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Kr. 87. 28. Iahrgavg. Dkllxzc des Jonräls" Klllim WksblÄ Sovntag. 12. Februar IM lv\ttwv\Xdit Rundfchau. ParWS. Der Staat, St« JnSustr!« tffiS Set Sozialismus. Druck und Verlag von Kaden u. Comp. Dresden  -A. 192 S. Preis 3 Mark. Es ist der Stolz und die Stärke der Sozialdemokratie, daß ihr Programm und ihre Politik auf wissenschaftlichen Grundlagen be- ruhen, auf der Erkenntnis der in unserer Gesellschaft wirksamen Tendenzen und Gesetze. Insbesondere ist es die Konzentration der Kapitalien, welche die Produktion immer mehr und immer deutlicher zu einer Angelegentseit der Gesellschaft macht, nicht mehr zu der des Einzelnen; während sich das Privateigentum an den Produktionsmitteln immer klarer als Hemmnis der Entwicke- lung der Produktionskräfte erweist. In den letzten Jahren hat diese Konzentration ungeheure Fortschritte gemacht; nicht nur daß Betriebe entstanden sind, von deren Umfang und Leistungsfähigkeit man noch vor kurzem keine Vorstellung hatte; die Konzentration der Kapitalien ist noch weit rascher vor sich gegangen als die der Betriebe. Sie findet in den verschiedenartigen Unternehmerverbänden, den Trusts, Kartellen, Ringen usw. sinnfälligen Ausdruck, nirgends aber so deutlich wie in der Entstehung der Großbanken. Sind auf den meisten Ge­bieten der Industrie die großen führenden Firmen noch immer ziemlich zahlreich, und wirken die verschiedenen Industriezweige zw gleich nebeneinander, so ist der Konzentrationsprozetz in der Bank weit heute so weit fortgeschritten, daß man kaum mehr als die Finger einer Hand braucht, um die Institute aufzuzählen, die heut« das ganze Finanzkapital und damit auch die ganze Industrie, den Handel und Verkehr des Deutschen Reiches beherrschen. Denn die Banken, die noch vor wenigen Jahren die gefügigen und gefälligen Diener der großen Industrie waren, sind heute ihre Herren und Meister geworden, sie alle stehen aber wieder unter der Obergewalt der paar Berliner   Großbanken, die selbst wieder untereinander vielfach verknüpft und verbunden sind. Wer also das moderne Wirtschaftsleben verstehen und die von ihm unseren Gegnern und uns diktierte Politik begreifen will, der muß sich vor allem mit den Problemen des Bankwesens, mit der Rolle vertraut machen, die die Banken heute im wirtschaftlichen und politischen Leben spielen. Mit dieser Aufgabe beschäftigt sich das neue Buch des Genossen Parvus, das allerdings auch die übrigen Fragen des Verhältnisses zwischen Industrie, Staat und Sozialismus in den Kreis seiner Betrachtungen zieht und besonders die Bedeutung des Konsums für die Volkswirtschaft hervorhebt. Parvus geht davon auS, daß die Bewegung des Kapitalismus fortwährend zwischen Unterproduktion und Ueberproduktion hin und her pendelt. Im Anfang des industriellen Aufschwunges bleibt die Produktion hinter der Nachfrage zurück, dann aber überholt sie diese und findet nun keinen Absatz mehr, die Krise bricht herein. Diese rührt nach Parvus daheri daß»das kapitalistische Privat- cigentum die Produzenten in Proletarier, die Konsumenten in Hungerleider verwandelt".(S. 19.) Diese von Rodbertus   aufgestellte Theorie der Krisen ist aber bereits von Marx(vgl. besonders Kapital" Bd. II. S. 385 ff.) widerlegt worden. So einfach wie Parvus die Sache hinstellt, ist die Erklärung der Krisen durchaus nicht. Um diese zu finden, muß man vor allem die Gesetze der Reproduktion und Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitalö zu ergründen suchen. Die Kapitel, die Marx diesem Gegenstand im zweiten Band seines Hauptwerkes gewidmet hat, gehören zu seinen tiefsten und genialsten Leistungen. Sie begnügen sich nicht mit einigen Allgemeinheiten über Produktion und Konsumtion, wie eS Parvus tut, sondern untersuchen die Bedingungen, unter denen in der kapitalistischen   Wirtschaftsordnung das Gleichgewicht zwischen Produktion, produktiver und individueller Konsumtion bestehen könnte. Erst auf dieser Grundlage ist ein Studium des Krisen. Problems möglich und fruchtbar. Da Parvus diesen Weg nicht ein- geschlagen hat, mußte er an der Oberfläche der Erscheinungen bleiben, mußten dieRichtlinien einer sozialistischen   WirtschaftS- Politik", die er(S. 25 ff.) entwirft, so nichtssagend ausfallen. Im Gegensatz zu der Dürftigkeit der breiten Massen des Volkes, die den Konsum in engen Schranken hält, steht das Be- dürfnis des Kapitals nach Expansion, nach Ausbreitung. ParvuS versucht nun, das Maß der kapitalistischen   Akkumulation, der An- Häufung produktiven Kapitals, auS der Statistik nachzuweisen und zu bemessen. Nach der preußischen Statistik betrug das schuldenfreie Ver- mögen der Steuerzahler mit mehr als 3009 M. Jahreseinkommen 58 786 Millionen im Jahre 1905 gegenüber 53 222 Millionen im Jahre 1902; es ist daher in drei Jahren um 5� Milliarden ge- stiegen..Soviel haben die wohlhabenden und reichen Leute Preußens in den drei Jahren zurückgelegt."(S. 16.) Das ge- samte Einkommen derselben Schicht betrug während dieser drei Jahre nach Abzug der Schulden 12 789 Millionen.Von 12% Milli­arden Einkommen wurden demnach 5� Milliarden, also über 40 Proz., dem Kapital zugeführt." An dieser Stelle hebt ParvuS selbst noch hervor, daß diese Angaben nichts weniger als genau find. Tatsächlich findet die hohe Kunst der Steuerhinterziehung ihre eifrigen Jünger in allen Schichten der besitzenden Klassen. Später aber verwendet ParvuS daS Ergebnis seiner Schluß- folgerung ohne derartige Warnungen als feststehende Tatsache. Aber sind denn diese Schlußfolgerungen selbst berechtigt? In der Zeit deS Kampfes um eine Reichs-Wertzuwachssteuer ist es doch sonderbar zu behaupten, jede Vermögensvermehrung rühre von Ersparung" her. In den großen Städten steigt der Wert der Häuser rapide, ohne daß ihr Eigentümer irgend etwas dazu tut. Die Agrarzölle haben die Junker enorm bereichert, die Grund- renten in die Höhe getrieben. Ist nun derWert" von Grund und Boden etwa dadurch gestiegen, daß die Junker von ihren ge- steigerten Renten etwaszurücklegten"? Keineswegs; sondern der Wert von Grund und Boden ist nichts anderes als die kapitali- sterte Rente. Hat z. B. ein Landgut früher 5000 M. Rente ge- tragen, so war es bei einem Zinsfuß von 5 Proz. 100 000 M. wert. Steigt nun die Rente etwa infolge von neuen Zöllen auf 6000 M.. so steigt derWert" des Gutes bei gleichem Zinsfuß auf 120 000 M., ist aber etwa zugleich der Zinsfuß auf 4 Proz. gesunken, so ist das Gut jetzt 150 000 M. wert. Sind diese 20 000 oder 50 000 M.zurückgelegt"? Aehnlich verhält es sich bei Aktien­gesellschaften. Wenn Aktien, die auf 1000 M. lauten, heute 2500 M. kosten, so rührt das nicht daher, daß die Aktionäre etwas zurückgelegt haben, sondern einfach daher, daß die Dividende des betreffenden Unternehmens etwa von 5 Proz. auf 12,5 Proz. ge­stiegen ist. Die Berechnung, die ParvuS hier aufstellt, ist daher gänzlich wertlos und irreführend. ParvuS untersucht nun, wie sich daS gesellschaftliche JahreS- Produkt auf die verschiedenen Verwendungsarten verteilt und zeigt, daß der Bedarf des Staates davon 13. der der Kommunen mit mehr als 10 000 Einwohnern 5, der der Bourgeoisie zu Produktiv- und Konsumzwecken 27 und der der Volksmassen 55 Prozent des Gesamtbedarfes der Gesellschaft betragen. Von dieser ganzen Rech- nung sind bloß die Zahlen für den Bedarf des Staates und der Gemeinden verläßlich, von dem der Volksmassen vermutet Parvus selbst, daß er zu niedrig eingesetzt sei. Von der völligen Unbrauch- barkeit der Zahlen für die Bourgeoisie haben wir uns eben über- zeugt. Immerhin mag zugegeben werden, daß der Bedarf des Staates und der Gemeinden rascher wächst als der der Bourgersie, d. h. daß die Steuern rascher wachsen als die Produktivität der Arbeit. Daraus schließt Parvus, daß die Zeit nicht fern sei, wo der Bedarf von Staat und Gemeinde den der Bourgeoisie übersteigen werde. Wir ziehen daraus den Schluß, der wohl manchen überraschen dürfte; es bringt mehr ein, den Staat zu refor- mierenalSdie Bourgeoisie zu expropriiere n." Dieser Satz enthält den Kern der Anschauungen des Genossen Parvus, das Aktionsprogramm, daS er der Taktik der Partei zu- gründe gelegt sehen will, den neuen Weg zur sozialen Revolution. Soweit es sich um den Bedarf des Staates und der Kom- munen handelt," heißt es S. 32,ist das wirtschaftliche Problem der sozialen Revolution von vornherein und unmittelbar ein politisches Problem: es besteht darin, den Willen und die Jnter- essen des arbeitenden Volkes im Staat und in der Kommune zur Geltung zu bringen. Es bedarf dazu keiner Expropriation, keiner Verletzung des Privateigentums. Es muß bloß(!) verhindert werden, daß Staat und Kommune als Ausbeutungsquelle dienen und die Mittel und Kräfte des Volkes vergeudet werden." Genosse Parvus berechnet nun, daß der durchschnittliche Jahresverbrauch einer Bourgeoisfamilie 5300 M. beträgt, also nicht mehr, als das Gehalt manches Beamten in der Partei- oder Ge- Werkschaftsorganisation.Es kann nicht unsere Aufgabe sein," meint er(S. 33),diesen Bedarf zu reduzieren, wir müssen viel- mehr dafür sorgen, daß möglichst große Volksschichten so weit hin- aufrücken." Damit nun die Gesellschaft in den Besitz des jährlichen Kapitab Zuwachses der Bourgeoisie gelange, bedarf es, meint Parvus, keiner revolutionären Gewaltmittel; denndieser wird ihr vielmehr von der Bourgeoisie selbst zugetragen". Um dies zu beweisen, stellt Parvus wieder eine Rechnung auf, die aber nicht besser begründet ist als die bereits angeführte. Er rechnet nämlich alle in einem Jahre in Deutschland   vorgenommenen Emissionen, das in den Banken untergebrachte Kapital(Kreditoren und Depositen) und die Einlagen der Sparkassen zusammen und findet nun, daß dieser Betrag den früher für das Reich ermittelten Betrag des neu akkumulierten Kapitals sogar übersteigt. Nun haben aber diese beiden Dinge sehr wenig miteinander zu tun, denn weder die Aktien emissionen noch die Kapitalien der Kreditoren und Depositoren der Banken müssen auf neuer Kapitalsakkumulation beruhen. So wurden bei der Umwandlung der Kruppschen Werke in eine Aktien gesellschaft 160 Millionen Mark neue Aktien emittiert, ohne daß irgendwelche Neuanlagen erfolgt wären. Aber auch Anlagen von neuem, zusätzlichem Kapital in Banken brauchen nicht auf Akkumu- lation zu beruhen, sie stammen zum großen Teil von den momen tanen Stillsetzungen von Betriebskapitalien in Geldform. So muß z. B. der Wert der Maschinen, Baulichkeiten usw. jahrelang aus dem Wert des Jahresproduktes allmählich ersetzt werden. Diese Kapitalien wandern in die Bank, ohne daß sie deshalb neues Kapital wären, sie sind nur der Ersatz für den Verschleiß des fixen Kapitals. Dabei ist aber diese ganze verunglückte Rechnung ganz über- flüssig; denn die Tatsache, daß ein immer größerer Teil der neu angelegten Kapitalien nicht mehr zu persönlichen Unternehmungen verwendet wird, sondern in den verschiedenen Formen der Beteili gung an den Riesenbetrieben der Industrie, des Handels, der Banken, des Verkehrs, deS Staates und der Gemeinden zugeführt wird, ist wohl bekannt und kaum von irgend jemand bezweifelt. Daß die moderne Wirtschaft immer mehr über den Nahmen deS Privateigentums am Kopital   hinauswächst, daß sie immer offen. sichtlicher den Charakter einer gesellschaftlichen Produktion an- nimmt, das brauchte Parvus kaum mehr zu beweisen. Es handelt sich aber um die Frage, wie diese gesellschaftliche Produktion nun auch in das Eigentum der Gesellschaft übergeführt werden soll, wie das Proletariat die Leitung, die Herrschaft über diesen ungeheuren Organismus erobern kann und soll, den, es heute fronen mutz. DaS Mittel dazu glaubt Parvus in den Banken gefunden zu haben, und der Behandlung dieser Frage ist der größte und inter  - essanteste Teil seines Buches gewidmet. Die Verstaatlichung der Banken." hat Parvus schon an anderem Orte") erklärt,bedeutet soviel wie die Expropriation der Kapitalistenklasse." Dieser Gedanke beherrscht auch die Aus­führungen des vorliegenden Buches. ESgenügt die Verstaat- lichung der Banken und Sparkassen, um das gesellschaftliche Kapital in den Besitz der Gesellschaft zu überführen. vorausgesetzt aller- dingS, daß der Staat die politische Organisation der Volksmaflen darstellt und nicht eine Organisation, die über dem Volke steht, um die Herrschaft einer Klasse zu stützen".(S. 35.) Es handelt sich also erstens um die Frage der Verstaatlichung der Banken und zweitens um die der Demokratisierung des Staates. Zur Verstaatlichung der Banken stehen nach ParvuS zwei Wege offen: entweder der Druck des wirtschaftlichen UebergewichtS deS Staates oder die Gesetzgebung. In der Konkurrenz sei der Staat den Privatbanken weit überlegen, und zudem werden die Banken immer mehr vom Staate abhängig, während sich dieser in steigendem Matze von ihnen emanzipiert. Die unter dem direkten Einfluß des Staates stehenden Notenbanken, meint ParvuS, können heute nicht ihre volle wirtschaftliche Kraft entfalten, weil sie durch ihre Funktion der Notenausgabe gehemmt werden. Um die Gold- reservcn festzuhalten, müssen sich die Notenbanken in der Kredit- gewährung beschränken und drängen so das Publikum geradezu den Privatbanken zu. Um die Behauptung, daß die Notenausgabe heute zu einem Hemmnis der EntWickelung der Notenbanken geworden sei, zu be- weisen, führt Parvus statistische Daten zum Vergleich der Er- trägnisse der Noten- und der Effektenbanken an. in deren Aus- legung er aber nicht glücklicher ist als in den Fällen, die wir schon kennen. Denn auch hier ist die Grundlage der ganzen Berechnung falsch; weder bei den Effekten- noch bei den Notenbanken kann man auS der Dividende ohne weiteres auf den erzielten Gewinn schließen. Vor allem mühte bei jedem Jahr angegeben werden. wie viel den Reserven überwiesen wurde. Die großen Banken Der Sozialismus und die soziale Revolution. Berlin   1910. Buchhandlung Vorwärts. 30 S. Preis 25 Pf. S. 25. wollen meist eine Möglichst stabile Dibidendenpollttk treiben vnS  halten daher in guten Jahren zurück, um dafür in schlechten aus- zugleichen. Noch weniger gilt aber dieser Maßstab für die Noten- banken, die bekanntlich einen Teil ihres Gewinns nach einem ziemlich komplizierten Schlüssel an den Staat abzuführen haben. Schließlich ist aber auch gar nicht abzusehen, waS dieser ganze Vergleich beweisen soll; denn die Aufgaben der Noienbanken sind von denen der Effektenbanken ganz verschieden. Diese legen immer mehr Gewicht auf die Gewährung von Produktivkredit. auf das Eindringen in Industrie, Verkehrswesen und Handel. Hierin können ihnen die Notenbanken nicht folgen, ohne die Grundlagen der gesamten Volkswirtschaft zu erschüttern, weshalb ihnen auch solche Geschäfte durch Gesetze und Verordnungen ver- boten sind. Wenn also Genosse Parvus die Banknote nicht ab» schaffen will, ist nicht abzusehen, WaS mit dem angeführten Ver- gleich bewiesen werden soll. ES bliebe also zur Verstaatlichung der Banken nur der zweite Weg gangbar, der der Gesetzgebung. Hier meint nun ParvuS, der Widerstand der Bourgeoisie gegen eine solche Maßregel werde gewiß nicht groß sein, da daS Bürgertum immer mehr sich in bloße Rentenempfänger verwandle, denen eS nur erwünscht sein könne, wenn der Staat ihre Renten garantiere. Zur Unterstützung dieser Behauptung beruft sich ParvuS auf die Tatsache, daß die Dividenden der verschiedensten Unter- nehmungen nur scheinbar verschieden seien; die Börse reguliert aber die Preisnotierung der Aktien so, daß fast alle die gleiche Verzinsung zeigen, die von dem allgemeinen Zinssatz wenig ab- weicht. Dadurch schwinde auch, meint er, der Vorteil der Effekten- banken gegenüber einer Staatsbank, die sich nicht am Pro, duktivkredit beteiligt; denn der industrielle Profit wird so auf daS Maß des Leihzinses herabgedrückt. Aber auch dieses Argument wendet sich gegen ParvuS selbst. Durch die Aus- gleichung der Profite mit dem ZinS wird nämlich gerade daS Gegenteil von dem erzielt, was Parvus glaubt. Trug in der guten alten Zeit ein Unternehmen in einem Jahr statt 20 Proz. nur 18, so mutzte der Kapitalist seinen individuellen Konsum etwas einschränken oder seine Akkumulation verlangsamen. Mit dem Untergange war er deshalb noch lange nicht bedroht. Sinkt aber heute die Dividende einer Aktie von 10 Proz. auf 9, so fällt der KurS des PapiereS ebenfalls um ein Zehntel, etwa von 200 auf 180. Alle nun, die das Papier auf Spekulation gekauft haben, verlieren dadurch ein Zehntel der Kaufsumme, die sehr oft ihr Vermögen weit überragt. Und das Börsenspiel ver- breitet sich immer mehr in den Kreisen des Bürgertums. Habe ich aber ein Papier, das 10 M. trägt, heute um 200 M. gekauft und trägt es im nächsten Jahr nur mehr 9 M., so ist es für mich alles eher als ein Trost, daß jetzt der Kurs des Papieres nur mehr auf 180 steht, daß sich dieses also nach wie vor mit 5 Proz. verzinst. Die Bourgeoisie ist daher gegen Schwankungen im Er« trag der Unternehmungen nicht gleichgültiger geworden, sondern viel empfindlicher. Würde Parvus' Vorschlag verwirklicht und die ganze Bank- weit und dadurch die ganze Industrie verstaatlicht, so wären selbst die müden und ängstlichen Elemente des Bürgertums mit dieser Maßregel nur dann zufrieden, wenn ihnen dadurch der ruhige Fortbestand ihrer Einkünfte staatlich garantiert würde. Damit wäre das Ideal der allgemeinen Bureaukratisierung verwirklicht, HobbeS' Leviathan   hätte die bürgerliche Welt verschlungen. . So will das Parvus aber nicht verstanden wissen. Der Staat, der die Banken und die Industrie beherrscht, und der den Bourgeois ihre Renten garantiert, soll nicht der autoritäre Staat von heute sein. Zunächst soll die Tätigkeit der Gemeinden ein Gegengewicht gegen die HerrschaftSgelüste, den Imperialismus des Staates bilden.  Kommunalpolitik kontra Kolonialpolitikl" ist die Losung.(S. 148.). Parvus begründet diese sonderbare Entgegenstellung damit, daß die Gemeinden den Kapitalmarkt immer mehr in Anspruch nehmen, so daß dieser für den Im- perialismus weniger Interesse behält. Es sei aber auch dann noch erforderlich:1. Schutz der Volksmassen vor der Ausbeutung durch die Gemeinde, 2. Schutz der Gemeinde vor dem Staat." (S. 150.) Dieses Ziel soll erreicht werden durch die Organisation der Massen in Konsum- und Produktivgenossenschaften sowie Gewerk- schaftcn und durch daS Vordringen der sozialistischen   Staatsideei Es ist eine neue Staatsidee," sagt Parvus(S. 149),die hier, wie vorher in der Gemeinde, zum Durchbruch zu kommen sucht; der Staat als Produktions- und Konsumtionsgemeinschaft im Kampfe gegen das kapitalistische und das militaristische Interesse." Die Auflösung der gesamten gesellschaftlichen Produktion in Produktivgenossenschaften hält ParvuS für undurchführbar, weil die Zusammenhänge der Produktion weit über den Bereich der einzelnen Genossenschaften hinausgewachsen sind.Aber als Grundzelle innerhalb des großen gesellschaftlichen Wirtschafts- shstems dürfte der Produktivgcnossenschaft, neben den anderen Formen der Genossenschaft, in der sozialen Revolution dieselbe Rolle zufallen, wie der einzelnen kapitalistischen   Unternehmung innerhalb der kapitalistischen   Konzentrationen."(S. 156.) Hier tritt uns endlich das Ziel klar entgegen, dem sich ParvuS in seinem Buche immer mehr nähert. Es ist die Organisation des Konsums und der Produktion in Genossenschaften, geleitet und beherrscht von einer einem demokratischen Staatswesen unter» stehenden Zentralbank. Das ist aber nichts anderes als die Idee, die der französische   Sozialist LouiS Alane vor nun 70 Jahren bereits verfocht und in der Revolution des Jahres 1848 zu ver­wirklichen bestrebt war. In seinem bekannten WerkOrganisation der Arbeit"") schlug Louis Alane vor, der Staat solle die Banken monopolisieren und mit deren Hilfe sollen Produktivgenossen. schaftcn ins Leben gerufen und gefördert werden, die sich dem Einzelbetriebe überlegen erweisen und so die Keimzellen einer neuen geiellschaftlichen Organisation werden.Man re» organisiere die Arbeit." ruft LouiS Blanc  (S. 232 der deutschen  Ausgabe),man schaffe eine demokratische Gewalt, und dann, ohne Umschweife sei es gesagt: muß der Einzelkredit durch den Staatskredit ersetzt werden." Der Versuch Parvus', die Rolle der Banken und der Staats- und Gemeindeverwaltungen für das moderne Wirtschaftsleben auf, zuzcigen und daraus die praktischen Konsequenzen für unsere Politik und Taktik zu ziehen, ist mißglückt. Und daS ist um so mehr zu bedauern, als die Tatsache, die Parvus zu zeigen unter. nahm, daß die bürgerliche Welt, die kapitalistische Wirtschaft heute bereits über den Rahmen der Privatwirtschaft hinausgewachsen ist. «» Deutsche Uebersetzung von Robert Prager  . Berlin  . R. L. Prager, 1899.