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it. 16. 28. Mgavs. 2. ßtilnat Ks Joniiätis" Knlim MksM Dsunerstag, 19. Januar 1911. parlamentariscbes. Aus der Reichsversicherungsordnnngs-Kommisfion. Sitzung am Mittwoch, den 13. Januar. Zu Beginn der Sitzung erklärte Abg. Trimborn, daß er auf die Zurückstellung der Frage, wie stark die Arbeiter im Vorstand und Ausschuß der Krankenkassen vertreten sein sollen, verzichte. Ueber die Vergewaltigung der landwirtschaftlichen Arbeiter 5am eS wieder zu einer längeren Aussprache. Die Sozial- demokraten wiesen eingehend nach, daß kein Grund borliege, den landwirtschaftlichen Arbeitern noch weniger Rechte zu geben als den anderen Arbeitern. Diese Rechtlosigkeit bedeute auch eine direkte Schädigung der erkrankten Arbeiter, die in den Landkrankenkassen schlechter versorgt und rücksichrsloser behandelt werden würden, als in solchen Kasien, die die Arbeiter selbst verwallen. Ganz besonders wendeten sich unsere Genossen gegen das Zentrum, das in der ersten Lesung für die Gleichberechtigung der Landarbeiter eingetreten sei, jetzt aber zur Entrechtung der Landarbeiter die Hand biete. Abg. Dr. Hitze antwortete, daß er und ein Teil seiner Partei- freunde für die Entrechtung der landwirtschaftlichen Arbeiter stimmen werde, weil die Regierungen das verlangen, und wenn dem nicht entsprochen werde, das ganze Gesetz scheitern würde. Bei der Finanzreform freilich nahm das Zentrum diese Rücksicht auf die Regierung nicht. Ferner erklärte das Zentrum, es habe zu der Frage noch nicht in einer Fraktionssitzung Stellung nehmen können; deshalb sei die Abstimmung der Kommissionsmit- glieder unverbindlich für die Fraktion. Die Nationalliberalen und Konservativen fordern die Entrechtung der landwirtschaftlichen Arbeiter. Wenn auch auf dem Lande die Arbeitervectreter gewählt werden müßten, dann würden die Sozialdemokraten diese Gelegenheit zur Agitation aus- nutzen und die Arbeiter verhetzen. Bei der Abstimmung stimmten schließlich so viele Zentrums- abgeordnete mit den Konservativen und National- liberalen, daß die Vergewaltigung der landwirtschaftlichen Arbeiter angenommen wurde. In den Landkrankenkassen werden demnach die Mitglieder des Vorstandes nicht von den Versicherten und deren Arbeilgebern gewählt, sondern von dem Gemeinde- verband bestellt. Dazu wurde ein vom Abg. Trimborn beantragter Zusatz angenommen, daß die so ernannten Mitglieder des Vorstandes zu einem Drittel aus den beteiligten Arbeitgebern und zu zwei Dritteln aus den beteiligten Versicherten von dem Gemeindeverband ausgesucht sein müssen. Zusammensetzung von Ausschuß und Vorstand der Ortskrankenkassen. Die Kommission hatte in der ersten Lesung die Verschlechterung der Regierungsvorlage, daß im Ausichuß und Vorstand der Orts- krankenkassen die Mitglieder je zur Hälfte von den Arbeitern und Arbeitgebern gewählt werden müssen, gestrichen und das gegen- wärtige Verhältnis wieder hergestellt: Die Arbeiter wählen zwei Drittel der Mitglieder und die Unternehmer ein Drittel. Die Konservativen und Nationalliberalen wollten jetzt den Beschluß der ersten Lesung umstürzen und auch in dieser Beziehung die Arbeiter nach dem Vorschlage der Regierungsvorlage entrechten. Ministerialdirektor Kaspar kam den Herren zur Hilfe mit der Erklärung, daß wiederum die Vorlage für die Regierungen un- annehmbar sei, wenn nicht den Arbeitern die Mehrheit im Vorstand und Ausschuß genommen werde. Er hatte aber in diesem Falle kein Glück mit seiner Drohung. Das Zentrum blieb fest, und so wurde die Verschlechterung gegen die Stimmen der K o n s e r- Dativen und Nationalliberalen abgelehnt. Nächste Sitzung Donnerstag. Wie im ReichSamte des Innern gearbeitet wird. Am Mittwoch beschäftigte sich die B u d g e t k o m m i s s i o n deS Reichstags von neuem mit der teuren Schreibarbeit im Reichs- amt des Innern und dem dort üblichen Nebenstundenwesen bei der sogenannten Hausarbeit. Nach einer Darstellung deS Unterstaats- sekretärs Richter sollen sich die Kanzleibeamten während ihrer siebenstündigen Bureauarbeit geradezu überarbeiten; der Dienst soll so anstrengend sein, daß die Armen frühzeitig pensioniert werden müssen. Von einem Streik im vorigen Jahre könne keine Rede sein. Die Stunde Schreibarbeit koste allerdings zwei Mark und der Bogen durchschnittlich 2,70 Mark. Die Hausarbeit sei nicht zu umgehen und müsse gut bezahlt werden. Schließlich mußte der Untcrstaatssekretär aber zugeben, daß die Beamten infolge der Hausarbeit nicht immer voll leistungs- sähig seien. Staatssekretär Delbrück gab zu, daß die Beamten Hausarbeit zu den neuen Bedingungen nicht mehr leisten wollten, sich aber schließlich gefügt hätten. Staats- sekretär Mermuth hält das Kanzleiwesen für resorm- sähig und meint auch, es könne mehr gearbeitet werden. Im Statt st ischen Amt werden durchschnittlich 12, 8 Bogen ge- schrieben, bei manchen Behörden nur 78. Es wurde ferner auf die ungünstigen Urteile des früheren Staatssekretärs Dernburg über die Tätigkeit und Leistungssähigkeit des Kanzleibeamten hin­gewiesen. Auch Staatssekretär Delbrück gab zu, daß Maschinenschreiberinnen ganz anders leistungs- sähig als die Militäranwärter seien, die übernommen werden müßten. Von sozialdemokratischer Seite wurde festgestellt, daß selbst nach Angaben der Regierung lange Jahre hindurch schwere Mißstände bestanden haben und die Beamten ein völlig un- J genügendes Arbeitsquantum leisteten. Die Militäranwärter eien in der Regel wegen ihrer Vorbildung für Bureaudienste nur wenig geeignet. Es müsse auch Auskunst darüber ge- geben werden, ob es wahr sei, daß von einem höheren Beamten im Reichsamt des Innern den Beamten im Patentamt Ratschläge zur Durchführung der.passiven Resistenz" gegeben worden seien. Von nationalliberaler Seite werden Ver- gleiche der Leistungsfähigkeit und Bezahlung der Bureaubeamten in den Reichs- und Privatbetrieben angestellt; es wird nachgewiesen, daß der Privatbetrieb billiger und prompter arbeitete. Auch der Leiter der Reichsdruckerei hat Abgeordneten erklärt, daß er Maschinen- schreiberinnen ange st eilten Beamten vorziehe. Festgestellt wurde auch, daß für besondere quantitattve Leistungen innerhalb der siebenstündigen Bureauarbeit nicht selten noch Extra- entschädigungen gezahlt werden. Ein Abgeordneter meinte, die Be- amten seien stets mit großem Eifer bestrebt, zu ihren hohen Ge- hältern fortwährend noch solche Extxaentschädigungen herauszu- schlagen. Ein Antrag, prozentual eine Anzahl von Kanzlei- beamtenstellen zu streichen, wurde einstimmig angenommen. Kodifikation der Klassenjustiz. Gestern stellte die Kommission zur Vorberatung deS Gerichts» Verfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung die Beschlüsse und die Berichte endgültig fest. Der umfangreiche Bericht umfaßt etwa 7lX1 Seiten, der Gesetzentwurf enthält ebenso viel Paragraphen. Wenn noch so schleunig mit der Druckarbeit vorgegangen wird, kann vor Ansang nächster Woche schwerlich das voluminöse Gesetz- gebungSwerk den Mitgliedern des Reichstags und der Oeffentlichkeit zugehen. Und doch hat der Seniorenkonvcitt, wie unseren Lesern erinnerlich, beschlossen, am 28. Januar bereits mit der Beratung zu beginnnen. Das bedeutet eine Ueberhastung der Beratung eines für die Verschlechterung der Justizpflege so bedeutsamen Werks, die tn schreiendstem Gegensatz zu dem späten Beginn der Etatsbera- J turrgen(dieselben sollen bekanntlich erst am 13. Februar be- I ginnen) steht. Der reaktionären Mehrheit gefällt offenbar der Kam- s missionsentwurf, weil er die Macht und Willkür der Staatsanwalt- schaft überaus bedenklich erweitert, die Richter zu Gehilfen der Anklagebehörde degradiert, die Mitwirkung von Laien zu einem wesenlosen Dekorationsstück macht und den bestehenden Rest von Garantien gegen parteiische Justiz fast völlig beseitigt. Das scheint man durch di» geplante Ueberrumpelung unter Dach und Fach bringen zu wollen. Diese sauberen Pläne würden ins Wasser fallen, wenn man der Oeffentlichkett und den nicht der Kommission angehörenden Reichs- tagsmitgliedern Zeit zum eingehenden Studium des umfangreichen Gesetzgebungvorschllages ließe. Hus Induftric und Ftandel. Die Hochschntzzöllner haben die Vorhand. Vor kurzem wurde von offiziöser Seite mitgeteilt, daß vier Mit- glieder des Wirtschaftlichen Ausschusses den deutschen Unterhändlern in Stockholm beigegeben worden wären und zwar die Herren: Bohlen, Vizepräsident der Hamburger Handelskammer, Graf Spee, Oberbergrat Dr. Wachler und Geheimer Kommerzienrat Vogel. Nicht weniger als drei von ihnen sind Hochschutzzöllner. Ein Hochagrarier als Vertreter der Landwirtschaft und zwei hervor ragende Führer des.Zentralverbandes Deutscher Industrieller" als Vertreter der Industrie. Von diesen drei Sachverständigen ist schwerlich zu erwarten, daß sie auch nur bescheidenen Zugeständ nissen von deutscher Seite zustimmen werden. Ohne solche ist aber auf einen für den. deutschen Export wirklich günstigen Handels vertrag nicht zu rechnen. Eine nicht zu unterschätzende Gefahr liegt auch darin, daß durch die ständige und enge persönliche Fühlung nähme unserer Unterhändler mit solchen Interessenten der Hochschutz zöllnerische Druck, der schon überreichlich vom Reichstag auf unsere Regierung ausgeübt wird, noch in bedenklicher Weise gesteigert wird. Warum ist nicht wenigstens e i n Vertreter unserer Haupt exportbranchen zugezogen worden? Wir exportieren nach Schweden u. a. in elektrischen Kabeln 46 Millionen Mark, in wollenen Kleiderstoffen 89 Millionen Mark, in Kammgarn 3 bis 5 Millionen Mark, in Seiden- und Halbseidenwaren etwa 3 Millionen Mark, unter den Chemikalien allein in Teerfarben l'/a Millionen Mark, in schwefelsaurer Kalimagnesia 2>/z Millionen Mark; ferner in Zigarren über 1 Million Mark, in Leder il/.2 Millionen Mark, in Lederwaren über 1 Million Mark, in Konfektion L'/z Millionen Mark. in Banmwollengeweben über 2 Millionen Mark, in Eisenbahnschienen und Eisenbahnmaterialen 2l/2 Millionen Mark, in Stabeisen über 2 Millionen Mark, in Maschinen zirka 7 Millionen Mark. Wi bleibt die Vertretung aller dieser Jndustriegruppen? Daß die Wahv nehmung der industriellen Interessen ausschließlich zwei führenden Persönlichkeiten des Hochschutzzöllnerischen Zentralverbandes Deutscher Industrieller anvertraut worden ist, muß als ein Anzeichen dafür genommen werden, daß man an den.maßgebenden" Stellen den rücksichtslosen Hochschutzzöllnern die Interessen unseres Fertigwaren- exports ebenso wie bisher opfern will. Rheinisch-Westfälisches Kohlensyndikat. Der rechnungsmäßige Absatz betrug im Dezember 1910 bei 25i/g(im gleichen Monat des Vorjahres 25t/g) Arbeitstagen 6 098 528 (Vorjahr 5 744 572) Tonnen oder arbeitsiäglich 242 727(Vorjahr 229 834) Tonnen. Von der Beteiligung, die sich auf 6 562 508(Vorjahr 6 539 371) Tonnen bezifferte, sind demnach 92,93(Vorjahr 88,30) Prozent ab- gesetzt worden. Die Förderung stellte sich insgesamt auf 7 418 681(Vorjahr 7 103 653) Tonnen, oder arbeitstäglich ans 295 271(Vorjahr 282 732) Tonnen und im vorigen Monat auf 7 114 373 resp. 294 896 Tonnen. Ueber die Entwicklung der Absatz- und Förderverhältnisse in dem verflossenen Jahre wird berichtet, daß die Förderung und der Absatz großen Schwankungen unterworfen waren, welche am stärksten beim Kohlenabsatze hervortraten, und zur Folge hatten, daß die Be- schäftigung der Zechen die für den Betrieb gebotene Gleichmäßigkeit vermissen ließ. Während der Koks- und Brikcttabsatz sich ziemlich gleichmäßig in steigender Richtung beioegte, sind beim Kohlen- absatz in einzelnen Monaten des Jahres starke Schwankungen eingetreten. Eine namhafte Besserung ist beim Kohlenabsatze erst in den letzten beiden Monaten zu verzeichnen, wobei es indessen fraglich erscheint, ob die höheren Abrufe auf eine entsprechende Zunahme des Verbrauchs beruhen oder zum Teil durch Vorbezug aus Befürchtungen vor Arbeiterausständen hervor- gerufen worden sind. Das Verhältnis des Koksabsatzes zur Be- teiligung stellte sich auf 75,83 Proz., davon 1,28 Proz. in-KokSgrus gegen 65.23 Proz. bezw. 1,16 Proz. im Vorjahre, beim Brikettabsatz aus 78.26 Proz. gegen 81,38 Proz. Der Eisenbahnversand wurde in den Herbstmonaten durch starken Wagenmangel beeinttächtigt. Im Jahre 1910 ist im Ruhrrevier die Wagengestellung gegen die An- forderungcn im ganzen um 51 056 Wagen zurückgeblieben. Braustoffverbranch. Der Verbrauch an Braustoffen hat in der zweiten Hälfte deS vergangenen Jahres gegenüber dem Vorjahre wieder etwas zu- genommen, nachdem im Vergleich mit dem Jahre 1908/09 daS Jahr 1909/10 einen erheblichen Ausfall gebracht hatte, der auch jetzt noch nicht wieder ausgeglichen werden konnte. Der Gesamtverbrauch an Braustoffen im norddeutschen Brausteuergebiet betrug in Doppel- zentner: 1908/09 2 154 243 1 963 751 1 533 137 181 524 April Juni.. Juli September Oktbr. Dezbr.. Januar März. Trotz der Abnahme der Brauereien gestiegen. 1910/11 2 007 693 1 666 829 1 471 140 1909/10 2 026 445 1 593 743 1 313 256 1 725 114 des Malzverbrauches sind die Gewinne Daraus ist zu schließen, daß bei der Biermacherei entweder das kostenlose Material reichlicher verbraucht worden ist oder die Preissteigerung weit über die Steuererhöhung hinausgeht oder beide Mittel das für die Aktionäre günstige Resultat erzielt haben._ ProduktionSeinschrinkung. SechSundfiebzig Mitglieder der ver- einigung der Baumwollfabrikanten von Süd- Carolina , die vier Millionen Spindeln besitzen, haben auf einer Versammlung in Spartanburg beschlossen, eine Betriebseinschränkung aller vertretenen Fabriken aus die Dauer von fünf Wochen, zwischen April und Sep- tember. nach Wunsch einzelner Fabrikanten auch eher eintreten zu lassen._ Die englische Handelsbilanz für 1910. In unhöflichster Nichtachtung all der schutzzöllnerischen Prophezeiungen, die den unaufhaltsamen Niedergang des britischen Wirtschaftssystems immer aufs neue voraussagten, wenn nicht ihr schutzzöllnerisches Allheilmittel zur Anwendung komme, ist das ab- gelaufene Jahr ein Rekordjahr des englischen Welthandels geworden. Und trotzdem Lord Rothschild und andere gleich.prominente" Groß- kapitalisten geweissagt hatten, daß das Budget Lloyd Georges den Ruin Englands bedeute, ist der Aufschwung noch nie so glänzend gewesen, wie unter der Herrschaft dieses dreimal verfluchten .sozialistischen" Budgets. Man vergleiche die Ergebnisse seit 1900. Auch 1900 war ein Rekordjahr. 1901 brachte den niedrigsten, 1907 den bisher höchsten Stand in dieser Reihe. Zahlen in Millionen Pfund(zu 20,40 M.) mm.«uh-.Ä'Ä» IS" 1900 523 291 63 877 1901 522 280 68 870 1905 565 330 78 973 1907 646 426 92 1164 1909 625 378 91 1094 1910 678 431 104 1212 Nach Warengattungen ergab sich folgende Verteilung für 1910: Einsuhr Ausfuhr NahrungS- und Genußmittel. 257.8 26,1 Rohmaterial zur Verarbeitung 261,2 53,3 Jndustrieprodukte..... 156,9 843,0 Sonstiges........ 2,6 8,1 Nach Abzug der Wiederausfuhr(103,8) verblieben für 574,6 Millionen Pfd. Sterl. Enrfuhrartikel für den britischen Verbrauch. Von der Ausfuhr an Jndustrieerzeugnissen entfiel, wie immer, der Hauptanteil auf Textilindustrie mit 159,2(davon Baumwolle 105,9, Wolle 37,5) gegen 138,4 im Vorjahre, und Metallindustrie mit 109,4(Eisen und Stahl 43, andere Metalle 10,4, Maschinen 29,3, neue Schiffe 8,8. Motor». Eisenbahnwagen usw. 7,5) gegen 90,7 Millionen im Vorjahre._____ ~ Deutschlands Außenhaiidel. Der Wert der deutschen Einfuhr belief sich im abgelaufenen Jahre ohne Gold, Silber und Wert- papiere im SpezialHandel aus 8609,2 Millionen Mark gegen 3526,9 Millionen im Vorjahre, der Wert der Ausfuhr auf 7467,1 (gegen 6594,4) Millionen Mark. Der Gesamtaußenhandelswert be- trug 16 076,3(gegen 15 121,3) Millionen Mark, der Gold- und Silbereinfuhrwert 380,8(gegen 333,5) Millionen Mark, der Ausfuhr- wert dieser Edelmetalle 169,4(gegen 264,5) Millionen Mark. 8o2iales. Lehrlingsgeschäfte. Daß die Lehrlingszüchterei in der Großstadt immer noch einen fruchtbaren Boden findet, zeigt sich in zahlreichen Prozessen vor dem Berliner Kaufmannsgericht. Es existieren Unter- nehmungen, deren Betrieb ausschließlich durch Lehrlingstätigkeit geführt wird. So erklärte jüngst der Geschäftsführer derPreutz. Werkzeug- und Maschinen-Gesellschaft m. b. H." vor der fünften Kammer, als es sich darum handelte, ein bestimmtes Schriftstück vom Geschäft herbeizuschaffen, das ginge nicht, dennim Geschäft seien lauter Lehrlinge, und die wüßten nicht Bescheid". Auf die erstaunte Frage des Vorsitzenden, wo denn die Gehilfen seien, er- widerte der Chef offenherzig, daß er mit den jungen Leuten zu schlechte Erfahrungen gemacht habe und darum jetzt mit Lehr- lingen arbeite. Noch schlimmer lag ein Fall, der vor der zweiten Kammer zur Entscheidung kam. Dort ergab die Verhandlung, daß der Beklagte, der Kaufmann Oscar Heinicke, Inhaber des Finanzierungsinstituts Unitas", Hinderfinstr. 4, ein regelrechtes Geschäft aus der Ilnstellung von Lehrlingen macht. Denn nach seinen eigenen Angaben hat er während der kurzen Zeit seines Bestehens an dreißig Lehrlingeausgebildet", die aber nicht etwa während ihrer Lehrzeit eine kleine Vergütung erhielten, sondern im Gegenteil 300 M. Lehrgeld zuzahlen mußten. Den jungen Leuten, meistens Söhnen besserer Handwerker, wurde die Aus- bildung zum perfekten Bankbuchhalter versprochen, wie aber in den zwei bisher entschiedenen Fällen festgestellt wurde, war die Firma niemals zur Börse zugelassen, auch beschränkte sich der Betrieb in der Hauptsache auf Hypotheken- und Geldvermittelungs- geschäfte. Trotz des Einspruchs des Beklagten , der sich darauf beruft, daß laut Vertrag Lehrgeld nicht zurückgefordert werden kann, verurteilte das Kaufmannsgericht den Inhaber dieses«igen- artigen Institutes zur Rückzahlung der 300 M., indem es den Vertrag wegen arglistiger Täuschung für ungültig erachtete. Trotz des Urteils wird es wohl dabei bleiben müssen, daß die jungen Leute bezw. deren VäterLehrgeld gezahlt" haben, denn die Ver- mögensobjekte der Gesellschaft sind bereits vorgepfändet, so daß eine wegen deS.Lehrgeldes versuchte Pfändung schon einmal frucht- los ausfiel. Diese Fälle zeigen, welche Vorsicht für Eltern und Vormünder bei der Beschaffung einer Lehrstelle für ihre Pflegebefohlenen geboten ist._ Straßen- oder Betriebsunfall? Der Heizer H. erlitt am 14. November 1908 dadurch einen Un- fall, daß er beim Ersetzen eines Roststabes durch einen neuen sich den linken Arm verletzte. Durch eine ungeschickte Bewegung geriet H. bei seiner Arbeit mit dem Ellenbogen in kochendes Wasser. Außerdem aber scheuerte er sich noch am Mauerwerk den Arm wund. Der Arm blutete. Zeugen des Unfalls waren nicht vorhanden. Am anderen Morgen(H. hatte Nachtdienst) zeigte H. jedoch seinem Kollegen den blutenden Arm und machte ihm von dem Geschehnis Mitteilung. Der Arm schwoll an. Am 21. November, als sich H. zur Arbeitsstelle begeben wollte und zu diesem Zweck einen Straßen- bahnwagen bestieg, rutschte er ab, da er sich mit dem beschädigten Arm nicht mehr halten konnte. Der vor diesem Fall verletzte Arm wurde nochmals beschädigt, es trat eine Komplikation ein, so daß der Arm amputiert werden mußte. Die Nordöstliche Eisen- und Stahl» BcrufSgenosscnschaft, an die der Verletzte dann seinen Anspruch an- läßlich des Unfalls vom 21. November 1908 richtete, lehnte den- selben ab, da der Unfall sich nicht im Betriebe, sondern auf dem Wege zur Arbeit ereignet habe. Erst dann kam H. zum Berliner Arbeitersekretariat. Hier wurde ihm bedeutet, daß H. den Anspruch aus dem Unfall vom 14. November 1903 hätte geltend machen müssen. Das Versäumte wurde nun nachgeholt und der Anspruch gleichfalls bei der Nordöst- lichen Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft geltend gemacht. Aber auch dieser Anspruch wurde abgewiesen, jetzt mit der Begründung, daß das in Betracht kommende Leiden, das zur Amputation des Armes führte, nicht durch einen Betriebsunfall hervorgerufen; der Betriebsunfall vom 14. November 1903 aber auch gar nicht er» wiesen sei. Hiergegen wurde beim Schiedsgericht für Arbeiterversicherung, Stadtkreis Berlin , Berufung eingelegt und geltend gemacht, daß H. sofort am anderen Morgen seinem Kollegen H. die Wunde am Ellenbogen zeigte und ihm erklärt habe, daß er sich beim Ein- legen von Roststäben verletzt habe. H. hatte am 16. November, also zwei Tage nach dem Unfall, dem seine Frau behandelnden Arzt Herrn Dr. Gl. gleichfalls den verletzten Arm gezeigt und erhielt von diesem einen Verband. Auch Herrn Dr. B. hatte H. von dem Vorfall erzählt. Auf Grund dieser Bekundungen und weil H. für glaubwürdig befunden wurde, hielt das Schiedsgericht den Unfall vom 14. November 1908 für erwiesen und verurteilte die Genossen» schaft am 26. April 1910 zur Zahlung einer Rente von 60 Proz. Die Berufung gegen den Bescheid, der den Unfall vom 21. No- vember beim Besteigen des Straßenbahnwagens betraf, wurde zurückgewiesen. Die Genossenschaft beruhigte sich jedoch nicht bei der Eni- scheidung des Schiedsgerichts, sondern legte Rekurs beim Reichs. vcrsicherungsamt ein. Dieser wurde jedoch zurückgewiesen und die Entscheidung deS Schiedsgerichts bestätigt. DaS ReichsversicherungS»