Nr. 1. 28. Jahrgang. 1. ßfilnjc kä JotiüittD" ßftlintt WUisM Smuil«!!, 1. Zmmr 1911. Der belgische GewerhkbaMongreß. Brüssel , 27. Dezember.(Eig. Ber.) In den Weihnachlstagen hielt die Gewerkschaftskommission der Arbeiterpartei und der unabhängigen Gewerkschaften im..Volks- Haus" ihren 12. Kongreß ab. Anwesend waren außer dem Bureau der Kommission 203 Delegierte. Als Gast wohnte den Vcrhand� lungen dc>. Sekretär der C. G. T. I o u h a u t bei. Bor dem Eingehen in die Beratungen beschloß der Kongreß eine Resolution über den Fall Durand, die dem von der Klassenjustiz verurteilten französischen Gewerkschaftler die Sym- pathie und Solidarität des belgischen Proletariats ausspricht. Der Bericht des Sekretärs weist für das Jahr 1303 ein Sinken der Mitgliederzahl um etwa 8 P�oz. nach. Dieser Abfall verteilt sich hauptsächlich auf die Bauarbeiter, die Bergarbeiter des C e n t r e und die Textil- arbeiter von V e r v i e r s. Die Bergarbeiter sind von 3000 im Jahre 1907 auf 4700 heruntergegangen. In der Debatte schrieben manche Redner diesen Verlust der Zentralisation zu, andere er klärten, er sei nur scheinbar und darauf zurückzuführen, daß ehe dem die Organisationen die Beiträge en bloc, also auch für die Mitglieder abführten, die ihre Organisationspflichten nicht erfüllt hatten. Würde man alle eingeschriebenen Gewerkschafter zählen, käme man zu einer um 20 000 höheren Ziffer. Gezahlt haben die Beiträge 681513 Gewerkschaftsmitglieder. Sekretär Bae k er- klärte, daß die Zentralisation geradezu das Steigen der Mit- gliederzahl herbeiführe. Die ungünstige Statistik stamme aus dem Januar, heute würde sie viel günstiger lauten. Niemals sei das proletarische Bewußtsein energische und kraftvoller gewesen als jetzt.— Der Vertreter der Bergarbeiter des Centre verwies aus das Sinken der Löhne in seinem Bezirk. Auch hätte der Sport bei den Bergarbeitern in einer für das Gewerkschaftsleben schädlichen Weise überhandgenommen. Die Bilanz der Gewerkschaftskommission weist ein Defizit von 36,28 Frank aus. Ueber den WiderstandSfonbs für Streiks und Aussperrungen entspann sich eine lange Diskussion. Es lag ein Antrag vor, eine Jahressteuer von 60 Centimes für jedes Mitglied einzuführen. Dagegen wurde geltend gemacht, daß dieser Beitrag nicht viel er- geben könne und obendrein den Unternehmern eine geringe Mei- nung von der Werbekraft der Geiverkschaften einflößen würde. Der Antrag wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. Die Hauptfrage, die dem Kongreß vorlag, die Umwandlung der Berufs- in Jndustrieverbände, wurde nicht definitiv geregelt. Der Referent De Brouwere hatte sich für diese Umwandlung ausgesprochen. V o l k a e r t meinte, die Durchführung des Antrages würde die Zerstörung der bestehenden Organisationsfonnen zur Folge haben, ohne etwas Besseres an ihre Stelle zu setzen. Sollen die Holzarbeiter ihren schönen Verband zerreißen, die Metallarbeiter, die Gasarbeiter, Schlosser usw. aus ihren mächtigen Organisationen ausstoßen? Sicher wäre es gut, einige Fusionen vorzunehmen, aber genaue Prüfung im einzelnen ist nötig. Vermeiden wir die Jagd auf Mitglieder ebenso, wie wir die Konkurrenz der Genossenschaften verhütet haben!— De Bruyn erklärte in der Diskussion, der Antrag käme fünf Jahre zu früh. Im Prinzip seien alle einig, aber die Berufsverbände, die ein notwendiges Uebergangsstadium zur Zentralisation seien, seien noch nicht genug entwickelt. Die Frage wurde mit großer Mehrheit der Gewerkschaftskommission überwiesen. Die Erhöhung des Mitgliedsbeitrages — und zwar von 10 auf 20 Centimes jährlich für jedes Mitglied — wurde vom Referenten Dries schart vertreten. Er erklärte, die Kommission könne bei dem heutigen Beitrag ihren Aufgaben nicht nachkommen. Die großen Organisationen leisten oft in Kampfzeiten keine ihren Einkünften entsprechend« Hilfe. Auch sei es nötig, den gelben Gewerkschaften, die, obgleich schwach, doch immerhin Cadres haben, entgegenzuarbeiten. Vernachlässigen wir nicht die Gewerkschaftsarbeit über der Politik! Wenn die Ent- Wickelung der Gewerkschaften es fordert, müssen wir 100 Sekre täre erhalten! GowerkschastSsekretät Bergmans sagt. DrieSschart habe unrecht, wenn er die Erhöhung der Beiträge auch zu dem Zweck fordere, daß die Gewerkschaftstommission häufiger Delegierte nach den Streikgebieten schicke. Die Aufgabe der Kommission liege vor allem in der Dokumentensammlung. Er habe dringende Arbeiten liegen lassen müssen, um Streikkonflikte zu lösen und Sammlungen zu organisieren. Man habe ihm einen Gehilfen bei- stellen müssen, so sehr sei er überlastet. Auch andere Redner be- klagen die Ueberlastung des Sekretärs. Es sei dringend nötig, die Mittel für eine Erweiterung des Sekretariats aufzubringen. — Der Kongreß beschloß einstimmig, die Angelegenheit der Gc- werkschaftskommission zur Organisierung eines Re- Dem Proletariat zum neuen Iakre I Noch breitet ihre dunklen Schwingen die Nacht auf alle Gassen aus; des Jabres erste Glocken klingen, ein Grüßen geht von Haus zu HauS I Versinken soll, was schwach und trübe, gesunden soll, was elend war— viel fromme Wünsche bringt die Liebe, viel frischen Mut die Hoffnung dar. Doch alle« Wünschen, alles Hoffen ist machtlos wider eure Not; der Zukunft Tore sieden offen: sie deckt den Tisch euch ohne Brot. Sie füllt mit Wermut euch den Becher und höhnt der Armut bittres Leid. das nach dem Rechte, nach dem Rächer, dem neuen Jahr enlgegenfchreit I DaS neue Jahr bringt keine Wende,— wenn i h r nicht selbst die Helfer seid; in euren Fäusten schläft das Ende. in«Mrm Hirn die neue Zeit! Erwacht aus dumpfen SehnsuchtSträumen, euch ruft der Tag. euch ruft die Tat— schon schwillt der Lenztrieb an den Bäumen, und unter Schneelast grünt die Saat l DaS neue Jahr bringt keine Wende, kein Ruf erreicht ein gnädig Ohr: auf Bruderrecht und Segenspende vertraut der hoffnungsfrohe Tor. Nur wer sich regt, dem wird es glücken, die Freiheit hat, wer sie sich schafft— erhebt das Haupt: aus euren Rücken tragt ihr die Welt! Ihr seid dieKraft! Klara Müller-Jahnke. .sGedichte', Verlag der Buchhandlung Vorwärts.) ferendums und zur eventuellen Durchführung der Beitrags- erhöhung vom 1. Juli 1911 an zuzuweisen. In der Frage der Arbeitsbörse» machten sich zwei Meinungen geftend. Das Referat Conradhs gipfelte in folgenden Leitsätzen: 1. Die Arbeitsbörsen sollen von den Gemeinden er- richtet werden. 2. Sie sollen durch einen zu gleichen Teilen aus Unter nehmern und Arbeitern gewählten Vorstand geleitet werden. 3. Sie sollen Arbeitsangebote nur von solchen Unternehmern annehmen, die den von den öffentlichen Gewalten festgesetzten Minimallohn zahlen und den Arbeitern die in der Region üblichen Arbeitsbedingungen gewähren. 4. Im Falle des Streiks oder der Aussperrung soll die Ar beitsbürse für die beteiligten Unternehmungen gesperrt werden. Die vom Staat und von den Provinzen bewilligten Sub- ventionen sollen nur solchen Börsen zugeteilt werden, die den vorgenannten Bedingungen entsprechen. Demgegenüber entwickelte Troclet die Argumente für nach- stehende Resolution: Der Kongreß erklärt, daß der anzustrebende Zweck die Vermittelung der Arbeit ausschließlich durch die Gewerkschaftsorganisationen ist. Die paritätischen Arbeitsbörsen sind nur als Ergänzung und als Uebergangseinrichtung unter folgenden Bedingungen zuzu- lassen: 1. Errichtung durch die Gemeinden. 2. Bestimmung der Arbeiterdelegierten auS- schließlich durch die Gewerkschaften. — Die weiteren Bedingungen sind die in der Resolution Conrady genannten. Bergmans möchte nicht, daß der Kongreß die Mitarbeit an den paritätischen Börsen von vornherein verwerfe. Die Genter haben mit ihnen gute Erfahrungen gemacht. Es kommt alles auf die Konstitution und die Zusammensetzung des Vorstandes an. In Gent verbürgen die Statuten, daß die Börse im Fall eines Kon- flikts keine Arbeit vermittelt. Unsere deutschen Genossen haben ehedem auch den paritätischen Arbeitsnachweis bekämpft und nehmen jetzt daran teil, eben zu seiner Kontrolle. Conrady zeigt die tatsächliche Situation. Es gibt jetzt 15 Arbeitsbörsen im Lande und sie sind mit einer oder zwei Aus- nahmen gegen die organisierten Arbeiter ge- richtet. Trotzdem haben die belgischen Börsen 1909 51 000 Ar- beitsangebote, 27 000 Nachftagen erhalten und 18 000 Stellen der- mittelt. Wenn wir darauf nicht acht haben, wird die ganze Ar- beitsvermitteluna uns aus den Händen genommen werden. Bei der Abstimmung wird einstimmig ein« Resolution ange- nommen, die das Bureau der Gewerkschaftskommission beauftragt, eine Umfrage über die Arbeitsvermittelung und die Arbeitsbörsen zu veranstalten und dem nächsten Kongreß Vorschläge über die «Errichtung und Organisation der Arbcitsbörsen vorzulegen. Angenommen wird ferner eine Resolution, die die Durch- setzung klarer Lohntarife und ihren Anschlag in den Arbeitsstätten sowie ihre Aushändigung an jeden Arbeiter fordert. — In weiterer Linie soll eine allgemeine Bewegung für einen Generaltarif hervorgerufen werden, der selbst wieder dem System des Tagelohnes weichen soll. Die Arbeitervertreter im Parlament werden aufgefordert, für die gesetzliche Anschlagspflicht einzutreten. Ueber die Heimarbeit referiert N e u ck e n S. Er legt eine Resolution vor, die folgendes fordert: A. Von den G ew er k scha ft en: eine organisatorische Propaganda bei den Heimarbeitern beiderlei Geschlechts. B. Von den Genossenschaften: das Studium der Abschaffung der Heimarbeit für die von ihnen erzeugten Pro- dukte. C. Von der Gewerkschaftskommission: die Gründung einer sozialen Kämpferliga. v. Von den A r be i t e r dep u t iert en: die Vorlage eines Gesetzes über die Reglementierung der Heim- arbeit, die Inspektion, die Hygiene, die Verantwortlichkeit des Unternehmers und die Minimallöhne. Ei. Von den Deputierten ferner den Antrag auf Auf- Hebung der Heimarbeit in den Berufen, die für die Arbeiter oder die Konsumenten gesundhcitsgcfährlich sind. E. Weiter: Den Kampf für den obligatorischen und ge- werblichen Unterricht. G. Von den kommunalen und provinzialen Vertretern sowie den Arbeitslosenkomitees: Dw Untersuchung der Ursachen der Arbeitslosigkeit in der Haus- industrie und die Enthüllung der systematischen Hervorrufung der Arbeitslosigkeit zum Schaden der Gewerkschaftskassen und der öffentlichen Arbcitslosenfonds. S o l a u und Vandersmissen beantragen eine Resolution, die aus der Erwägung heraus, daß sich die Heimarbeit jeder Kon- frieänck Milkelm iv. 50 Jahre nach seinem Tode(2. Januar). Am Tage der Verklärung, am 6. August 1854, beschrieb Friedrich Wilhelm lV. von Preußen ein Papier, auf dem er verzeichnete, wie er begraben sein wollte:„Mein Herz soll in ein Verhältnis- mäßig großes Herz aus märkischem Granit gelegt und am Eingang der Gruft im Mausoleum zu Charlottenburg (folglich zu den Füßen meiner königlichen Eltern) in den Fußboden eingemauert und von ihm bedeckt werden. Meine Ruhestätte soll die Friedens- kirche sein und zwar vor den Stufen, die zum heftigen Tisch führen. ... Der bezeichnete Raum in ganzer Breite... soll(aus meinen hinterlassenen Mitteln) einfach, aber harmonierend mit dem Boden um den heiligen Tisch— in Marmor— neu gepflastert werden. Gerade über meiner Ruhestätte soll ein Oblongum in weißem Marmor angebracht werden, auf welchem in Metall oben das Mono- gramm Christi , dann die Inschrift stehen soll: Hier ruht in Gott, seinem Heilande, in Hoffnung einer seligen Auferstehung und eines gnädigen Gerichtes, allein begründet auf das Verdienst Jesu Christi unseres allerheiligsten Erlösers und ewigen LebenS: weiland usw." In dieser Niederschrift zeichnet sich der ganze Stil des könig- lichen Wesens: die Verbindung einer schwülstigen christelnden Mystik, die aber in den Proklamationen der ersten Wochen nach j dem 18. März plötzlich verschwand, mit künstlerisch spielenden deko- rativem Aufwand; mitten in der frommen Verzückung drängender Todesgedanken, hat dieser königliche Geist Raum, die eigene Be- stattung höchst ausführlich zu reglementieren. Die Neigungen der Fürsten für Kunst und Wissenschaft entspringen nur einem unbe- friedigten Machtbedürfnis. Je weniger die Majestät Menschen und Dinge politisch zu beherrschen vermag, um so mehr freut sie die Herrschaft über den wehrlosen Marmor, über die gefügigen Maler, Professoren und Uniformschneider. Die Phantasie dekorativer Ein- fälle erlosch in diesem kranken Hirn niemals. Sie putzte seine wirren Reden, deren Genialität unmäßig bestaunt wurde, mit grellfarbigen Wendungen aus, die bisweilen fast geistreich schienen, immer sich dem Gedächtnis einprägten. Diese Neigung zu glitzern- dem Tand und farbigem Zeremoniell, die in so schroffem Wider- spruch mit der brünstig beteuerten Evangelieneinfachheit des Her- zens stand, bestimmte auch seine politischen Pläne. Das preußische Herrenhaus ist aus solchen romantischen Einfällen entstanden. Be- vor sich Friedrich Wilhelm 1847 entschloß, den vereinigten Landtag trolle entzieht und daß das Gesetz diese rückständige Produktions» form begünstigt, erklärt: Der Gewerkschaftskongreß erklärt sich als unerbittlicher Gegner der Heimarbeit und fordert die Arbeitcrvertreter auf, alle gesetzlichen Maßnahmen zu unterstützen, die auf das Vcr- ichwinden dieser Produktionsform binwirken. Er fordert desgleichen die Arbeiterorganisationen auf, dieses Ziel mit allen Mitteln zu fördern und namentlich bei ihren An- käufen die Unternehmer, welche Heimarbeiter ausbeuten, unberück- sichtigt zu lassen. In bezug auf den Unterricht und auf die Kontrolle der Ar- foeitslosigkeit wiederholt die Resolution die Forderungen des An- träges N e u ck e n s. Angenommen wird die Tagesordnung Solau-Vandersmissen. Sodann wird der Kongreß ge- schlössen._ Die CandesverticheniDssanttalt Berlin im Jahre 190Ü. Nach dem für das Jahr 1909 herausgegebenen Bericht der Anstalt wurden im Jahre 1909 einschließlich der 635 aus dem Vor- jähre unerledigt gebliebenen Sachen 7508 Anträge auf Invaliden- rente und 355(davon 28 aus dem Vorjahre unerledigt gebliebene Sachen) Anträge auf Altersrente gestellt. Die Jnvalidenanträge sind gegen das Vorjahr um ein Geringes gesunken. Das Jahr 1909 steht indessen dennoch an zweiter Stelle seit dem Jahre 1900. Der Vergleich der letzten 10 Jahre zeigt folgendes Bild: Es wurden Anträge auf Invalidenrente gestellt in den Jahren: 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 3524 4596 5727 6363 6516 6580 6308 5845 7049 6873 Die Ursache für die hohe Ziffer der im Berichtsjahre gestellten Anträge wird nach dem Bericht darin erblickt, daß die allgemeine ungünstige wirtschaftliche Lage viele Versicherte mit ver- miuderter Arbeitskraft bei Mangel an Arbeitsgelegenheit ver- anlaßt, ihre Zuflucht(!?) zur Invalidenversicherung zu nehmen und einen Antrag auf Rente zu stellen. Diese Ursache hat auch in den ersten drei Vierteljahren 1909 noch angehakten. Nicht unwesentlich dürfte ferner für das Anschwellen der Anträge sein, daß diejenigen Rentenempfänger, denen in den Jahren 1906 bis 1908 infolge des neu eingeführten Kontrollsystems und der außer- terminlichen Kontrolle die Rente entzogen>var, die Anträge von neuem gestellt haben. Die Zahl der bewilligten Invalidenrenten in: Jahre 1909 ist gegen 1908 wiederum zurückgegangen. Prozentual indessen ist eine geringe Zunahme der Bewilligungen— nämlich 66,64 gegen 65 Proz.(1908)— zu verzeichnen. Das löst bei dem Berichterstatter einen SchmerzenSschrei aus, denn der Bericht sagt:„... mußten im Jahre 1909 mehr als 66M) Proz. der Anträge als begründet anerkannt werden. Die Bewilligungen der Invalidenrente in den letzten zehn Jahren zeigen folgendes Ergebnis: Bewilligt wurden in den Jahren:, 1900 1001 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909! 3398 3930 5134 5832 5778 5360 5084 4042 5110 5004: Dagegen wurden abgelehnt: 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 246 275 390 541 692 947 1123 1467 1971 1820 Bei der Anstalt Berlin kommen auf 100 erledigte Renten- anträge 73 Festsetzungen und 27 Ablehnungen. Im Deutschen Reich dagegen kommen auf 100 erledigte Renten 76 Festsetzungen und nur 24 Ablehnungen. Es ist tief bedauerlich, daß eine Anstalt wie Berlin — die mit ihren Einrichtungen(Heilstätten, Sanatorien usw.) als muster- gültig bezeichnet werden kann— bei der Bewilligung der In- validenrenten noch unter dem Durchschnitt des Reiches zurückbleibt. Von den 1820 abgelehnten Invalidenrenten fallen allein 1343— 822 männliche und 521 weibliche— Ablehnungen auf noch nicht eingetretene Erwerbsunfähigkeit. Bei den Männern wurden 77,4 und bei den Weiblichen 68,8 Proz. wegen noch nicht vorhandener Erwerbsunfähigkeit abgewiesen. Auf 100 Renten- festsetzungen kommen bei den Männern 13 und bei den Frauen 42 Ablehnungen. Die Ursache wird darin gesehen, daß Personen, deren Ar- beitskraft nachzulassen beginnt, zumal bei zunehmendem Alter und wenn sie aus einem gar längere Zeit innegehabten Arbeits- Verhältnis ausscheiden, sich für berechtigt halten und bestrebt sind, eine Rente zu erlangen. Hier muß nach dem Bericht die strengste und genaueste Feststellung der tatsächlich vorhandenen Leiden und Gebrechen und ihre Einwirkung auf die Erwerbs- fähigkeit sowie der gesamten Arbeits- und sonstigen LebcnSverhält- niffc des Rentenbewerbers, seiner Ausbildung, seiner bisherigen Berufstätigkeit nach geprüft werden, ob er in der Tat nicht mehr imstande ist, den für ihn maßgebenden Mindestlohn auf dem gesamten für ihn in Betracht kommenden Arbeitsgebiet durch Lohnarbeit zu erwerben, wie denn immer wieder betont werden muß, daß die Invalidenversicherung /keine Versicherung gegen zusammenzurufen, entwarf er emsig theatralische Trachten für die Mitglieder der erlauchten Versammlung, und als der März- schrecken vorüber war, fand er für das erste Ordensfest der Konter- revolution keine sinnigere Huldigung als eine neue Verzierung deS roten Adlerordens mit zwei Schwertern. Er redete, er baute, er zeichnete, er führte Religionsgespräche, er umgab sich mit Hofnarren der Gelehrsamkeit, er versammelte Berühmtheiten um sich, um vor ihnen seinen Geist strahlen zu lassen, alles weil er trunken in Anbetung seiner selbst war. In diesem Rausch der Selbstber- götterung, so hat einmal Bettina v. Arnim ihren königlichen Ver- ehrer charakterisiert, stellte sich ihm das Unwahrste als wahr, das Unmögliche als wirklich dar. Zur Mehrung des eigenen Glanzes engagierte er schließlich Gott Vater selbst für die einzige be- sondere Mission, seine Wcltschöpferkraft in der Begnadung eines preußischen Königs zu konzentrieren. Heinrich v. Treitschke, die große Posaune der Hohenzollern , hat aus seiner Heldengalerie preußischer Fürsten Friedrich Wilhelm IV. ausgeschlossen. Er hat den letzten Band seiner deutschen Ge- schichte, der in den ersten Jahren des neuen Kurses unter Wil - beim II. entstanden ist, mit einem in pathetischer Bosheit breit hingepinselten Porträt Friedrich Wilhelms IV. eröffnet. Treitschke hatte mehr Sympathie für stumpfe Rohlinge wie den ersten und dritten Friedrich Wilhelm, als für die beweglichen und besessenen von der Art des vierten Friedrich Wilhelm. Er spricht von der gedunsenen Gestalt des König? mit den geistreichen aber schlaffen Gesichtszügen, er zürnt über seine üppige Hofhaltung, er spottet iiber seine Sucht, alle halb zertrümmerten Bauten der deutschen Vorfahren auferstehen zu lassen. Er gedenkt der schwärmerischen Freundschaften, die treulos endigten. Er kontrastriert sein Schwel- gen in Werken christlicher Barmherzigkeit mit seiner bis zur Grau- samkeit gesteigerten Verfolgungssucht. Er verschweigt nicht seine Freude an saftigen Eulenspiegeleien und Berliner Straßenwitzen. Die männliche Kraft des Leibes und der Seele sei diesem König versagt geblieben, und zuweilen hätten sich schon von Anfang an die Spuren einer schlechthin krankhaften Anlage erkennen lassen. Dennoch ist auch dieses Bild des tzohenzollernschen Leib- geschichtschreibers noch byzantinisch, in bewußter Unehrlichkeit ge- schmeichelt. Wenn Treitschke Friedrich Wilhelm IV. den größten aller geistreichen Dilettanten nennt, und ihn. ins Flackernd-Gcnia- tische zu stilisieren bemüht ist, so hat er solche geistige Vergrößerung vorgenommen, obwohl gerade er es besser wußte. Unlängst ist ein Brief des Berliner Historikers Nitzsch an W. Maurenbrccher veröffentlicht worden, in dem er seine Eindrücke von dem eben(1873) erschienenen« von Ranke herausgegebenen
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