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Hi. 32. 28. Jahrgang. 2. KtilW des Awiirls" Kerlim Kslksdlslt. Dienstag. 7. Febrnar lM R.eickstag. 120. Sitzung. Montag, den e. Februar 1V11, nachmittags 2 Uhr. Am BundeSratstisch: Dr. D e l b r ü ck, Dr. L i S e o. Auf der Tagesordnung steht zunächst die Interpellation Graf V. Kanitz(I.) betr. die Nrbrrschwcmmung des deutschen Geldmarktes mit fremden Werten. Auf die Frage des Präsidenten, ob und wann der Reichskanzler die Jmerpellanon beantworten wolle, erklärt Staatssekretär Dr. Delbrück sich bereit, die Interpellation Ende dieser oder Anfang nächster Woche zu beantworten. Es folgt die zweite Beratung des Gesetzentwurrs betr. Acnderung des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung. Abg. Dr. Brunstermann<Rp.): Wenn wir auch keine Anträge gestellt haben, sind wir keineswegs mit sämtlichen Kommissions- bcschlüsien einverstanden. Jedenfalls sollte der Reichstag nicht an Beschlüssen festhalten, denen die Regierung ein Unannehmbar ent­gegensetzt. damit der Entwurf nicht scheitert. § 3 macht die Zulassung zur Borbereitung für den Justizdienst unabhängig vom Nachweis eines bestimmten Ber - mögens oder Einkommens. Hierzu beantragen die Abgg. Alb recht u. Gen. zuzufügen: .Ebensowenig darf die Zulassung von der politischen oder konfessionellen Gesinnung oder Betätigung des sich zur Auf­nahme Meldenden abhängig gemacht werden" und weiter als 8 3a hinzuzufügen:Die Entfernung aus dem Verwaltungsdienst darf nur auf Grund eines Disziplinargesetzes erfolgen." Abg. Stadthagrn(Soz.): In Preußen besteht eine Verfügung, wonach die Zulasiung zum Referendar von einem bestimmten Jahreseinkommen abhängig ge- macht wird. Hätte diese Verfügung schon früher bestanden, so hätte zum Beispiel weder W i n d t h o r st noch M u n ck e l Referendar und später Minister respektive Minister werden können. Windthorst besaß keinerlei Vermögen, er erwarb sich seinen Unterhalt während seiner Referendarzeit durch Abschreiben. Die Kommission hat daher vorgeschlagen, daß der Nachweis einesbestimmten" Vermögens oder Einkommens nicht gefordert werden darf, aber dieser Vorschlag geht uns nicht weil genug, Söhne von Arbeitern würden dadurch von der juristischen Karriere vollständig aus- geschlossen werden. Ich bitte Sie dringend, zum mindesten das Wortbestimmt" in diesen, Passus zu streichen. Weiter haben wir beantragt, hinzuzufügen, daß auch eine politische oder k o n- f e s s i o n e l l e Gesinnung nicht matzgebend sein darf, um jemanden vom Vorbereitungsdienst auszuschließen. Es ist ja bekannt, daß Juden in höhere Richterstellen nicht aufrücken, wenn sie sich nicht taufen lassen. DaS entspricht nicht dem Gesetz und der Gleich- berechtigung der Konfessionen. Auch die politische Gesinnung darf nicht matzgebend sein, um jemanden vom Vorbereitungsdienst auszuschließen. Ich erinnere an den Fall des hessischen Akzessisten Katzen st ein. der agitatorisch nicht tätig war, aber seine sozialdemokratische Gesinnung nicht verleugnen wollte, und deshalb im Jahre 1892 auS dem juristischen Vorbereitungsdienste entfernt wurde. Er wandte sich an die hessische Kammer, die nahezu einstimmig verlangte, daß die Entfernung wieder rückgängig gemacht werde. ES wurde aber dem Verlangen nicht stattgegeben, weil eben eine gesetzliche Be- stimmung, wie wir sie jetzt verlangen, fehlte. Eine solche Aechtung kann sich auch gegen das Zentrum und gegen Rational - liberale richten. Wenn konfrrvattve Fanatiker dem Bürgermeister Wagner im Kreise Labia » eine Tätigkeit ensi zogen haben, die er seit 24 Jahren ausgeübt hat, auS keinem anderen Grunde, als weil er I i b e r a l ist, so kann sehr wohl auch die liberale Gesinnung einmal zum Anlaß genommen werden, jemanden nicht zum juristischen Vorbereitungsdienste zuzulassen. Deswegen soll ausdrücklich im Gesetz stehen, daß die politische Gesinnung hierbei keine Rolle spielen darf. Nicht immer herrschte diese Praxis, ich erinnere an den späteren nattonalliberalen Minister Miguel, der in seiner Jugend nicht nur kleines femUetou. Zur Geschichte der Todesstrafe. Durch Gesetz vom 1. Oktober 1868 war in Sachsen die Todesstrafe aufgehoben worden, die dann freilich wieder durch das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1870 eingeführt wurde. Aus welchen Gründen damals der König Johann die Befeiti- gung des amtlichen Mordes anregte und durchsetzte, erzählt der sächsisch« Minister v. Friesen in seinen Lebenserinnerungen(Band III, 1910. S. 48): In Leipzig war ein Mord begangen worden; der der Tat Verdächtige hatte entschieden und beharrlich geleugnet, die gegen ihn sprechenden Indizien waren aber so zahlreich und so stark, daß er von den erkennenden Gerichtsbehörden der Tat für überführt und zum Tode verurteilt worden war. AuS denselben Gründen hatte auch der König, gewiß nach ernstem inneren Kampfe, daS Urteil bestätigt, aber, da dem beharrlichen Leugnen deS Beschul- digten gegenüber ein Irrtum doch immer noch nicht ganz auSge- schloffen schien, angeordnet, daß der Oberstaatsanwalt sich nach Leipzig begeben, bei der letzten Kommunion des Verurteilten an- wesend sein und über das Verhalten desselben hierbei ihm, dem Könige, sofort ausführlich berichten sollte, indem der König'cnt- schlössen war, für den Fall, daß jener auch bei dem Akte seiner letzten Kommunion und den Ermahnungen des Geistlichen gegen- über bei der Behauptung seiner Unschuld beharren sollte, dann doch noch seine Begnadigung mSzusprechen. Die Befehle des Königs wurden pünktlich befolgt, der Verurteilte genoß am Abend vor der Hinrichtung, die auf den folgenden Tag früh 7 Uhr festgesetzt war, daS heilige Abendmahl vollkommen ruhig und blieb, unerschüttert durch die Ansprache des Geistlichen, bei der Behauptung stehen, daß er unschuldig sei. Der OberstaalSanwalt telegraphierte deshalb sofort an den König, der sich damals, es war im Dezember 1866, auf einige Tage zum Besuche in Berlin befand. Durch einen un- glücklichea Zufall kam das Telegramm erst spät in der Nacht in Berlin an. Der König erhielt dasselbe erst am folgenden Morgen, als er nach 6 Uhr erwachte, also ganz kurze Zeit vor dem Augen- blicke, wo die Exekution in Leipzig stattfinden sollte, da der Kammerdiener, der von dem Inhalte des Telegramms nichts wußte, den König nicht deshalb geweckt hatte. Der König beschloß augenblicklich die Verwandlung der Todesstrafe in langjährige Zucht- hausstrafe, aber es war nur mit der größten Anstrengung aller Be- teiligten und durch die außerordentliche Schnelligkeit, mit welcher ber betreffende Leipziger Telegraphenbcamte die Nachricht davon noch wenige Sekunde» vorher, ehe das Fallbeil fiel, selbst auf den Ricktplatz brachte, möglich, zu verhindern, daß die Hinrichtung wirklich stattfand. Dieser Vorgang hatte einen erschüttemden Ein- druck auf den König gemacht, er hatte tatsächlich bewiesen, wie es unter besonderen Vechältniffen möglich sei, daß ein Menschenleben einem unglücklichen Zufalle zum Opfer fallen könne. Der Humprlrock vor Gericht. Ein eleganter Humpelrock, die Meisterschöpfnng eines angesehenen Londoner ModeatelierS, bildete in diesen Tagen den Mittelpunkt einer amüsanten Gerichts- Verhandlung, die vor dem Wefttninster County-Gcricht erledigt Wurde. Die Modefirma hatte gegen die Schauspielerin Miß Clifford, Sozialdemokrat war, sondern beinahe schon die anarchistische Brandfackel schwang.(Sehr gut l bei den Sozialdemokraten.) Er hätte sich später nicht zum nalionalliberaleu Minister zurück- entwickeln können, wenn die politische Gesinnung damals schon maß- gebend gewesen wäre bei der Zulassung zum VorbereitungSdieust. Wenn Sie hier auf die politische Gesinnung sehen, so erziehen Sie nur zur politischen Heuchelei. Die ganze Vorlage beruht darauf, das geschwundene Vertrauen zum Richter wieder zu beleben. Wie soll aber Vertrauen zum Richter entstehen, wenn nur der Richter werden kann, der es schon früh gelernt hat, den Rücken zu krümmen. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Entgegen dem Gesetz und entgegen der Rechisprechung des Reichsgerichts gehen die Ver­waltungsbehörden gegen sozialdemokratischeTurnlehrer vor. Um wieviel mehr werden sie. wenn wir im Gesetze keinen Schutz schaffen, bei den angehenden Richtern und Rechtsanwälten auf die politische Gesinnung sehen und dadurch die politische Heuchelei großziehen.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Weiter haben wir beantragt, auch die Entfernung auS dem Vor- bereihmgSdienst der Willkur der Behörden zu entziehen. Wir verlangen, daß eme solche Entfernung nur auf Grund eine? DisziplinargeietzeS erfolgt. Ein solches Disziplinargesetz müßte möglichst gleichzeitig mit vteser Vorlage verabschiedet werden. Natürlich muß eS ein klares präzises Gesetz ohne Kautschuk- bestimmungen sein.(Sehr wahr l bei den Sozialdemokraten.) Uneingeschränktes Vertrauen ist die notwendige Vorbedingung eines gedeihlichen Wirkens der Justiz. Dieser Basis kann weder der gelehrte noch der Laienrichter entbehren, darum haben wir unsere Anträge gestellt, deren Annahme notwendig ist, um die Integrität des Richterstandes, aber auch um die des Anwaltsstandes zu sichern. Daß die p o l i- tische Ueberzeugung des Rechtsanwalts zu achten ist, hat ja nun allmählich auch daS höchste Gericht deS Deutschen Reiches anerkannt; es ist aber endlich an der Zeit, daß auch die Ueberzeugung des angehenden Rechtsanwalts, des Referendars geachtet wird. Ist es ein würdiger Zustand, wenn der junge Mann, der zukünftige Richter oder Rechtsanwalt, fich sklavisch die jeweilige Meinung der jeweiligen Regierung zu eigen machen muß, heute für, morgen gegen die Erbschaftssteuer, heule für, morgen gegen den Kanal sein muß!(Heiterkeit und Sehr gut I links.) Wohin eS führt, wenn die Rcchttprechung dem Volke entfremdet wird, wenn politische Gesinnungsrieckerei in die Rechtspflege hinein getragen wird, haben wir vor 16 Jahren in Essen gesehen, als jenes schauerliche Urteil gefällt wurde, daS nun endlich aufgehoben worden ist.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten) Wir bitten alle, denen es wirklich emst mit der Gerechtigkeit ist. unsere Anträge anzunehmen, die die Integrität der Juristen zu sichern bestimmt sind.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Abg. Dr. Müller-Meininge»(33p.): Wir sind für die Anträge der Sozialdemokraten. Sie verlangen ja eigentlich Selbst- verständliches; aber es ist manchmal gut und notwendig, daß auch etwas Selbstverständliches in ein Gesetz hineingeschrieben wird. (Lebhoste Zustimmung links.) In der Tat ist die p o l i t i s ch e u n d religiöse Gesinnungsschnüffelei ein höchst unwürdiger Zustand. Mehr als eine Existenz ist schon auf diese Weise vernichtet worden. Wir müssen Garantien gegen die Wiederholung solcher Borgänge schaffen.(Lebhafter Beifall bei der Fortschrittlichen Volks Partei.) Abg. v. DziembowSki- Pomian(Pole) schließt sich durchaus den Vorrednern an. ES ist ja schlimm genug, daß man Selbst- verständliches in das Gesetz schreiben muß; aber die Praxi», wie sie gegen Mißliebige aller Art, namentlich auch gegen uns Polen geübt wird, zwingt zu solchen Vorsichtsmaßregeln. Abg. Wellstcin(Z.) bittet um Ablehnung aller Anträge. Daß eine Garantie dafür geschaffen wird, daß der, der sich zum Vorbereitungsdienst meldet, auch die Vorbereitunaszeit wirklich zur Vorbereitung benutzt, ist durchaus angebracht. Daß religiöse und polittsche Gründe nicht zur Ausschließung auS dem VorbereilungS- dienst mißbraucht werden dürfen, ist nicht nur selbsiverständlrch, sondern auch verfassungsmäßig festgelegt.(Lebhafter Beifall rechts und im Zentrum.) Abg. Dr. Müller-Meiningen (Vp.): Es kommt leider manchmal vor, daß die zuständigen Stellen die Verfassung nicht kennen.(Sehr gut! und Heiterkeit links.) die im bürgerlichen Leben Frau Bennett heißt, eine Klage auf Zahlung von 172 M. für einen aus Bestellung gelieferten Humpel- rock eingereicht. Die Empfängerin de« schönen Kleidungsstückes ver- iveigerte die Bezahlung unter der Begründung, daß der Rock für sie wertlos sei. denn sie könne darin nicht gehen. Mit gravitätischer Würde schritt das Gericht zur Aufnahme des Tatbestandes. Frau Bennett zog sich auf einige Minuten zurück, um den strittigen Rock anzulegen, und erschien dann wieder vor den Perücken- geschmückten Herren der Justiz. ES war ein bewegliches Klagelied. das die Trägerin deS Humpelrocks anstimmte. Sie begann ihre Er- klärung daniit, daß sie jetzt schon halbwegs darin gehen könne, weil der Rock nun ausgeplatzt sei, was im Auditorium' bereits die fröh­lichste Stimmung hervorrief.Ich brauchte drei Stunden, um von Twickenham nach Richmond zu kommen, während ich sonst diesen Weg in einer Stunde zurücklege. Dann konnte ich nicht inS Boot kommen,, man mußte mich hineinheben, und ebenso mußte ich nachher wieder wie ein Sack aus dem Boote heraus und ans Ufer gestellt werden. Da stand ich nun hilflos und konnte nicht weiter kommen. In meiner Verzweiflung versuchte ich mich in einen OmnibuS zu retten, aber eS war unmöglich, hineinzukommen, ich konnte den Fuß nicht heben, um daS Trittbrett zu erreichen. Schließlich flüchtete ich mich in ein Automobil, um überhaupt wieder nach Hanse gelangen zu können. DaS war das einzige Mal, daß ich diesen schrecklichen Humpelrock trug." DaS Gericht lauschte der Herzensklage der Modedame voll mitfühlenden VerstehenS, aber da der Rock regelrecht bestellt und genau»ach den Vorschriften der neuesten Mode geschneidert war. kam eS schließlich zu einem Vergleich, und Frau Bennett bezahlt für ihre» Humpelrock 86 Mark. Tbeater. Reue freie Volksbühne. Hermann SudermannS S ch m e t t e r l i n g S s ch l a ch t", die nun auch imNeuen Volks- iheater" zur Aufführung gelangte, mutet doch schon ctwaS vergilbt an. Nicht als ob es im heutigen Berlin keine Witwen aus so- genanntenbesicren" Beamten- und Gesellschaftskreisen überhaupt gäbe, die ihre verbildeten Töchter unter Anwendung von zweifei- haften Mitteln an den Mann zu bringen trachteten; aber die Pro- vinzierhafte Spießbürgerlichkelt. die Sudermann da noch vor- führt, ist längst abgestreift worden.Man" fühlt sich nunmehr als Wcltstadtbürger»nd� geht in allen Hand- lungen raffinicricr vor. Wie die Entivickelung des Berliner kommerziellen und industriellen Lebens de» Krämer- und Klein- handiverkerstand aufgesogen hat, so verflüchtigt sich auch aller klein- bürgerlicher Geist, der schlechterdings im pensionierten Militär- und Beamtentum noch seine Nahrung erhält, mehr und mehr. Also ich sage: daSMilieu" der Sudennannlchen Komödie wirkt jetzt schon ziemlich fremd vorstädtiich auf uns. Ein Geschäft, daS, trotzdem seine Spezialität: bemalte Schmetterlingsfächer, nur von drei dilet- tierenden Mädeln bestritten wird. Reisende unterhalten und große Jahresumsätze erzielcu kann, das glaubt dem Dichter heute niemand mehr. So uiitvahrscheinlich sind auch diese Menschen. Man zeige mir reiche Fabritamensöhne von solcher Jammerloppig- keit wie den Sudermannschen Max Wiukelmann l Oder solch ver- muckerteS und vermickerles Geschöpf wie den Oberlehrer Dr. KasinSky! Abg. Heine(Soz.): Herr Wellstein scheint es sehr ungern zu sehen, wenn Referendare während des Vorbereitungsdienstes bezahlte Nebenbeschäftigung haben. In P r e u ß e n ist freilich leider die Annahme solcher be- zablter Nebenbeschäftigung verboten. Dabei liegt natürlich die freilich unauSgeiprockene Ansicht vor, daß nur reiche junge Leute würdig sind, de in Staate als Referendare zu dienen. Wir müssen uns auf das entschiedenste gegen eine solche Auffassung wenden. Nicht zum wenigsten auch im Interesse unseres Juristenstandes. ES muß zur Ver- dorrung und Verstockung der Justiz führen, wenn sie sich nur aus wohlhabenden Kreisen rekrutiert; es ist auch durchaus nicht wünschenswert, wenn die Referendare neben rhrem Vor- bereitungsdienst, der sie unmöglich ausfüllen kann, Anregung nur aus Tennis spiel, Bällen und dergleichen geistvollen Be- schäftigungen schöpfen.(Heiterkeit und Zustimmung links.) Wir bitten nochmals um Annahme unserer Anträge.(Beifall bei den Sozialdemokraten.) Die Diskussion schließt. Die Anträge Alb recht werden gegen Sozialdemokraten, Fort- schrittler und Polen abgelehnt. Die 88 1 bis 7 werden in der KommissionSfaffung angenommen. Den 8 6 beantragen die Abg. A l b r e ch t und Genossen(Soz.) so zu fassen, daß Richter wider ihren Willen nur kraft r i ch t e r- licher Entscheidung und nur aus den Gründen zeitweise ihres Amtes enthoben oder in Ruhestand versetzt werden dürfen, die für ein Mitglied des Reichsgerichts zutreffen, event. die in dem mit diesem Gesetz zu verabschiedenden Reichs- diSziplinargesetz für Richter enthalten sind. Weitere Zusatzparagraphen sollen nach den Anträgen R l b r e ch t und Genoffen(Soz.) VerwalrnngSbeamte, die länger als fünf Jahre dieses oder das Amt eines Staatsanwalts bekleidet haben, vom Richteramt ausschließen, Richtern die Annahme von Orden und Titulaturen verbieten, die Enthebung vom Amt an eine Zweidrittel- Mehrheit des Plenums des Gerichtes binden, an dem der Betreffende Mirglied ist. den Richter ausdrücklich in seinen AmtSverrichlungen von jeder Behörde unabhängig machen und für das Gehalt deS Richters nur daS Dienstalter matzgebend fein lassen. Abg. Heine(Soz.): Die materielle Begründung unserer Anträge wird Herr Abg. Stadthagen vornehmen. Es wird Ihnen nicht überraschend sein, daß ich bei dieser Gelegenheit über daS spreche, was im preußischen Abgeordnetenhause anläßlich der Moabiter Prozesse vom preußischen Justizminister gesagt wurde. Auch dem preußischen Justizminister kann dies nicht unerwartet sein, aber wir sind eS gewohnt, daß der preußische Justiz- minister nicht hier ist, wenn hier über die preußische Justiz gesprochen wird. Die Art, wie der preußische Justizminister den Landgerichtsdirektor U n g e r wegen seiner Rechtsbelehrung zur Rede gestellt hat, ist der Anstoß zu unseren Anträgen. Ich will gern zugeben, daß auch daS beste Gesetz Taktlosigkeiten nicht verhindern kann und auch nicht ungesetz- liche Beeinflussungsversuche von Behörden. Aber eS würde den Richtem das Rückgrat stärken, wenn sie wissen, daß jeder derartige Versuch an einem festen Gesetz scheitert. Was während der Moabiter Prozesse an unerhörten BecinslnssuugSvcrsuchcn der Richter vorgekommen ist. ist so ziemlich das äußerste, was man sich bor- stellen kann.(Lebhaftes Sehr richtig l links.) Die Richter und die Gc- schworenen find an die Sache sicher nicht ohne die Vor- urteile herangegangen, die in der Oeffentlichkeit verbreitet waren, sie standen sickler unter dem Eindruck, es handle sich um eine sozialdemokratische Revolte. Ich habe eS mitansehen können, wie unter dem Einfluß und dem Zwange der Zeugenaussagen von Tag zu Tag mehr die An- sicht deS Gerichts sich änderte; gerade diese Art richterlicher Tätigkeit verdient Lob. Man kann nicht immer an eine Sache un- befangen herantreten, man hat schon vorher davon gelesen und sich ein Bild davon gemacht; aber der gewissenhafte Richter soll dies Bild auf Grund der Verhandlung korrigieren, und das haben die Moabiter Richter getan, sie haben nach dem genrteilt, was sie gehört und gesehen haben, und nicht nach dem, was ihnen von dieser Tribüne äuS vorgeschrieben wurde.(Hört I hört! links.) Es war ein starkes S ck, daß. nachdem schon Oder einen Reisende» wie den Keßler! DaS sind samt und sonders nur mehr schreiende Karikaturen. DaS, was den inneren Gehalt einer Persönlichkeit ausmacht, die Sudermann zum Repräsentanten einer gewissen Klasse oder Kategorie zu stempeln vermeinte, ver- misten wir vollständig. Es ist mit dem puren Naturalismus, das heißt mit der unbeschränkten WirklichkeitSschildernngSkunst nichts wenn kein wahrhaftiger Dichter dahinter steht! Das Publikum schien sich auch nicht mehr so recht in dieKomödie" hineinfinden zu wollen. ES lachte, wo es sich doch um ernstere Vorgänge handelte; was nur wieder beweist, daß mit dem verbesserten Geschmack auch die An- schaunngen über Tragik und Komik sich verschoben haben müssen. Die Aufführung bot im szenischen Teil stünmungsvolle Bilder. Unter den Darstellern stand Annaliese Wagner als Rost obenan. Dann gaben noch Emil Rameau (Winkelinann sen.) und Maximilian G l a d e k(Keßler) ganz tüchtige Charakterleistungen. s. k. Mufik. Daß dem Handwerksburichen sein Felleisen KlugeS spricht, ist ein altes Märchenmotiv; daß ein ungeschickter Liebhaber in einer Kiste versteckt wird, ist ein alteS Possen- und selbst Opernmotiv. Beide Motive hat Richard Schott in dem Text zu der komischen Spieloper in einem Akt(nach einem Anderserschen Märchen):DaS kuge Felleisen" verarbeitet. Zur sckiönen Müllerin kommt in der Abwesenheit deS tappigen Müllers erst der Küster und dann. nachdem er als Nummer Eins in der Mehlkiste versteckt ist, Nummer �wci: ein flotter HandwerlSbnrsch. Bald ist auch der Müller zurück. m den Küster und nach ihm auch de» Müller hinauszubringen, macht dem der Bursche mit dem angeblich sprechenden Felleisen alles weiß, was nötig ist. namentlich auch, daß jetzt der Teufel aus der Kiste fährt. Bis endlich Bursch und Müllerin beim verlöschten Licht allein sind. Dies der Inhalt der Novität unserer Berliner Volks- Oper. Die Musik zu dem aus einfachem Dialog und licttcn Versen bestehenden Libretto ist von Waldemar W e n d l a n d. Wir hatten den jungen Komponisten bereits durch seinVergessenes Ich" in der Komischen Oper kenne» gelenit. Wie er dort in Stückchen charakterisiert, auf alte und iiene Weise, und wie er dort mit seinen Klangfarben aufS geschickteste Schallerei treibt, so auch hier. Das Plumpe kennzeichnet er ohne Plumpheit; und wie er im Felleisen die Instrumente rumoren läßt, das ist ein niedlicher Opernmärchenspatz. So hätten wir denn manch hübsche Anfänge moderner Opern- komik. Nur wachsen damit auch die Ansprüche' an die Darstellung, speziell an den Konversationston. Die Bolts-Oper grbt sich Mühe, wenigstens� in, Gesang das Nötige zu leisten. An Julius R ü ng er,- der den Küster sang, besitzt sie denn auch einen allseitig zuvcr- lässigen Meister. Als HandwerlSbnrsch erfreute Jakob Mai II durch einen sympatischen Bussotenor. als Müller wurde Wilhelm Kaiser mit einer undankbaren Rolle gut fertig, und als Müllerin entfaltete Aimh Zeuner ein anmutiges Spiel, dem allerdiiiAS ihr Gesang nicht gleichkomint. Das Stück ist auf süddeutschen Dialekt angelegt. Wen» aber den Spielern die Mundart so wenig liegt, wie diesmal, dann ist's doch bester, man hält fich von vornherein an ein schlicht bescheidenes Hochdeutsch. gz.