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|t. 57. 28. Aahrgaas. z. Stütze des Lmöck" Kcrlm UcksdlM. Wmch. 8. Marz 1911 heute, den 8. Mar?: Zahlabend in den Bezirken Groß-Beiiin$. I Partei- Hngelegenbeiten* Zur Lokalliste! 3 tt Marienfelde <T.- B.) ist daS Lokal von Adolf Berger Nachfolger, Berliner Str. 14, streng zu meiden; der jetzige Inhaber Herr Senns will mit den Arbeitern nichts zu tun haben. Die Lokalkommission. Zweiter Wahlkreis, Friedrichstadt . Am Mittwoch, den 8. März, bei Julius Meyer, Oranienstr. 103: Zahlnacht für Buchdrucker, Stereotypeure ufw. Tagesordnung: 1. Geschäft- liches. 2. Vortrag des Reichstagsabgeordneten Scheidemann überHumor in der alten Literatur". Anfang pünktlich Vjl2 Uhr. Wir ersuchen die K i n o- O P e r a t e u r e sich der Zahl- nacht anzuschließen. Der Vorstand. Erkner - Woltersdorf . Heute Mitgliederversammlung. Es ist «ine wichtige Tagesordnung zu erledigen. Der Vorstand. berliner JNfacbncbtcn. Laubenredifiou. Das ist ja eine nette Bescherung. Hat der Mensch Worte? Man war zwar vor Jahresschluß zur Revision ein paar Male draußen in der verödeten Laubenkolonie, aber der Wind, der es seit zwei Monaten mit unserem Himmelsstrich so gut meint, hat doch gar zu schändlich gehaust. Die Müllern, die sich sonst so leicht nicht aus dem Tusch bringen läßt, steht ingrimmig vor ihren wie ein gestrandeter Zeppelin zusammengeklappten Laubenresten.Komisch," sagt sie mit Galgenhumor,det bet Holz noch da is. Entweder muß et erst vorigte Nacht passiert sind oder et jibt noch ehrliche Leute in Berlin ." Na, Tante Müller, mit der Ehrlichkeit ist es man auch windig. Allwinterlich schleppen aus den Laubenkolonien böse Menschen fort, was nicht niet- und nagelfest ist. Seht mal da drüben die Schulzen an, die schimpft hochrot wie ein Rohrspatz.So'n Jesindel. so'ne Lausebande. Nich mal de Kochtöppe, for die't bei'n Lumpenfritzen doch bloß'n Paar Saufpfennige jibt, ha'm se hier jelassen. Det janze Handwerkszeich is wech un die Matratze, die schon Altersschmerzen hatte, ooch. Ja, wat lm'm die Luders denn eijentlich nich mitjenommen?" Schließ­lich aber ist Mutter Schulze doch froh, daß wenigstens die fest- verankerte Laube noch heil und ganz auf dem alten Platze steht. Bloß eine Scheibe ist eingeschlagen, und der blecherne Schorn. stein hat«inen Knick. Ein paar Schritte weiter bei Familie Neumann wird herzlich gelacht. Das Kaimnerschloß tvar in- takt, Fenster und Dach sind ganz, aber drinnen siehts toll aus. Wie die Winterkunden bloß hineingekommen sind! Man ent- deckt bald, daß am Hinteren Ende der Laube ein paar breite Bretter lose verschiebbar sind. Durch diese hohle Gasse gings also ius heilige Winterquartier. Na, es waren offenbar an- ständige arme Teufel, die das Obdachlosenasyl mieden wie die Pest. Nichts fehlt,.auch der kleinste Wert gegenständ ist da. Auf dem ausrangierten, mit Lumpen bedeckten Sofa hat der eine geschlafen, der andere im umgekippten Kleiderspind. So l)at doch die verrückte Idee Papa Neumcmns, den alten Schrank mühsehlig nach dein Laubenpalast zu fahren, wenig- stens einen guten Zweck erfüllt. Wie ein gefällter Riese liegt die Kleiderkiste breit auf dem Rücken, weit klaffen die Türen nach oben angestellt auseinander, und> im Innern hat sich auf schmutzigen, muffigem Stroh sicher so etwas wie eineBienen- Wirtschaft" etabliert. Es gibt harte Arbeit, um mit spitzen Fingern Ordnung zu schaffen. Und man tröstet sich schnell damit, daß die ungebetenen Gäste Heimlose Proletaner waren, denen in der Not der Selbsterhaltungstrieb einen kleinen Hausfriedensbruch gebot._ Während die Kolonisten auf Stadturlaub noch debattieren über Menschenelend und sich freuen auf den baldigen Früh- ling, tauchen im Hintergrunde ein paar verdächtige Gestalten mit Hunden auf. Graue Lodenjoppen, grüne Hütchen, in der Hand einen wuchtigen Totschläger aha ihr habt uns hier gerade noch gefehlt! Wollt ihr im Winter unser Eigentum schützen, wie es zu eurer Pflicht gehört. uns solls recht sein. Aber bleibt uns im Frühling und Sommer, wenn wir hier draußen im Laubenfrieden uns selbst zu schützen wissen, mit euren Spionenblicken und euren Polizeihunden gefälligst vom Halse._ Wie kam e» ,u einem Mieltschin? Unter diesem Titel der- öffentlicht Gustav Major. Direktor dcö med.-päd. Kinderheims Sonnenblick" in Zirndorf bei Nürnberg , im Februarheft der Mo- natSfchrift.Die deutsche Schule" einen vom Standpunkt des Fachpädagogen geschriebenen Artikel, der jedoch auch für jeden Nicht- fachmann vieles Beherzigenswerte enthält. Schon der Ausgangs- punkt der Betrachtung ist sehr beachtenswert.Abhilfe schafft nur eine durchgreifende Reform der Anstaltserziehung. Nicht Breit- Haupt, Engel und Wrobel find allein für ihre Taten verantwortlich zu machen. Schuld hat die veraltete Erziehung, und daher ist es auch ganz gleichgültig, ob die Angeklagten nach einer erneuten Ber- Handlung höher bestraft werden oder nicht." In knappen, aber festen Zügen entwirft der Verfasser daS Bild einer Erziehungsanstalt, wie sie sein soll. Mit dem Eintritt des Zöglings in die Anstalt soll sein altes Leben vergessen sein.Wenn so von Anfang an der Zögling hie untrügliche Gewißheit hat. hier ist der Ort deiner inneren Ge- nesung, hier will man dein Bestes, so rafft er die oft nur rudimen- tären Ansätze ehrlicher, gerader Gesinnung zusammen und strebt einer Rehabilitierung entgegen." Der Leiter der Anstalt, der Direk- tor soll seinen Zöglingen dabei festen Halt gewähren. Aber dann darf er nicht Bureaubeamter sein.War sein Ideal, zu dirigieren. so hätte er Direktor einer Bierbrauerei oder einer Pferdebahngesell- schaft werden sollen, da kann er auch Bureaustunden absitzen und dirigieren. Hier soll er nur im Nebenamt dirigieren, im Haupt- amt soll er erziehen." DeS weiteren redet der Verfasser der individuellen Be» Handlung der Zöglinge ein kräftiges Wort. Ob alle seine Vorschläge wirklich zutreffend sind, mag dahingestellt bleiben. Aber die For- derung selbst, die wohl als oberstes Gesetz einer jeden gesunden Pädagogik gelten soll, darf kräftig unterstrichen werden. Nun kommt der Verfasser auf die andere innere Ursache der Mieltschiner Vorgänge zu sprechen. Er findet sie in der absoluten Verkennung der Tatsache, daß viele Fürsorgezöglinge Psychopathen sind.In meiner ZirnSdorfer Anstalt", sagt der Verfasser,hatte ich unter 170 Zöglingen 21 Psychopathen 12*4 v. H., und das waren noch nicht einmal Fürsorgezöglinge, sondern Ausgenutzte und Mißhandelte. Der Prozentsatz in Fürsorgeanstalten ist erheb. lich höher, mindestens das Doppelte..,, Psychopathen und leicht schwachsinnige Kinder können niemals durch den Stock gefördert werden.Ohne Prügel geht es nicht"(Breithaupt) ist ein straf- würdiger Grundsatz. Heilpflegerisch ist den Kindern beizukommen und nicht anders." Deshalb fordert der Verfasser eine ausgiebige Vorbildung in der Neurologie, Psychiatrie, Heilpädagogik und Päda- gogik für den Leiter und für die Lehrer der Anstalt. Nur auf diese Weise vorgebildete Kräfte und nicht, wie es jetzt geschieht, die Schuster, Schneider, Gärtner, Tischler, Maler usw. sollen Erzieher in den Anstalten sein. Auch über Vorstände und Kuratorien sagt Herr Major ein kräftig Wörtlein, das sich so mancher Stadtvater ins Stammbuch schreiben sollte:Die Vorstände und Kuratorien haben auch die Pflicht, sich um das Wohlergehen des Leiters, der Mitarbeiter und Kinder zu kümmern. Tun sie das nicht, haben sie keine Zeit, so sind sie dieser Ehrenstellen nicht wert. Auch zu ihnen muß sich ein Vertrauensverhältnis herausbilden." Soweit Herr Major. Daß wir die Bedeutung seiner fach- lichen Ausführungen nicht unterschätzen brauchen wir erst nicht zu sagen. Auch sind wir mit ihm einer Meinung, wenn er eingangs seines Artikels sagt:Und ich sage, es kommt noch öfter zu einem Mieltschin, es kommt so lange noch zu brutalen Mißhandlungen. wie das jetzige Erziehungssystem herrscht. Aber daß dieses System, das sich beiläufig bemerkt, nicht nur in den Fürsorgeanstalten allein breit macht, mit unseren ganzen sozialen Einrichtungen aufs tiefste und engste verknüpft und folglich nur aus diesem Punkte gründlich zu kurieren ist in dieser grundsätzlichen Meinung, die dem Per- fasser selbst fremd zu sein scheint, könnten uns die schönen sachlichen Ausführungen des Herrn M a j o r nur bestärken. Mit dem Etat der Stadt Berlin beschäftigte sich am Montag der Etatsausschuß. Zu Beginn der Sitzung wurde von sozialdemo kralischer Seite beantragt: Die Stadtverordnetenversammlung wolle beschließen: Die Gemeindeeinkommensteuer für Berlin wird im Etatsjahr 1911 mindestens in einer Höhe von Hv Proz. der Staatseinkommensteuer erhoben. Zur Begründung diese? Antrages wurde dargelegt, daß in Rücksicht auf die Abmachungen mit den Borortgemeindenj es wünschenswert sei, daß auch der Etatsausschuß sich mit der Steuer- frage beschästige. Wohl stehe in der kommenden Plenarsitzung am Donnerstag eine Magistratsvorlage auf der Tagesordnung, die den gleichen Gedanken enthalte. Trotzdem oder gerade deshalb sei der Etatsausschuß in erster Linie berufen, seine Anficht über die Steuer- frage zum Ausdruck zu bringen. Von bürgerlicher Seite wurde der Beratung widersprochen. Mau könne die Steuerfrage nicht eher beraten, bis die Ausgaben feststünden, für die Deckung gesucht werden müßte. Dem wurde entgegnet, daß doch jeder, der den Etat sich angesehen habe, wissen müsse, daß von einer erheblich anderen Ge- staltung der vom Magistrat ohnehin äußerst knapp bemessenen Ausgaben gar keine Rede sein könne. Nehme man keine Rücksicht auf die Ab- machungen, die doch zum 12. März perfekt sein sollten, so beweise man nur, daß man zu freiwilligen Vereinbarungen mit den Vor- orten vollständig unfähig sei. Gerade die Untätigkeit nach dieser Richtung hin habe ja den Zwangszweckverband verschuldet, über den man nun klage. Auch der Kämmerer betonte, daß eine möglichst schnelle Entschließung über den zu erhebenden Steuersatz durchaus geboten sei. Habe man die Ansicht, daß man doch über 190 Proz. gehen müßte, so bedeute die Verzögerung einer Entscheidung einen erheblichen Verlust für die Stadthauptkasse. Denn bei einer Ueberschreitung der 100 Proz. müsse die Genehinigung eingeholt werden. Immer gehe das nicht so schnell, wie bei der Wert« zuwachssteuer, wo man innerhalb 24 Stunden zwei Instanzen habe befragen müssen. DaS Ergebnis der Debatte war der Beschluß, die Beratung über den Antrag zu vertagen. ES wird sich nun fragen, wie sich die Stadtverordnetenversammlung am Donnerstag zu dem Antrage des Magistrats verhalten wird. Bei dem Spezialetat: Grundstücke der Stadt wurde eine längere Aus spräche über eventuelle Veräußerung von Gemeindebesitz gepflogen und die Eingemeindungsangelegenheit Treptow gestreift. Zu be- stimmten Anträgen kam es nicht. Bei den höheren Schulen wurde das Mißverhältnis zwischen den Dotationen der Lehrer» und Schul- bücherei zur Sprache gebracht und gewünscht, auch den Schülern die Benutzung der Lehrerbibliotheken zugänglich zu machen. Der Stadt- schulrat sagte wohlwollende Erwägung zu. Hierzu wurde ein Antrag angenommen, in Zukunft die wissenschaftlichen Beilagen fortfallen zu lassen, die von einzelnen Lehrern herausgegeben werden, aber nur für einen ganz engen Kreis von Personen Wert und Interesse haben. Beim Rettungswesen wurde der neuerding» durch die Presse gegangene Borfall zur Sprache gebracht, nach dem ein alsbetrunken" aufgefundener Kaufmann nach der Polizei aw statt nach der Rettungswache gebracht worden und im Polizei- gewahrsam gestorben sei. Es wurde der Schluß gezogen, daß die Polizeibeamten von der zwischen Magistrat und Polizeipräsidium getroffenen Vereinbarung, nach der Betrunkene nach den RettungS - wachen gebracht und von dort ihren Angehörigen übergeben werden sollen, keine Kenntnis und Instruktion zu haben scheinen. Der Magistrat wurde ersucht, fich mit dem Polizeipräsidenten zu ver- ständigen wegen Beobachtung dieser Abmachung durch die Polizei' organe. Beim Etat de» städtischen UnterfuchungSamteS wurde mitgeteilt. daß der Tarif revidiert werden soll. Bemängelt wurde die horrende" Bezahlung eine» LaboratoriumdienerS, für den 800 M. gezahlt werden.«IS Grund wurde angegeben, daß eS fich um einen zungen Menschen handele, der Botendienst« verrichte. Ein Antrag auf Erhöhung dieses Gehalts kam nicht zur Abstimmung, weil die Entlassung dieses Angestellren sonst in Aussicht stünde. Beim Etat der Zentrale Buch wurde ein Antrag angenommen, für diese Verwaltung ein Kuratorium einzusetzen, damit auch der Stadtverordneten-Bersammlung ein MiwerwaltungSrecht eingeräumt werde.__ Die LerkehrSdepntatio» hat in ihrer gestrigen Sitzung beschlossen, auf Anregung von R i x d o r s mit diesem wegen einer Verlängerung der Nord- Südbahn dorthin in Ver- Handlung zu treten. Mit Rücksicht hierauf und weil die Ver- Handlungen mit Tempelhof wegen der Wetterführung der Bahn dorthin noch keine Grundlage ergeben haben, die eine baldige Verständigung hierüber mit Tempelhof erwarten läßt. soll bei dem Polizeipräsidenten erneut der Antrag gestellt werden, den Beginn der Bauausführung der Nord-Südbahn vorläufig bis zum Belle-Allianceplatz im Interesse des öffentlichen Verkehrs alsbald zu genehmigen. vomAuSlvaudererparadicZ" in Brasilien . Zu unserer Warnung(in Nr. ö2) bor unüberlegter AuS- Wanderung nach den LnstedelungSgebieten Brasiliens , sind uns noch Mitteilungen zugegangen, die auf Grund dort gemachter Er» fahrungen uns durchaus beistimmen. Die Bemühungen der bra- filianischen Bundesregierung, den Strom der Auswanderungs - lustigen Deutschlands an fich zu ziehen, haben schon manche deutsche Familie in bittere Not gebracht. DaS be- stätigen uns Personen, die nach Brasilien ausgewandert waren, aber schon im nächsten Jahre, wegen völligen Mißerfolges bei der Bebauung des ihnen von der Regierung zugewiesenen Landloses, sich nach Deutschland zurückretteten. Sie erklären uns, daß sie keinem Deutschen raten möchten, sich in einer brasilianischen Regierung»- kolonie, die erst entstehen soll, niederzulassen. Schwierigkeiten ergeben sich für den deutschen Einwanderer schon aus dem Klima. Wer nicht von widerstandsfähigster Ge- sundheit ist, der vermag die Landarbeit unter der sengenden Sonne Brasiliens nicht zu leisten. Dazu kommt die Entlegenheit einer solchen Kolonie, in der die Ansiedler, hundert und mehr Kilometer von dem nächstengrößeren" Ort entfernt, völlig auf sich selber angewiesen sind. Die umständliche u s r ü st u n g, die deshalb der Auswanderungslustige mit- schleppen zu sollen glaubt, verschlingt ein schönes Stück Geld, mehr als der Erlös seiner in der Heimat für ein Billiges verschleuderten Wirtschaftsstücke; drüben aber erweist sie sich größtenteils als wertlos. Wer nicht noch erhebliche Bar» mittel in die erst zu schaffende Kolonie mitbringt, bei dem stellt bald die lange Sorge sich ein. wie er bis zur ersten Ernte sich mit den Seinen durchfristen soll. Nur zu rasch fällt er dann der helfenden Regierung in die Hände. Sie gewährt ihm auf einige Zeit Unterstützung, zieht ihn aber nachher zur Mit, arbeit an ihren Wegebauten heran, damit er hier sich seine Unter- stützung verdient. Ein Kolonist, der aus Brasilien vor einigen Monaten, um eine bittere Erfahrung reicher, zurückgekehrt ist, er- zählt uns, wie es ihm drüben erging. Er hat an den Wege, bauten mitgearbeitet, ungefähr einen Tag um den ande- ren bei zehnstündiger Arbeitszeit für einen Lohn in Höhe von etwa S M., in heißer Sonnenglut unter Aufsicht brasilianischer Antreiber, die er uns als keineswegs angenehme Mitmenschen schildert. An den freien Tagen besorgte er seinen Landbau; aber als die Zeit der Ernte herankam, gab es für ihn n i ch t L zu ernten. Gediehen war nichts. Die einzigeFreude", die er von seinem Acker hatte, waren die Millionen Ameisen brasiliani- schen Formats, die ihn heimsuchten und auch sein Häuschen nicht verschonten, sowie die Scharen von Mäusen und Ratten, die sich zwischen den Maisstauden tummelten und den Boden unterwühlten. Unser enttäuschter Kolonist ließseinLandimStich. raffte die letzten Mittel zusammen und kehrte nach Deutschland zurück. Andere, die gleichfalls keine Seide gesponnen hatten, besaßen nicht mal mehr soviel, um die Rückreise bezahlen zu können. Von allen ihren Ersparnissen, die sie vor ihrer Auswanderung gehabt hatten, war nicht ein Pfennig übrig geblieben. Aber auch sie gaben nach dem ersten Mißerfolg ihr Land auf, siedelten in die nächste Stadt über und schlugen sich als Lohnarbeiter durch. Die Bundesregierung Brasiliens hat ein begreifliches Jnker« esse daran, daß sich immer wieder andere finden, die zur Urbarmachung des Landes ihre Knochen hergeben wollen. Sie ist eifrig bemüht, immer neue Einwanderer nach Brasilien zu ziehen. Zu diesem Zweck hat sie in Europa ihre Propagandakommission, deren Agenten die Angeln auslegen. Zur Förderung der Einwanderung nach Brasilien wurden im Jahre 1907 Vorschriften für den..Bevölkerungsdienst" dekretiert, die vermutlich noch jetzt gelten. Artikel 132 bestimmt, daß Einwände- rern, die dort Erfolg haben. Reiseprämien zum Besuche ihreS Heimatlandes gewährt werden können. Das geschieht offenbar in der Erwartung, daß sie daheim daSAuSwandererpara- dieS" Brasiliens preisen werden, waS dann wieder andere zur Auswanderung anreizt. Demselben Zweck dient wohl die Bestimmung deS Artikels 134, daß durch Dolmetscher und andere Mittel" der Brief- und DepeschenauStausch zwischen Ein» Wanderern und ihren in der Heimat zurückgebliebenen Ver- wandten und Bekannten erleichtert werden soll. Und schließlich wird im Artikel 136 ganz ohne Scheu erklärt, die Bundesregierung werdezu den nötigen Mitteln greifen, um �weit und breit im Ausland die natürlichen Vorteile und das Wichte Leben bekannt zu machen, daS Brasilien arbeitsamen Menschen bietet". Gegen- über diesem Eifer der brasilianischen Bundesregierung können wir nur wiederholen, WaS wir schon in Nr. 52 sagten. Unsere ReichSvegierung, im besonderen da» Auswärtige Amt, sollte öffent- lich Ausklärung darüber geben, welche»leichte Leben" deS deutschen Auswanderers in Brasilien harrt, wenn er von offenen oder geheimen Werbern sich als Kolonist hin» locken läßt._ Die Messerstechereien, die im Februar 1909 in Berlin und weit darüber hinaus großes Aufsehen erregten und Frauen und Mädchen in der Stadt und den Vororten so einschüchterten, daß sie sich kaum noch allein auf die Straße wagten, werden voraus- sichtlich wenigstens zum Teil jetzt ihre Sühne finden. Der Täter» schaft in mehreren Fällen dringend verdächtig»st der LS Jahre alte Molergehilfe Richard Bennewitz, der am 20. Januar d. I. bei einer Schlägerei in ber Nähe deS Stettiner Bahnhofes festgenommen wurde. Der erste Anfall, der vor zwei Jahren mit einer Ver- spätung von mehr als einem Tage zur Kenntnis der Sdriminal- Polizei kam, war zugleich der schwerste. Am 9. Februar 1909 er- hielt ein« junge Droschlenkutscherfrau Marie Schafer in der Gegend deS Hochbahnhofs Warschauer Brücke von einem an ihr vorübergehenden Menschen einen Messerstich in die Lendengegend. an dem sie verblutete. Als das bekannt wurde, ergab sich, daß zwei Tage vorher schon zwei Mädchen in der Gegend des Schlesischen Busches mit dem Messer angefallen worden waren. Dann folgte ein Angriff auf den anderen, bis es endlich, in Berlin und den Vororten zusammen, über dreißig waren. Einige erwiesen sich hinterher als erdichtet. Daß der Täter mehr als einer war. stand bald fest. Aber in keinem Falle gelang es, des Uebeltäters habhaft zu werden, weil daS Publikum hilfsbereit zunächst immer nur daran dachte, der Verletzten beizuspringen. Nach einigen Wochen hörten die Uebeltaten auf. Später ereigneten sich dann in der Provinz und im Reich an mehreren Stellen Vorfälle, die an die Berliner erinnerten. Auch dort blieb der Täter unentdeckt. Plötzlich trat im Sommer und Herbst des vergangenen Jahres in Berlin wieder ein Messerstecher auf, aber nicht wieder auf der Straße, sondern in geschlossenen Räumen. Zuerst verletzte er ein Mädchen in der Feilnerstraße, das ihn von draußen mitgenommen hatte, durch einen Messerstich in den Unterleib. Später bedrohte er ein anderes in der Borgsigstraße mit Messer und Revolver, und wieder nach einiger Zeit versetzte er einem dritten Mädchen in einem Hotelzimmer in der Nähe des Stettiner Bahnhofes acht Messerstiche, an denen eS wochenlang im Krankenhause lag. Die Nachforschungen ergaben, daß Bennewitz in allen drei Fällen der Täter war. Aber der obdachlose Mensch war nicht zu finden, bis er bei einer Schlägerei am Stettiner Bahnhof endlich ergriffen wurde. Die Kriminalpolizei, die alle Vorgänge dieser Art in Berlin und außerhalb auch im Zusammenhang mit den Messer- stechereien vom Februar 1909 prüfte, hatte bereits eine große