Eine NichtigfteNnug.In der letzten Nummer des„Grundstein" steht folgende Notiz:„Eine sehr befremdliSe Meldung finden wir im„Sccolo",einer biirgerlichen Mailändischen Zeitung. ES handelt sich umfolgendes: In Bologna hielten die italienischen Syndikalistenihren ersten Kongrest ab. Während der Tagung gab der Bor-sitzende mehrere eingelaufene Begrüßungsschreiben bekannt.Darunter war, so meldet der„Secolo", auch eins unseresGenossen KautSky. Wir halten diese Meldung fiir falsch,nehmen aber von ihr Notiz, um den, Genossen KautSky Ge-legenheit zur Richtigstellung zu geben. Die SyndikalistenItaliens haben die sozialdemokratische Partei verlassen und sichals unabhängige Organisation etabliert. Sie haben sich gegendie von der ganzen sozialistischen Internationale anerkannteparlamentarische Taktik erklärt und bekämpfen die italienischeSozialdemokratie und die italienischen Gewerkschaften aufs schärfste.Bei dieser Sachlage wird man es verstehen, wenn wir es sür un-möglich halten, daß sich ein so offizieller Parteigenosse wie KautSkyzu einer Begrüßung dieser verderblichen Quertreiber herbeigelassenhaben könnte. Aber nichtsdestoweniger sollte Genosse Kautsky durcheine Richtigstellung jeden Zweifel beseitigen."Sicher ist eine Richtigstellung notwendig. Da aber zu befürchtenist, daß außer dem„Grundstein" noch andere Blätter von der Mel-dung des„Secolo" Notiz genommen haben, veröffentliche ich siewohl am besten in unserem Zentralorgan. Sie kann sehr kurz seinund besteht in der Erklärung, daß ich an den Kongreß keinBegrüßungsschreiben gerichtet habe.Nach meiner Erkrankung in Kopenhagen im Anfang des Sep-tember dieses Jahres war ich drei Monate lang arbeitsunfähig undgezwungen, zur Herstellung meiner Gesundheit außerhalb Berlins inSanatorien zu weilen.Während dieses Zeitraums, wohl Ende Oktober, kam an michaus Italien die Einladung, einem Kongreß beizuwohnen— näheresfestzustellen ist nicht mehr möglich, da die Einladung verloren ging.Meine Frau beantwortete die Einladung mit der Mitteilung, ich seiverreist und zurzeit nicht in der Lage, einen Kongreß zu besuchenoder auch nur den Brief zu beantworten.Das ist alles. Eine Demonstration zugunsten deS Syndikalismus stelle ich mir anders vor.Berlin-Friedenau, 2S./12._ K. KautSky.Oeftemicb.Die falschen Dokumente Aehrenthals.In allgemeiner Erinnerung ist noch die scheußliche Blamage,mit der der Preßprozeß vor den Wiener Geschworenen endete, dendie Opposition des kroatischen Landtags gegen den Historiker Dr.Friedjung angestrengt hatte, weil sich dieser bedeutende Mann dazuhergegeben hatte, eine„hochverräterische" Verbindung der kroatischenOpposition mit antiösterreichischen Organisationen in Serbien undmit der serbischen Regierung zu behaupten. Die vom Ministeriumdes Aeußern vorgelegten Dokumente, die nicht nur diese Verschwö-rung, sondern in einem Aufwaschen auch gleich die Notwendigkeitdes Gewaltregiments in Bosnien und die Rechtmäßigkeit desAgramer Schandprozesses beweisen sollten, erwiesen sich alsplumpe Fälschungen..... Bekanntlich hat in der Delegation, wo der tschechisch-fortschrittliche Professor Masaryk diese Bla-mage ans Licht zog Graf Aehrenthal jegliche Verbindung desK. und K. Gesandten in Belgrad Graf-m Forgach, mit dem Fälscher.dem„Lehrer" Wassitsch energischst bestritten. In den letzten Tagenstand Wassitsch wegen seiner Fälschungen vor dem Belgrader Gericht;der geheimen Verhandlung durfte auch Abg. Prof. Masaryk bei-wohnen. In dem Urteil, das den Wassitsch wegen Gefährdung derInteressen Serbiens zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, wirdn. a. erklärt, daß die Beziehungen des Fälschers zu„einer" fremdenMission nicht nur durch sein Geständnis, sondern auch durch Zeugen-aussagen erwiesen sind.franhmch.Briand und die Wahlreform.Paris, 23. Dezember.(Eig. Bcr.) Am 14. Dezember hatke dieWahlreformkommission Briand einen Fragebogen überreicht, worinsie die Aufklärung der Regierung über ihre Stellung zu den bean-tragten Abänderungen ihres Entwurfs forderte. Die wichtigste Ab-änderung betraf die Berechnung des Wahlquotienten. Nach dem Re-gierungsentwurf soll diese auf der Grundlage der Wählerzahlerfolgen und diese Methode ist das Mittel der von der Regierungausgeheckten tückischen„proportionellen Vertretung der Minoritäten"mit„Prämiierung" der Mehrheit. Die Wahlreformkommissionfragte Briand nun. wie er sich zur Berechnung des Wahlquotientennach der Zahl der abgegebenen Stimmen stelle, wie sie imwirklichen Proportionalwahlrecht erfolgt und Briand hat jetzt seineGeneigtheit kundgegeben, diese Abänderung ins Auge zu fassen.Damit verzichtet er tatsächlich auf den entscheidenden Punkt seinesEntwurfs. Auch sonst zeigt er ein Entgegenkommen, das überraschenwürde, wenn man seine frühere Feindseligkeit mit irgendwelchen„Prinzipien" in Zusammenhang gebracht hätte. Nun mag es jaunbestreitbar sein, daß ein Parlament mit scharf gegliederten Par-teien, wie sie die Verhältniswahl schafft, Briand nicht sympathischwäre, aber daß er es auf seinen Sturz ankommen ließe, um denProporz zu verhindern, ist von ihm nicht zu erwarten. Vorläufigbraucht man allerdings seine noch immer stark verklausulierten Zu-Geständnisse nicht als ernst gemeint hinzunehmen. Vielleicht sindsie nur eine an die radikalsozialistische Opposition gerichteteDrohung, die von ihnen gefürchtete Wahlreform zu beschleunigen,wenn sie fortfahren, ihm parlamentarische Schwierigkeiten zu be-reiten. Immerhin ist seine Antwort ein bedeutender taktischer Er-folg der Proportionalisten, der ihnen bei ihrer Propaganda sehrzugutekommen kann. Briand hält der Kommission vor, daß sie sichselbst noch für kein bestimmtes System des Proporzes entschiedenhabe. Wenn sie ohne doktrinären Eigensinn und trotz der parla--nentarischen Intrigen ihrer Aufgabe obliegt, wirtz Briand auchdiesmal den Weg der Anpassung wählen,Italien.Eine italienische„Wahlreform".Rom, 22. Dezember.(Eig. Ber.) Endlich ist etwas Näheresüber die Wahlreform bekannt geworden, die Luzzatti der Kammerals Weihnachtsgeschenk beschert. Allerdings wird der offizielle Texterst in der Folge bekannt werden, aber der römische„Messagero",der direkt vom Ministerium ispiriert ist, gibt heute die wichtigstenBestimmungen des Gesetzes wieder.Dieses Gesetz besteht aus drei Teilen. Der erste behandelt dieErweiterung des Stimmrechts. Hier begnügt sich das Kabinett,den Artikel IM des Wahlgesetzes wieder einzuführen, den Crispiabgeschafft hatte. Nach diesem Artikel ist jeder wahlberechtigt, dervor einem Echnlinspektor, einem Lehrer und zwei Gemcinderätenden Beweis erbringt, daß er lesen und schreiben kann. Die Prü-fung besteht im Abschreiben eines gedruckten Zettels. Diese Er-Weiterung wird schätzungsweise die Zahl der Wahlberechtigten umMillionen vermehren.Der zweite Teil des Gesetzes betrifft das obligatorischeVotum. Dieser Teil ist es bekanntlich, der die sozialistischeFraktion bewogen hat, zur Opposition überzugehen. Heute machenim Durchschnitt öS Proz. der Wahlberechtigten in Italien von ihremWahlrecht Gebrauch. Die Stimmpflicht trifft nur 17 bis 18 Proz.jener 3L, die bisher dieser Pflicht nicht nachkamen. Es sind nämlichvon ihr ausgenommen: die Minister und Unterstaatssekretäre, dielGeistlichen. die Polizeibeamten, alle in öffentlichen Diensten Be-schäftigten, weiter die Wähler, die außerhalb ihres Wahlkreiseswohnen und nicht die Mittel haben, die Reise zu bestreiten, undschließlich die Kranken. Da Neuralgien und solche schönen Dingegerade erfunden sind, um im geeigneten Moment als Vorwand zudienen, kann also jeder, der sich ein ärztliches Attest leisten kann,seine Wahlpflicht bequem vernachlässigen. Was die Strafen betrifft,so werden die, die ihrer Wahlpflicht nicht genügen, mit kleinen Geld-strafen bedroht und mit dem zeitweiligen Verlust£cS Rechtes,MnAiche Remter zu MleMzi.„■- IDer dritte Teil deZ Gesetzes beschäftigt sich mit der parlamen-tarischen'Inkompatibilität. Hier werden kleine Einschränkungender Wählbarkeit für Staatsbeamte in gewissen Stellungen vorge-nommen. Der Entwurf wird eine normale Kommissionsberatungdurchmachen müssen, so daß vor Februqr und März nicht mehr vonihm die Rede sein wird. Die Kammer hat einstweilen ihre Feriengenommen und wird bis zum 24. Januar auf ihren Lorbeeren ruhen.Amerika.Verschärfung des amerikanischen Einwanderungsgesetzes.Gleichzeitig mit den Veröffentlichungen des Zensurbureaus,wonach die Vereinigten Staaten einschließlich der Philippinen undanderer Besitzungen, aber ausschließlich der interessanten und be-rühmten Insel Guam, nunmehr über 100 Millionen Einwohnerzählen, kommt ein Bericht der im Jahre IM? eingesetzten Ein-Wanderungskommission an den Kongreß, wonach man annehmenmuß, als werde das Land, das fast die Gebietsgröße Europas hat,nun schon von allen Leiden der Ucbervölkerung heimgesucht. DerBericht, der das Ergebnis mehrjähriger, auf einem Weltbummelgemachter Forschungsarbeit ist, schließt mit einem Sammelsuriumaller Vorschläge, die seit Jahren zu den Gemeinplätzen der„echt-amerikanischen" Einwanderungsfeinde gehören. Und zwar läßt dieKommission dem Bundesparlament die Wahl zwischen folgendenMaßregeln: Einführung eines Bildungsexamens für die Ein-Wanderer, Ausschließung oder mindestens weitestgehende Bcschrän-kung der Einwanderung„ungelernter" Arbeiter und Erhöhung derKopfsteuern._Huö Induftne und Handel.Der Arbeitsmarkt im Jahre 1910.Am 1. November de? laufenden JahreZ waren zirka 877 000Arbeitskräfte mehr gewerblich tätig als am 1. November 1909. Voml. November 1908 auf 1. November 1999 hatte die Vermehrungzirka 370 000 Köpfe betrogen. Setzt inan die Beschäftigtenziffer jeam 1. Januar gleich 100, so bewegte sie sich in den zwei Jahren1909 und 1910, wie folgt:Januar Februar März April Mai Juni1909. 99.7 99,8 102,1 10ö,S 106,8 106,61910. 100,2 101,2 103,1 104,2 104,5 105,3Juli August Septbr. Oktober Novbr.1909. 106.8 107,0 107,7 108.4 107.81910. 106.1 166.4 107,5 108.4 108,3Die Bewegung deS Beschäftigungsgrades äußerte sich auf demArbeits markte in der Weise, day die Nachfrage nach Arbeits-kräften bedeutend zunahm. Die Besserung ergibt sich auS der Minus-differenz des Andranges in den einzelnen Monaten gegenüber demVorjahre. Diese betrug im MonatJan. Febr. März April Mai Juni19,57 32,96 29,87 7.59 3,54 19.32Juli Aug. Sept. Okt. Nov.22,09 17,83 11.93 1,24 4.52Schon im März ließ die Besserung nach, aber der auffallendsteSturz vollzog sich im April. Auch im Mai wirkte er noch nach. ImJuni setzte sich dann die Besserung wieder kräftig durch, bis vonAugust ab eine abermalige Rückwärtsbewegung einsetzte, die imOktober sich besonders bedrohlich äußerte. Erfreulicherweise hat derMonat November wieder ein Anwachsen der Besserung gebracht,Das Nachlassen der Besserung des Arbeitsmarktes in den MonatenAugust bis Oktober war nickr mehr auf ein Nachlassen der Nachfragenach Arbeitskräften zniückzuführen, sondern hatte seinen Grund ineiner zunehmenden Verstärkung des Angebotes.Preisaufschlag. Wie aus Hamburg gemeldet wird, hat dieDeutsch-Amerilanische Petroleum. Gesellschaft in Hamburg den Tank-wagenpreis für amerikanisches Petroleum um 1 Pf. per Liter herauf-gesetzt. Dementsprechend ist in Hamburg der Preis deS amori-konischen Petroleums 0.800 um 20 Pf. auf 6,20 M. per 60 Kilogramm erhöht worden._Zuckergewiunmig nnd Znckerbesteuernng.Nach der Statistik der Zuckergewinnung und-besteuerung sindim Betriebsjahre 1909/t0(1, September 1909 bis 31. August 1910)356 Zuckerfabriken mit Rübenverarbeitung im Betriebe gewesen, imVorjahre 353. Ferner haben 36 Raffinerien gegenüber 39 im Vor-jabre gearbeitet. Von den 6 Melasje-EntzuckerungSanstalten ist eineim Laufe des Betriebsjahres eingegangen und hat eine infolge derhohen Melasscpreise leine Melasse verarbeitet. In diesen 393 Betriebs-anstalte» sind im ganzen 2 037 397 Tonnen Zucker gewonnenworden(alle Erzeugnisse auf Rohzucker umgerechnet), im Vorjahre2 079 221 Tonnen.In den rübenverarbeitenden Fabriken wurden in 43 917 zwölf-stündigen Arbeitsschichten 12 892 068 Tonnen Rüben verarbeitet,mithin in einer Ärbeilsschicht 294 Tonnen, während im Betriebs-jähre 1908/09 in 42 024 Arbeitsschichten 11 309 132 Tonnen Rüben."mithin in einer Arbeitsschicht 231 Tonnen verarbeitet worden waren.Die verarbeiteten Rüben wurden auf 457 718 Hektar<1908/09:436 185 Hektar) geerntet. Der Preis der angekauften Rüben be-rechnet sich im Durchschnitt auf 2.19 M., während der berechneteDurchschnitt im vorhergehenden Betriebsjahre sich auf 2,13 M. belief.Die Rübenernte ist als Mittelernte zu bezeichnen. Der Durch-fchnittSertrag auf 1 Hektar betrug 282 Doppelzentner Rüben, imVorjahre 271 Doppelzentner. Aus 1 Doppelzentner Rüben wurdendurchschnittlich 15,1 l Kilogramm Rohzucker gewonnen, während dieAusbeute im Vorjahre, in dem die Rüben einen außergewöhnlichhohe» Zuckergehall aufwiesen, 16,77 Kilogramm ergeben hatte. ZurHerstellung von 1 Kilogramm Zucker waren durchschnittlich 6,62 Kilo-gramm Rüben gegenüber 5,96 Kilogramm im Vorjahre erforderlich.Von inländischem Zucker sind in Rohzuckerwert 1 262 255 Tonnen,von ausländischem 1927 Tonnen in den freien Verkehr übergegangen,gegenüber 1 247 901 Tonnen und 2325 Tonnen im verflossenenBetriebsjahre. Der gesamte Abgabenertrag hieraus war an Ver-brauchsabgabe abzüglich Steuervergütungen 153 474 000 M. an Zoll353 000 M. gegen 157 234 000 M. und 426 000 M. im Vorjahre.Auf den Kopf der Bevölkerung betrug der Verbrauch in Verbrauchs-zucker 17,52 Kilogramm<1908/09: 17,53 Kilogramm).Die Ausfuhr hat sich in Rohzuckerwert um 54973 Tonnen gegen-über dem Vorjahre vermindert und erreichte eine Höhe von 783 437Tonne». ES entfalle» auf Rohzucker 310 13l Tonnen und auf Ver«brauchSzncker 425 976 Tonnen gegen 332 800 Tonnen Roh- und455054 Tonnen Verbrauchszucker im vorhergehenden BetricbSjahre.Die AuSfuhrminderung entfällt in den Borjahren hauptsächlichauf Großbritannien, das zwar mit 230223 Tonnen Roh- und 289836Tonnen VerbrauchSzucker wieder Hauptabnehmer war, gegen 1903/09aber an Rohzucker 62 932 Tonnen und an VerbrauchSzucker 40 230Tonnen weniger bezogen hat.Soziales.An die Borstände nnd Berwaltungsbeamte« der Krankenkassenim Dcutsche» Reiche!Seit einigen Wochen geht eine Notiz durch die bürgerlich-scharfmacherische Presse, die eine Stimmungsmache gegen dieSelbstvenvaltung der Krankenkassen Deutschlands bezweckt.Desgleichen wird hierin eine Broschüre angekündigt, welchevon dem Reichsverband gMn die Sozialdemokratie heraus«gegeben und Herrn Dr.'med. W. Möller, Kirchseeon beiMünchen, zum Verfasser hat. Die Broschüre betitelt sich:„DieHerrschaft der Sozialdemokratie in der Deutschen Krankender-sichenmg." Der Preis beträgt vier Mark.Wir gestatten unö, die geehrten Krankenkassenvorständedarauf aufmerksam zu machen, daß die Broschüre nichts Neuesbietet, was irgendwie für die Krankenkassen von Belang sein.könnte. Alles was darin enthalten, ist ein Sämmeksurtllinoller Kamellen, welche schon seit einer Reihe von Jahrendurch die verschiedensten Zeitungen gingen und damitfür die Krankenkassen längst abgetan sind. Eine ganzeAnzahl von Krankenkassen hat uns bereits geantwortet.daß der Inhalt, der auf die betreffenden Kassen Bezughat, zum Teil erdichtet, entstellt und übertrieben auf-geführt sind. Es verlohnt an dieser Stelle nicht, auf diesesPhamphlet näher einzugehen. Es gewinnt den Anschein, alswenn die Broschüre nur zu dem Zweck herausgegeben ist, umdie Finanzen des Reichsverbandes zu heben. Letzterer lvillmit dieser Broschüre nur gegen die Selbstverwaltung derKrankenkassen ankämpfen, und möchte, daß auch die Kranken-kassen obenein noch die Kosten sür diese famose Broschüretragen. Vielleicht glaubt auch der ReichLverband die Mitteldadurch zu erlangen, um auf's erneute gegen die Kranken-kassen mit einer ähnlichen Schmutzbroschüre hervorzutreten.Wir ersuchen die Krankenkassenvorstände, von dem Kaufdieser Broschüre Abstand zu nehmen. Die beteiligten Krankenkassen. die in der Broschüre genannt sind, sind über deren In-halt verständigt und ist denselben durch den Verlag der Zentral-kommission der Krankenkassen Berlins und der Vororte dieBroschüre übersandt worden. Dantit dürfte die Angelegenheitfür die betreffenden Krankenkassen vorläufig erledigt sein.Zur eventuell näheren AuSklmst erklärt sich die Unter-zeichnete gern bereit.Zentrale für das deutsche Krankenkassenwesen.Berlin, Engelufer 15.E. SimanowSki, Borsitzender.Wirkungen des BranntweinboykottSKürzlich hielt Herr Professor Bonhöffer aus Breslau bor dementralkomitee für ärztliches Fortbildungswcscn im Kaiserin-riedrich-Hause in Berlin einen Vortrag über Alkohol-, Alkaloid-und andere VergiftungSpshchosen, wobei er die interessante Mit-teilung machte, daß nach der Proklamation des Branntweinboykottsdurch die sozialdemokratische Partei im vorigen Jahre die Zahl derAlkoholdeliranten(durch Alkohol Gcistesverwirrien) in den Bres-lauer Krankenhäusern um wenigstens 50 Proz. abgenommen habe.Es habe ja auch schon einige Jahre vorher nach der letzten bedeuten-den Erhöhung der Branntweinsteuer eine gewisse Abnahme dieserDeliranten stattgefunden, aber damals sei diese Abnahme ineiniger Zeit wieder eingeholt worden.Nun, die Genossen werden wohl überall dafür sorgen, daß diejetzt eingetretene Abnahme dieser Deliranlen nicht wieder ver-schwindet, sondern daß sie durch verstärkte Befolgung des Boykott-bcschlusseS sich noch mehr bemerklich machen wird.Zur Frage des Arbeitcrinangcls auf dem Lande.. Die Junker und ihre Bundesgenossen klagen immer in denbetvegtesten Tönen, daß trotz der„hohen" Löhne— in der Tat findes Hungerlöhne— und der völligen Freiheit auf dem Lande,—der Arbeiter fühlt freilich nur die Freiheit der Knechtschaft—es nicht möglich sei, die Arbeiter zu halten, denn alles dränge sichnach der Industrie, obgleich cS dort viel schlechter sei.Einen netten Beitrag dafür, wie schön es mit den Land-arbeitern in Punkto Lohn, Arbeitszeit und Freiheit bestellt ist.liefert ein RittergutSpüchter aus dem branden-burgischen Kreis Rathenow. Ein Arbeiter aus Katto-Witz, der vor mehreren Jahren dort tätig gewesen, bewarb sichschriftlich um eine Stellung auf diesem Gute, und erhielt darauffolgende Antwort des Rittergutspächters:Dom. Wolsier bei Spaatz, den 24. November 1910.Herrn Arbeiter Alfred Hahn- Kattowitz.Auf den gestern empfangenen Brief erwidere ich Ihnen, daßnoch eine Wohnung frei ist. Sie können als Arbeiter ankommen.Die Lohnverhältnisse sind folgende: Freie Wohnung mit Stallund Gartenland. 70 Zentner Kartoffel pro Jahr. 36 RuthenRübenland. 30 Mk. Feuerungsgeld pro Jahr. Baren Lohn vom1. Oktober bis 1. April pro Tag 1,25 Mk. vom 1. April bis1. Oktober 1,75 Mk. Die Frau im Winterhalbjahr 0,86 Mk..im Sommerhalbjahr 1,20 Mk. Roggenmähen, binden und auf-setzen 2,— Mk. pro Morgen. Grasmähen pro Morgen 1 Mk.Ich bemerke aber gleich hiermit, daß ich mich nicht verpflichte.daß Sie unbedingt mähen müssen, denn wenn ich Sic währenddes Mähen? z. B. zum Lupinen bestellen in den Roggenstoppelngebrauche, müssen Sie unweigerlich diese Tagelohnarbeit ver-richten. Naturgemäß wird ja selbstredend darnach hingearbeitet,daß man möglichst viele Mäher hat. Die Sache könnte abernicht so gehen und gebunden will ich nicht sein. Die Kartoffelwerden in Akkord ausgemacht.Die Reisekosten werde Ihnen vorschießen, jedoch werden die-selben im Laufe des Jahres vom Lohn wöchentlich einbehalten.Wenn Sie zwei Jahre hier sind, will ich Ihnen die halbenReisekosten schenken. Auf Grund dieses Briefes, den Sie auf-zubewahren haben, um ihn bei Aufstellung deS Arbeitsvertragesvorlegen zu können, wird der Arbeitsvertrag mit Ihnen hierabgeschlossen werden.Die Arbeitszeiten sind folgende: Vom 1. April bis 1. No-bember von ö Uhr früh bis 7 Uhr abends. Im Winterhalbjahrvon 6 bis 6 Uhr. Hierzu bemerke ich, daß die Zeit im Winter-Halbjahr ganz von der Jahreszeit abhängig ist. Im Novemberund März wohl etwas länger, dagegen um Weihnachten Herumnoch verkürzt wird. Im Winter wird die Zeit in eins av-gearbeitet ohne Mittag zu machen, dann ist um 4 Uhr Feier-abend. ES wird gewährt Vi Stunde Frühstück und Vesper undeine Stunde Mittag im Sommer Im Winter K Stunde Frühstück und eine Stunde Mittag, die genaue Bestimmung derArbeitszeiten behalte mir natürlich vor.Ihre etwa in der Zwischenzeit angenommene politische Ge»sinnung werden Sie dort lassen müssen? denn nur mit königS-treuen Arbeitern arbeite ich zusammen.„Wessen Brot ich esse»dessen Lied ich singe."Sie können mir hierauf antworten, ob Sie kommen wollen.> gez.: Gcbhqrd Lüdecke,RittergutSpüchter.Mit diesem Kulturdokument trafen auch 50 M. Reisegeld ein.Nachdem Hahn die Löhne, die Arbeitszeit und den schönen Akkord-preis eingehend studiert und so traurig er die Verhältnisse fand,hier dennoch Vertrag schließen wollte, kam er doch zu dem Schluß,daß er Herrn Lüdecke die 50 M. zurückschicken muß/ da er un-möglich dort arbeiten kann, wo er neben der Arbeitskraft fürkleinen Lohn auch noch die politische Gesinnung verkaufen sollte.Zu dieser Herabwürdigung konnte er sich trotz seiner Arbeits-losigkeit nicht verstehe».Der Brief, und besonders der letzte Satz, beweist wieder einmal,wie es im Lager der Junker mit dem Terror steht: die politischeGesinnung soll in diesem Falle in Kattowitz bleiben, und als„königstrcuer Arbeiter" soll der Einziehende kommen, alldieweilim Reiche der Junker das Lied gesungen würde, dessen Brot dieLandproleten essen. Ob sich der Rittergutsbesitzer Gebhard Lüdeckeallmählig bewußt werden wird, daß er cS eigentlich ist, der dasvon den Arbeitern verdiente Brot ißt? Oder meint Herr Lüdecke.et könne selbst das von ikiyt MaWte 8M begrkeiten?!