Hbgeordmtenbaua, 5. Sitzung vom Dienstag, den 17. Januar, vormittags 11 Uhr. Am Ministertisch: Dr. L e n tz e. v. D a l l w i tz, B e s e l e r V.Trott zuSolz. Sydow.v. Schorle m er, v. Breiten Vach . Die erste Lesung des Etats wird fortgesetzt. Minister des Innern v. Dallwitz: Die eigenartig einseitige Darstellung des Herrn Abg. S t r ö b e l über den Verlauf der Moabiter Vorgänge nötigt mich, eine chronologische Uebersicht über die tatsächlichen Vorgänge zu geben. Redner gibt eine einseitige. mit den Zeugenaussagen teilweise im Widerspruch stehende Darstellung der Vorgänge. Es ist nun der Polizei der Vorwurf gemacht worden, das; sie nicht von vornherein energisch eingegriffen hätte. Andererseits wird behauptet, sie hätte ohne Grund in den Lohnkampf bei Kupfer eingegriffen und dadurch die Ausschreitungen der Bewohner erst veranlagt und sei dann mit grosier Brutalität vorgegangen. Bei dem ersten Vorwurf wird übersehen, daß der Streik von 140 Arbeitern kein besonders bedeutsames Ereignis war und dag sich auch vor Montag, den 2ö., die Ausschreitungen immer noch in ge- wissen Grenzen gehalten haben, so dag es der Polizei nicht möglich war, vorauszusehen, welchen Umfang die Ausschreitungen am 26. annehmen würden. Trotzdem waren Vorkehrungen getroffen, um Leute, die sich immer wieder zusammenrotteten, zu trennen. Nachdem durch den Verlauf der Nacht vom 26. und 27. der gemein- gefährliche Charakter der Bewegung deutlich hervorgetreten war, hat die Polizei sofort sehr weitgehende Maßnahmen getroffen und die notwendigeSäuberu'ngder gefährdeten Straßen energisch und planmäßig durchgeführt. Daher gelang es Ihr auch, die Unruhen bereits am Donnerstag zum Ende zu bringen. Es wurde hierbei»ach altpreußischcm Grundsatz verfahren, das Militär erst dann heranzuziehen ist, wenn die in erster Reihe zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung berufene Polizei hierzu nicht mehr imstande ist. Ich halte diesen Grundsatz für richtig, und zwar aus praktischen Gründen, aber auch aus ethischen und huma- nitären. Ich betrachte eS sogar als einen Vorzug, dessen wir uns gegenüber anderen Kulturnatioiren zu erfreuen haben, daß es bei uns in der Regel gelingt, große Unruhen zu über- winden, ohne daß es hierzu der Heranziehung des i» erster Linie zum Schutze des Vaterlandes gegen auswärtige Feinde be- rufenen Heeres bedarf. sSehr richtig I rechts.) Die Unrichtigkeit des zweiten Vorwurfs, ergibt sich aus dem dargelegten Sachverhalt. Es ist bedauerlich, wie iveit bereits die von der sozialdemokratischen Presse systematisch geförderte Umbildung aller Werte und Rechts- begriffe bei uns vorgeschritten ist. sSehr richtig I rechts, Zurufe links.) Es hat sich bei dieser Gelegenheit gezeigt, daß in weiten Kreisen der Bevölkerung das Verständnis dafür abhanden gekommen ist, daß dem Koalitionsrecht das Recht aus freie Arbeitswahl ebenbürtig zur Seite steht, sSehr richtig l rechts), daß das Koalitionsrecht nie zum Koalitions- zwang ausarten darf.(Bravo ! rechts.) Es war die Pflicht der zum Schutze der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, zum Schutze von Leben, Gesundheit und Eigentum berufenen Polizei(Zuruf bei den Sozialdemokraten: Des Eigentums vor allem Ij, die nötigen Vorkehrungen zum Schutze zu treffen und den durch einen fanatifierten, aufgehetzten Pöbel bedrohten Beirieb von Kupfer u. Co. zu schützen.(Bravo I rechts.) Wenn nun nach Ansicht de? Gerichts in einer Anzahl von Fällen Mißgriffe, insbesondere Beleidigungen seitens der Polizei vorgekommen sind, so muß ich ganz entschieden Ver- Wahrung dagegen einlegen, daß versucht wird, aus solchen Mißgriffen, wie sie bei Straßenlämpfen nainentlich in der Nacht kau in je zu vermeiden sein werden und wie sie natnr- gemäß von den Betroffenen außerordentlich aufgebauscht, wenn nicht gar zum Teil mit Absicht entstellt wiedergegeben werden(Große Un- ruhe bei den Sozialdemokralen. Zuruf: Eidliche Aussagen l Die Polizei hat gelogenl Unruhe rechts), ganz allgemein so un- geheuerliche Beschuldigungen gegen die Polizei herzuleiten, wie dies im Reichstag und auch hier geschehen ist. Die Polizei hat vom 20. bis zum 26. bereits die gröbsten Beschimpfungen und Verhöhnungen über sich ergehen lasten müssen und hat demgegenüber bewundernswerte Ruhe und Kaltblütigkeit bewahrt. Erst als die Ausschreitungen den Charakter des offenen Ausruhrs annahmen, ist sie pflichtgemäß eingeschritten, dann aber auch mit der nötigen Energie und Unerschrockenheit. (Bravo ! rechts. Zuruf b. d. Soziald.: Gegen Wehrlose und Kinder I) Wenn dabei neugierige Zuschauer zu schaden kommen, mag man das bedauern, es ist aber nicht zu vermeiden, ein Teil der Schuld trifft die Betreffenden doch stets. Ein großer Teil der Bevölkerung hat den Ernst der Situation nicht erkannt, sondern betrachtete die Vorgänge al« interessantes, sensationelles Schauspiel. Nur so ist es erklärlich, daß sonst ruhige Leute den Anordnungen der Polizei nur zögernd und widerwillig Folge leisteten, und es ist unerläßlich, daß man in solchen Fällen energisch vorgeht, wenn man überhaupt eines derartigen AufstandeS Herr werden will. Ich halte eS für meine Ehrenpflicht, die Pflichttreue hervorzuheben, mit der die Polizei ihres schweren Amtes im Dienste des Staates und im Interesse des friedlichen und verständigen Teiles der Bcvölke- rung gewaltet hat. (Bravo I rechts.) Ich muß zum Schluß noch kurz auf die inneren Gründe eingehen, welche die Auftritte in Moabit zwar nicht veran- laßt, aber ermöglicht haben. Es liegen keine Beweise vor. daß eS sich um eine von langer Hand vorbereitete Aktion gehandelt hat. Es ist daher auch nicht angängig, einzelne Personen oder Gruppen von Personen als Anstifter im juristischen Sinne zu be- zeichnen. Wohl aber halte ich es für gar nicht zweifelhaft, daß die jahraus, jahrein geübte Verhetzung der Massen gegen die Polizei sowie gegen ArveitSwillige, natürlich bei größeren Streiks zu gesetzwidrigen Ausschreitungen und Roheiten führen muß. (Sehr richtig I rechts.) Wenn in der sozialdemokratischen Presse die Arbeitswilligen fortgesetzt als Lumpeu bezeichnet werden und wenn derartige Verhetzungen und Verleumdungen ständig fortgesetzt werden(Zuruf bei den Sozialdemokraten: Be- weise I), so müssen bei den verhetzten Massen Gefühle hervorgerufen werden, die bei gegebener Gelegenheit zu Widerstand gegen die Staatsgewalt und rohen brutalen Mißhandlungen von Arbeits- willigen führen. Es ist bedauerlich, daß ein Teil der b ü r g e r- lichen Presse sich diesen Treibereien angeschlossen hat. (Sehr richtig I rechts.) Solche Ereignisse sind geeignet, das Recht der freien Arbeit immer mehr zu verkümmern. Ich bedauere das Vorgehen der sozialdemo- tratischen Presse auch im Interesse der Arbeiter, weil dadurch bei ihnen die Neigung zu Gewalttaten nur gefördert werden kann und weil diese am letzten Ende zu neuen Auö- schreitungen führen muß, deren Unterdrückung alsdann mit e n t- sprechender Energie und Rücksichtslosigkeit er- folgen mutz und(mit erhobener Stimme)—- darüber möchte ich keinen Zweifel auflommen lassen)— auch erfolgen wird. (Lebhafter Beifall rechts. Zischen bei den Sozialdemokraten.) Generalsteuerdirektor Heinke erklärt: Nach den eingeleiteten Ermittelungen sei der gegen Abg. v. R i ch t h o f e n erhobene Vor» Wurf der Steuerhinterziehung haltlos. Abg. Frhr. v. Zedlitz<fk.): Schuld an den Vorgängen in Moabit ist die Sozialdemokratie. Wer ein Pulverfaß füllt und den zündenden neuer �Verhetzung geben. Es der Sozialdemokratie besorgt, in der Absicht der Thron- Zch hoffe wir werden bald in ___ trägt die v u r g._>W. W»W> nach Art des. Berliner Tageblatts".(Stürmische Zustrmmung rechts.) Die Zeuze» in Moabit haben unter sozialdemokratischer Suggestion Verfehlungen der Polizei bekundet in Aussagen, die wahrheitswidrig und gefälscht waren. (Stürmische Zurufe Lei den Sozialdemokraten: Unwahr I unwahrst Präsident v. Kröcher: Ich bitte den Vorwurf der subjektiven Unwahrheit zu unterlassen.(Abg. Lein er t: Er meint die Polizei zeugen.) Abg. Freiherr v. Zedlitz: Wie die V e r t e i d i g u n g die Zeugen verwirrt hat, das ist verwerflich und zum mindesten eine objektive Frivolität der schlimmsten Art. (Zustimmung rechts.) Trotz einzelner Verfehlungen bat die Polizei bewunderungstvürdige Pflichttreue bewiesen, das zu konstatieren ist eine Pflicht der Volksvertretung.(Lebhafter Beifall rechts.) In Zukunft muß die Polizei schärfer zu greifen, dann werden auch nicht erst Versehlungen vorkommen können. Wir müssen den Arbeitswilligen strafrecht- lichen Schutz gewähren. Abg. Liebknecht hat die Vermessenheit gehabt, mit dem Generalstreik zu drohen, wenn das Wahlrecht nicht gemäß dem Willen der Sozialdemokratie gestaltet werde. Der politische Maffenstreik verdient dem Hochverrat strafrechtlich gleichgestellt zu werden und besondere Strafbesiimmungen müssen den Versuch treffen, die Eiseubahubediensteten zum Generalstreik zu bewegen.(Zustimmung rechts.) Die Einbringung einer Wahlrechtsvorlage in der Art des Reichstagswahlrechtes wäre eine Dummheit und eine Dummheit niacht keine Regierung.(Heiterkeit.) Schließlich würde diese Vorlage auch nur Stoff zu würden also damit die Geschäfte und das liegt am wenigsten rede von 1903.(Sehr gut! rechts.) die Lage kommen, ein Wahlgesetz zu schaffen, wie es im I n t e r- esse der Ruhe unseres Vaterlandes liegt.(Bravo ! rechts.) Der Vorwurf des Herrn Wiemer, das Gericht in Greifs- wald sei politisch befangen gewesen, ist unberechtigt. Auch seine Ansicht, daß die Fideikommisse sich vollständig überlebt hätten, kann ich nicht teilen. Der Modernisteneid sollte den Universttätsprofessoren nicht auferlegt werden. Die Vorlage betreffend die Jugend- f ü r s o r g e begrüßen wir. Die männliche Jugend muß gegen Verwahrlosung und gegen sozialdemokratische Ver- h e tz u n g geschützt werden.(Bravo ! rechts.) Landwirtschaftsminister v. Schorlemer: Die Ostmarkenpolitik wird die Regierung wie bisher energisch und zielbewußt betreiben.(Bravo ! rechts.) Herr Slröbel hat gestern wieder von der F l e i s ch n o t gesprochen. Ich verweise demgegenüber darauf, daß die Kleinhandel- preise für Fleuch im November und Dezember 1910 zurückgegangen sind und daß im Dezember 1909, wo nicht über Fleischteueruug geklagt wurde. der Preis für Schweinefleisch teurer war als 1910.(Hört i hört I rechts.) Abg. Schmieding(natl.): Wir sind gegen eine Thesaurierungs- Politik ans den Ueberichüssen der Eisenbahn, so lange die Steuer- zahler übermäßig in Anspruch genommen werden. Wir wünschen eine paritätische Behandlung von Landwirtschast, Handel und Industrie. Die Industrie ist aber infolge der sozialpolitischen Gesetzgebung im Reich und der Steuergesetzgebung in Preußen schwer belastet. Für den Mißerfolg der Wahlrechtsvorlage tragen allein die Kon- servat'iven die Verantwortung. Die gestrige Rede des Herrn Ströbel über Moabit war nichts als der Kanonendonner bei einem Rückzugsgefecht. An dem Blut, das an den Uniformen der Polizei kleben geblieben ist, sind vor allem die Schuld, die die Erregung der Bevölkerung geschürt haben und die Freiheit der Arbeit mißachten.(Sehr richtig I bei den National- liberalen.) Der Liberalismus lehnt sich auf gegen das Bündnis der Konservativen mit dem Klerikalismus. Er wird in diesem Kampfe iegeii, wenn er den innern Feind nicht vergißt Wir wollen eine gesunde, freiheitliche Entwickelung unseres preußischen, deutschen Vaterlandes. Wer das gleiche will, ist UNS willkommen. (Bravo I bei den Nationalliberalen.) Abg. v. Arnim-Züsedom(k.): Die Ausführungen des Ministers über die Wahlrechtsvorlage finden unsere volle Bil« l i g u n g und namens meiner politischen Freunde kann ich erklären, daß das in der Thronrede seinerzeit gegebene Versprechen un- seres Erachtens durch die im verfloffenen Jahre erfolgte Vorlage als eingelöst zu betrochtru ist und daß zu einer weiteren Vorlage umso weniger ein Be- dürfnis einzusehen ist, als eine Unterstützung durch die an- deren bürgerlichen Parteien auf unüberwindliche Schwierigkeiten tößt.(Lebhafter Beifall rechts. Widerspruch links.) Sie(zur Linken) werden uns doch nicht zur Annahme einer Vorlage zwingen.(Zu- rufe bei den Sozialdemokraten: Sie werden schon müssen.) Was die Moabiter Vorgänge anbetrifft, so ist im Urteil fest- gestellt, daß in den Tagen vom 26. ab vollständige Anarchie in Moabit herrschte, da hatte die Polizei die Pflicht, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln Ordnung zu schaffen.(Zuruf ber den Sozialdemokraten: Aber nicht das Recht zu Mißhandlungen!) Nach Herrn Hirsch ist es die Aufgabe der Sozial« demokratie, die Mafien qufzupeitschen(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten) und da können sich die Herren nicht wunder», wenn weniger gebildete Leute gegebenenfalls die Gesetze aufIdas gröb- lichste verletzen. Wenn Sie das Volk zur Unzufriedenheit aufrühre», Zuruf bei den Sozialdemokraten: DaS besorgen Sie zur Genüge I) o tragen Sie die Verantwortung für solche Vorgänge. Ich bedaure, daß wir seit dem Abgang des Fürsten Bismarck ein planmäßiges entschiedenes Borgehen gegen die Sozialdemokratie nicht haben beobachten können. Die Herren Friedberg und Schmieding haben ja erfreulicherweise ein neues Gesetz i um Schutze der Arbeitswilligen verlangt. Der Staat ann nicht bestehen, wenn die Sozialdemokratie einen Stpat im Staate bildet. Fürst Bülow hat sich zwar große Mühe gegeben, die Sozialdemokratie mit Worten zu bekämpfen, aber zu energischen Maßregeln ist er nicht übergegangen(Zuruf bei den Sozial« demokraten: Wie wäre es mit Oldenburg !(Heiterkeit.) Das ist ein so kleiner Staat(Große Heiterkeit), was der für ein Wahlrecht macht, geht uns nichts an(Zuruf bei den Soz.: Oldenburg - Januschaul) Ich hoffe, daß die Entschiedenheit des Ministers des Innern von dem Gesamtministerium geteilt wird. Möge die Regierung dafür sorgen, daß wir ein starke? Preußen be- halten und daß Preußen die Vormacht in Deutschland wird beim Niederreiten der Sozialdemokratie.(Bravo I rechts. Zuruf bei den Sozialdemokraten: Hipp hipp hurra I) Abg. Dr. Porfch(Z.): Vom Wahlrecht bat Graf Praschma nicht geiprochen, weil diese Frage aus Anlaß e»neS Antrages ein« zehend behandelt werden wird. Daß Herr Martin Spahn Gegner ?es ReichstagswahlrechtS fei, ist nicht richtig. Die ttebertragung dieses Wahlrechts auf Preußen, für die wir prinzipiell sind, ist zurzeit ganz aussichtslos. Im gegenwärtigen Augenblick halten wir die Durch« ührung einer Wahlreform für überhaupt nicht möglich, namentlich angesichts der schweren ReichStagswahl.(Hört! hört! bei den Sozial- demokraten.) Die Beichuldigung, daß wir das geheime und direkte Wahlrecht hier hätten durchführen können, ist eine schamlose B e- 'chimpsung. Die Nationalliberalen waren dafür nur zu haben. wenn gleichzeitig ein ungleiches Wahlrecht geschaffen wurde, durch das der bestehende Zustand noch verschlechtert worden wäre. Lebhafte Zustimmung b. d. Soz. Widerspruch b. d. Noll.) Redner ührt deS weiteren Beschwerde über ungenügende Berücksichtigung der Katholiken bei Besetzung der Stellen in der Verwaltung und polemisiert gegen die Ausführungen der Bbgg. Dr. Wiemer und Dr. Friedbcrg in bezug' auf den Modernisteneid. Wir sollten nicht in die Vergangenheit sehen, wie es Herr Schmieding wieder getan hat. sondern sollten angesichts der Schwierigkeit der Lage uns iemühen, zusammenzuarbeiten. Nach Herrn Schmiedings Ans- ührungen allerdings scheint es für ihn zu heißen: Lieber rot, als chwarz. Wenn das seine Meinung ist. werden wir ihm überall die nötige Antwort geben, so sehr ich das im Interesse des inneren Friedens bedauern würde.(Bravo I im Zentrum.) Hierauf vertagt das Haus die Weiterberatung auf Mittwoch 11 Uhr. Schluß gegen 4 Uhr. Die Moabites vorgZnge vor dem SchuMgericht. Siebenter Tag. Noch Eröffnung der gestrigen Sitzung wird Medizinalrat Dr. Hoffmann, der den Angeklagten Cieslick aus Anordnung des Gerichts untersucht hat, über das Ergebnis der Untersuchung gehört. Er sagt unter anderem: Cieslick hat vorn am Unterleib eine Narbe, die von dem Operationsschnitt herrührt. Eine zweibe Narbe be- findet sich rechts am Gesäß, sie rührt von dem Säbelstich her, den Cieslick seiner Angabe nach von einem hinter ihm kommenden Schatzmann bekommen hat. Die Art der Verwunoung läßt dieie Angabe glaubhast erscheinen. In dauerndes Siechtum wird Cieslick infolge der Verletzung nicht verfallen, er wird aber siir immer an Verstopfung und derartigen Beschwerden leiden und wird schwere Arbeit nicht verrichten könne». Er wird sich ebenso schonen müssen, wie jemand, der an einem Bruch leidet. Hierauf wird wieder der allgemeine Teil erörtert. Mechaniker Frost hat am 27. gesehen, daß die Schittzleuke mit flacher Klmge einHieben auf das Publikum. Wenn auch mancher getroffen wurde, der sich an den Schimpfworten, welche den Anlaß zum Borgehen gaben, nicht beteiligt hatte, so hielt der Zeuge das Vorgehen der Beamten doch nicht für unberechtigt, Werl es verwerflich sei, daß dumme Jungen reife Männer mit Worten wie .Bluthunde" beschimpften. Vom 28. ab wurde er anderer Meinung. Da wurde nicht mehr mit der flachen, sondern mit der scharfen Klinge eingehauen. Das rief eine so große Erregung im Publikum hervor, daß, als ein Schutzmann mit dem Pferde stürzte, nicht nur die Leute auf der Straße, sondern auch die ruhigen Bürger, die aus den Fenstern sahen, Freudenrufe ausstießen. Selbst eine kleine Toidter des Zeugen rief erfreut aus:„Pop ", das ist dem Schutzmann recht." Ferner hat der Zeuge folgendes gesehen: Ein ruhig deS Weges gehender alter Herr wurde durch den Säbelhieb eines Schutzmannes niedergestreckt. Der Schutzmann betrachtete den am Boden Liegenden und entfernte sich. Zwei Zivilpersonen trugen den Verletzten in ein Haus. Ich war— sagt der Zeuge— über diesen Vorfall so erregt, daß ich, wenn mich meine Vernunft nicht gezügelt hätte, auf die Straße gegangen wäre und etwas Ungesetzliches getan hätte. Zu meiner Frau sagte ich: Da bekänwfe ich nun mein Leben lang die Sozialdemokratie und nun muß ich sehen, was der Bürger wert ist. Wie ei» Hund wird er niedergeschlagen.— Ferner sah ich einen alten Mann, der ruhig au einem Baum stand. Nach einer Attacke ging ein Schutzmann auf ihn zu, der Mann rannte um den Baum, es lamen noch zwei Schutzleute, die sich an der Verfolgung des Mannes be- teiligten, der bald darauf durch einen Säbelhieb zu Boden gestreckt wurde. Eine alte Frau, die auf fast nieiisweuleerer Straße um die Eck« biegen wollte, bekam einen Säbelhieb über den Rücken, daß sie stolperte. Wo kamen„Schüsse" her? lieber.Schüsse"— sagt der Zeuge— habe ich eigenartige Be- obachtungen gemacht.! Ein besser gekleideter Mann stellte sich zwischen die Strahenbahnschienen. Als ein Wagen kam, trat der Mann zurück und als der Wagen die Stelle passierte, wo der Mann gestanden hatte, gab es einen starken Knall und Rauch. Kurz darauf wiederbolte sich derselbe Vorgang. Ein Samariter mischte sich unter die Menge und betätigte sich als Spitzel. Er erhob die Hand und auf dies Zeichen gingen die Schutzleute gegen das Publikum vor. Aus Fragen der Verteidiger gibt der Zeuge an, daß der Mann, welcher Patronen auf die Straßen- bahnschwuen legte, eine» Stock trug, daß er sich nicht entfernte, wenn infolge der Patronenexplosionen Lärm entstand und die Schutzleute egen das Publikum vorgingen. Obgleich der Mann ruhig stehen lieb, wurde er von den Schutzleuten in keiner Weife behelligt. Ferner gibt der Zeuge an. daß er Mitglied eines gelben Werlvereins ist und bis vor kurzem zweiter Vorsitzender desselben war. Frau Saar, die Gattin eines Kirchendieners, ging eines Abends nach Hause. Ein„höherer Polizeibramter"— sagt die Zeugin— fragte mich, wo ich hin will. Ich sagte, nach Hause und gab meine Wohnung an. Da schrie mich der Beamte an:„Sie freches, gemeines Frauenzimmer, was treiben Sie sich noch auf der Straße herum?" Ich sagte, ich bin eine anständige Frau. Da rief der Beamte:„Wenn Sie Ihre freche Schnauze nicht halten, lasse ich Sie verhauen." Als ich dann nach Hause ging, sah ich, daß vier Schutzleute auf einen am Boden liegenden Menschen mit Säbeln einschlugen. Auch Arbeiter, die ruhig von der Arbeit kamen, wurden geschlagen. Zeuge Trevor, ein pensionierter königlicher Förster, hat Von seinem Balkon aus gesehen, daß vier bis fünf Schutzleute einen ein- zelnen Mann, der sich vor ihnen flüchtete, niederschlugen. Der Mann wurde erst von einem Schutzmann durch einen schweren Säbelhieb zu Boden geschlagen, und als er auf den Knien lag und den Kopf vor Schlägen zu schützen suchte, schlugen 4 bis 5 Schutzleute von hinten mit den Säbeln in der brutalsten Weise auf ihn ein. Konservative Mcineidsfreunde. Auf eine Frage des Rechtsanwalts Heine gibt der Zeuge an, Nach seiner Aussage vor der Strafkammer haben ihm zwei hochkvnferva- tive Herren Vorwürfe gemacht, weil er zuungunsten der Polizei«us- gesagt habe. Er habe kein politisches Interesse an dieser Sache. Er habe sich nur deshalb als Zeuge gemeldet, weil ihn die brutale Miß- Handlung empörte. Eisendrehcr Löffler hat eine Reihe von Mißhandlungen durch Beamte gesehen. Unter anderem gibt der Zeuge an. daß ein Offi- zier dabeistand, als ein Mann so geschlagen wurde, daß er furchtbar schrie. Als Leute aus den Fenstern darüber ihre Entrüstung äußerten, rief der Offizier:„Fenster zn, oder wir schieße»." Kaufmann Pritschau aus Düsseldorf hat am 28. gegen 10 Uhr abends gesehen, daß an einer Haltestelle bei der Heilandskirche 1b bis 20 Personen standen. Da kamen von mehreren Seiten Schutzleute mit blanken Säbeln und drangen auf die Leute ein, die in die An- lagen flüchteten. Da wurden sie von den von allen Seiten auf sie eindringenden Schutzleuten geschlagen. Keiner konnte entrinnen. In zwei Fällen hat der Zeuge beobachtet, daß ein Mann in einer Menge von jungen Leuten nach den Schutzleuten hinüber rief: „Bluthunde". Darauf stimmten auch die jungen Leute in den Ruf ein. Dann ging die Polizei gegen die Menge vor, alle flüchteten, nur der Mann, der zuerst„Bluthunde" gerufen hatte, blieb stehen. Er rief den Schutzleuten das Wort„Kollege" zu und darauf ließen sie ihn unbehelligt. Bei einer anderen Gelegenheit sah der Zeuge. daß ein junger Mann, der ganz erschöpft auf einer Bank in den An- lagen saß, von einem Schutzmann ohne jede Veranlassung nieder- geschlagen wurde. Als er schon am Boden lag, schlug noch ein zweijer Schutzmann auf ihn ein. Auffälliges Verhalten der Staatsanwaltschaft. Oberstaatsanwalt Preuß: Auf diesen Zeugen ist im Straf- kaminerprozetz großes Gewicht gelegt worden. In der Presse wurde er als Großkaufmann bezeichnet. Ich möchte deshalb fragen, was für ein Kaufmann der Zeuge ist. Zeuge: Ich vertrete eine Firma, welche Geschäftsutensilien fabriziert. An der irrtümlichen Bezeichnung in der Presse bin ich nicht schuld. Oberstaatsanwalt: Ich stelle fest, daß der Zeuge vorbestraft ist wegen Hausfriedensbruch mit einer Geldstrafe, wegen Unter- schlagung mit einer Geldstrafe und wegen Duldung von Glück». spielen mit einer Geldstrafe. Dieser letztere Fall gestattet einen Rückschluß auf des Zeugen jetzige Tätigkeit. Haben Sle oder Ihre Frau eine Damenkueipe? Zeuge: Ich habe— ein bürgerliches Restaurant gehabt, aber nicht mit Damenbedienung, sondern nur mit einer Büfettdame. Oberstaatsanwalt: Ich habe auch noch Leumundszeugen aus Düsseldorf in bezug auf diesen Zeugen. Rechtsanwalt Heine(zum Zeugen Pritschau): Was Sie mcker Ihrem Eid ausgesagt haben ist doch wahr!,
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