDmiant dann uuernrüdlich weiter, und so war den» derGenfer Kongreß von 1863 und die endgültige Festlegung der GenferKonvention 18St hauptsächlich sein.Werk. Auf den Schlachtfeldernvon Solferino wurde DunantS von echter Humanitär getragenerPlan geboren. Wie er eS uns selbst in ergreifender Form ge-schildert hat. erweckte daS grauenvolle Elend, das sich auf dem mitVerwundeten besäten Dchlachtfelde vor ihm auftat. in ihmden brennenden Wunsch, zu helfen, so weit dieS der Einzelnevermöge. In Castiglione, wohin die Hauptmasse der Verwundetengebracht worden war, fehlt jede P/lege für die Unglücklichen, jedeOrganisation, die sich der vor Durst und Schmerzen Verkommendenangenommen hätte. Dunant gelang eS, aus den Häusern, in denener um Hilfe flehte, eine Anzahl von Frauen zusammenzubringen.Mit die>er kleinen HilsSschar eilte er zu einer Kirche, wo 500 Soldaten auf Stroh abgeladen waren, Freund und Feind, verbundendurch das gleiche Geschick. Dunant und seine Helferinnen reichenihnen, was sie haben, Straßenjungen, die bei keinem Schauspielefehlen, holen Wasser herbei; indes werden aus den HäusernBrühen, Speisen, Wein zugetragen; was an Leinewaud nochaufzutreiben, wird verwendet, die Wunden werden gewaschen.natürliche Verbände angelegt, aus BreZeia Arzeneien herbeigeschafft.So ging eS mehrere Tage, bis die Hilfe in geordnete Bahnen ge«lenkt war. Unauslöschlich blieben diese Erinnerungen in DunantSHerz eingegraben. Er setzte eS sich zum Ziel seines Lebens, mitseiner ganzen persönlichen Hingebung und unermüdlicher Ausdauerfür eine Besserung des Loses der im Kriege Verwundetenau wirken. Dunant war die Seele der Genfer gemeinnützigen Gesell-schast, die die Propaganda für eine internationale Regelung der frei-willigen Krankenpflege im Kriege in die Hand nahm«nd die vonallen europäischen Großmächten beschickte Vorkonferenz zur Fest-stellung eines vorläufigen Entwurfs einberief. DunantS Gedankeneiner allgemeinen Organisation waren es. die hier Gellung erhielten,und in der endgültigen Regelung der Genfer Konvention von 1864drangen auch seine weiteren Ideen durch, die Neutralität der Ver-mundeten und die Neutralität des Sanitätsdienstes im Felde. Alsgemeinsames Erkennungszeichen wurde das rote Kreuz rm weißenSelbe gewählt. So erstand ailS dem Blute von Solferino dasote Kreuz.Das Allerseelenbrot. DaS Allerseelenfest am 2. November.te8 dem Andenken der Toten geweiht ist, bringt auch allerleiein Recht auf Schutz des Gerichts gegen Insinuationen wie: er sei.meschugge", sei in einem.Sanatorium" u. dgl., solvie gegen dieFragen zu verlangen, die nach seinem Verkehr bei Nacht forschen.Solche Fragen ohne jede Unterlage zu veranlassen, sieht Erpresser-und Vanditenmoral sehr ähnlich, die den Zeugen mit den gröblichstenAngriffen überhäuft, der etwas zu bekunden vermag, was den An-geklagten belastet.Für die Preßverhältnisse der bürgerlichen Presse ist dieMitteilung in der gestrigen Verhandlung interessant: EduardG o l d b e ck war Leitartikler für die.Wahrheit". Bruhn verriet dasRedaktionsgeheimnis, weil der Mann, der bei ihm soviel verdienthabe, ihn jetzt angreift. Wer ist Eduard Goldbeck?Herr Goldbeck ist preußischer Leutnant a. D. undwurde dann Schriftsteller. Im Jahre 1866 schrieb unser GenosseR. K r a f f t seine Broschüre„Glänzendes Elend", in der er dieZustände im deutschen Offizierkorps einer durchaus sachlichenKritik unterzog. FlugS setzte sich Herr Goldbeck aus die Hosenund gab eine Gegenbroschüre heraus, die den Titel trug:„Glänzen-deS Elend?" Dasselbe Schauspiel wiederholte sich, als Krafft ineiner weiteren Broschüre die Lage der Unteroffiziere und Mann-schaften schilderte. Ihr folgte sofort eine Broschüre von Goldbeck„Kasernenzucht", worin er voll des Lobes war für unsere deutschenKasernenzustände. So schrieb der Herr unter anderem:„undebenso gilt es für die Armee, daß Knopfputz, Parade-marsch und der Fall von Paris in innerem Zu-sammenhang stehen. Ich bin für Drill und Erziehung undhabe damit den alten Kaiser Wilhelm auf meiner Seite." DieserDrillmann und stramme Monarchist ging dann später zurOpposition über und schrieb radikale, demokratieschnaubendeArtikel in der demokratischen Presse, auch gab er eine Broschüreheraus,„Der Henker Drill", in der er seine früheren An-sichten über den Drill über Bord warf. Hier gab auch Herr Gold-beck zu, daß er selbst Zeuge von nichtswürdigen Soldatenmiß-Handlungen war, und zeigte somit am schärfsten den Gegensatz zuseinen früheren Anschauungen. Im Jahre 1897 schrieb Krafft eineneue Broschüre:„Fürnchmcr Geist", die sich gegen die Offiziers-ehrengerichte wandte. Sofort war auch Herr Goldbeck wieder aufdem Plane mit einer Gegenschrift, die er an die Geheim-kanzlei des Prinzregenten von Bayern schickte,wofür der loyale Mann auch ein gnädiges Anerkennungsschreibenerhielt. In derselben Zeit war Herr Goldbeck aber auch Mit-a r b e i t e r am bösen„S i m p l i e i s s i m u s", und jetzt— nachden obigen Mitteilungen braucht man nicht mehr zu staunen—finden wir diesen entwickelungSfähigen Herrn im„WahrheitS".Prozeß als Leitartikler der„W a h r h e i t".Der Mann hat zweifellos noch eine Zukunft. Seine Wand-lungLfähigkeit ist für die Gesinnungstüchtigkeit der bürgerlichenPresse bezeichnend.7. Verhau dlungstag.Bei Eintritt in die Verhandlung gibt LandgerichiZrat Lampefolgende Erklärung ab:.Bevor wir in die Verhandlung eintreten,teile ich mit. daß mir ein Brief zugegangen ist, der von dem ver-fasser mit seinem vollen Namen unterschrieben lvorden ist. Der Ab-sender, dessen Namen ich nicht nennen will, macht daraus aufmerlsam,daß in der.Morgenpost" vom Sonnabend ein Artikel gestanden habe, in welchem die Prozeßführung als eine.seltsame"bezeichnet wurde und ferner behauptet wurde, daß die Ver-Handlung durch Schuld der Prozeßleitnng inS Burleske ausarte.In dem Briefe wird auch der Name des Artikelschreibers genannt,welcher hier als Zeuge aufgetreten sein soll. Ich lasse mich auf der-artige Sachen grundsätzlich nicht ein, möchte die Sache aber dochhier etwa? niedriger hängen. Das Urteil über die Prozeßführungüberlasse ich denjenigen, von denen die Entscheidung in diesem Prozesse abhängt."Goldieck und die„Wahrheit".RechtSanlv. Bredereck: Ein neu erschienenes Montagsblattbehauptet in der letzten Nummer, daß ich hier gesagt hätte, daß.die Berliner Presse käuflich sei". Ich habe dieS nichtgesagt, sondern nur gesagt, daß eS der allgemein üblichenSitten und Gebräuche aus der Geschichte deS GräberkulteS in Erinnerung, die mit diesem Tage verknüpft sind. Ein uralter Brauch,der auch heute noch hier und da geübt wird, ist die Darbringungdes AllerseelenbroteS. die aus dem in allen Religionen vorhandenenTotenopfcrn herzuleiten ist. Die Keimkraft deS GetreidekornS. dieals etwas nahezu Unvergängliches erscheint, ist schon früh zum Sinn-bild einer über das Grab hinaus reichenden Fortdauer des Lebenserboben worden; Ackerbau treibende Völker, die Aegypter und andereVölker deS sOrientS wie auch die alten Germane» gaben daherKorn oder Brot den ewigen Schläfern zur immerwährenden Speisemit in die Gräber. Dieses von den alten Deutschen den Toten ge-spendete Brotopfer hat sich in unserem Volksglauben durchdie Jahrhunderte erhalten, und zwar sind eS stets dieArmenseelen, die ihren Hunger an dein vom Eßtisch ihnen auf«gehobenen Brosamen, an den beim Kuchenbacken für sie bestimmtenSlückcken Teig sättigen sollen. Allmählich aber hat sich die Sorg»fall für die Abgeschiedenen auf die Zeit des Allerseelenfestes beschränkt. In Tirol und Altbayern brennt in den ersten Tage» deSNovember die Nächte hindurch ein Licht im Hause, die Wohnstubewird vor dem Schlafengehen gekehrt, die innere Tür des Hausesbleibt de» Seelen geöffnet und auf den Tisch werden allerleiSpeisen aufgetragen, damit die lieben Englein ungestörteinkehren können. Ebenso heizr der Esthe an: Aller-seelentage seine Badestube, richtet darin eine Mahlzeit anund ruft seine Verstorbenen alle dazu mit Namen herbei. DerBöhme schenkt zu Allerseelen Kindern und Bettlern Brot, damit siefür die Verstorbenen beten. Ebenso ist auch in Oberdeutschlandvielfach der Allerseclentag ein allgemeiner Tag des Spendens. DerBauer beschenkt seine Dienstboten, der Pate seine Patcnkinder, dieGemeinde ihren Pfarrer. Arm und Reich, All und Jung schenkeneinander daS Allerseelenbrot. Diese Wecken heißen in der ObcrpfalzSpitzeln". In Tirol perteilt man am Allerseclentag die»Scel-stückr, Süßbrote, die für Knaben in Form eines RößlcinS oderHafen, für Mädchen in der einer Henne gebacken werden..Seelen-bräzen" gibt es in Augsburg,.Seelcnzöpfe" in anderen TeilenBayerns, in Oesterreich„heilige Striezel". Im schwäbischen Unter-land wurden früher die Allerseelenbrote auf die Gräber gelegt.sodaß die Kinder. wenn sie morgens den Friedhof besuchten, durchreiche Spenden nberiascht wurden. Die Totenbrote haben häufigdie Form eines RöbrknochenS, woran auch noch ihr im Engadin ge-bräuchlicher Name.Totenbeindli" erinnert. Vielfach sehen sie ausIvie spitz zulaufende Haarflechten und erhalten daher die Bezeichnung„Seelenzöpfe". Im 16. Jahrhundert wurde noch, wie wir au« einemBericht des Freiburger Professors Lorichius erfahren, zu AllerseelenWein nebst Brot und andere» Speisen auf die Gräber gestellt, zurLabe s?.r die Toten. Seitdem ist aber der Gedanke an den uraltenBrauch des Totenopfers immer mehr und niehr verloren gegangen.Huinor«nd Satire.Berliner Nachklänge.Dem Berliner Prof. Roethe, der auf dem FestkommerS derBerliner Universität eine gelungene Bierrede über Preußentum undFreiheit u. dergl. hielt, widmet der„EiinplicissimuS" ein sehr an-sprechende? Poem:Courtoisie entspricht, daß man auf Großinserenten Rücksichtnimmt. Derselbe Artikel tut so, als ob Bruhn sichhinter G o l d b e ck verstecken, d. h. den Schmutz auf die SchulternGoldbecks abwälzen will und Goldbcck nur ein paarmal für die„Wahrheit" geschrieben habe und zwar„nicht ohne Sandschuhe".Herr Gold beck hat vom 3. November 1906 bis zum 1. Scp»tember 1967 insgesamt 46 Leitartikel und 96 andere Ar«tikel geschrieben und dafür ein Honorar von insgesamt 2579,66 M.von der„Wahrheit" erhalten. Herr Goldbeck ist jetzt eine Säuleder linksliberalen Journalistik.— Angefl. Bruhn: Ich habe HerrnGoldbeck hier nicht genannt, sondern Herr Weber. Goldbeck bat füreine wöchentliche Arbeitszeit von 3—4 Stunden insgesamt über 2566 M.von mir erhalten. Wenn er auch für Blätter anderer Richtung ge-schrieben hat. so mag er sich wohl gesagt haben:„Brot schmecktsüß". Zu mir hat er gesagt: Ich stehe mehr links, werde mich aberbei Ihnen vielleicht mehr nach rechts entwickeln. Herr Goldbeck gilrals ein Mann, der etwas kann und als angesehener Journalist.Daß er auch für den Ullstein« Verlag und für die„Welt amMontag" geschrieben, kann er mit sich leibst abmachen. Für michhat et jedenfalls national geschrieben. Der Artikel„Eduard«unTrapez" rührt von Herrn Goldbeck her.Ein Zeuge hat die Plahfurcht.Von dem als Zeugen geladenen Fabrikbesitzer Karl Hintze istein Telegramm eingegangen, wonach er kranlheitShalber nicht er-scheinen kann. ES kommt zur Sprache, daß der Zeuge an der Platz-furcht leiden soll. Der Gerichtshof beichließt, den MedizinalratDr. H o f f in a n n zu beaustragen, festzustellen, ob der Zeuge nichtin der Lage ist, an Gerichtsstelle zu erscheinen; weitere Beschluß-fassung über etwa zu ergreifende Maßnahmen behält sich der Ge-richtshof bis nach Eingang des ärztlichen Gutachtens vor.ES wird hierauf in die Verhandlung des„Falles Jandors"eingetreten.Der Zeuge Hugo Jacobsohn genannt Jackson bekundetfolgendes: Ich verkehrte früher viel in dem Cafh West-minster, da ich Unter den Linden meine BnreauS habe.Eine« TageS wurde vor dem Cafö ein Artikel gegen JandorfauSgeruscii. Ich äußerte schon damals: Wenn wir in Eng-land oder Amerika wären, könnte so ein San»kram nicht passieren. Ich sagte deshalb zu eineni Bekannten, daß ich den Herrn Jandors gern einmal kennen lernenmöchte, um ihm einen Rat zu geben, wie er diese AngrissSartikel vonsich abwenden könne. Ich hatte dabei die Nebenabsicht, Herrn Jmidorf,der große Feste gibt, Wein zu verkaufen. Die Herren Verteidigerwaren ja gestern auch schon so liebenswürdig, für mich hier Reklamezu machen.(Heiterkeit.)— Der Zeuge schildert dann sehr weit-schweifig. wie er die Bekanntschaft deS Herrn Jandorf und späterder Angeklagten Wilhelm Bruhn und Weber gemacht hatte, undfährt tort: Ich habe mich dann in der Maske eines Annoncen-akquisiteurS in die Redaktion der„Wahrheit" eingeschlichen und mitBruhn in Berliner Mundart gesprochen, so daß dieser von mirnicht den Eindruck eines Gentlemans erhielt, sondern einenfewöhnlichen Jnseralenogenten vor sich zu haben glaubte. Ichragte Bruhn: Ich kann Ihnen Inserate bringen,darunter auch große vomKaufbauS des Westens,Vor allen Dingen aber muß ich wissen, was ich dabeiverdienen kau»? Ich sagte weiter: Ich kann Ihnen Inseratebiiugen»an Warciihäuscrn, aber unter der Bedingung, daß Sienichts gegen das KaushanS deS Westens und Jandars schreibenwerden."— Der Zeuge erzählt, daß Bruhn ihm gesagt habe, er habeauch gar kerne Veranlassung, gegen die Warenhäuser zu schreiben.Dann erzählt er von einer angeblichen Schacherszcue, die..intr»nuiros"(innerhalb der Mauern), aber doch in Gegenwart von Weberstattgefunden und den Zweck gehabt habe, ihm von seiner ehrlichverdienten Provision etwas abzuknapsen.— Der Zeuge sprichtso schnell, daß der Vorsitzende ihn auffordert, langsamerund deutlicher zu sprechen; er hebt auch wiederholt seineEigenschaft als guter Jude hervor, für den eS nicht sehrangenehm gewesen sei, zu einem so enragierten Antiieiniten zugehen, aber dusiness is business(Geschäft ist Geschäft). Er erzähltweiter, daß ihm Gehisen und andere schon gewarnt hätten, beiBruhn in Geldangelegenheiten recht vorsichtig zu sein. Bruhn habenun allerdings weder direkt»och indirekt gesagt, daß er nun gegendie Warenhäuser schweigen wolle, so dumm ist kein Mensch und amwenigsten Herr Bruhn. Aber jeder, der zu hören versteht, konnteEin gewisser Doktor Roethe,Ordinarius und Dekan,Hat da neulich abends späteEinen Weihespruch getan.Ucber Freiheit sprach derselbeVor der Akademlichkeit,Wie sie östlich von der ElbePreußenzuchtbeengt gedeiht.Wider die verschnupften FinkenTät er alsdann wetteren,Die teils nichts teils wenig trinkMUnd im„Simpel" blätteren.Heringegen die KommerscheFand er tentsch und stubenrein,Wo die wahren BurschenärscheBrüderlich beisammen sein.Einen FeuersalanianderRieb auf sie, vom Bier geblähh,Doktor Roethe, der Dekan derPhilosophischen Fakultät.Notizen.Die Deutsche Theaterausstellung lvurde amDienstag in den Ausstellungshallen am Zoo eröffnet. Sie enthälteine hislorisch-ästhetische Abteilung, in der die Berliner Theaterschwach vertreten sind, eine industrielle Abteilung und ein AuS«ftellungStheater, das am Sonnabend mit einer Aufführungvon„OcdipuS in KolonoZ" im Stile des antiken Theaters beginnenWird.— DaS Marionetten- Theater München erKünstler. daS bereits früher in Berlin Proben seiner reizendenKunst abgelegt hat, ist anläßlich der TheaterauSstellnng jetzt wiederbei uns eingelehrt. In den Ausstellungshallen am Zoo fand amMontag die Eröffnungsvorstellung statt(leider in einem Raum, dernicht intim genug ist und auch nicht von allen Plätze,! das ganzeBühnenbild sichtbar werden läßt). Zuerst ein romantiich-satirische«Puppenspiel von August Mahlmann:„König Viola» undPrinzessin Klarinette", in dem gar grauselich und ergötzlich selbst«gemordet und gejammert wird. Eine höchst belustigende und demparodierenden Stil des PuppcnIheaterS angepaßte Moritat. Feinerwirkte Offenbachs komisthe Oper„DaS Mädchen von Elizondo".Die entzückende Musik(aus drei oder vier Instrumenten), daSprimitiv-anmutige und drollige Spiel der meisterhast bewegtenFigürchen und die gute stimmliche Besetzung ergaben einen schönenGesamteindruck.— ES wäre wünschenswert, daß Berlin wie Münchenund Paris ein ständiges Marionettentheater bekäme, das vor allemder Kinderwelt zugute käme.— Theaterchronik. Im Friedrich-Wilhelm«städtischen Schauspielhause wird am Mittwoch Goethe»„Faust"zum Einheitspreise von 1 M. für erstes Parkett und ersten Ranggegeben.