Dl. ZK. Z8. Zahrgavz.2. Sküqk koSitnslug, BI.|«iiiiatl!)lI.VK Kreis-Gencralverlammlung vonliiederbarnlm.Der sozialdemokratische KreiSwahlvereln für Nie-derbarnim hielt am Sonntag im„Cafe Bellevue" zu Rummels-bürg seine Generalversammlung ab. Vor Eintritt in die Tages-ordnung ehrte die Versammlung das Andenken der im letzten Halb-jähr verstorbenen Genossen uns gedachte besonders auch der Ge-npsfin Ihrer.Dann gab Genosse Brühl denTätigkeitsbericht.der sich auf die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1910 erstreckt.Es sind in der Zeit wiederum große Fortschritte gemacht worden,nicht nur hinsichtlich der Mitgliederzahl, sondern auch im Ausbauder Organisation in den verschiedenen Orten. Auch im Vergleichzu den anderen Kreisen Groß-Berlins ist das Ergebnis der Tätig-keit als befriedigend anzusehen. Der Vorstand hat an zwanzig Kon-ferenzen teilgenommen, und in sämtlichen Orten ist mit den Be-zirksleitungen Rücksprache wegen der Vorbereitungen zur Reichs-tagswahl genommen worden. Besondere Aufmerksamkeit wurde derAgitation unter den Frauen gewidmet. Es haben verschiedeneFrauenkonferenzen stattgefunden, die sehr gut verliefen, wie sichauch die Genossinnen, die als Referenten tätig waren, gut bewährthaben. Als eine Hauptaufgabe wurde vor allem die Lanbagitationbetrieben. Dabei zeigte es sich auch, wie außerordentlich wichtigdie Rechtsauskunftsstellen für die Landbevölkerung sind, und daßdiese Sache noch weit mehr als bisher gefördert werden muß. Vonder Auskunftsstelle in Bernau wurden im letzten Halbjahr 199 Aus-künfte erteilt, und es wurden neun Touren nach einer Reihe kleinerOrte unternommen. Es wird schon ziemlich viel geleistet, aber ineinem Teil der Vororte schenkt man der Sache noch nicht die Be-achlung, die sie verdient. Der Kreisvorstand wird die Angelegenheitin einer besonderen Konferenz noch mehr zu fördern suchen. DieAusbildung von Genossinnen zu Referenten hat recht gute FrüchteSetragen, so daß z. B. für die Versammlungen über den Kinder-hutz sämtliche Referenten aus ihren Kreisen gewonnen wurden.Oeffentliche Versammlungen haben im Wahlkreise während des der-flossenen Halbjahres 109 stattgefunden, Mitgliederversammlungen109. Vom Kreisbureau sind 30 Referenten vermittelt worden.Agitationstouren wurden 117 unternommen, Flugblätter 3S8 909verbreitet: außerdem 53 200 Exemplare der„Fackel", 20 500 desMärkischen Volkskalenders, 1500 des polnischen Kalenders und 12 500Broschüren„Die Sozialdemokratie und das Heer". In der Agita-tion für den„Vorwärts" wurde dieselbe Methode angewandt wiein Berlin, und zwar mit gutem Erfolg; die Abonnentenzahl waram Jahresschluß 18 059. Die Bibliotheken der Bezirksabteilungenzählten im ganzen 6152 Bände. Man wird sich, meinte der Redner,bald auch mit der Frage der Schaffung einer Zentralstelle für dieBibliotheken befassen müssen. Daß die Jugendbewegung mit sogroßer Stärke einsetzte, hat dazu geführt, daß nun auch überallgleich die Frage der Jugendheime aufgegriffen wurde. Als ob jederOrt nun ein Jugendheim haben müßte, wozu doch nicht immer gleichdie Mittel vorhanden sind. Hier und da, wo Jugendheime errichtetsind, werden sie nicht so in Anspruch genommen, wie es den Kostenentsprechen würde. Die Mitgliederzahl des Wahlvereins ist von12 853 auf 14 316 gestiegen; die Zahl der männlichen Mitgliedervon 11 262 auf 12 386, die der weiblichen von 1591 auf 1930.Namentlich in den kleinen Orten ist ein starker Zuwachs an Mit-gliedern zu verzeichnen, in einem Ort sogar über 100 Proz. DerReferentenkursus hat nicht in jeder Hinsicht den Erfolg gebracht,der zu wünschen war. Die ausgebildeten Referenten sind leidernicht so zu Vorträgen herangezogen worden, wie eS zweckmäßig ge-Wesen wäre, weil man am liebsten immer Reichstagsabgeordnete alsReferenten haben möchte. Der Redner forderte zum Schluß zuweiterer eifrigster Arbeit in der Agitation und Organisation auf.Die ganze Kraft muß nun für die kommenden ReichstagSwahlenaufgeboten werden.DieAbrechnung für die BerichtSzeitschließt mit 29 683,86 M. Einnahmen und 17 163,52 M. Ausgabenab und mit einem Kassenbestand von 12 520,34 M. gegenüber 6407,75Mark vom ersten Halbjahr 1910. Für Beitrags- und Eintritts-marken sind an Groß-Berlin 7000 M. abgeführt. Der KassiererB ü h l e r machte zu dem gedruckten Kassenbericht eine Reihe ergän-zender Ausführungen und zeigte namentlich, wie nach der Zahl derverrechneten Beitrage die Organisation in den einzelnen Orten ge-wachsen ist. Eine Ausnahme machen in dieser Hinsicht nur vierBezirke, wo ein Rückgang eingetreten ist, der sich zum Teil, wie be-sonders bei Bernau, aus einer Abwanderung der Bevölkerung er-klärt, wo dann auch in den Landbezirken die Mitgliederzahl zuge-nommen hat. Zum Kassenbericht bemerkte der Redner weiter, daßman sich mit Rücksicht auf die Reichstagswahlen eine größere Summegesichert habe, um aus dem Vollen schöpfen zu können, und deshalbvon den Ueberschüssen nichts an Groß-Berlin abgeführt habe. Essei dabei zu bedenken, daß der Kreis schon weit über 3000 M. fürLandagitation aufgewendet habe, und wenn man noch das hinzu-rechne, was aus den Bezirkskassen dafür ausgegeben werde, so sindeS gewiß mehr als 4000 M. Wenn dem Kreise vielleicht ein Vor-wurf daraus gemacht werden sollte, daß nichts abgeführt wurde, sosei daS nicht gerechtfertigt. Die Abrechnung selbst sei im allgemeinenbefriedigend; eS müsse jedoch noch mit mehr Stetigkeit gearbeitetwerden. Mit Rücksicht auf die ungeheure Zahl der organisations-fähigen Personen jm Kreise ist eine fortlaufende unermüdlicheArbeit nötig.In derDiskussiongibt Genosse Schmidt- Mahlsdorf Auskunft über die Mitglieder-bewegung an jenem Orte, um nachzuweisen, daß dort nichts ver-säumt worden und ein Rückgang nicht eingetreten ist. Es seienmehrere Mitglieder nach anderen Orten verzogen, und außerdemmüsse damit gerechnet werden, daß ein Teil der besseren Hand-werker, die etwas Grundbesitz erwerben, sich dann manchmal nichtmehr getrauen, sich zur Partei zu bekennen.Genosse B ö s k e, Vertreter Groß-Berlins, bemerkt, daß dieReichstagsabgeordneten der Partei leider als Referenten nichtimmer so zur Verfügung stehen, wie es zu wünschen wäre. Anderer-seitS herrsche aber auch bei den Parteigenossen der Eigensinn, daß sieimmer Reichstagsabgeordnete. Stadtverordnete oder mindestenseinen Doktor als Redner haben wollten. Man sollte aber doch nichtimmer nach solchen Genossen schreien, sondern einsehen lernen, daßandere auch etwa« Tüchtiges leisten. Daraus, daß Niederbarnimkeine Gelder an Groß-Berlin abgeführt habe, sei den Genossen bisjetzt noch kein Vorwurf gemacht worden, sie seien jedoch eigentlichwohl verpflichtet, das überflüssige Geld abzuführen, und nachdemnun ein guter Bestand vorhanden sei, würden sie wohl auch einigehundert Mark übrig haben.Genosse Schmidt- Stralau weist darauf hin, wie wichtig dieLandarbeiterorganisation ist und welchen Wert sie für den Fort-schritt auf dem Lande hat.Genossin A r e n d s e e- Tegel: Unsere nächste Aufgabe muß vorallem auch die Schulung der Frauen sein. Die Leseabende habenin dieser Hinsicht schon viel geleistet. Es gibt jedoch einige Orte,die noch nicht an eine solche Einrichtung heranwollen. Es muß nochviel mehr in dieser Hinsicht getan werden. Besonders mit Rücksichtauf den Frauentag am 19. März muß überall, wo es irgend möglichist, dafür gesorgt werden, daß Leseabende eingeführt werden.Nach kurzen Schluhbemerkungen der Genossen Bühler und>«Shl war die DiSknM» beeu�et.Hierauf wurde das Ergebnis der Mandatsprüfung bekannt-gegeben. Es sind 126 Vertreter anwesend, und zwar 86 Delegierteder Bezirksabteilungen, 24 Bezirksleiter und 16 Vorstandsmitglieder.Es fehlen je ein Delegierter von Herzfelde, Hohenschönhausen,Oranienburg, Reinickendorf-West, sowie zwei Delegierte von Ober-schöneweide. Aus Herzfelde fehlt auch der Bezirksleiter, so daß dieserOrt überhaupt nicht vertreten ist. Die abgegebenen Mandate wurdensämtlich als gültig anerkannt. Da Genosse B e r g e r sich aus Rück-ficht auf seine Familie genötigt sah, sein Amt als Beisitzer im Kreis-vorstand niederzulegen und statt dessen Bezirkslciter geworden ist,war eine Ergänzungswahl zum Kreisvorstand notwendig geworden.Gewählt wurde Genosse Witzle- Rummelsburg.Sodann hielt Reichstagsabgeordneter Stadthagen einenVortrag über:Die bevorstehende Reichstagswahl.Nach dem mit lebhaftem Beifall aufgenommenen Vortrag wurdeGenosse Stadthagen einstimmig wiederum als Rcichstagskandidatfür den Wahlkreis Niederbarnim aufgestellt.Der darauf folgende Punkt der Tagesordnung warenAnträge der Bezirkezur Ueberweisung an Groß-Berlin. Einstimmig wurde der An-trag Lichtenberg gutgeheißen:„Die Gewerkschaftszugehörigkeit der Parteigenossen ist nach-zuprüfen, um den Beschlüssen des Mannheimer Parteitags nach-zukommen."Ebenfalls aufAntragvonLichtenberg erklärte die Ver-sammlung sich gegen eine Stimme mit dem Antrag einverstanden:„Die Zeitungskommissionen sollen auch für die Zukunft alsBeschwerdetommissionen bestehen bleiben resp. wieder eingeführtwerden."Ein dritter Antrag Lichtenberg, das Material über denMoabiter Prozeß als Agitationsbroschüre herauszugeben, war über-flüssig geworden, da der Zentralvorstand dies bereits beschlossenhat und die Broschüre scf"'- in Arbeit ist. Ein Antrag des Be-zirks Pankow:„Der Kreis möge auf das Erscheinen einer Montagsabend-auSgabe des„Vorwärts" hinwirken, insbesondere während derReichstagswahlbewegung".wurde einstimmig angenommen. Eine lebhafte Debatte rief derAntrag des Bezirks Waidmannslust hervor:„Parteigenossen dürfen nicht Mitglieder von HauS- undGrundbesitzervereinen fein."Genosse S o r a u e r- Waidmannslust begründete den Antrag.Die Sozialdemokratie wird von den HauS- und Grundbesitzcrver-einen meist heftig bekämpft, und die Genossen, die dort Mitgliedsind, kommen in Widerspruch mit dem Parteiprogramm. Der Red-ner äußert sich über verschiedene üble Erfahrungen, die man indieser Hinsicht gemacht hat. Er ersucht die Versammlung, den An-trag gutzuheißen, und zwar ohne einen von Reinickendorf-Ost gestellten Zusatzantrag, hinter„Grundbesitzerver-einen" einzufügen:„die sich politisch in gegnerischem Sinne betätigen".Zur Begründung des Zusatzantrages führte Genosse Schön-berg aus, daß die Genossen, die etwas Land besitzen, eine ganzeReihe Interessen preisgeben müßten, wenn man ihnen unter allenUmständen verbieten wollte, Mitglieder solcher Vereine zu sein, unddaß aus diesem Grunde wohl ein Unterschied zwischen den Vereinengemacht werden müsse. Einige Diskussionsredner äußern sich inähnlichem Sinne und betonen, daß Grundbesitzervereine bestehen,in denen die meisten Mitglieder Sozialdemokraten sind. AndereRedner sprechen für den Antrag Waidmannslust und führen Bei-spiele dafür an, wie die Parteigenossen in dem einen oder anderenOrt einen Grundbesitzer in die Gemeindevertretung hineinbrachten,aber dann die Erfahrung machen mutzten, daß er die Interessen derGrundbesitzer eigentlich mehr vertrat, als die der Partei. Demgegen-über betont S p l i et h- Karlshorst, daß die Schuld bei solchen Er-fahrungen an einer gewissen Mandatshascherei liege. Man solle sichdie Leute erst einmal genau ansehen, ehe man sich zur Aufstellungder Kandidatur entschließe, und wenn man keinen durchaus zuver-lässigen Genossen finde, das Mandat lieber den bürgerlichen Leutenüberlassen. Uebrigens könne der Antrag weder hier, noch von GrossBerlin endgültig erledigt werden, denn das sei Sache der ganzenPartei und ihres Organisationsstatuts.Nachdem sich noch einige Redner zu dem Antrag geäusserthatten, trat auf Antrag vom Genossen M i r u s Debattenschlutz ein.Der Antrag von Waidmannslust wurde dann ohne den Zusatzantragmit starker Mehrheit gutgeheißen.Damit war die Tagesordnung erledigt, und die Versammlungwurde gegen 4 Uhr mit Hochrufen auf die Sozialdemokratie ge-schlössen._Das SDedtraufnaltmmrfahrendes effener Ifieineldsprozeffes.(Unber. Nachdr. verb.) Essen, 30. Januar 1911.Telegraphischer Bericht.DaS Wiederaufnahmeverfahren deS MeineidprozesseS(sieheauch den Leitartikel in' der Sonntagnummer des„Vorwärts")gegen das Vorstandsmitglied des Deutschen Bergarbeiterverbandes,den einstigen Kaiserdelegierten Ludwig Schröder-Bochum undGenossen nimmt am heutigen Montag vor dem Essener Schwur-gericht unter dem Vorsitz des Landgerichtsdirektors König seinenAnfang.In demselben Saale, in dem vor 15 Jahren die Angeklagtenwegen Meineids verurteilt wurden, begann heute das Wieder-aufnahmeverfahren. Der Zuschauerraum ist fast ganz durch diePresseplätze ausgefüllt(in der vorigen Verhandlung waren diePlätze im Sitzungssaal selbst), deshalb sind nur noch wenigeKarten für das Publikum ausgegeben worden. Bei der Eröffnungder Sitzung waren etwa 10 Zuhörer anwesend. Auf der Anklage-bank nehmen Platz der einstige Kaiserdelegierte Schröder, derfrühere Kassierer des Verbandes Julius Meyer, ferner die Berg-leute Beckmann, Willing und Thiele, während Imberg gestorbenist und Gräf sich im Auslande befindet. Schröder und Meyersind inzwischen weißhaarige Greise geworden. Meyer sieht schwer,leidend aus. Die Verteidigung führen die RechtsanwälteDr. Victor Niemeyer und Pricß-Essen. Die Anklage wird ver-treten durch ersten Staatsanwalt Eger und Staatsanwaltschafts-rat Pfaffe. Jm Saale hängt eine Tafel mit einer Darstellungder Oertlichkeit des Baukauer Versammlungslokals. Der Vor-sitzende Landgerichtsdirektor König eröffnet die außerordentlicheSchwurgerichtsperiode mit folgender Ansprache:Bei Beginn unserer gemeinsamen Arbeit begrüße ich Sie, meineHerren Geschworenen. ES ist eine besonders schwere und verant-wortungsvolle Aufgabe, welche Sie erwartet. Die erste Woche wirdausgefüllt werden von der durch das Oberlandeßgericht angeord-neten Wiederaufnahme und Erneuerung deS MeineidsprozessesSchröder und Genossen vom Jahre 1895. Der Fall hat besonderesAufsehen erregt, die Gescbichte und der Sachverhalt wird Ihnenja aus der Tagespresse bekannt sein. Der Prozeh hatte einen po-litischen Hintergrund, er war erwachsen in den politischen und ge-werkschaftlichen Kämpfen der sozialdemokratischen und christlichenBergarbeiterbcwegung. Von den 7 Angeklagten wurden 6 von denGeschworenen für überführt erachtet und zu Zuchthaus und Ehren.strafen verurteilt. Während einer wegen fahrlässigen Falscheideszu 6 Monaten Gefängnis verurteilt worden war. Die 6 wegenMeineides verurteilten Angeklagten gehörten der sozialdemokrati-schen Partei an. Das Urteil erfuhr in der Oeffentlichkeit heftigeAngriffe, man sprach von Klassenjustiz und politischer Boreinge-oommeoheit, die den Blick der Geschworenen getrübt hätte, und auchin weiteren Kreisen wurden Zweifel laut, obwohl der Schuld-beweis m weitestem Maße geführt worden sei. Diese Kritiken hierzu prüfen, ist nicht unsere Aufgabe. Sie, meine Herren Ge-schworenen, haben die Sachlage als solche zu prüfen und zu er-wägen, ob bei der erneuten Prüfung der Sachlage die Angeklagtender Schuld wieder überführt werden können. Da ermahne undbitte ich Sie, Ihr Urteil nur nach dem zu fällen, was sich hier imSaale abspielt. Treten Sie ohne Voreingenommenheit und un»befangen an diese Aufgabe, verschließen Sie sich allen Einflüssenvon außen. Fürchten Sie sich nicht vor einer Kritik Ihres Urteils,sondern lassen Sie sich nur leiten von Ihrem Gewissen und demEid, den Sie leisten werden. Ihre Aufgabe ist eine schwierige, eineviel schwierigere als die der Geschworenen im ersten Prozeß, denndamals waren die Vorgänge erst kurz vorher passiert. Sie cherdeneine Menge widersprechender Aussagen hier hören und müssen aufjedes Moment achten, um die widersprechenden Aussagen auf ihrenWert abzuschäben. Trotz der Schwierigkeiten denken Sie aber nicht,daß nicht die Möglichkeit besteht, auch jetzt noch, nach so langer Zeit,Feststellungen zu treffen. Dazu ist Ihre gespannteste Aufmerksam-keit notwendig. Es handelt sich um wichtige Interessen für die An-gehörigen und für die Rechtspflege.— Es folgt sodann die Aus-losung der Geschworenen.— Der Verhandlung wohnt Oberstaats-anwalt Dr. Schultze-Sölden aus Hamm bei. Drei Ersatzgeschworenewerden ausgelost. Die Verteidigung lehnt 5, die Staatsanwaltschafteinen Geschworenen bei der Auslosung ab. Es erfolgt dann dieFeststellung der Personalien der Angeklagten.Ludwig Schröder ist 1348 geboren und bekleidet jetzt das Amtdes zweiten Vorsitzenden im Deutschen Bergarbeiterverband. Er istVater von 10 Kindern, Inhaber der Kriegsdenkmünze von 1870/71und der Landwehrauszeichnung zweiter Klasse. Wegen öffentlicherBeleidigung und Widerstands gegen die Staatsgewalt hat er Vor-strafen erlitten.— Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Niemcyer: Eshandelt sich in sämtlichen Fällen um Prestdelikte. Der zweite An-geklagte Julius Meyer war früher Verleger der„Bergarbeiter-Zeitung", er wohnt jetzt in Eisenach und ist leidend. Der Vor-sitzende gestattet ihm, während der Verhandlung sitzen zu bleiben.Der Angeklagte Beckmann ist heute noch als Bergarbeiter tätig, derAngeklagte Thiel dagegen hat inzwischen bei der Allgemeinen Elek-trizitätsgesellschaft als Fräser Stellung genommen, während derletzte Angeklagte Willing wiederum noch heute Bergarbeiter ist.—Vors.: Der heutigen Verhandlung liegt der Eröffnungsbeschlußaus dem Jahre 1895 zugrunde. Durch den Beschluß des Ober-landesgcrichts Hamm ist das Verfahren zurückversetzt worden indas Stadium vor Beginn der ersten Hauptverhandlung.— ErsterStaatsanwalt Eger: Ich beantrage, das Verfahren gegen die alsverschollen geltenden Angeklagten Gräf und Uinberg abzutrennen.'— Bors.: Das Gericht beschließt demgemäß.— Bert. R.-A. Dr.Nicmeyer: Ter Reichstagsabgeordnete Hue will sich, nachdem derReichstag die Genehmigung zu seiner Vernehmung versagt hat,hier freiwillig als Zeuge vernehmen lassen.— Vors.: Er wird heutenachmittag vernommen werden. Der Abgeordnete Brust wirdMittwoch erscheinen.— Es erfolgt nun die Verlesung des erstenUrteils, durch das 6 Angeklagte zu Zuchthaus- und Ehrenstrafenverurteilt worden waren.— Bors.: Auf Antrag der Verteidigunghat das Obcrlandesgcricht Hamm am 8. März 1910 die Wieder-aufnähme des Verfahrens beschlossen.— Es beginnt dieVernehmung des Angeklagten Schröder.Vors.: Ich nehme an, daß die Angeklagten auch heute wiewährend des ganzen Verfahrens sich dahin erklären wollen, daßsie der ihnen zur Last gelegten Verbrechen und Vergehen nichtschuldig sind, sondern nach bestem Wissen und Gewissen im ProzesseMargrafs ihre Aussagen gemacht haben.— Die Angeklagten nickenzustimmend.— Bors.: Es handelt sich um eine von christlicher Seilenach Baukau einberufene Vergarbeiterversammlung. Wer warendenn damals die leitenden Elemente in der christlichen Bergarbeiter-bewegung?— Angekl. Schröder: Vor allem der jetzige AbgeordneteBrust.— Bors.: Warum gingen Sie in diese christliche Versamm-lung?— Angekl. Schröder: ES war eine öffentliche Bergarbeiter-Versammlung mit freier Diskussion. Ich war in der Agitationtätig und hielt mich für verpflichtet, hinzugehen. Ich glaubte auchan freie Diskussion, da kurz vorher uns in Oberhausen das Wo«gegeben worden war. In Baukau sagte aber Brust merkwürdiger-weise:„Das Wort gibt es nicht, daß ist unsere Versammlung."—Bors.: War die Versammlung stark besucht?— Angekl. Schröder:Nein, als wir hinkamen war der Saal noch leer.— Bors.: Unvspäter, waren da die Anhänger Ihrer Partei in der Mehrheit?—Angekl. Schröder: Ja:— Vors.: Hatte Ihnen Brust nicht vorherprivatim gesagt, Sie könnten sich den Weg nach Baukau sparen, dagebe es keine Diskussion?— Angekl. Schröder: Rein, das würdeich wissen, denn ich habe ein sehr gutes Gedächtnis.— Bors.: Nimmrder Bergarbeiterverband ausschließlich Bergarbeiter als Mitgliederauf?— Angekl. Schröder: Ja.— Bors.: In der Baukauer Ver-sammlung sollen aber auch Angehörige anderer Berufe dagewesensein, so auch Schneider.— Angekl. Schröder: Die kamen wohl mehraus Neugierde.— Bors.: Es war damals wohl eine ziemlich be-wegte Zeit?— Angekl. Schröder: Ja.— Bors.: Hatte aber nichtvorher in Herne eine von christlicher Seite einberufene Versamm-lung stattgefunden, in der Ihnen und Ihren Anhängern das Wortnicht gestattet war?— Angekl. Schröder: Ja, man hatte mir abergesagt, in Baukau würde es freie Diskussion geben. Ich war des-halb über das Verhalten Brusts sehr erstaunt. Er sagte mir, ichsolle sofort den Saal verlassen. Ich ging auch sofort. Da sah ichhinter mir den Gendarmen Müntcr, der, als er mich sah, sagte:„Da ist ja der Schröder, der mich schon den ganzen Tag belästigthat!" Münter ging dicht hinter mir. Ich ging zum Kassierer undverlangte mein Eintrittsgeld zurück. Der Kassierer aber antwortetemir: Geld gibt es nicht. In diesem Augenblick bekam icheinen Stoß in den Nacken»so daß ich nach dem Saal zu flog. Als ich mich etwa? erheben wollte,bekam ich denzweiten Stoß.Ich riß mich loS und(jiny hinaus. Als ich hinauslief, sah ich eineMenge Polizisten, die sich im Hause versteckt haben mußten. Ich hattedas Gefühl, daß sieirgend etwas geplant hatten.— Bors.: ES handelte sich um die Zeit vor der Beratung derUmsturzvorlage, und in der sozialdemokratischen Presse war davongesprochen worden, daß die Regierung für die UmsturzvorlageMvteria! sammelte.— Angekl. Schröder: Ich wunderte mich dar-über, daß für eine einfache Versammlung so viel Polizei aufgebotenwar. Als ich draußen war, hörte ich von drinnen rufen:„Alles,was zu Schröder gehört, alles, was Sozialdemokrat ist, muß denSaal verlassen!" Meine Freunde und ich gingen nunnach Herne und von dort nach Hause.— Vors.:Sie sagen, daß Sie nicht gehört haben, wie Brust gesagt hätte,diesmal gebe es die 10 Pf. nicht zurück.— Angekl.: Rem, sonstwäre ich ja nicht hinaufgegangen.— Vors.: Und nun sagen Sie.als Sie an den Kassentisch traten, sei Gendarm Münter hinter Siegetreten, habe die Hand auf Ihre Schulter gelegt und gesagt: Nunist eS Zeit!— Angekl.: Ich trat an den Kasscntisch, der am Podiumstand. Zum Podium führte eine Stufe. Ich sagte zum Kassierer:„Gib mir meinen Groschen Wiederl" Er antwortete mir ganzgemütlich, indem er mich beim Vornamen nannte:„Nee, Lutz, hiergitt nix wier, dat eö verboen!" Ich hatte das Gefühl, daß Münterschon gleich hinter mir hergegangen war. Am Kassentisch stand erdicht hinter mir. Als der Kassierer das gesagt batte, wollte ichgehen. Ich wollte mich gerade halb umdrehen, als ich in demselbenMoment eine» starken Stoß in den Nacken erhielt, der mich nachvorn auf die Hände zu Boden warf.— Vors.: Hat Münter etwasdabei gesagt?— Angekl.: DaS weiß ich nicht mehr.— Vors.: Ersoll gesagt haben: Nun aber raus!— Angekl.: Das kann ich heutenicht»ezr sagen.— fistj.: Haben Sie beim Stoß die Hand