lt. 802. 27. Jahrgang.2. DeilM des Lmiick" KnliiierZonntag. 25. Dezelttbkr l910.TAHvw'itdht Rundfd�au.Zur reTigiotisgefd�icbtUcbtti Literatur.Die„moderne" Theologie ist znrzeit in zwei Lager gespalten,in die„liberalen" Idationerlisten und die mythologisierendenPantheisten. die sich auch idealistische Monisten nennen. Ihr Streitdreht sich zurzeit in der Hauptsache um die Person des Jesus, weilmit einer Diskussion über den Begriff Gottes selbst heute keinEfiekt zu machen wäre. Dieser letztere Begriff bleibt bei demStreue immer in einem wohltätigen Dunkel, und man erfährtselten, wie die Rationalisten ihn sich vorstellen. Besser läßt sichüber Jesus streiten,— grundlegend Neues kommt freilich auch hiernicht heraus. Es ist immer noch der nun mehr als siebzigjährigeGegensatz zwischen D. F. Strauß und B. Bauer. Jener machteden alten Rationalismus thcologiesähig. Jesus ist ihm kein Gott,sondern ein wahrer Mensch— ein wandernder Dorf- oder Zauber»doktor, der aber von seinen Freunden und Anhängern zum Gotteemporphantasiert wurde. Seine Lebensgeschichten und angeblichenLehrmeinungen in den Evangelien erklärte Strauß als nicht vonZeitgenossen des angeblichen Messias oder überhaupt sicheren Ver-fassern geschrieben, sondern als literarische Sammelarbeit der be-wutztlos schaffenden christlichen Gesamtgemeinde. Er wurde zu seinerZeit als Verbrecher am Heiligsten verfemt— heute erscheint seineAuffassung als die einzige mit den Resultaten der modernen Bibel-tritii und dem Christentum zu vereinbarende und fast jeder liberaleTheologe hat sich heute sein besonderes Wunderloses Leben des"Jesus geschaffen und mit seiner besonderen Moral in Verbindunggebracht.Im Gegensatz« zu Strauß kam bald nach ihm Bauer zu derUeberzeugung, daß es sich bei der Jesnsfigur weniger um Ver-göttlichung eines Menschen als vielmehr um Vermenschlichung einesIdeals handle, um die Personifikation von Ideen; daß ein Jesusin der von den Evangelien beschriebenen Gestalt nie gelebt und daßin ihnen nieht unbewußt fabulierende, sondern ganz absichtlich undzweckmäßig konstruierte Erzeugnisse zu bestimmten kirchlichen, seies materiellen, sei es dogmatischen, Zwecken vorliegen. Bauer istalso mehr Philosoph wie Theologe, und auch seine heutigen Partei-gänger, besonders die Rufer im Streit, sind pantheistische Philo-sophen, die sich von dem Anthropomorphismus, der auch noch in derLeben-Jesu-Theologie steckt, losmachen wollen.Dieser Streit an sich interessiert uns wenig; er geht von Ul-tras aus und wird mit Ultras geführt. Eine ganze Anzahl Theo-logen wissen beide Standpunkte gut miteinander zu verbinden, unddas sind die klügsten. Die Gcschichrsforschung unserer Tage hat ge-zeigt, daß die Vergottung kürzlich Verstorbener, ja selbst noch Le-bender um die Wende unserer Zeitrechnung im Bannkreise äghpti-scher wie griechischer Denkweise etwas recht Gewöhnliches war/)So hat denn die Vergöttlichung irgendeines eingebildeten hinge-richteten oder noch lebenden Sektenyründexs, Parteihauptes odersonstigen„Wohltäters" auch in Palästina für uns so gar nichtsWunderbares mehr. Andererseits haben sich B. Bauers mytho-logische Ahnungen zu gesicherten wissenschaftlichen Ergebnissen aus-gewachsen. Es ist heute ganz unbezweifelbar, daß die Jesuserzäh-lung der Evangelien aus Teilen zusammengesetzt ist, die den My-then anderer zu damaliger oder früherer Zeit geglaubten Heils-götztern entnommen sind.Den neueren Streit hat Artur Drews entfacht, der schon1AK in einem Werke„Die Religion als Selbstbewußt-sein Gottes" den Pantheismus propagierte, dann aber, alsdasselbe wenig beachtet wurde, 1909 mit seiner..Christusmythe"herausrückte. Zahlreich sind die Streitschriften, die seitdem vonbeiden Seiten teils zur Abwehr, teils zum Angriff in die Weltgesetzt wurden.Freilich, die protestantenvereinlich-rationalistische Richtung.die da? Zentrum ihrer Welt- und Moralanschauung, den mensch-liehen Propheten Jesus verteidigt, hat schriftstellerische Erfolge nichtaufzuweisen gehabt; ihre subjektivste Meinung als Wissenschaft aus-gebenden Phatasien— ihre platte Auslegung der„Schrift", die nurals wahr annimmt, was ihr patzt und wegläßt, was unbequem ist,— die das offizielle„Wunder" verwirft und nicht beachtet, daß jedeangebliche Tatsache ihrer Jesuserzählung ein ebenso großes Wim-der ist, kann ja heute keinen Selbstdenkenden mehr anziehen. Diemythologischen Angreifer hingegen haben durch eine Reihe vonSchriften die allgemeine Erkenntnis ganz gewiß gefördert.Uns Sozialisten läßt dieser Kampf aber trotzdem recht kalt;wir können in ihm nicht Partei ergreisen, weil wir ganz andereMaßstäbe an die Tatsachen anlegen müssen,— wir suchen aus demStreite nur möglichst viel für unsere Anschauung zu gewinnen.Bei Betrachtung der Einzelheiten der Streitpunkte möchten wir eswohl mit den hier strikt wissenschaftlich vorgehenden pantheistischenPhilosophen halten,— ziehen wir jedoch die ganze Weltanschauungin Betracht, so gefällt uns immer noch die der liberalen Theologenbesser. Die rationalstische Richtung hat wenigstens das eine fürsia,, daß ihre Religion des menschlichen Jesus sich mindestens imPrinzip zu einer allgemeinen Menschenliebe bekennen muß. Wennsich dieses in der heutigen Zeit des ausgeprägtesten Egoismus auchnicht zur Geltung bringen läßt, selbst zur Heuchelei verführt oderim„christlichen Sozialismus" falsche Bahnen wandelt so hat mandoch noch etwas Positives für den Begriff„praktische Religion" vorsich. Bei der mythologischen Richtung verläuft alles in die bloßePhrase. Sie gibt den historischen Jesus und auch das Christentumauf.— aber auf die„Religion" will sie nicht verzichten; sie willsie vielmehr„mit dem modernen Leben verschmelzenund strebt zum AntirationaliSmus, zur Umge-staltung des Lebens durch ein inneres Verhält-niS des Menschen zum Unmittelbaren."Solche Anschauimg ist die einer sattgewordenen Bourgeoisie,welcher der Atheismus unheimlich wird. Einst brauchte sie ihn,um die mit göttlicher Autorität umkleidete feudale Staats- undGesellschaftsordnung zu stürzen,— nunmehr, da er die Arbeiterergreift, weder die Autorität des Kapitalisten noch das bürgerlicheEigentum für sakrosankt hält, will sie ihn wieder abschütteln undklammert sich dabei an die Metaphysik. Dieses„innere Ver-hältniS des Menschen zum Unmittelbaren", diesesmystische Versenken in die„A l l g o t t h e i t" ist denn auch keinäußeres, lehrbares, also wissenschaftliches, aber auch kein sozialesVerhältnis,— es ist rein individuell und egoistisch—, diein das paulinische Erbschuldbewußtsein sich kleidende bürgerlicheKlassenschuld.Und wie die Mythologisten die Metaphysik nicht aufgebenwollen, ja sie den Liberalen gegenüber geradezu als ihr Palladiumproklamieren, so wollen sie keineswegs Aufklärer sein oder auchnur scheinen; deshalb empfehlen sie ihren Standpunkt als„einefeste Grundlage" auch„jenen Orthodoxen und Katho-liken, die gern mit der Wissenschaft in Einklangstehen möchten, ohne sich an Haeckel zu verlieren".Haeckels naturalistischer Monismus oder Pantheismus, der sich vomAtheismus nur durch den Namen unterscheidet, wie Schopenhauersagt: Nur ein höflicher Atheismus ist(dem auch Haeckel zustimmt).ist den Herren zu verständig und zu verständlich(besonders für dieVolksmaffe). Sie setzen an seine Stelle den idealistischen Monis-«ms, dem leider sowohl das Ideal wie die Monas mangeln.Dr�ws bietet in seiner„Christusmythe" zuerst das Wesent-ltchste über den„vorchristlichen Jesus". Vom parsischcn Heiland•) Hierzu vergleiche man das hübsche Büchelchen Ad. Bauers:Vom Griechentum zum Christentum. Leipzig, Quelle u. Meyer,SM M.Mitra ausgehend kommt er zum hellenistischen Mittler des Philound den Heilsgöttern des jüdisch-gnostischen Sektengfcnbens, beidenen Jesus sowohl zu diesem Namen als auch den des Nazaräersgekommen ist. Der leidende und sterbende Gott findet sich dannvielfach im heidnischen Naturgöttermythus der Adonis, Tamup usw.sowie in dem platonisch-stoischen Ideal des Gerechten und Weisen;Geburts- und Taufgeschichten besonders in den altindischen Mythenvon Agni-Mitra, desgleichen Selbstopfer und Wendmahl. Die Sym-bolik von Lamm und Kreuz ist gleichfalls weitverbreitet und beson-der? in den Mysterien, aus denen sich ja das Christentum heraus-entwickelte, stark in Hebung.— Im anderen Teile:„Der christlicheJesus" bespricht der Versasser erst den Paulinischen Jesus, daswahrhaft göttliche stellvertretende Sühnopfer für die mit der Erb-süiide belastete Menschheit, der so sehr in Widerspruch steht mitdem evangelischen heilenden, moralisierenden und wundertuendenWanderprediger. Sodann werden die Berichte über letzteren ge-wertet, die angeblichen Erwähnungen des Jesus in der Profanlitera-tur geprüft, die Einwände gegen die Lcugnung der Geschichtlichkeitwiderlegt und der Inhalt der synoptischen Evangelien ganz imSinne B. Bauers erklärt. Eine Betrachtung über den Einfluß desGnostizismus insbesondere aus den Jesus des Johannesevange-liums schließt die Tatsachenreihen. In einem Anhang„Die Petrus-legende" wird dieser Hauptapostel mit dem„felsengeborenen" Mitraverglichen und als ein mythologisches Seitenstück zu Jesus selbererwiesen.(In einer besonderen Broschüre unter dem gleichen Titelhat Drews später den Gedanken weiter ausgeführt.) Das Schluß-kapitel, das Harnuck mit Haeckel versöhnen will„um die völligeVersandung des religiösen Bewußtseins nochrechtzeitig abzuwende n".«üssen wir, weil es dierekt vonder Furcht vor der Arbeiterschaft Eingegeben erscheint, ablehnen.Wenn Drews Idee von der„Gottmensch�-it" ernstgemeint ist, dannmuß er erst einmal mit der politische:. Demokratie Ernst machenund darf sie nicht„dem Verluste des geistigen Schwer-gewichts der Kulturmenschheit" gleichsetzen. EineSpaltung der Menschheit in Gottmenschen nach Nietzsches Art undProletarier entspricht dem Begriffe schlecht.Bald nach Drews veröffentlichte S. L u b l i n s k i„Die Ent-stehung des Christentums aus der autikcn Kultur". Das römischeWeltreich stürzte wie alle alten Zustände, so auch alle alte Ethikum; Philosophie wie Mythologie kamen gleichfalls in Bewegungund Gärung. Nicht mehr die alten Geschlechts-, nicht mehr dieneuen Staatsgötter erschienen als Helfer in der Not, sondern neueHeils- und Erlösungsgötter, die man mit besonderen Riten in ge-schlossenen Gesellschaften, den Mysterienvereinen, verehrte. Ganznach dem Beispiele griechischer und jüdisch-gnostlscher Sekten ent-wickelte sich auch das Christentum als ein besonderes Mysteriumund mit den jüdischen Sekten in Frieden. Erst nach der Zerstö-rung Jerusalems trat hier Feindschaft ein, begann der Kampf mitder Gnosis, der wach und nach zur Fixierung des christlichen Sy-stems führte,— der Gcheimkult wurde Weltreligion.(Im wesent-liehen freilich sagt schon Julius Lippert 1882 in seinem„Christen-tum" dasselbe.)In einem weiteren Buche„Das werdende Dogma vom LebenJesu" behandelt derselbe Verfasser das Christusproblem nach seinerreligiösen wie geschichtlichen Unmöglichkeit, führt die wesentlichstender falschen Beweise und Argumente, der Widersprüche im Dogmaund der Ueberlieferung an und mutz sich bei der Frage ob Mythosoder Biographie für elfteren entscheiden. Aus dem zweiten Teiledieses Werkes:„Christus und die Apostel", ist dann als besondersinteressant der Nachweis herauszuheben, daß Petrus und Paulusnicht nur, wie schon B. Bauer gesehen hat, Pendants sind, die beidefast genau dieselben Erlebnisse haben und dieselben Taten tun, son-dern daß sie auch direkte Abklatsche ihre? Herrn und Meisters sind.Nicht ganz so recht in diese Gruppe will uns FriedrichS t e u d e l passen, der sich zwar an dem Berliner Religionsgesprächbeteiligte und bald darauf, am 4. April 191», in Berlin einen eige-nen Vortrag hielt, den er unter dem Titel:„Im Kampf um dieChristusmythe" veröffentlichte. Steudel. der Nachfolger Kalthoffsin Bremen, steht selbstverständlich bezüglich aller wissenschaftlichenTatsachen auf der Seite Drews und seiner engeren Freunde, aberer besitzt bessere Kenntnisse vom Wesen und Ursprung der Religionund tieferes Verständnis für die soziale Frage. Ihm ist der Kampfum die Christusmythe nur ein Kampf für die Wahrheit gegen dieIrrtümer der Vergangcnhett. Es ist ihm dieser ein frommes Werk,über dessen Wert erst spätere Geschlechter entscheiden werden. DemChristentum entnimmt er zwei Ideale: ein soziales— den künftigenZustand einer erlösten Menschheit, und ein persönliches im Bildedes Christus, der dem in der eigenen Seele lebendig gewordenenIdeal Treue hält. Tagegen ist nicht viel einzuwenden, wenn auchdie Arbeiterschaft auf anderm Wege zu den gleichen Idealengelangt. Vielleicht bildet auch Steudel sich bloß ein, auf religiösemWege dazu gekommenzu sein.— In einem Anhang setzt sich derAutor noch mit den Thcolczen Chwolson, Wilhelm Schmiedel undAdolf Harnack wegen der„Betveise" für das Leben Jesu auscin-ander, bei welcher Gelegenheit letzterer ganz außerordentlich schlechtabschneidet.Frei von aller philosophischer Voreingenommenheit ist des Eng-länders John M. Robertsons Auch„Die Evangelienmythcn"(wie Drews, Steudels und Lublinskis Bücher bei E u g e n D i e d c-richsinJena erschienen). In dreißig Kapiteln sammelt er überebensoviel und noch mehr„Mythen der Begebenheit", die im Jesu-leben vorkommen, das ähnliche Material ans aller Welt, seien esSagen, Historien oder selbst Kunstwerke,— suckt uns auch den Weg,wie die entsprechenden Gedankengänge ins Christentum gelangten,verständlich zu machen. In zwölf weiteren Kapiteln geschieht dasgleiche mit den„Mythen der Lehre". Da der Verfasser uns aucheinen reichhaltigen Quellennachweis liefert und bei ihm von densämtlichen Behauptungen der Evangelien rein nichts unangefochtenbleibt, kann man wohl verstehen, daß die Bibelgeistlichkeit auf diesesBuch sehr schlecht zu sprechen ist und es„total unwissenschaftlich"nennt. Freilich— mit dem. waS fix als Wissenschaft bezeichnen.hält eS keinen Vergleich aus. Uns Erscheint es als das weitausWertvollste, was in neuester Zeit auf diesem Gebiete erschienen ist,insbesondere weil es eine Menge tatsächlich neues, jedenfalls indeutscher populärer Literatur noch niemals publiziertes Materialenthält. Wir erwähnen nur die Kapitel: Die mythischen Marien,Die Auferziehung in Nazareth. Die Versuchung. Die zwölf Apostel.Petrus, Das Abendmahl, Das mythische Kreuz, Die Bergpredigt,Das� Vaterunser.— Wenn der Arbeiterbibliothekar die erst-erwähnten Werke entweder gar nicht anschaffen oder doch nur schonVorgeschritteneren aushändigen wird, kann er Robertsons Buch ac-trost in alle Hände legen.Leben Jesu und Entstehung des Christentums behandeln auchzwei im„H i l f e v e r l a g" erschienene Bücher Max Mauren-b r e ch e r s:„Von Nazareth nach Golgatha" und„Bon Jerusalemnach Rom". Er will, wie er sagt, durch sie vermitteln zwischen denliberalen Theologen und den radikalen Religionshistorikern. Imersten Bande tritt er der theologischen Ansicht entgegen, daß deraktuelle Anstoß zur Entstehung des Christentums nur in der unaus-denkbar tiefen und edlen Persönlichkeit des geschichtlichen Jesus ge-geben sei. der weltgeschichtliche Ursprung des Christentums alsReligion aber liegt um Jahrhunderte früher zurück:„er liegt injener allgemeinen Wendung(?). die die orientalischen Religionewim Laufe der Jahrhunderte ausnahmslos(?) alle genommenhatten, in der sie aus Natur(?)religionen zu ErlösungS(?)reIi-gionen geworden waren."Das ist zwar unklar ausgedrückt, aber man weiß doch, waS derAutor»neint. SSenn aber der Verlag ig feigen Anpreisungen desWerks von dem„glänzenden Stile" spricht, worin„alle einig" seien,so ist das eine blöde Uebertreibung M. schreibt stellenweise ein ge-radezu entsetzliches Deutsch. Man vergleiche die Stilblüte:„noch nichteinmal überhaupt nur ein Auge gehabt" sowie den hier folgende»Satz:„Die Geburtsstunde des Christentums hat aber darin be-standen(?), daß nach dem Tode des geschichtlichen Jesus auf ihn einMythus angewandt wurde, au den er selbst schon mit der ganzenKraft seiner leidenschaftlichen Seele gehangen, den er aber auf sichselbst zu beziehen noch nicht den leisesten Trieb gehabt hatte." Undan anderer Stelle:„Als die Geburtssiunde des neuen Glaubenshaben wir jenen Moment feststellen müssen, iü dem der galiläischeFischer Simon mit dem Beinamen Petrus in einer Vision(?) beimFischfang am See den Glauben gewann, daß sein eben gekeuzigterMeister und Freund selbst der Menschensohn sei, von dessen»ioiumener ihnen geredet hatte" usw. usw.Das alles wird mit einer apodiktischen Gewißheit„festgestellt",daß nicht nur die Liberalen, sondern selbst die Orthodoxen ihrewahre Freude daran haben müssen. Und zwar trotzdem die Reli»gionshistoriker nachgewiesen haben, daß der„Simon" und der„Petrus" und der„Fischer" genau so der Mythologie angehören,wie das„Kreuz" und der ganze Meister. Aber— es ist ja„denliberalen Theologen gelungen, die Existenz(?) des geschichtlichenJesus und die Zuverlässigkeit einzelner Stücke der Evangelien UN»zweifelhaft(?) zu erweisen; und alles, was von religionsgeschicht-licher Seite dagegen vorgebracht worden ist, kann auf den unbefau-genen Leser nur den Eindruck hilflos gestammelter Verlegenheits-ausflüchte machen."An diesem harten Worte ersieht man wenigstens, daß die an»gebliche Vermittelung zwischen Theologen und Religionshistorikerndoch nur eine Falle war,— denn daß an der Geschichte des„wahr-hast gelebt habenden" Gottmenschen sich einige heidnische Mythegehängt habe, darf selbst der Orthodoxe zugeben. Und nun geht dasErzählen und„Erklären" auf Grund der biblischen Schriften nachliberalen wie orthodoxen Erklärungsprinzipien bei Maurenbrecherwie geölt vor sich. Wir können uns natürlich nicht auf die Einzel-heilen einlassen, müssen uns aber doch noch ein anderes schönesvon M. verkündetes Prinzip ansehen. Er will nämlich„dasChristentum mit keinen anderen Maßstäben messen wie jede andereErscheinung der Religions- oder Menschheitsgeschichte überhaupt".Auch er will„hervorzuheben versuchen, was das entstehendeChristentum mit der es umgebenden Welt verbindet". Diese Ab-ficht des Autors ist sehr gut, leider sind seine Maßstäbe nicht alsrichtig anzuerkennen.„Alle Religionen sind falsch,denn jede operiert mit Objekten, die nicht dasind." Schönl„Aber auch alle Religionen sindwahr, denn jede ist ein Stückdes Ringens derMenschheit u m Sinn und Wert des Lebens, umSelbstachtung und Menschenwürde. Jede Reli»gion ist ein Schritt in dem Empor st reben des Edelnim Menschen!" Das ist schon weniger schön! Wenn es nicht„hilflos gestammelte Verlegenheitsausflüchte" sind, so sind es viel-leicht der Selbstbetäubung dienende faustdicke Trugschlüsse. Es istdie alte phantastische Geschichtsauffassung, die sich weder an eineklare, logische Aufrollung des Problems macht, noch sich an die vonder emsig sammelnden Wissenschaft unzweifelhaft festgestellten Tat-fachen hält.Bei„Erklärung" von Religion und Mythus folgt Mauren»brecher durchaus den theologischen Definitionen und gayz und garnicht denen der von ihm gefoppten Religionshistoriker. Diese habenfestgestellt, daß die Religionen zwar ein Stück des Ringens derMenschheit sind— aber leineswrgs um die Dinge, die M. mit soschönen Worten vorführt, sondern vor allem, und bei der Mehrzahlder Religionen noch bis in die heutig« Zeit hinein, des Ringensum das tägliche Brot mit den Geistern. Auf niederer Stufe istes die selbständige Beschwichtigung böser Geister(Aberglaube,schwarze Magie), auf höherer und mich den heute noch höchsten:Besiegung der bösen durch stärker« gute Geister(weiß« Magie).Alles andere hat sich als spätere, nur vorerst Wenigen erfaßbarePhilosophie um diesen Grundgedanken hrrumgruppiert. Wer daSnicht weiß oder nicht wissen will, muß natürlich„die Arbeit de?Christentums für die geschichtliche Erziehung deS Menschengeschlechts" überschätzen. Nur er kann behaupten, daß„die Masseder Menschen unter seinem Einfluß edler, opferbereiter, hilfreicher.milder, selbstbeherrschter und gewissenhafter geworden ist, als siewahrscheinlich(II) ohne das sein würde". Aber man ist noch langekein Lessing, wenn man sich seiner Worte bedient. Von der Stoa,dem Buddhismus, dem chinesischen Ahnenkult kann man das� Obigemit gleicher Sicherheit behaupten. WaS beweist cS also für dasChristentum?Im zweiten Bande sucht der Autor die Frage zu lösen, weshalbgerade das Christentum über die anderen Arten der orientalischenErlösui.gSreligwn siegte. Die Religionshistoriker sagen: In ersterLinie war eS sein Rückfall in unheimliche, urmcnschliche Gedanken-gänge(Kindesopfer) und seine Billigkeit(Abschaffung von Priesternund teuren Opfern), in zweiter Linie seine Organisation und dersich bildende Synkretismus(Mischmasch der verschiedensten Glau-bensvorstellungen). Daran rennt M. natürlich vorbei, um sichwieder in lange Erörterungen auf Grund der„Heiligen Schrift" zuverlieren, ohne uns eine klare Antwort zu geben. Es verdient nochbemerkt zu werden, daß M. ganz im Geiste der neuen Dogmatikerseiner gesamten Darstellung das dritte Evangelium und die Apostel-gcschichte zugrunde legt,„Quellen", die die Kritik ganz überwiegendals ganz sekundär,— spät« Harmonistische Zurechtmachungen er»klärt. Sehr fein sagt Robertson(Geschichte desChristentums):„Wie das Buch der Richter eine Etappe ausdem Leben der Juden enthüllt, die ganz unvereinbar ist mit der inden Mosebüchern beschriebenen, die doch vorhergegangen sein soll,so zeigen uns die Briefe des Paulus eine Etappe der christlichenPropaganda, die sich mit einer Entwickelung, wie sie in den Evan-gelten dargestellt wird, nicht verträgt."Hier gilt es, sich zu entscheiden. Wie die meisten echten Leben»Jesu-Tbcologen, tut dies M. aber nicht; er bietet eine erbaulicheEvangelien- und Epistelharmonie unter Vernachlässigung allerkritischen Gesichtspunkte, wie man sie in der Jetztzeit kaum noch fürmöglich gehalten hätte. Darum ist der wissenschafUiche Wert derBücher gleich Null. Was der Verfasser mit ihnen bezweckt, verräter nicht, es ist aber vielleicht aus seiner Rede auf dem fünftenWeltkongreß für freies Christentum im August d. I. und einigenArtikeln von ihm über diesen Kongreß in der„Chemnitzer Volks-stimme" zu ersehen. Aus'wem. sprach er über den„Sozialismusals eine neue Stufe der Religion" und in dieser schrieb er, daß man„vom Sozialismus selbst aus eine neue Weltanschauung findenmüsse, die von der Masse„erlebt" werden kann und die sitt-lichen Motive enthält, ohne die nun einmal eine weltgeschichtlicheBewegung nicht leben und ohne die man nun einmal eine kommendgGeneration nicht erziehen kann". Und darum müssen„die Massender Arbeiter aus den Kirchen herausgehen und rein aus der Vor-aussetzung ihres sozialistischen Willens heraus sich i n n e u e n O r-ganisationen eine neue Weltanschauung zu zimmern ver-suchen."— Also eine neue sozialistische Kirche! Denn der AuS-gangspunkt Maurenbrechers ist doch der: Die heutige Sozialdemo-kratie und der politisch-wirtschaitlichc Sozialismus, den sie erstrebt,enthalten nicht die notwendigen sittlichen Motive;— sie find keinevollkommene Weltanschauung, sondern nur Organisationen einesunsittlichsten Egoismus, deren Mitgliedern man mit christlichenund überchristlichen Pfarrern„Erlebnisse" beibringen muß!—V. S o m B e r»