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Nr. 180.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 mt, wöchentlich 28 Bfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Selt" 10 Pfg. Poft- Abonnement: 8,30 Mt.pro Quartal. Unter Kreuz­ band  : Deutschland   u. Defterreich­Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. In der Post- Zeitungs- Preisliste für 1893 unter Nr. 6708

Vorwärts

10. Jahrg.

Infertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Bersammlungs- Anzeigen 20#fg Inferate für die nächste Nummer müffen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Grpedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonn­und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet.

Fernsprecher: Amt I. 4186. Telegramm- Adresse: " Sozialdemokrat Berlin  !

Berliner   Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Ziegelsteinhöllen

und Reichskanzler- Organ.

Volle zwanzig Jahre hat die Nordd. Allg. 8tg." als Vertreterin der offiziellen Sozialreform dazu gebraucht, um einen Vertheidigungsartikel für den bestehenden Arbeiter­schutz in Ziegeleien, den wir vor drei Wochen im Anschluß an die Lohnbewegung in diesem Gewerbe in seiner ganzen Dürftigkeit blosgestellt haben, zu stande zu bringen. Leider hat nun aber selbst diese lange Brütezeit nichts zu Tage gefördert, was den Ziegelei- Arbeitern und der offiziellen Sozialreform irgendwie zum Vortheil gereichte. Im Gegen­theil: die Nordd. Allg. 3tg." liefert uns nur neuen, hoch­willkommenen Stoff zur Kritik, und wir sind der unmaßgeb lichen Meinung: wenn sich das freiwillige Regierungsblatt seinen Erwiderungsartikel von irgend einem Ziegeleibefizer der Berliner   Umgegend hätte schreiben lassen, so hätte es ihn schneller und vielleicht sogar weniger ungeschickt erhalten, als so auf dem bureaukratischen Wege aus dem Reichsamt des Innern.

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Donnerstag, den 3. August 1893.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Ausnahmebegünstigung, kein Zugeständniß an die Profit- hängigkeit ihrer Thätigkeit von derjenigen der jungen Leute sucht der Unternehmer? Aber das Reichskanzler- Organ und Frauen gerade durch die Bestimmungen für lettere stellt sich ja nur so einfältig. Es ist gar nicht so. Es gegeben sei". Das ist der Gipfel der Unkenntniß tennt den Rummel auf Ziegeleien sehr genau. Es schreibt und der Heuchelei! Bestimmungen, welche nach dem wörtlich: eigenen Zugeständniß des Reichskanzler- Blattes dem Unter­

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Ferner gilt die Bekanntmachung des Reichskanzlers nicht nehmer die möglichste Ausbeutungsfreiheit gewährleisteten, für alle, sondern nur für diejenigen Ziegeleien, in denen das sollen zugleich Arbeiterschutz" für erwachsene Arbeiter Formen der Ziegelsteine auf die Zeit von Mitte März bis Mitte sein? Hier heißt es: die Arbeitszeit der Erwachsenen ist November beschränkt ist. Es sind das im wesentlichen Feldziegeleien, durch die der Jungen und Frauen bedingt, und oben war bei denen jugendliche und weibliche Arbeiter in großer als sozialpolitische Weisheit proklamirt: die Beschäftigung Anzahl während der Sommermonate Beschäftigung finden. Soll diese ihnen erhalten werden, so muß sie sich nach der Jungen und Frauen muß sich nach den Arbeitszeiten den Arbeitszeiten der erwachsenen männ der Erwachsenen richten?" Solche Doppelzüngigkeit in so lichen Arbeiter richten, weil der Ziegeleibetrieb ernsten Dingen ist einfach Spott, den man sich mit den erfordert, daß die dabei vorkommenden verschiedenen Arbeiten Ziegelei- Arbeitern erlaubt! Ferner: die Zustände auf den fortwährend ineinandergreifen und die damit beschäftigten Ar- Biegeleien wären so idyllisch, daß man früh arbeitete, dann beiter einander in die Hände arbeiten. Da aber durchgängig stundenlang ruhte, um höchstens in der erquickenden Abend­nur bei Tageslicht und vorzugsweise im Freien gearbeitet fühle den Rest der spielend zu erledigenden Arbeit zu ab­wird, so ist die Arbeit wieder von der Jahreszeit und der solviren? Wie stimmt das mit der möglichsten Aus­Witterung abhängig. Regen, Nachtfröste, Ueberschwemmungen und andere Vorkommnisse hindern die Arbeit nicht selten auf nüßung", verehrtes Reichskanzler- Organ?? die Dauer von Stunden und selbst von Tagen. Hierdurch Nur unsere in der Wolle gefärbte Bureaukratie tann entsteht das Bedürfniß, die bei günstigem solche naive und herausfordernde Anschauungen über die Wetter sich bietende Arbeitsgelegenheit Biegelei- Arbeit haben oder heucheln, und nur die Nordd. möglichst auszunügen, um Versäumtes nach- Allgem. Zeitung" kann sich unerschrocken zum Abdruck zuholen oder fünftigem Ausfall an Arbeits: folcher hochoffiziösen Arbeiterschutz- Artikel" hergeben. Wir zeit im Voraus zu begegnen. Dazu kommt, daß brauchten nur blind in die Zahl der Arbeiter hinein­in den heißen Monaten die frühen Morgenstunden zugreifen, die allsonntäglich sich die sozialen Zustände der und die legten Stunden vor Sonnenunter gang für die Arbeit vorgezogen werben, Biegelei- Arbeiter um Berlin   genauer ansehen, als jemals in damit diese während der heißesten Stunden ausgesetzt werden seinem ganzen Leben ein Geheimer Rath der Wilhelmstraße, und wir könnten dem Gewäsch des Reichskanzler- Blattes hundert Beugen entgegenstellen. Vielleicht äußern sich einige über den findischen Vertuschungsversuch, durch den die

tann."

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Ueber die Ausbeutung durch Akkordarbeit und Truck­unfug, die wir in unserem Artikel vom 7. Juli als un­erträgliche Mißstände im Ziegeleigewerbe bezeichnet hatten, geht die Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schweigend hinweg fie gesteht also die Richtigkeit unserer Kritik stillschweigend zu. Dafür eine gründliche Untersuchung und Regelung dieser Verhältnisse in Aussicht zu stellen, fällt ihr natürlich nicht ein, dazu hat sie nicht den Auftrag; so etwas rührt auch unsere gute Bureaukratie nicht. Die Also auf den Feldziegeleien, die wir deshalb nicht be­Ziegeleitrawalle, scheint es, müssen sich noch erst ein Dußend sonders namhaft gemacht haben, weil sie wegen ihrer über­Mal wiederholen, und auch dann wird man sich noch zu helfen wiegenden Arbeiterzahl überhaupt allein in Betracht kommen, Blamage der 1891er Arbeiterschutz  - Reform vor dem Elend wiffen, freilich nicht mit Arbeiterschutz- Vorschriften. Vielleicht besteht thatsächlich das Bedürfniß, d. h. in der Biegelsteinhöllen" nur noch in helleres Licht gesetzt ist es auch beffer so denn was im Reichskanzler- Organ gutes Deutsch übersetzt, die Unfitte der Unter- worden ist. Freilich die Schilderungen mögen so packend zur Erklärung der erbärmlichen Schuhvorschriften von jetzt nehmer, die bei günstigem Wetter sich bietende lauten, als sie wollen, in den komfortablen Räumen des vorgebracht wird, erweckt beinahe den Wunsch, man möge Arbeitsgelegenheit möglichst auszunüßen", d. h. Reichskanzler- Amtes werden sie nie denselben Eindruck äußern, sich von dieser Seite mit dem Arbeiterschutz überhaupt nicht die Arbeiter, die doch an" Regen, Nachtsrösten, Ueber- den sie auf uns machen. Und deshalb wird es auch den befassen. schwemmungen und anderen Vorfommnissen" ganz un- Ziegelei- Arbeitern immer klarer werden, worauf es an­ Den   außergewöhnlich frühen Beginn( 4% Uhr Morgens) schuldig find, bis aufs Blut auszubeuten, kommt: daß wir das Heft in die Hand bekommen. und das außerordentlich späte Ende( 9 Uhr Abends) der um Versäumtes nachzuholen oder künftigem Ausfall im Beschäftigungszeit für jugendliche und weibliche Arbeiter, Voraus zu begegnen". Das ist eine Lobhymne auf die also Ausnahmevorschriften zu gunsten der Produktionswuth des Ziegelei- Unternehmers, die sich im Unternehmer von Ziegeleien, die der Reichs- Rahmen des Reichskanzlerblattes höchft pikant ausnimmt. Weil kanzler durch besondere Bekanntmachung vom 27. April der Unternehmer zu geizig ist, um Arbeitsräume herzustellen, 1892 einführte, hatten wir in den Vordergrund gestellt. in denen die Arbeiter vor jenen Unbilden geschützt sind, Darauf antwortete das Reichskanzlerblatt, daß neben der findet es das Reichskanzlerblatt ganz natürlich, daß man Etundenangabe über frühen Beginn und Schluß der Arbeit die Arbeiterschutz- Bestimmungen so lay als möglich für die Bestimmung stehe, daß an keinem Tage länger Biegeleien macht! Noch mehr: das Regierungsorgan lobt

Druckfehler- Berichtigung. In unserem gestrigen Leit artikel: Der Bollkrieg, Kolumne 1, Spalte 3, Absatz 2, Zeile 15 Rolumne 2, Spalte 1, Absatz 3, Beile 4, von unten lies: Das von oben lies: Hochzollära, nicht Holzzollära. Ferner auf Bolt wird verelendet und widerstandsunfähig, nicht: das Volk verelendet und wird.

als- 12 Stunden und wöchentlich nicht mehr als jogar birekt den Umstand, daß die Arbeiten im Freien Politische Ueberlicht.

66 Stunden gearbeitet werden dürfe. Heilige vor sich gehen", ein Umstand, der unter den gegenwärtigen Unschuld! Wenn sonst für jugendliche Arbeiter 10 Stunden Umständen doch nur das Maß der Ausbeutung erhöht! Marimal- Arbeitszeit, also 60 Stunden pro Woche, und für Die Nordd. Allg. 3tg." bringt es außerdem noch fertig, Frauen 11 Stunden, Sonnabends aber nur 10 Stunden, zu behaupten, daß die Arbeit während der heißesten wird also 65 Stunden pro Woche, vorgeschrieben sind, so find Stunden ausgesetzt werde und daß ein Schuh erwachsener 12 Stunden pro Tag und 66 Stunden die Woche feine Ziegelei- Arbeiter nicht nöthig sei, weil derselbe bei der Ab­

Feuilleton.

Nachdruck verboten.)

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Berlin  , den 2. August.

Der Zollkrieg mit Rußland  . Aus Petersburg  gemeldet:

Wie amtlich gemeldet wird, hat das russische Zolldepartement den Hafen Zollämtern vorgeschrieben, vom 1. August an

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Die Bekehrung André Savenay's. solcher Beruf auch zuwider. Sollte er in das große Heer Blattes nicht getroffen. Wenn er andere A.beiten vorlegen

Sozialistischer Roman

von Georges Renard.

Autorisirte Uebersehung von Marie Kunert  . 11. Kapitel.

der Bank annehmen? Er verstaud nichts davon und ver- liebenswürdige, reiche Müßiggänger war, empfingen ihn spürte auch gar keine Neigung zu diesen Berufsarten. kühl, sobald sie in ihm einen Konkurrenten und möglicher­Ganz abgesehen davon, daß er mit seinen 27 Jahren noch weise auch einen künftigen Rivalen entdeckten. Seine Monate daran wenden mußte, um es so weit zu bringen, Artikel? Sie wären ja interessant", geschickt abgefaßt", daß er eine Kommisstelle ausfüllen konnte, war ihm ein aber nicht aktuell genug" oder sie hatten den Ton des der kleinen Regierungsbeamten eintreten? Aber da müßte wollte, so hieß es, es wäre unmöglich, sie dem betreffenden er sich zuerst mit einer Stellung als Ueberzähliger begnügen, Redakteur zur Einsicht zu übergeben. Der, den er sprechen umsonst arbeiten in einer Zeit, in der er Geld gerade so wollte, sei soeben ausgegangen, Oder er sei heute über­nöthig gebrauchte, und überdies auf Jahre hinaus in dem haupt noch nicht in die Redaktion gekommen. In der ersten verschämten Elend und der Abhängigkeit dieser Proletarier der Beit wartete André dann treuherzig auf diesen Redakteur. Bourgeoisie verharren. Was für ihn das Suchen nach Er lernte die Langeweile und die Entmuthigung in den langen André Sapenay stand zum ersten Male in seinem Leben einem Erwerb noch erschwerte, war, daß er nicht daran müßigen Stunden fennen, die er in den Wartezimmern vor einer schwierigen Frage, an die er bisher noch niemals denken durfte, Frankreich   zu verlassen oder sich in der Pro- der Redaktionsbureaus verbrachte. Endlich begriff er, daß gedacht hatte: Wie sollte er es anstellen, um von seiner vinz eine Stellung zu verschaffen. Frau Savenay   hing an die Leute, die hier selbst an einer färglich besetzten Tafel Arbeit zu leben? Er war erstaunt, als er fand, daß die Paris   mit all' ihren Gewohnheiten, ihren Erinnerungen, saßen, teine Luft hatten, mit neu Hinzukommenden zu theilen, Lösung dieser Frage recht große Schwierigkeiten bot. Kurzer ihren Vorurtheilen. Es war für sie mehr noch als ein daß sie die Thür vor fremden Eindringlingen sorgfältig Hand ließ er alle Berufsarten, die für ihn in Frage kamen, Vaterland, es war für sie der einzige Ort, wo sie leben verschlossen hielten und daß, wer sich hier einschleichen Revue passiren, und da mußte er sich gestehen, daß ihre konnte. wollte, von der List Gebrauch machen mußte. Die großen Bahl nicht eben groß war. Zuerst machte ihn diese Ent- André dachte auch daran, daß er sich mancherlei Wissen Revuen waren nun erst gar unzugängliche Zitadellen für deckung sehr niedergeschlagen. Wie, er, der in feinen angeeignet habe, daß er viel gereist sei, daß er eine gewandte ihn. Einer seiner Artikel wurde in einer kleinen Revue für Kreisen für einen außerordentlich befähigten jungen Mann Feder führe. Da kam ihm der Gedanke, sein Wissen und Kunst und Literatur aufgenommen, deren Direktor in der gegolten hatte, sollte auf dem Markte der menschlichen Ar- sein Talent in Geld umzusehen. Er fühlte sich im stande, Deffentlichkeit debütiren wollte, einige tausend Franks zu beitskraft keine Beschäftigung finden? Unmöglich, und doch einem Politiker, einem Schriftsteller, einem Gelehrten als verzehren hatte und sich damit für das Vergnügen bezahlte, machte es ihn einigermaßen unruhig. Er hatte keine Zeit zum Sekretär zu dienen. Er suchte einige seiner alten Freunde seine Werke und die einiger Freunde abzudrucken und in Warten. Er mußte sofort für sich und die Seinen einen Brot- auf, die ihm versprachen, sich der Sache anzunehmen und den Himmel zu heben. André wurde in Anweisungen auf erwerb haben. Jetzt begriff er erst den ungeheuren Vortheil, die ihn vergaßen, sobald er den Rücken gewandt hatte. die zukünftigen Einkünfte des Blattes bezahlt. Selbstver welchen diejenigen vor andern haben, denen der Besitz eines Er ließ Annoncen in die Zeitungen sezen, die ihm viel ständlich verzichtete er von da an auf diese wenig ein­Kapitals es gestattet, sich nach Belieben ein Feld für ihre Geld kosteten, aber fein ernsthaftes Anerbieten ein- trägliche Mitarbeiterschaft. Thätigkeit auszusuchen. brachten. Bu gleicher Zeit verfaßte er einige ernste und leichtere Artikel, Feuilletons und Plaudereien und versuchte sie bei zahlenden Blättern unterzubringen. Aber die Jour­nalisten, die ihm freundlich begegnet waren, so lange er der

Er war Advokat, aber ein Advokat ohne Praxis; ein ausgezeichnetes Geschäft, bei dem er verhungern konnte Sollte er eine Stellung im Handel, in der Industrie, auf

Er litt in dieser Zeit schwer unter seiner gezwungenen Unthätigkeit. Das Fieber der Erregung, das Paris   am Vorabend der Weltausstellung erfaßt hatte, brachte ihn seine Unfähigkeit, seiner Familie eine ausreichende Stüze