Nechtsanwalt SleDTncfi»(fortfahrend): Nach allem. waZ wirWer Wellfchmidt gehört haben, ist er ein geistig und sittlichminderwertiger Mensch, der vielleicht nicht absichtlich die Un.Wahrheit sagt, aber nicht unterscheiden kann, was wahr und un-wahr ist. Auf das Zeugnis dieses Menschen hin wird man einenMann wie Pilz, der überall in seinen Kreisen als Ehrenmannbekannt ist, nicht verurteilen können. Der Staatsanwalt, der denZeugen Wellschmidt als eine einwandfreie Persönlichkeit be-zeichnete, wird dem Wellschmidt wohl nicht mit dem Gefühl derSauberkeit und Reinheit die Hand drücken wollen.— Der Ver-teidiger beantragt die Freisprechung des Angeklagten Pilz undstellt für den Fall, datz das Gericht zur Verurteilung kommensollte, denAntrag,Beweis darüber zu erheben, daß Wellschmidt, dem der Staats-anwalt ein hochentwickeltes Rechtsgefühl nachsage, einem Kutschereinen Revolrer gegeben habe mit der Weisung, er soll auf die„Blauen" schicszen.Rechtsanwalt Bahnführt zur Verteidigung des Angeklagten Bock u. a. folgen-des aus: Der Angeklagte soll nach seiner Verhaftung gerufenhaben:„Genossen, helft mir!" Hieraus will die Staatsanwalt-schaft folgern, daß ein Zusammenhang mit der Sozialdemo-kratie bestehe. Ich st ehe der Sozialdemokratie fernund habe keine Veranlassung, für sie einzu»treten. Aber ich habe von Anfang an bedauert,daß man diesen Prozeß von vornherein auf einepolitische Basis gestellt und die sozialdemo-kratische Partei für die Erbitterung der Bevöl-kerung verantwortlich gemacht hat. Es mag sein,daß Erbitterung geherrscht hat gegen die Polizei. Die Staats-anwaltschaft irrt aber, trenn sie in der Sozialdemokratie die Eni-Wickelung der Quelle sucht. Die Erbitterung erklärt sich vielmehraus der allgemeinen Stimmung und aus den Verhältnissen, diebei den letzten Nachwahlen zum Reichstage überall zum Ausdruckgekommen sind. Die Ausführungen der Staatsanwaltschaft sindes, die mich zu diesen Ausführungen zwingen. Sonst hätte ich sienicht gemacht. Denn ich halte es nicht für richtig, daß politischeErörterungen im Gerichtssaal eine Rolle spielen. Es ist ja ein-mal gesagt worden, die Staatsanwaltschaft sei die objektivste Be-Hörde der Welt. Man muß anerkennen, daß die Staatsanwalt-schaft außerordentlich objektiv ist und viel weniger Anklagen er-hebt als sie müßte. Aber so ist es nicht, wie der Herr ErsteStaatsanwalt sagt, daß in Moabit auf der einen Seite nur Pflicht»treue Beamte standen, die angepöbelt wurden, und auf der anderenSeite die Exzedenten, die Leute, die unter dem Druck einer be.stimmten Richtung stehen und deshalb als Zeugen nicht die Wahr-heit sagen. Es ist ja richtig, daß eine große Differenz bestehtzwischen einem Teil der Berliner Bevölkerung und der Polizei.Doch das ist keine Folge von Verhetzung, sondern eS liegt anden Organen der Polizei. Während in England der Schutzmannder Freund des Publikums ist, sind die Berliner Arbeiter der An-ficht, daß sie in dem Schutzmann ihren Feind zu erblicken haben.Der Verteidiger geht nunmehr aus den Fall Bock ein und verweistdarauf, daß nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die beidenSchutzleute Köppen und Lund zunächst ohne Veranlassung gegenBock vorgingen. Bock ging seines Weges und schimpfte vor sich hin.Der Schutzmann Köppen ging ihm nach und fragte, was Bock ge-sogt habe. Zu dieser Frage lag wirtlich keine Veranlassung vor.Nun soll Bock dem Schutzmann Köppen sogleich mit einem Messergestochen haben. Das ist an sich durchaus nicht glaubwürdig. Einvernünftiger Mensch wird so etwas nicht tun. ES müssen schonStreitigkeiten vorausgegangen fein. Daß es in der Tat so ist,dafür sprechen die Angaben des Zeugen Sieg. Es muß hiernachangenommen werde», daß Bock einen Angriff des Schutzmannesbefürchtete. Das gab ihm natürlich kein Recht, den Schutzmannzu stechen. Aber man kann sehr wohl annehmen, daß es sich hierrrm einen Fall von Putativ-Notwehr(vermeintliche Notwehrshandelt. Die beantragte Strafe von 216 Jahren Gefängnis istvöllig unbegründet. Wenn auch der Angeklagte sich bis jetzt nochnicht in einem Zustande befindet, den man als geisteskrank be-zeichnen kann, so macht er doch den Eindruck eines ManneS, derdurch eine längere Gefängnisstrafe von dem Gefängnischok befallenwerden dürfte. Ich beantrage die Freisprechung des Angeklagten event. eine geringere Strafe.Rechtsanwalt Dr. Oskar Cohnmacht zunächst eingehende Darlegungen über die Entlvickelung derBefugnisse der Polizei.Nach den Bestimmungen des Allgemeinen LandrechtS hat sich dieAusgabe der Polizei zu beschränken auf die Aufrechterhaltung deröffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit und die Abwendungder dem Publikum drohenden Gefahr. Heber die Mittel, welchedie Polizei dabei anzuwenden hat, über die ihr gesteckten Grenzenist im Lnndrecht nichts gesagt. Sie find vielmehr durch die Theoriender Rechtsprechung geschaffen. Hiernach darf die Polizei den ihrgewährten Spielraum nur so weit ausnutzen, als es notwendigzur Erfüllung ihrer Aufgabe ist. Ich verweise auf die Aus-führungen, die der bekannte Rechtslehrer Robert von Mohl g».macht hat. Er sagt u. a.: Die Freiheit der Bürger sei die Grund-läge des Staate«. Die Polizei dürfe nichts tun, wag die Freiheitder Bürger bedrängt und wenn sie einschreiten müsse, dann dürfedies nur mit vernunftgemäßen Mitteln geschehen. ES ist, als obRobert von Mohl schon im Jahre 1838 diesen Prozeß vorausgesehenhätte. WaS er über die Befugnisse der Polizei sagt, das ist inMoabit nicht beachtet worden. WaS die Polizei zum Schutz derKohlenwagen und des Kohlenplatzes tat, entspricht nicht dem, wasMohl als die Aufgaben der Polizei bezeichnete. Auch daS Ober.verwaltuugsgericht stimmt darin mit Mohl überein, daß eS sagt,die Polizei darf keinen an sich rechtswidrigen Plan durchführen.In Moabitaber hat sichdie PolizeiEingriffe in baS Eigentum erlaubt, indem sie Türscheiben ein»schlug und Lokale ausräumte. DaS sind Maßnahmen, deren Sinnund Zweck bisher nicht erwiesen find. Die Polizei darf nach Mohlsich nur in den Dienst der allgemeinen Interessen stellen. In-divibuelle Interessen dürfen mit den Mitteln des Staates nichtgefördert werden. Auch gegen diesen Grundsatz hat die Polizeiim vorliegenden Falle verstoßen. Wenn wir an der Hand dieserGrundsätze prüfen, wann die Polizei im vorliegenden Falle die ihrangewiesenen Grenzen innegehalten und ihre Maßnahmen auf dasNotwendigste beschränkt hat. dann sehen wir, daß das nicht derFall ist. Warum hat sie immer wieder den Ruf ertönen lassen:Weg von den Fenstern? Warum hat sie daS Recht der Bürgerauf ihre Wohnungen in dieser sinn, und zwecklosen Weise einge-schränkt? Doch nicht im Interesse des öffentlichen Wohle?, fon-dern, wie uns hier bekundet worden ist,um keine Zeugen zu haben für das, was sie auf der Straße tat.DiePolizeihat HauStürscheiben eingeschlagen, die Beamten haben Hüte zer-trampelt, welche Stratzenpassanten verloren hatten. Auch dies sinddoch unrechtmäßige Eingriffe in das Eigentum. Auch die Ab-sperrungen der Straßen sind höchst unzweckmäßig gehandhabtworden. Das Einschlagen auf Leute, die zu erkennen gaben, daßsie sich von dem Schauplatz der Unruhen entfernen wollten, ebensodas Einschlagen auf Leute an den Haltestellen und nun gor dasBorgehen gegen die Fahrgäste auf dem Bahnhof istdurchaus rechts, und gesetzwidrig.Ganz besonders gilt das von den Fällen, wo auf Leute eingeschlagenwurde» die bereits am Bodeu lagen. Genau so rechtswidrig wiedie Schutzleute haben fa auch Polizeioffiziere gehandelt. Wenn eSein Vorrecht der höheren Intelligenz ist, daß man für seine Hand-lungen schärfer herangezogen wird, dann müssen diese Offiziereschärfer verurteilt werden als die Schutzleute. Wir haben gehört,daß Frauen und Kinder mißhandelt wurden, die gar nicht darandachten, die Ruhe zu stören. Ja, bei der Ausräumung einesLokales baben doch Schutzleute, wenn auch nicht absichtlich, aufKindern herumgetrampelt! Das ist ein Fall, wo sich die Grenzezwischen Fahrlässigkeit und dem ckolus eventualis nicht mehr erkennen läßt. Hierher gehören auch die Fälle, wo mehrere Beamtegleichzeitig auf ein oder mehrere Personen eingeschlagen habenund wo Leute von hinten überfallen worden sind. Das ist dochkeine rechtmäßige Ausübung des Amtes, sondernrohe Lust an Mißhandlungen.Es ist wohl der Polizei im Drange der Geschäfte noch nicht möglichgewesen, die Beamten ausfindig zu machen, welche sich in dieserWeise vergangen haben. Man darf wohl erwarten, daß nach Ab-schlutz dieses Prozesses die strafrechtliche Behandlung der Fälle vonMißhandlungen in die Wege geleitet wird. Es handelt sich hierum Mißhandlungen, die gemeinschaftlich, mit gefährlichen Werk-zeugen und zum Teil durch hinterlistigen Ueberfall verübt wordensind. Nach den Erfahrungen dieses Prozesses darf man sagen: diePolizei verdient nicht mehr den Vorwurf, daß sie von dem demo-kratischen Zuge der Zeit nichts in sich aufgenommen habe. Esgibt in der Tat eine Demokratie bei uns. Das ist die Demo-kratie deS SchutzmannSsäbels. Hoch und niedrig, alt und jung,Mann, Weib und Kind, der Mann der Feder und der Handarbeiter,das LandeSkind und der böse Ausländer, alle sind gleichmäßigvom Säbel des Schutzmanns und vom Gummiknüppel des Krimi-nalbeamten getroffen. Wenn einmal ein künftiger Hans Holbeineinen neuen Totentanz zeichnen wird, dann bewaffnet er viel-leicht den Tod mit dem Schutzmannssäbel, der wahllos und ohneAnsehen der Person jeden trifft. Wenn man annimmt, der Obrig-keit sei das Schwert gegeben, um es zu benutzen, dann bleibt immernoch die große Zahl der widerwärtigen Beschimpfungen, dienamentlich in den Fällen ganz besonders widerwärtig sind, w" siesich gegen Frauen richteten.Nun noch ein Wort über die Rolle, welcheKriminalbeamte als Lockspitzelgespielt haben. In vier bis fünf Fällen haben uns Zeugen dieGewißheit verschafft, daß eine?lnzahl von Kriminalbeamten nichteine polizeiliche, sondern eine antipolizeiliche Tätigkeit ausgeübthaben. Die Frage, ob diese Fälle eine innere Wahrscheinlichkeitfür sich haben, wird man beantworten können, wenn man dasSystem unserer Polizei näher betrachtet. Wir sehen, daß diePolizei seit ihrem Bestehen nicht nur eine Verkehrseinrichtung,sondern auch eine politische Institution ist, und daß deshalb dieGeheimpolizei von jeher eine Rolle gespielt hat. In der GeschichteWilhelms l. wird erzählt, daß in der Zeit, wo er sich als Prinzder Mißgunst der Hofpartei erfreute, sein Schreibtisch von Ber-liner Kriminalbeamten erbrochen und Papiere daraus entwendetworden. Auch der Hochverratsprozeß gegen Ladendorff ist von einemBeamten der Kriminalpolizei verursacht worden.Als der Verteidiger noch weiter auf dies Thema eingeht, unter-bricht ihn der Vorsitzende mit der Bemerkung, er möge von denEinzeldarstellungen absehen, ein geschichtlicher Ueberblick könne ihmnicht verwehrt werden.Rechtsanw. Dr. Cohn: Wenn die von mir zitierten Fälle nichtgerichtsnotorisch sind, so sind sie doch geschichtsnotorisch. Wenndaran gezweifelt werden sollte, daß das Lockfpitzeitum feit minde-stens 50 Jahren eine ständige Einrichtung der preußischen Polizeiist, so trete ichBeweisdafür an durch Berufung auf den OberregierungSrat v. Friedheim,daß in der Zeit des Sozialistengesetzes die KriminalschutzleuteJhring-Mahlow und Naporra eingetreten sind in einen Arbeiter-verein, dann Mitglieder des Vereins zu Dynamit-Attentaten an-gereizt, und die Leute, die sie aufzureizen versucht hatten, denun-ziert haben. Ferner stelle ich unter Beweis, daß das anarchistischeBlatt, die„Freiheit", welche in London von Hans Most heraus-gegeben wurde und in jeder Nummer zum Mord des DeutschenKaisers und anderer Bundesfürsten aufforderte, auf Kosten derpreußischen Polizei gedruckt und verbreitet worden ist. Fernerstelle ich unter Beweis, daß der Kriminalkommissar Wohlgemuthan einen seiner preußischen Spitzel in der Schweiz geschrieben hat,er solle sich mit den Ausgewiesenen bekannt machen und tüchtigdarauf loswühlen. Ferner stelle ich unter Beweis, daß der jetztnoch im Dienst befindliche Kriminalkommissar Schön einen russischenStaatsangehörigen unter Androhung der Ausweisung zu bestimme«versucht hat, nach Rußland zu reise» und gegen sein eigenes Voter-land Spionendienste zu leisten. Ja der Kriminalkommissar Schönhat diesem Manne sogar einen gefälschten Paß ausgestellt. Fernerverweise ich darauf, daß im Juli 1009 in Dresden ein Prozeß statt-fand, in dem ein der russischen Sprache mächtiger Kriminalbeamtereine bewußt falsche Uebersetzung eines Schriftstückes gegeben hat.um die Angeklagten zu belasten. Er hatte statt„legale" Ver-sammlung„geheime" Versammlung übersetzt. Diese falsche Ueber-setzung war der Grund zur Verhaftung zahlreicher Studierenderdes Technikums Mittweida. Ich erinnere serner daran, daß imProzeß Leckert-Lützow der Staatssekretär Marschall erklärt hat, ermüsse sich vor dem Treiben der gegen ihn arbeitenden Spitzelin die Oeffentlichkeit flüchten.Haben diese Fälle etwa? Zufälliges oder sind sie eine not-wendige Folge des Systems? Auch auf diese Frage gibt RobertMohl eine Antwort, er sagt, mit jeder Polizei, die keine Verkehrs-einrichtung, sondern ein politisches Instrument ist. muß notwendigdie Einrichtung der Geheimpolizei verbunden sein. Das Ergebnisder Wissenschaft und der praktischen Beobachtung ist dahin zu-sammenzufassen, daß die Verwendung von Lockspitzeln ein Schand-fleck für die Polizei ist. Und daß mit solchen Mittel gearbeitetwird, die an sich unsittlich sind, ist keine Zufälligkeit, sondern eineimmer wiederkehrende Erscheinung des Systems. Seit den 200Jahren ihres Bestehens ist die preußische Polizei immer dieselbegeblieben. Sie faßt ihr Verhältnis zum Volk immer noch soauf als ob das Volk noch aus Untertanen und nicht aus freienStaatsbürgern bestände. Ja, die Polizei hat die Kluft, welchezwischen ihr und dem Volke besteht, von Jahrzehnt zu Jahrzehnterweitert. Die Polizei ist heute noch erfüllt von dem Geist FriedrichWilhelm k„ der einen Untertan, welcher ihm furchtsam aus demWege ging, verprügelte und dabei sagte: Ihr sollt mich nichtfürchten, sondern lieben. Die tiefe Abneigung, welche nach derAngabe der Slaatsanwaltschast besonders zwischen der Polizei undder Arbeiterschaft besteht, erscheint begründet. Der Haß gegen eineEinrichtung, die auch dem Wohle des Volkes dienen soll, mußdoch ihre tieferen Ursachen haben. Die Arbeiter sehen, daß ihnenvon der Polizei die größte Nngerechtigkeit widerfährt. Ueber-tretungen der Stratzenordnung werden für gewöhnlich mit dreiMark bestraft. Begeht aber ein Streikposten so eine Uebertretung,bleibt er einmal auf der Granitbahn des Bürgersteiges stehen,so wird er nach einer allgemeinen Verfügung des Polizeipräsidentenmit einer Strafe von 30 M. belegt. Wenn die Arbeiter sehen.daß ihreFrauen und Töchter von Polizeibeamten Huren und Trinenbeschimpftwerden. Wenn die Jugend in ihren Bestrebungen nach Bildungund Gesittung von der Polizei gehindert und in der unglaublich.stcn Weise beeinträchtigt wird, wenn barmlose Ausflüge der Ar-beiterjugend von der Polizei verfolgt werden, während diepatriotischen Jugendvereine in jeder Hinsicht die gröhten Frei-heiten geniefeen, dann darf man sich nicht wundern über den Haßgegen eine so ungerechte Behörde, wie cS die Polizei ist. Von denArbeitern, die heute in Moabit wohnen, haben viel« als jungeMänner die Schreckenszeit des Sozialistengesetzes miterlebt. Siehaben mit angesehen, wie ihre Vater am Weihnachtsabend ausBerlin ausgewiesen wurden. Kanu man sich da wundern, wenndiese Männer die Polizei hassen? Die Berliner Arbeiter müßtenja Fischblut in den Adern haben, sie müßten ja solche Hundsföttersein, wie sie von ihren Gegnern hingestellt werden, wenn sie auseiner Tätigkeit der Polizei, wie sie hier dargetan worden ist, andersGefühle in sich aufnehmen sollten als die der Abneigung, oder wieder Erste Staatsanivolt sagte, des Hasses gegen die Polizei.Der Verteidiger erörtert hierauf die von ihm vertretenenEinzelfälle.Er beantragt in bezug auf Frau Dominak eine geringere alsdie vom Staatsanwalt beantragte Strafe. Bei der Erörterungder Fälle Brey er. Miers und Heide führt er u. a. aus,die Erfahrung dieses Prozesses nötigt zu einer Revision der all-gemeinen Stellung, welche die Gerichte zu der Aussage von Be-amten einzunehmen pflegen. Der Verteidiger weist an mehrerenin diesem Prozeß gemachten Aussagen von Polizeibcamten dieUnzuverlässigkeit derselben nach und hebt hervor, daß e» durchausungerechtfertigt ist, wenn den Aussagen von Beamten ein größeresGewicht beigelegt wird als den Aussagen von Zivilzeugen. Berdieser Gelegenheit weist der Verteidiger auch daraus hin. daßPolizcibeamte während dieses Prozesses in höchst auffälliger Weisedekoriert worden sind. Diese Tatsache sagt er, sei deshalb zu er-wähnen, weil die Dekoration und die Art ihrer Erörterung in derPresse doch zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugendiene und einen Schluß darauf zulasse, ob die Glaubwürdigkeit derZeugen dadurch erhöht oder vermindert worden sei.Vorsitzender: Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Aus-Zeichnungen der Beamten hier nicht erörtert werden dürfe».Rechtsanwalt Cohn: Ich habe diese Angelegenheit deshalb hierzur Sprache gebracht, weil eine Dekoration im Laufe des Prozesse»auf die Glaubwürdigkeit der Beamten ebenso— allerdings inanderer Richtung— einwirken muß, wie ein im Lauf« des Pro-zesses anhängig gemachtes Disziplinarverfahren.Gerichtsbeschluß.DaS Gericht zieht sich zurück. Nach kurzer Beratung ver-kündet der Vorsitzende: Die Ordensauszeichnungen der Polizee-beomten sind hier nicht zur Erörterung zuzulassen, weil sie nichtGegenstand der Beweisaufnahme gewesen sind und auf die Glaub-Würdigkeit der Zeugen keinen Einfluß haben.Rechtsanwalt Cohn fährt hierauf in der Erörterung derEinzelfälle fort und kommt schließlich zumFalle Sattler.Hierzu legt er dar: Von der Anklage gegen Frau und FräuleinSattler ist nichts ührig geblieben. Nichts ist gegen sie erwiesen.Es ist doch etivaS ganz Ungewöhnliches, wenn eS in der Anklage-schrift heißt:„Frau Sattler hat sich schon mehrmals bei Wahlenund bei Streiks im Sinne der sozialdemokratischen Partei be-tätigt, sie ist auch MUglied des sozialdemokratischen Wahlvereins."Auch von einer Vorstrafe der Frau Sattler ist die Rede, die sieaus Anlaß eines Streiks erlitten haben soll. Diese Strafe beträgt— zehn Mark. Diese Hinweise genügten, um die Frau r»Untersuchungshaft zu bringen! Die Anklage gegen FräuleinSattler hat ja der Staatsanwalt selbst fallen lckssen. Es ist be-merkenswert, daß alle Zeugen, welche gegen diese Angeklagte insFeld geführt wurden, nichts gegen sie zu sagen wußten. Dagegensprachen alle diese Zeugen über den Fall Herrmann. Der Geistdieses unglücklichen erschlagenen Mannes ging durch den Saal.Mit größter Deutlichkeit wurde uns dies furchtbare Ereignis hiervorgeführt. Angesichts des an Herrmann verübten Totschlagesmuß man sagen: Es fehlt der Polizei nicht nur dl«Fähigkeit, sondern auch der gute Wille, Verbrecher zuentdecken. Man erschrickt, wenn man sieht, welch ein geringes Maßvon Energie die Polizei aufgewandt hat. um in diesem Falle einenKapitalverbrecher zu entdecken. Die Polizei hat eme Mordkommission, die immer an Ort und Stelle erscheint, wenn einsolches Verbrechen verübt worden ist. Ich will mich damit be-gnügen, nicht von einem Mord, sondern von einem Totschlag Herr-mann zu sprechen. Eine Totschlagkommission haben wir noch nicht.aber sie müßte eingeführt werden, wenn sich die Fälle von Tot-ischlag durch Beamte wiederholen sollten. Der Fall Herrmannliegt sehr traurig. Der alte, religiös gesinnte Mann ging auf dieStraße, um seinen Sohn zu suchen. Ein anderer Sohn wollte stattseiner gehen, aber der Vater hielt ihn zurück mit den Worten:Bleib Du nur hier, für Dich ist die Sache gefährlich, ich bin einalter Mann, mir werden sie ja nichts tun. DaS Vertrauen diesesMannes ist schmählich zu nichte geworden. Zwei Minuten späterwurde er erschlagen.Es wird von einer Aufklärung über die Moabitee Borgänge nichieher die Rede sein können, ehe nicht die Staatsanwaltschaft allesgetan hat, was sie zu tun verpflichtet ist, um Ausschau zu haltennach dem Mörder HerrmannS.Rechtsanwalt Ulrichbetritt hierauf den Saal und entschuldigt sein spätes Kommendamit, daß er hohes Fieber habe und sich nur mit Aufbietung allerKraft zum Gericht geschleppt habe. Er bittet, über seinenKlienten, den Angeklagten Schulz, der geständig sei, mit einemStein eine Laterne zertrümmert zu haben, nur eine Strafe zu ver-hängen, die durch die achtwöch'ge Untersuchungshaft als verbüßtanzusehen ist. Der jugendliche Angeklagte sei aus einer Beamten-familie hervorgegangen, ihm sei keine sozialdemokratische Gc-sinnung und kein Haß gegen alle Autorität in der Familie einge-flößt worden. Er ist ober— so fährt der Verteidiger fort— einZögling derselben Berliner Volksschule, die bei all ihren gutenEinrichtungen für die Vermittelung des Wissens nicht ausreichenddafür sorgt, daß frommer Sinn, unbedingter Gehorsam geßcn dieBehörden, Vaterlandsliebe und unbedingte Königstreue in denHerzen ihrer Zöglinge feste Wurzeln faßt. Der Angeklagte kamdann in die Fabrik, wo es die sozialdemokratische Organisationmeisterhaft verstand, ihren Einfluß geltend zu machen, wo er allesandere lernen konnte, nur nicht Sichtung vor der StaatSautorität.Dazu kommt dann die Verhetzung und Vergiftung durch dieschlechte Presse, die in diesen Kreisen gelesen wird und jahraus.jahrein ihr Gift verstreut. Wo findet man in der demokratischenPresse— ich spreche nicht nur von der sozialdemokratischen und ihrgleichgestimmter Witzblätter— Achtung vor der StaatSautorität?ÄlleS. was sich diesen Leuten entgegenstellt, wird mit Haß, Hohnund Spott beworfen. So sind die jungen Leute in ihrer Ge-sinnung vergiftet. Sie werden nicht erzogen im Sinne desSchriftwortes:„Seid Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über Euchbat." So erklärt es sich, daß_ der junge Mensch, ohne mit derWimper zu zucken, einen Stein nimmt und sich an der Zer-trümmerung der Laternen beteiligt. Wenn so dav Gift nachaußen wirken kann, dann ist das Gefängnis das letzte. Ich bitte,dem Angeklagten zu ersparen, daß eine längere Gefängnisstrafenoch weiter ungünstig auf ihn einwirkt. Hier stehen nicht die aufder Anklagebank, die eS verdient haben, sondern nur die Produkteder Verführung und Mißlcitung, die zufällig auS der Masseherausgegriffen worden sind. Deshalb: Kamps bis aufs Aeußerjteden volksverführenden Gewalten, aber ein mildes Urteil den armenVerführten auf der Anklagebank. Wenn Sie, meine HerrenRichter, diese Milde� auch auf die anderen Mitangeklagten er-strecken wollten, so würde das ein vornehmer und edler Erfolg derVerhandlung sein.Damit schließt die Sitzung. Die Verhandlung wird heute um9*! Uhr fortgesetzt•In unserem letzten Bericht heißt eS an einer Stelle in derRede deS Rechtsanwalts Rosenfeld:„Man hat die Streikendenmit Revolvern bewaffnet."— Unsere Leser werden sofort bemerkthaben, daß nur der Druckfehlerteufel den Streikenden Waffen indie Hand gespielt hat. In Wirklichkeit waren rtstürlich dieStreikbrecher mit Revolvern und Gummiknüppeln be,waffnet.