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so wäre ei» solcher Beschluß für die Regierung unannehmbar. Ich wurde eS vcdanern. wenn die Borlage daran scheitern sollte. Abg. Dr. Bahrenhorst Mp.): Wir sind für Aufrechterhaltung der Kommissionsbeschlüsje. Die Zuziehung von Laien zur Rechtspflege ist durchaus wünschenswert. Aber anders steht es mit der Berufungs - instanz. Bei der Berustmgsinstanz Handell es sich weniger um Tat- als um formale Rechtsfragen. Da empfiehlt sich nicht die Zu« ziehung von Laien. So hoffen wir denn, dast der Reichstag ein- sichtig genug sein wird, diese Anträge abzulehnen, und der Bundes- rat fest genug, bei der Ablehnung zu verharren, wenn der Reichstag die Konünisfionsbeschlüsse in ihr Gegenteil verkehren sollte.(Beifall i'ßdjts.) Abg. Griif.Weimar(Wirtsch. Vg.) tritt gleich dem Vorredner für die Koiinnissionsbeschlüsfe ein. Preußischer Justizminister Beseler: Auch die Urteile der Schöffen- gerichte werden vielfach von der höheren Instanz abgeändert und wenn die Urteile der Schöffengerichte so günstig beurteilt werden, so vergißt man dabei aber, daß in sehr vielen Fällen die zweite Instanz mit ihren drei Berufsrichter- das Urteil der ersten Instanz verbessert hat. In der zweiten Instanz kommt es nicht nur darauf an. zu hören, was die Zeugen sagen, sondern aus eine Prüfung der Würdigung der Zeugenaussagen durch die erste Instanz. Dazu kommt, dafi in der zweiten Instanz auch viel mehr die reinen Rechtsfragen zur Erörterung kommen. Die An­gehörigen des breiten Mittelstandes sind zweifellos den Ausgaben, die in der zweiten Instanz zu lösen gilt, nickt gewachsen. Vielfach haben die Laien auch aus ökonomischen Gründen gar kein Verlangen danach, als Laienrichter zugezogen zu werden.(Sehr richtig! rechts.) Abg. Werner(Antis.) spricht für die Zulassung des Laien- elemeuts auch in der zweiten Instanz. Abg. Wellstein(Z.) hält die Zulassung von Laien in der zweiten Instanz nicht für angebracht. Die AuSsühruugen deS Justiz« nniiisters kann ich nur voll unterschreiben. Abg. Wölzl(natl.) weist daraufhin, daß der deutsche Richtertag sich gegen eine weitergehende Hinzuziehung von Laien ausgesprochen habe. Die Richter seien aber auf Grund ihrer Erfahrung allein berufen, über den Wert der Rechtsprechung der Schöffen zu urteilen. Abg. Zietsch(Soz.): Herr W e l l st c i n meinte, die Laienrichter werden sich der über- lcgeiien Dialeltik der gelehrten Richter nicht entziehen korniem Leider ist das zum Teil der Fall, namentlich bei kleinen Amtsgerichten mit nur einem Amtsrichter. Aber doch mir, weil der Kreis, aus dem die Schöffen ausgewählt werden, z n klein ist.(Widerspruch rechts.) Die Herren, die das bc- streiteil, kennen die Schöffengerichte nicht als Angeklagte: es ist aber etwas anderes, als Richter im Talar dort zu sitzen oder als Objekt der Rechtsprechung, ich wünsche den Herren, nur einmal vier Wochen in der Haut eines sozialdemokratischen Redakteurs zu stecken.(Sehr richtig! bei den Sozialdemo- kraten.) Die Beemflussung der Laien durch die gelehrten Richter fchalten Sie ja auch nicht aus, wenn Sie in den Strafkammern zwei gelehrte Richter neben drei Schöffen zulassen; allerdings werden diese sich dann öfter über rein juristische Fragen in die Haare ge- raten und die Schöffen doch die Entscheidung herbeiführen. Nun klang uns hier wieder dasUnannehmbar" der Regierung ent- gegen, vor dem Sie schon in der Kommission so oft z u r ü ck g e w i ch e it find. Aber lassen Sie sich jetzt wenigstens nicht wieder davon schrecken I(Zustimmung bei den Sozialdemo- toten.) Der preußische Justizminister sagt, auch die Schöffen können sich irren. Gewiß, das wird stets so bleiben, so lange Menschen zu Gericht sitzen.(Sehr richtig! links.) Weiter sagte der preußische Justizminister, in Preußen sei nicht genügendes Material für die erforderliche große Zahl der Schöffen vorhanden. So erweitere nian doch den Kreis, aus dem sie genommen werden, und lasse auch die Frauen»nd Lehrer als Schöffen zu. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) In Süddeutschland wird ein solcher Einwand übrigens nicht erhoben. Bedenkt der preußische Justizminister nicht, welch schwere abfällige Kritik er damit an der preußischen Volksschule übt!(Lebhaftes Sehr richtig! links.) Die Herren von der Rechten sprechen sogar, um ihre Abneigung gegen die Zuziehung von Laien zur Berufungsinstanz zu recht- fertigen, von einerBelastung" des Volkes, die abgewendet werden müsse. Das Volk aber ist gern bereit, weitere Ehrenämter zu übernehmen, um dadurch zur Verbesse- rung der Rechtspflege beizutragen. Daß das wirkliche Volk mit Aemtern der Selbstverwaltung überlastet sei, stimmt übrigens nicht. Das famose Dreiklaffenwahlrecht sorgt schon dafür, daß die Selbst- Verwaltung auf die engsten Kreise beschränkt bleibt. Man hat davon gesprochen, es mangele an geeigneten Elementen für die Besetzung der Schöffen bei der Berufungsinstanz. DaS mag insofern zutreffen, als sich in den östlichen Provinzen allmählich nicht mehr genug Leute flnden, die sich zu Vertretern de'S Hakatisn, us in Gerichtssachen gebrauchen lassen. lSehr gut! links und bei den Polen .) Sorgen Sie für eine Volks- tümliche Rechtspflege und tragen Sie dadurch auch zu Ihren Teilen zu der Erfüllung des stolzen Wortes bei: Deutschland in der Welt voran I(Lebhafter Beifall bei oen Sozialdemokraten.) Abg. Dove iVp.): Es ist durchaus nicht wahr, daß es an geeigneten Elementen fehlt, die als Schöffen der BerusungSinstanz in Betracht kommeir. Das Amt eines Handelsrichters stellt ganz andere An- spräche an Zeit und Arbeitskraft als das Schöffenamt und trotzdem mangelt es nicht an geeigneten und fähigen Leuten, die mit Ver- gnügen bereit sind, Handelsrichter zu werden. Also hinter diesen Vorwand verstecke man sich nicht!(Sehr gut! links.) Man sorge für einen genügend großen Kreis, aus dem die Schöffen zu nehmen sind, man schließe namentlich die Lehrer nicht aus und man wird sich über Schöffenmangel nicht zu beklagen haben.(Lebh. Beifall links.) Ein Antrag auf Schluß der Debatte wird angenommen. Die namentliche Abstimmung über die zu§77 ge- stellten Anträge findet zu Beginn der morgigen Sitzung statt. Freitag 1 Uhr.(Fortsetzung der heutigen Beratung.) Schluß S'/z Uhr. _ parlamentarilcbes. Die neue Militärvorlage in der Bndgetkonunission. Am Donnerstag wurde die Debatte über die Dcckungsfrage fortgesetzt, die am Mittwoch auf Wunsch der Nationalliberalen av- gebrochen wurde, weil Abg. Erzberger eine Aufstellung über den Kostenpunkt gab, die wesentlich höhere Summen auswies, als sie in der Vorlage angegeben sind. Der Schatzsckretär hatte erklärt, diese Zahlen seien ihm nicht bekannt. Ueber Nacht hat sich alles geklärt". Als Genosse Noske auf die Vorgänge am Mittwoch hinwies, tat Erzberger plötzlich so, als ob er nur allgemein bekannte und harmlose Angaben gemacht habe. Und beinahe wie aus Ver- abredung wurde von den bürgerlichen Rednern über alles mögliche gesprochen, nur nicht über das, was am Tage vorher allgemein als Sensation aufgefaßt wurde. Genosse S ch ö p f l i n knüpfte an diese Vertuschungsverfuche an und erklärte, vom Kriegsministerium sei einSpiel mit doppelten Worten" gespielt worden, ftriegsmüustcr und Schatzsekretär protestierten dagegen, aber die Tatsache, daß zweierlei Aufstellungen über den Kostenpunkt bestehen, konnte nicht mehr geleugnet werden; gab doch der Kriegs- minister zu, es wäre richtiger gewesen, dem Schatzamt auch die zweite Kostenberechnung zu geben. Hätte Erzberger am Mittwoch nicht aus der Schule geplaudert, was ihm offenbar am nächsten Tage leid tat, wäre dieses niedliche Spiel nicht bekannt geworden. Mit recht auffälligem Eifer sprachen später bei anderen Verhandlungs- punkten die Redner aller bürgerlichen Parteien dem Kriegsmini­ster Dank und Vertrauen aus. Beachtlich ist auch, daß auch am Donnerstag konservative und nationalliberale Redner wieder ihrem lebhaften Bedauern über diegeringen" Forde- r u>i g c ii des KrjegSministers Ausdruck gaben. Schatz- sefreiär Mermuth , der am Mittwoch wiederholt sehr schwere finanzielle Bedenken äußerte, war am Donnerstag gern bereit, die Verantwortung für die finanzielle Durchführung der Militärvor- läge zu übernehmen. Dabei gestand er, daß selbst, wenn die S(X> Millionen der Finanzreform von 1909 voll eingehen, immer noch große Summen fehlen; das lasse sich auch bei größter Sparsamkeit nicht vermeiden� In der amtlichen Denkschrift der Finanzreform von 1999 wurde genau das Gegenteil gesagt. Genoß«: Noske ging mit den Redereien über die Finanzlage scharf ins Gericht und beleuchtete den kritischen Stand der Dinge. Die Spezialberatung bot nichts Bemerkenswertes. Alts der Reichsvcrstchcrungsordnnngs-Kommissiou. In der M i t t w o ch s i tz u n g wurde zunächst der Anspruch auf Unfallentschädigung beraten. Er ist zur Vermeidung des Aus- schlusses spätestens zwei Jahre nach dem Unfall anzumelden. Eine nachträgliche Anmeldung ist nur in gewissen Fällen zulässig. Ter öiegierungsentwurf führte unter diesen Fällen auch auf, wenn eine Folge des Unfalls, die einen Entschädigungsanspruch be­gründet, erst später bemerkbar geworden ist. In der 1. Lesung änderte die Kommission auf Antrag der Sozialdemokraten jene Bestimmung dahin, daß die nachträgliche Anmeldung zulässig sein soll, wenn eine neue Folge des Unfalls, die einen Entschädigungsanspruch begründet, erst später, oder eine innerhalb der Frist eingetretene Folge nach Ablauf von 2 Jahren nach dem Unfall in höherem Maße bemerkbar geworden ist. In der 2. Lesung kamen die Kompromißparteien mit dem An- trage, daß in dem letzten Falle die Unfallfolge in wesentlich höherem Maße bemerkbar geworden sein muß. Auf Antrag der Sozialdemokraten wurde der Bestimmung noch zugefügt, daß auch dann das Recht zur nachträglichen Anmeldung gegeben ist, wenn die Verschlimmerung in ganz allmählicher, gleichmäßiger EntWickelung des Leidens eingetreten ist. Ferner wurde infolge' einer Anfrage der Sozialdemo- k r a t e n festgestellt, daß die Verschlimmerung unter besonderer Berücksichtigung des Arbeitsverhältnisses gewürdigt werden mutz. Für das Verfahren vor den BersichcrungSbehSrden in Unfallbersicherungssachen haben die Kompromißparteien einen ganzen Haufen von Anträgen eingebracht, um die Beschlüsse der 1. Lesung in den wichtigsten Punkten zu ändern. Der Rekurs an das Reichsversicherungsamt soll danach aufgehoben werden in allen Fällen, in denen innerhalb der ersten zwei Jahre nach dem Unfall eine vorläufige Rente gewahrt wird, oder in denen es sich um die Veränderung der Rente infolge Verände- rung der für die Höhe der Rente maßgebenden Verhältnisse handelt. Außerdem soll das VersicherungSamt ohne Beisitzer, wenn gegen den Vorbescheid Einspruch erhoben wird, den Berech- tigten persönlich hören, Gutachten einholen und Ermittelungen an- stellen, soweit die Beweismittel bereit oder leicht zu beschaffen sind und erhebliche Kosten nicht entstehen. Wenn es sich aber um Aenderung der Dauerrentcn handelt, mutz das VersicherungSamt je einen Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeiter hinzuziehen, und dann hat es ein Gutachten über die beanspruchte Entschädi- gung abzugeben. In der DonnerStagsitzung wurde in die Generaldebatte über die vorliegenden Kompromißanträge eingetreten. Die Sozialdemokraten verurteilten es scharf, daß die Anträge fast ganz nach den Wünschen der Aerufsgenossen» sch a fte n abgefaßt worden seien; auf die Interessen der Arbeiter dagegen sei nur in verschwindendem Maße Rücksicht genommen worden. Das Verfahren in Unfallversicherungssachen sei sehr um- ständlich, da es zunächst den Berufsgenossenschaften die Vorberei- tung der Entschädigungsfcststcllung überlasse, dann die Sache dem VersicherungSamt überweise und sie schließlich wiederum vor die BerufSgenosscnschaften bringe. Auf diesem Wege sollen die not- wendigen Ermittelungen angestellt loerdem Dabei ist cS leicht möglich, daß die Ermittelungen der einen Stelle die andere Stelle immer wieder zu weiteren Ermittelungen veranlassen werde. Diese Umständlichkeit sei die Folge davon, daß die Äompromißparteicn sich nicht dazu entschließen können, die Unfallentschädigung von vornherein unter entscheidender Mitwirkung der Arbeiter festsetzen zu lassen. Sehr bedenklich sei es, daß in den allermeisten Unfall- Versicherungssachen der Rekurs an das Reichsversicherungsamt nicht mehr zulässig sein soll. Darunter werde die Rechtsprechung sehr leiden. Sogar der Vertreter dcrbayerischen Regierung sprach die Befürchtung aus, daß die notwendige Verbesserung so lange nicht erreicht werden kann, wie die BerufSzenossenschaften sich zuerst in deni sogenannten Vorbescheid festlegen. Wenn das einmal geschehen ist. dann werde es sehr schwer sein, durch neues Bcweismaterial die Berufsgenossenschaft zu einer Korrektur ihres Bescheides zu veranlassen. Bezeichnend ist es, daß der Regierungs- Vertreter zugleich im Namen der anderen BundeSstaatSvertreter ausdrücklich erklärte: auch ihnen seien die Kompromiß- an träge, die unter der Mitwirkung des Reichs- amts des Innern zustande gekommen sind, im letzten Augenblick durch die Verteilung der Drucksache in der Kommission bekannt geworden. Daher könnten sie noch nicht im Namen ihrer Regierungen zu den Anträgen Stellung nehmen. Die Redner der anderen Parteien gaben zwar zu, daß manche Einzelheiten in den Anträgen nicht den Forderungen der Arbeiter entsprechen. Aber mehr sei nicht zu erreichen. Bc- trachte man das Ganze, was die Anträge bieten, so sei zu hoffen, daß das neue Verfahren besser sein werde als das jetzige. Die Hauptsache sei jedoch, daß das Reichsversicherungsamt entlastet werde. Denn dies sei unaufschiebbar. Nächste Sitzung Dienstag. Tie Kurpfuschereikommissiou des Reichstags führte heute die Aussprache über den grundlegenden§ 1 zu Ende. Der Antrag Faßbender auf Beseitigung der Kuricrfreiheit mit Ein- führung einer Jntcll-genzprüfung wurde zurückgezogen. Die Sozial- demokraten verlangten die Verstaatlichung des Aerzte- st a n d e s. Dieser Antrag wurde abgelehnt, ebenso wie eine Reihe weiterer Anträge, die von sozialdemokratischer und von fortschr'tt- licher Seite borlagen. Angenommen wurde ein Antrag des Zen- trums, daß als gewerbsmäßig im Sinne des Gesetzes eine BeHand- lung nicht anzusehen ist, wenn der dafür entrichtete Betrag ent- sprechend der Erklärung des Behandelnden ausschließlich und nach- weisbar für wohltätige Zwecke Verwendung findet. Die Anzeigefrist für Veränderungen des Wohnsitzes wurde von drei auf acht Tage verlängert. Mit diesen Aenderungen wurde der§ 1, der die Anmeldepflicht für alle nichtapprobierten Krankenbehandler ausspricht, angenommen. Ans der Budgctkommission des preußischen Abgeordneten- Hauses. Die Kommission beriet am Donnerstag den Etat der Eisen- bahndcrwaltung. Bei der Besprechung der finanztechnischen Seite erklärte der Eisenbahnminister, die Personalausgabcn betrügen bereits t>0 Proz. der Gesamtausgaben und man habe ganz beson- ders bei den Arbeitern mit ständigen Steigern n- gen zu rechnen. Es fänden zahlreiche Lohnbewegungen statt und in zahlreichen Bittschriften an das Ministerium verlangten die Arbeiter Regelung der Lohnfrage und der Arbeitsbedingungen. Im Reichstage sei jetzt ein Antrag eingebracht worden, der g e s e tz- liche Regelung der Betriebs- und Ruhezeit für das Eisenbahn personal fordere. Solche Anträge seien ausserordentlich weittragend; es würde dadurch für die preußisch- hessische Eisenbahnverwaltung eine Ausgabe von 70 80 Millionen entstehen. Trotz der Steigerung der Ausgaden durch die Forde- rungen des Personals werde das Jahr 1911 aber wahrscheinlich doch kein günstiges werden. Weiter erklärte der Minister, der Versuch, die Fahrkartensteuer zu beseitigen, sei im Reichstage mißglückt; auch eine Reform fei mißlungen. Im Eisenbahninlilisterium sc! ein neuer Vorschlag über die Fahrkartensteuer ausgearbeitet, der dem neuen Reichstage vor- gelegt werden soll. Die erste Klasse habe eine Verwinde- rungdcr Benutzung um 15 Proz. gebracht; die Abwanderung aus der 2. Klasse sei durch eine Rückwanderung in die 3. Klasse ausgeglichen worden. Im allgemeinen ständen die Einnahmen zu den Ausgaben gegen früher im großen Mißverhältnis. Gegen eine Herabsetzung des Rohstofftariss müßten lebhafte Bedenken geltend gemacht werden. Tie Elektrisierung der Bahnen soll weiter betrieben werden; in der Konzessionierung elektrischer Schnellbahnen gehe der Staat mit kleinlicher Engherzigkeit vor. In einer Besprechung der Eiscnbahnunfälle bei Mülheim und Baumschulenweg bei Berlin wies der Minister darauf hin, daß trotz des Anwachsens der Zahl der beförderten Personen die Unfallziffer eine fallende Tendenz zeige. In der Debatte behaupteten die Konservativen, die Steuerfreiheit der 4. Klasse fei eine vollständig falsche Maßnahme gewesen, die bei der Reform ausgeglichen werden müsse. Der Forderung, in allen Schnellzügen 3. Klasse zu führen, widersprach der Minister und auch ein nationallibcraler Redner._ fiiles Gaesde in der Fartelahtion. Aus Paris wird unS geschrieben: Seit seiner Gesundung von einem Leiden, das ihm vier Jahrs lang alle Arbeit untersagte, ist Genosse JuleS Gucsde wieder mit seinem alten Feuereifer für die Sache des Sozialismus tätig. Im Parlament griff er in der letzten Januarwoche inil einer stürmischen Rede in die Budgetdebatte ein, indem er einen Antrag begründete, die Durchführung der Altersversicherung ohne Erbebung des obligatorischen ArbciterbeitragcS zu organisieren. GueSde wies nach, daß die notwendigen 89 Millionen durch eine pro« portionelle Erhöhung der Steuern auf Erbschaften über 109 000 Fr. hereingebracht werden könnten. Statt von 4 500 000 Familien, die 1500 Fr. und von 5 275 000 Familien, die Überbanpt nichts be- sitzen, sollen sie von den 257 000 Familien bezahlt werden, die im ganzen 110 775 Millionen, d. h. mehr als über die Halste des ge- i'ainten nationalen Vermögens, besitzen. GueSde, der wegen der Beitragspflicht der Arbeiter als einziges Mitglied der Fraktion gegen das AltersversicherungSgesetz gestimmt hat, erklärte, daß die Ausführung des Gesetzes in der Arbeiterschaft zu verhängnisvollen Erhebungen führen werde. Sein Amendement wurde von der ganzen sozialistischen Fraktion unterstützt, gemäß dem Parteitags- beschluß von NimcS, der die Abgeordnete» aufforderte, sofort nach der Annahme des Gesetzes seine Berbesserimg anzustreben. Auch Deputierte verschiedener anderer Parteien stimmten dafür im ganzen 152 Abgeordnete. Auch seine Versammlungspropaganda hat GueSde wieder auf­genommen. In der letzten Woche sprach er in B o r d e a u x, wo der Sozialismus, in einem für die klare Erfassung des Klassen- kampfes wenig günstigen Milieu, in der letzten Zeit verheißungsvolle Forlschritte gemacht halte. Guesde setzte mit seiner gewohnten Schärfe den Unterschied zwischen dem wissenschaftlichen Sozialismus und dem unklaren demokratischen HumanitariSmuS auseinander, um dann mit dem NackweiS der Notiveudigkeil des Kampfes um die politische Macht zu schließen. In einem interessanten Interview, das derSocialisme " derFrance " in Bordeaux entnimmt, teilte Guesde einige» über seine Zukunftspläne mit. In den nächsten Tagen wird eine Broschüre aus seiner Feder unter dem Titel F r a g e n von gestern und heute"«- scheinen, in zwei oder drei Monaten ein starker Band unter dem /i Titel:Auf der Wacht gegen die Verfälschungen desV Sozialis>n uS und die falsche Münze der bürger- lichen Reformen". In beiden Werken will Guesde daS klare Wesen des Sozialismus gegenüber den Abschweifungen, zu denen die GewerkschaflSfrage, der AnninilitariSmuS und der AntiPatriotismus. die Agrarfrage und die Sozialreform Anlaß gegeben haben, ent- wickeln:Ich will sagen, worin in Wahrheit unser Anti- Militarismus besteht. Niemals haben wir vorgehabt, die Insurrektion beim ersten Kriege, der ausbricht, zu entfesseln. Die Insurrektion in Kriegszeiten ist eine absurde und lächerliche, von der Geschichte der- urteilte Sache. Die Kricgszeit ist der einzige Augenblick, wo eine Jnsnrreklion unmöglich ist, denn in diesem Augenblick ist das ganze Land unauflöslich einig. Erst nach der Niederlage, in der Stunde der Verwirrung und Verzweiflung, kann und muß eine Insurrektion glücken. Ich werde auch die Pflicht aller Franzosen, namentlich der Proletarier, verkünden, daS an­gegriffene Land zu verteidigen. Aber ich werde den Soldaten das Recht zuerkennen, sich zu weigern, die Scharwache eines Teils der Bevölkerung gegen den anderen, der Kapitalisten gegen die Arbeiter zu sein." Da Guesde erwähnte, daß er in sein Buch auch einige Polemiken mit Pelletan, Clemencean u. a. aufnehmen werde, fragte der Interviewer;Auch mit Jaurös?" Guesde erwiderte:Nein, die Vergangenheit bleibt Vergangenheit und ich denke nicht daran, sie wieder aufzuwecken. Zw i s ch e n JaurvS und mir bestehen Meinungsverschiedenheiten im Detail, aber wir sind a u s- i ch t i g Freunde und am Wesen seines Sozialismus ist nichts auszusetzen. Er und ich find bestrebt. von der Gegenwart ausgehend eine so lichte Zukunft wie möglich zu gestalten." Guesde erwartet vom nächsten Parteitag, daß er der Fraktion eine Richtlinie für die parlamentarische Bureauwahl und für die Wahl des Präsidenten der Republik geben werde. Er selbst ist der Meinung, daß die Partei in allen Fällen den Bourgeois- landidaten einen joz>alisti>chen Klassenkandidaten entgegenstellen soll. Hiid der frauenbewegung. Wie steht eS mit dem Frauenwahlrecht? Auf die Bedeutung des Frauentages am 19. März ist an dieser Stelle schon nachdrücklich hingewiesen. Die Tagung muß zu einer gewaltigen Demonstration für das Frauenwahlrecht werden. Sie soll die Frage der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung der Frau zu einem der brennendsten Tagesprobleme machen. Sie kann es. wenn der Ruf zur Anteilnahme in alle Hütten dringt, wenn die Prole- tarierinnen alle herbeieilen, alle in die gebieterische Forderung ein« stimmen: Her mit dem allgemeinen, gleichen und geheimenWahlrechtauchfür die Frau! Im bürger- lichen Lager ist eS abgesehen von den StimmrcchtSdamen über die Frage deS FrauenwahlrrchtS sehr stille geworden. Einige Zeit er- örrerte man sie, mehr im akademischen Sinne, weniger als praktische Frage. Etliche Zentrumsleute kolettierten mit dee Gleichberechtigung aus dem Gefühl heraus, daß man die Stimme der unaufgeklärten Frau eines Tages als Mittel der Reaktion gut werde gebrauchen können. Aber die Frommen fürchteten doch, denTeufel an die Wand" zu malen, deshalb bewahrte man diskrete Zurückhaltung. Die Kon- iervaiivcn und die Jndustriercaklionäre, die einen feinen Instinkt für die soziale EntWickelung haben, spielen lieber erst gar nicht mit der Gefahr. Sie möchten das Frauenwahlrecht am liebsten tot- schweigen, Sie wissen Wohl, ist die Frage des FranenwahlrcchtS erst auf die Tagesordnung der öffentlichen DiSkusfion gestellt worden, dann haben die Frauen den ersten Sieg erfochten. Aber die Wanzen- taklik nützt den Herrschaften nichts. Wenn auch die Herren am grünen Tisch trotzig erklären: wir lassen unS nichts abtrotzen, so täuschen sie sich höchstens selbst. So lange die Sozialdemokratie sich um das Wahlrecht zum Dreiklasieiiparlanieut in Preußen nicht kümmerte, gab es leine Wahlrechtsfrage. Seitdem die Sozialdemokratie sie durch ihre Demonstration in den Vordergrund der Tagesdiskussion gestellt, sprach zwar der verflossene Reichskanzler zunächst noch ein