Einzelbild herunterladen
 
mit einem Kommando abgeschickt. VN die Sickingenstraßewieder mal ein bißchen zu räumen." Auch ichm habe er Milde empfohlen, und das sei auch meist befolgt worden, wenigstens sei ihm, dem Polizeimajor Klein, keine Meldung zugegangen, daß das nicht ge- schehen wäre. Die geflüchtete Menge sei aber hinter der Polizei immer wieder, wie aus der Pistole geschossen, aus den Kneipen herausgekommen, und da habe doch die Polizei nicht feige zurück- weichen können, sondern habe'mm«r wieder gegen sie Front ge- macht. Die Zerstörung der Fenster der Reformationskirche sei zweifellos das Werk wirklichen Janhagels gewesen. Am 27. Sep- tember habe das plötzliche Verlöschen zahlreicher Laternen ihn auf den Gedanken gebracht, daß hier eine gewisse Direktive im Spiel sei. Er wolle aber keinen Verdacht nach bestimmter Richtung hin aussprechen, es gebe ja immer Unberufene, die sich eine Leitung anmaßen. Die Ruhe, die am 28. September in der Rostocker Straße«in- trat, erschien dem Polizeimajor Kleinauffallend still, unheimlich still". Er meinte, offenbar hatte die Anwendung der Schußwaffe, zu der es hie: am 27. September gekommen war, doch gefruchtet. Vielleicht habe auch eine Zeitungsnotiz, daß die Tumultuanten nichts mit der sozialdemokratischen Partei zu tun hätten, ernüchternd ge- wirkt. Zeuge denkt hier, wie er später angibt, an«ine Notiz des Vorwärts". Aber die Ruhe vom 23. September machte ihn doch mißtrauisch, sagt er, darum requirierte er am 23. September Karabiner. Wäre es in der Rostocker Straße, so bekundet er, noch- mals losgegangen, so hätte ich rücksichtslos die Karabiner ange- wendet. Es wäre nickt» weiter übrig geblieben, als die Balkons mit dieser Schußwaffe zu bestreichen. Aber es kam nicht dazu. Am 30. September sei dann von der Polizei auch in der Turmstraße so lange gearbeitet worden, bis Ruhe eintrat". Es seien aber in diesen Tagen alle möglichen Nachrichten eingelaufen. Die Brüssel- brücke wolle man in die Luft sprengen, ganz bestimmt! Da Hab« er wenigstens eine Patrouille hinschicken müssen. In der Siegesallee  wolle ein Trupp alle Denkmäler demolieren! Mannschaften habe er hinbeordert, er selber habe sich in ein Automobil geworfen, aber in der Siegesallee sei alleS still gewesen. Im Kriminalgericht habe übrigens zum Schuh des Weges nach dem Tiergarten eine ganze Polizeihauptmannschaft bereitgestanden. Der Herr Polizeimajor machte ein verduzteS Gesicht, als der Vorsitzende ihn unterbrach, die weiteren Schilderungen interessierten nicht mehr. Die zur Anklage stehenden Straftaten reichen nämlich nur bis zum 27.«-eptember. Oberstaatsanwalt Preutz fragt nach den Borschriften über den Wasfengcbrauch. Polizeimajor Klein verliest die Instruktion, die sich auf eine Verordnung von 1854 stützt. Danach haben die Polizei- Mannschaften ohne Anweisung der Vorgesetzten die Waffe zu ge- brauchen u. a. dann, wenn ihnen Gewalt entgegengesetzt wird, wenn sie anders ihren Posten nicht behaupten können usw. Immer ober soll die Waffe mit mäglichstcr Schonung gebraucht werden und erst dann, wenn alle anderen Mittel fruchtlos angewendet sind. Oberstaatsanwalt Preuß fragt nach den Verletzungen der Mannschaften und Offiziere. Verwundet wurden 4 Offiziere und rund 8g Mann, durch einen Steinwurf auch Polizeiinajor Klein. Ebenso wurden Leutnant Rauschte und Leutnant Folte verwundet. Rechtsanwalt Heinemann: Aber wie verletzt? Zeuge: Rauschke ist nicht sehr verletzt. Aber Leutnant Heck hat 14 Tage krank gelegen. Staatsanwalt Porzelt: Schutzleute wurden doch bis in die Wirtschaften hinein verfolgt? Zeuge: Fa. In der Rostocker Straße wurde ein Wachtmeister Pick verfolgt, er rettet« sich in ein Lokal und wurde von einer Familie gerettet, die er von früher her kannte. Rechtsanwalt Rosenfeld: Wieviel Zivilpersonen wurden verletzt? Wieviele wurden auf Unfallstationen und in Kranken» Häusern festgestellt? Zeuge: Das weiß ich nicht. Rechtsan- »alt Rosenfeld: Gewiß weit mehr als 80! Der Polizeimajor hat jetzt eine andere Auffassung. Rechtsanwalt Heinemann greift auf das Ergebnis der Beweis- aufnähme in der Strafkammerverhandlung zurück. Zum Zeugen: Vor der Strafkammer wurden Sie gefragt, was Sie dazu sagen. wenn Sie hören, daß die humanen Anordnungen in einer großen Anzahl von Fällen nicht beachtet worden sind, und daß auf härm- lose Personen eingeschlagen worden ist. Da sagten Sie: Das glaube ich nicht, daß das geschehen ist; ich glaube, daß ich für meine Beamten garantieren kann und daß, wenn es geschehen wäre, ich Meldung bekommen hätte. Hat das, was Sie inzwischen kennen gelernt haben, das Bild Ihrer Auffassung so erschüttert, daß Sie glauben eine Garantie für Ihre Beamten nicht mehr übernehmen zu können? Zeuge Polizeimajor Klein: Ich bin sehr gewissenhaft und stets sehr gerecht. Ich muß insofern meine Aussage ändern. daß ich eine solche Garantie nicht mehr übernehmen kann. Nach den Verhandlungen vor der Strafkammer muß ich annehmen, oder kann man annehmen, daß tatsächlich einzelne Beamten meinen Intentionen und Anordnungen nicht entsprochen haben und da ein bißchen zu weit gegangen sind. Ich weiß nicht, warum? Ich kann nur annehmen, daß sie furchtbar ausgeregt waren oder daß da Vorgänge mitsprachen, die die Zeugen, die das bekundeten, nicht gesehen hatten. Rechtsanwalt Heinemaon: Sie wurden ge- fragt, was Sie zu den rohen Schimpfwörter» sagten. Sie sagten: Das glaube ich nicht. WaS sagen Sie jetzt? Zeuge: Ich kann sie durchaus nicht billigen. Rechtsanwalt Hcinemann: Welche? Urteil haben Sic nun darüber, nachdem von so vielen Personen solche Aeuherungen bekundet worden sind? Zeuge: Ich will sse nicht entschuldigen. Selbst wenn einzelne Ver- anlassung gehabt hätten zu schimpfen, so durften sie doch nicht so roh schimpfen. Rechtsanwalt Heinemann: Hure zum Beispiel! Zeuge: Na ja, da« ist entschieden ungehörig. Rechtsanwalt Heinemann berührt auch die Frage des Schnapses, der von Schutzleuten getrunken worden sein soll und fragt, ob der Major das verboten habe. Zeuge bezaht das und glaubt auch nicht, daß das Verbot übertreten worden, mindestens sei nichtoffiziell" Schnaps getrunken worden, wenn es etwa mal vorgekommen sei. Er meint, seine Beamten gegen den Vorwurf verteidigen zu sollen, daß sie aus Kosten von Kupfer u. Co. sich gütlich getan haben. Schließlich gibt er noch an, daß unter allen Umständen, wenn in großer Menge Schnaps getrunken sein sollte, Bestrafung einzu- treten hätte. Wer hat die Kriminalbeamten geschickt? Rechtsanwalt Heinemann: Eine letzte Frage! Sie haben heute noch nicht von den Kriminalbeamten gesprochen. Forderten Sie die oder kamen die so? Polizeimajor Klein: Sie sind so ge- kommen. Zeuge gibt an. Geheimer Regicrungsrat Hoppe sei mit Kommissar Kuhn nach dem Kupferschen Kohlenhof gekommen, habe sich nach den getroffenen Mahregeln erkundigt und dann seien die Kriminalbeamten nach Moabit   geschickt worden. Ich kann doch, fügt er hinzu, nichts dagegen tun, wenn der höhere Vorgesetzte es anordnet. Rechtsanwalt Hcinemann: Welchen Eindruck haben Sie aus dem gewonnen, was Sie in der Strafkammervcrhandlung über die Kriminalbeamten erfahren haben? Zeuge Polizeimajor Klein: Ja, daS kann ich wirklich nicht sagen. Da möchte ich doch wirklich bitten, mix die Antivort zu erlassen. Hiermit ist die Vernehmung des Polizeimajors Klein einst- weilen beendet und es folgt als zweiter Zeuge der Polizeileutnant Folte, der unter ihm in Moabit   an den Polizeischlachtcn beteiligt gewesen ist. Auch er bekundet im wesentlichen wie in der Strafkammer- Verhandlung. Er schildert, wie er zunächst die Menge in licbens- würdigster Weise gebeten habe, doch weiter zu gehen. Erst als man auf ibn und feine Leute eindrang, habe er mit der Waffe vorgehen lassen. Ueber den Schuß des Arbeitswilligen, der am 26. September plötzlich die Erregung so sehr steigerte, bekundet er, daß er die Aufforderung, den Schießer festzustellen, mit den Worten beantwortet hat: Beruhigen Sie sich, wen» der Mann geschossen hat, so ist er feflgest-vt. Bei dem Versuch, die erregte Menge zurückzudrängen, kam es dann zur Attacke der Polizei gegen die Löwesche Fabrik. Im Anschluß an die Vernehmung dieses Zeugen fragt Oberstaatsanwalt Preuß: In der Presse ist dSr Polizei vorgeworfen worden, sie habe absicht- lich die Revolte groß werden lassen, weil sie ein Interesse daran hatte. Hat nicht gerade Leutnant Folte dem Geschäftsführer von Kupfer u.(So. den Rat gegeben, auf Vergleichsvcrhandlungen mit der Vertretung der Streikenden einzugehen? Zeuge Folte: Ja­wohl. Ich habe darüber mit der Verwaltung, mit Herrn Busch- meier und mit Herrn Stinnes gesprochen und habe mir eine Dar- stelluna der Ursachen des Streiks geben lassen. Als vom Trans- Portarbeiterverband Vergleichsverhandlungen angeregt wurden, versuchte ich, mich auch mit den Arbeitern in Verbindung zu setzen. Ich hatte den Auftrag, hierüber eine Ausarbeitung zu machen, da- rum wendete ich mich an den Gastwirt Pilz   und bat ihn, mir be- hilflich zu sein, damit ich auch von den Arbeitern eine Darstellung bekäme. Pilz   versprach das. Er sagte mir aber dann, der Streik- leiter komme nicht mehr zu ihm, ich möchte zum Gewerkschaftshaus gehen. Das konnte ich nicht tun. Herr Buschmeier erklärte mir. er sei bereit, mit den Arbeitern zu verhandeln, aber nicht mit dem Verband. Ich antwortete ihm, es sei doch wohl etwas rigoros unter den heutigen Verhältnissen, eine Gewerkschaft völlig zu ignorieren. Rechtsanwalt Heinemann stellt fest, daß die Firma auch die Bermittelung des Oberbürgermeisters Kirschncr und des Gewerbe- gerichtsvorsitzenden v. Schulz abgelehnt hat, während der Verband bereit war, sich einem Schiedsspruch zu unterwerfen. Auch Polizeileutnant Folte ist jetzt anderer Ansicht. Auch den Zeugen Folte fragt Rechtsanwalt Heinemann, ob er aus der Straflammerverhandlung nicht den Eindruck gewonnen habe, daß die von Polizeimajor Klein und ihm selber gegebenen Befehle von den Beamten nicht durchweg befolgt worden seien. Zeuge: Nach dieser Verhandlung kann ich allerdings diese Frage nicht verneinen, sondern muß leider sagen, daß Beamte sich Ueber- griffe erlaubt haben, die ich sehr bedauere. Ich bitte aber zu be- denken, daß wir auch nur Menschen sind und daß unsere Beamten sich zu manchem haben hinreißen lassen, was sie bei ruhiger Ueber. legung nicht getan hätten und was hinterher gewiß jeder bedauern wird. Der Polizeiberuf gestattet nicht lange Ucberlegung und stellt oft vor Lagen, wo rasch ein Entschluß gefaßt werden muß. Rechtsanwalt Heinemann: Sind Sie nicht der Meinung, daß in manchen vor der Strafkammer vorgebrachten Fällen es sich nicht um bloße Uebereilung, sonder» um bewußte Mißhandlungen bandelt? Wie denken Sie jetzt über die Tätigkeit der Kriminal- bcamten? Zeuge Polizeileutnant Folte: Es wird hier von mir eine Art Urteil verlangt. Das ist doch ein bißchen viel verlangt. ich bin ja- kein Richter, daß ich darüber urteilen soll, was erweis- lich wahr ist und was nicht. In einzelnen Fällen haben wohl Uebergriffe stattgefunden, aber ob dies bewußt geschehen ist, kann ich nicht wissen. Hierauf wird die Sitzung abgebrochen. Nächste Sitzung heute um 10 Uhr._ Abgrunde menschlichen Glends. In Oberfrankcn, dem nördlichsten bayrischen Regierungsbezirk, teilweise bekannt unter dem Namen bayerisches Sibirien  , wird das gewerbliche Leben beherrscht von drei großen modernen Industrien: der Porzcllanindustrie, der Textilindustrie und der Glasindustrie. Stark vertreten sind ferner die Brauereiindustrie, doch hat sie weniger Bedeutung, desgleichen die Lederindustrie. In bezug auf die Höhe der Löhne, die von diesen Industrien gezahlt werden, laßt sich nicht viel Rühmenswertes sagen. Di« Or- ganisationen der Arbeiter aller Industrien sind noch Verhältnis- mäßig schwach und konnten bis jetzt noch nicht durch kräftiges und anhaltendes Vorgehen eine so notwendige und wesentliche Besserung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse erreichen. Immerhin, so schlecht die Verhältnisse der Fabrikarbeiterschaft dieser Industrien vom Standpunkt der Arbeiterschaft aus sind, so unbefriedigend sie auch vom Standpunkt der bürgerlichen Volks- Wirtschafter erscheinen, sie sind wahrhaft glänzend gegenüber den Lahn  - und Arbeitsverhältnissen der ungemein zahlreichen Heim- arbeiterschaft ObcrfrankenS, die in einer Zahl von ungefähr 25 000 beschäftigt sind in der Textil-, Glas-, Korbwaren- und Jßeder- industrie. Welch« von diesen Industrien die schlechtesten Verhältnisse hat, dürfte kaum zu entscheiden sein, sicher ist, daß sie olle gemein- sain unglaublich miserable Lohn- und Arbeitsbedingungen auf» weisen, die man im 20. Jahrhundert in einem Kulturland geradezu für unmöglich halten sollte. Und um es vorweg zu sagen: ES erscheint ausgeschlossen, daß diese total verelendete Arbeiterschaft aus sich selbst die Kraft findet. andere Verhältnisse zu verlangen und zu erreichen, will sagen zu erkämpfen. Hier muß die Gesetzgebung eingreifen, sollen nicht ganze Generationen unvermeidbar der Degeneration verfallen. Unglaublicherweise hat nun aber die Vertretung der Unter- nehmer, die Handelskammer für Oberfranken  , in ihrer Sitzung vom 31. März 1310 jedes Bedürfnis zu einem gesetzlichen Eingreifen in die Verhältnisse der Hausindustrie energisch bestritten. Hören wir, was der Referent zu diesem Punkt der Tagesordnung: Stellung- nahm« zum Entwurf eines HauSarbeitSgesetzes, sagte. Magistrats- rat Rink-Hof führte u. a. auS:In der oberfränkischen HauS- industrie bestehen Mißstände nicht. Die rigorosen Bestimmungen deS Gesetzentwurfs sind für unsere Verhältnisse ü b e r f l ü s s si g, die Verhältnisse der Heimarbeiter sind gute, die Löhne sind wesent- lich g e st i e g e n." Im selben Sinne sprachen noch mehrere Fabri. kanten und Kvmmerzienrät«. die namentlich betonten, daß die Heimarbeiter sich großer Selbständigkeit erfreuen, meist ihre eigene Scholle hätten und durchaus zufrieden seien. WaS hier behauptet wurde, steht mit den Tatsachen im schroffsten Widerspruch. Nur das stimmt, daß die Heimarbeiter teilweise zufrieden sind. Aber es ist«ine lief unglückselige Zufriedenheit, und wir unterbreiten es dem Urteil der Oeffentlichkeit. ob es nicht ein sehr verdienstvolles Werk wäre, diese zufriedenen Heimarbeiter mit ihrer Lage durchaus unzufrieden zu machen. Im Auftrag des Vorstandes des Schuhmacherverbandes wurden Mitte Dezember die Verhältnisse der Schuhmacher-Heimarbeiter in den oberfräntifchen Orten Kulmitz, Leupoldsberg. Räumlas, Lippertsgrün, Schwarzenbach a. W., Schwarzenstein, Enchenreuth und Presseck   untersucht. Hierbei taten sich Abgründe menschlichen Elends auf. Die Leute arbeiten für Fabrikanten in Naila  , Schwarzenbach a. W. und Presseck  . Die wirtschaftliche Lage dieser Herren läßt nichts zu wünschen übrig und einige haben es in ziem- lich kurzer Zeit vom kleinen Krauter zum Besitzer gewaltiger Pro- duktionSstätten an verschiedenen Orten gebracht. Fabriziert werden von den Heimarbeitern in der Hauptsache die sogenannten Kanonenstiefel, schwere langschöftigc Stiefel, ferner Halb-Kanonenstiefel. gewöhnliche Schaftstiefel und Stiefeletten und sogenannte Triumphstiefel, die sich von den Stiefeletten nur durch den Schnallenverschluß unterscheiden. Da die gleichen Ursachen die gleichen Wirkungen, vielleicht in der Form etwas abweichend, hervorrufen müssen, erklärt es sich ohne weiteres, daß die Verhältnisse sämtlicher Heimarbeiter fast ohne jede Ausnahme die gleich erbarmungswürdigen sind. Betrachten wir daher einige der wahllos aufgesuchten Schuh- macher in ihrer Häuslichkeit, in ihrer großenSelbständigkeit" und bei ihrer Arbeit mit dengestiegenen" Löhnen näher. Vorausschicken möckten wir noch, daß ein Teil der Heimarbeiter in eigenen Häusern wohnt und der größte Teil derselben sich seinen Jahresbedarf an Kartoffeln selber baut. Auf die Lebenshaltung hat das aber keinerlei Einfluß weiter. Denn da die Leute kein Großvieh besitzen, müssen sie Düngerfahren und Ackern von anderen besorgen lassen und dafür bezahlen. Und was sie an Zeit für Feld- arbeit austvenden, geht ihnen natürlich verloren an Zeit zur lohnenden" Heimarbeit. Die wirtschaftliche Lage der haus- besitzenden und selbst Kartoffel bauenden Heimarbeiter ist daher durchaus nickst besser als die der vollkommen besitzlosen, denn aus leicht erklärlichen Gründen sind WohnungSmieten und Kartoffel» preise ungemein niedrig. Die höchste WohnungSmiete betrug 80 R.« und sie ging herunter bis auf 24 M. im Jahr. Solche Beträge muß auch der Hausbesitzer an Steuern und Unterhaltskosten aufbringen. Kartoffeln stehen oft so niedrig im Preis, daß der Zentner für 1,50 M. zu haben ist. Ter einzige Unterschied zwischen den Heimarbeitern mit eigener Scholle und denen, die alles zum Leben Notwendige kaufen müssen, besteht in der Hauptsache darin, daß die«rstercn meist das ganze Jahr über Kartaffeln, die Grundlage und den Hauptbestandteil der täglichen Nahrung, haben, während die letzteren auch hierin manchmal Schmalhans Küchenmeister sein lassen müssen. Doch treten wir ein in die Stube des Heimarbeiters A. ES ist ein 63 Jahre alter Mann, der mit seinen beiden Söhnen zu- sammen Kanonenstiefel macht. Wegen schwacher Körperkonstitution sind beide Söhne militärftei geworden, der eine, unverheiratete, ist brustleidend, die Familie des anderen, die 3 Kinder zählt, lebt mit im Haushalt. Außer der Arbeits- und Wohnstube, die genau 20 Quadratmeter groß ist, enthält das Häuschen noch ein zweites Zimmer von 14 Quadratmetern Größe. Und in diesen beiden Räumen mit Zuhilfenahme des ebenso luftigen wie im Sommer heißen und im Winter eisigkalten Bodens wohnen, arbeiten und schlafen 2 Familien, bestehend aus 5 Erwachsenen und drei kleinen Kindern! Welches Wohnungselend drückt sich schon hierin aus. Aber es kommt nochbesser"! Die Zimmer sind 2,10 Meter hoch. Im Wohn- und Arbeits- zimmer hält sich die ganze Hausbevölkerung des Tags über auf. Dazu die Ausdünstung von etwa 30 Paar Kanonenstiefeln, die teilweise mit Tintensatz und Wach» behandelt werden müssen, ferner die Kochdämpfe und die Dünste trocknender, um den Ofen hänAender Wäsche; eine für den nicht daran Gewöhnten geradezu unerträgliche, unter allen Umständen aber gesundheitsschädliche Atmosphäre. Und was verdient A. mit seinen zwei Söhnen? Die Fertig- stellung eines solchen Paares Stiefel beansprucht volle 17 Arbeits- stunden eines kräftigen, geübten Arbeiters. Da nun aber doch ein Arbeiter, namentlich bei schlechter Ernährung, unmöglich 35 Stunden in einer Woche intensiv zu arbeiten vermag, so bringr ein Durchschnittsarbeiter in der Woche nur 4 Paar fertig. Da der alte Vater und der lungenleidende Sohn aber nicht voll leistungsfähig sind, so haben alle drei zusammen nur einen Jahres- verdienst von ganzen 1300 M.l Zu einem Paar Stiefel werden aber noch für 12 Pf. Zutaten, wie Stifte, Nägel, Pechdraht usw. verbraucht. Dies von dem für ein Paar Stiefel gezahlten Arbeits- lohn von 2,70 M. abgerechnet, ergibt pro Paar affo einen Netto­verdienst von 2,58(ungerechnet die Amortisation der Stepp- Maschine!) oder einen Arbeitsverdienst von 15 Pf. pro Stunde für einen leistungsfähige» Arbeiter! Nicht ohne Interesse dürfte sein, daß der alte Vater sich bitter beklagte über die Fabriken! Früher habe er selbst die von ihm und seinen Leuten gefertigten Stiefel auf Märkten verkauft; aber die aufgekommenen Fabriken hätten ihm eine solche Kon- kurrcnz gemacht, daß er seine Selbständigkeit aufgeben und für die Fabriken arbeiten mußte. Auf meinen Einwand, daß eS doch eigentlich die Sozialdemokraten sein sollen, die die Handwerker ruinieren, meinte der biedere Mann: Soviel er wisse, seien die Herren  "(die Fabrikanten) keine Sozialdemokraten! Die tägliche Arbeitszeit wurde auf mindestens 13 Stunden angegeben, in der Regel betrage sie aber 14, 15, vor den Liefer- tagen auch 16 18 Stunden! Infolge des günstigen Umstandes, daß hier 2 Familien 3 Ver- diener haben, gehört dieser Heimarbeiter zu denBessersituierten!" » Wie die schamlose Ausbeutung der Heimarbeiter diese wieder zur Ausbeutung der Arbeitskräfte, die sie als Gesellen oder als Lehrlinge annehmen, veranlaßt, das zeigte gleich das Beispiel des Heimarbeiters B. Seine Wohnung besteht aus einer Stube von 20 Quadratmeter Flächenraum und Anteil am Bodenraum. In der Stube, die 50 Kubikmeter Luftinhqlt hat, steht noch ein großer Kachelofen, ein zweischläfriges Bett für Mutter und Kinder und ein Küchen- schrank, deren Kubus also vom Luftraum abzuziehen ist. In dieser Stube halten sich nun ständig auf: Der Heimarbeiter mit seiner Frau und drei Kindern von 311 Jahren und ein Geselle von 18 Jahren und zwei Lehrlinge von 15 und 16 Jahren. Rechnet man die drei Kinder gleich zwei Erwachsenen, so haben also die 7 Personen je 7 Kubikmeter Luftraum zur Verfügung, während man in den Gesänguissen doch mindesten» 20 Kubikmeter auf einen Insassen rechnet! Bei dem Heimarbeiter kommt aber noch in Betracht, daß er oft bis zu 100 Paar Stiefel im Haus hat, die einen penetranten Ledergcruch ausströmen und zur Verbesserung der Atemluft gewiß nicht beizutragen vermögen. B. macht nur Bodenarbeit. Das heißt, er bekommt die fertigen Schäfte und muß nun die Kappen in die Stiefel eirnähen und die Sohlen darauf machen. Je nach der Größe der Stiefel be- kommt er fürs Paar 80 Pf. bis 1,25 M. Die Arbeitszeit der vier Mann dauert regelmäßig im Winter von Tagesanbruch, also spätestens von 8 Uhr an bis mindesten» abends 10 Uhr.Es wird allerdings auch oft 11 Uhr und noch länger, wenn es gerade nötig ist," bemerkt ergänzend der Meister. Die durchschnittliche Wochenproduktion der vier Mann beträgt 22 Paar und der Bruttoverdienst durchschnittlich 30 M. Hiervon gehen ab: An Auslagen für Zutaten 2,60 M.; an Liefcrungskostcn 50 Pf. Bleibt ein Nettoverdienst von 26,30 M. Die gesamten Arbeitsstunden der vier Leute belaufen sich wöchentlich auf min- bestens 304(a Person 76 Arbeitsstunden pro Woche), somit der Stundenverbienst auf knapp S Pf.! Um jeden Zweifel auszuschließen, bemerken wir, daß die beiden Lehrlinge, soweit es ihre Körperkräfte zulassen, als Pollarbeiter gelten können. Der eine hat 1%, der andere 254 Jahre Lehrzeit hinter sich. Die einförmige, sich immer wiederholende Arbeit er- fordert aber zum Erlernen höchstens ein Jahr. Die Lehrlinge, bei denen natürlich von einer richtigen Ausbildung zum Schuh- macher absolut keine Rede sein kann, sind daher nichts weiter als billige Arbeitskräfte für den sogenannten Meister, dessen Lage sich durch die Ausbeutung der Jungen eben bessert. Bekommt doch auch der Geselle nur wöchentlich 5(fünf) M. ohne Kost und Wohnung! Sein Stundenverdienst beträgt daher nur 6i,d Pf.! Nur durch die schrankenlose Ausbeutung seiner Hilfskräfte gestaltet sich die Lage dieses Heimarbeiters einigermaßen erträglich und vielleicht ist dies wenig vorbildliche Beispiel eines Heimarbeiters einer von denen mir dergroßen i-elbständigkeit" und der Zufriedenheit, von der die Herren von der oberfränkischcn Handelskammer erzählen. Die 13 I7stü»digc Arbeitszeit der Lehrlinge und des Gesellen aber ist sicher von schweren gesundheitlichen Nachteilen und fällt der Hausindustrie zur Last. Schuhmacher C. macht Triumpfstiefel und zwar auch Boden- arbeit. 35 Jahre alt. unverheiratet, erhält er seine Mutter, die ihn als tüchtigen und fleißigen Sohn rühmt. Seine Arbeitszeit beginnt morgens um'/a? Uhr und dauert nachts bis 10 und 11 Uhr. Er bekommt für ein Paar Stiefel 1,05 M. Die eine Woche macht er 10 Paar, die andere Woche 12 Paar. Hierzu braucht er, wie er bestimmt angibt, 90 Arbeitsstunden. An Auslagen hat er dann 1,20 M., so daß ihm ein Nettoverdienst von 11,40 M. bleibt, oder ein Stundenverdienst von 11� Pf.I Der Wohn- und Arbeitsraum ist 12 Quadratmeter groß. hat 30 Kubikmeter Luftraum und ist infolge des Fehlens Von Kindern zur Not erträglich. Schuhmacher D. macht dieselbe Arbeit und erzielt in genau der gleichen Arbeitszeit den gleichen Verdienst. Aber er ist verheiratet und hat 2 Kinder. Daher muß er sich mit der Wohnung schon etwa? einschränken. Sein Arbeits- und Wohnzimmer ist 9 Quadratmeter groß und enthält noch ein Bett, in dem die zwei Kinder schlafen! »