Unfug. i Em Mitarveittt deS.Verl. Tagebl/. ein Herr B a r ch a n, der mit Vorliebe den Stoff für feine seichten feuilletonistischen Betrachtungen dem russischen Leben entlehnt, hat jüngst in seinem Geschreibsel über die russische studierende Jugend einen so krassen Beweis seiner Ignoranz und Anmaßung geliefert, daß einmal auch an dieser Stelle gegen diesen empörenden Unfug auf das schärfste protestiert werden muß. In der Duma hatte dieser Tage der echt- russische Abgeordnete O b r a S z o w. der in dem Verdacht steht, bei der Ermordung des früheren Duma-Abgeordneten Dr. Karawajeiv seine Hand mit im Spiele gehabt zu haben, eine Rede gehalten, die an Schufterei und Gemeinheit selbst den berüchtigten Purischkewitsch in den Schatten stellte. Anläßlich der Hochschul-Jnter- pellationen verstieg sich dieser Pogromistenhäuptling so weit, der weiblichen studierenden Jugend die infame Beschuldigung ins Gesicht zu schleudern, sie habe sich in den Nevolutionsjahren„zu Hunder- ten b etrunkenen Matrosen angeboten". Der darauf folgende Tumult in der Duma, stellte alles bisher dagewesene in den Schatten. Die Sitzung mußte abgebrochen, das Licht ausgelöscht werden, und nur die Einmischung der Dumapolizei, die sich schützend vor ObraSzolv und seine Freunde stellte, rettete den echtrusfischen Buben vor der verdienten Züchtigung durch die empörte Linie. Am nachfolgenden Tage sah sich sogar der Duma- Präsident, der Oktobrist G u t s ch k o w zu einer Erklärung veranlaßt, daß er die Empörung, die diese Rede hervorrief, vollkommen der- stehe und auch selbst darüber von Ekel erfüllt sei. Also selbst die politischen Freunde der echtrussischen Exzedenten würdigen nach Ge- bühr die Ausschreitung des Pogromistenhäuptlings. Nur Herr Barch an im ,B. T." hat an dem tatsächlichen Kern der infamen echtrussischen Anschuldigung nichts auszusetzen. Nach einigen un- finnigen Bemerkungen über die„hysterisch kurzatmige, blutrünstig phantastische' russische Revolution und die russische studierende Jugend, die jetzt angeblich ganz„verflacht' und„verdummt" sei, sucht er die Unrichtigkeit des Protestes der Linken gegen die echtrussische Infamie dadurch nachzuweisen, daß er„von einem ganz eigenen Maß und einer ganz eigenen Art" der revolutionären Ereignisse in Rußland spricht. Die Anschuldigung selbst unterliegt für ihn keinem Zweifel ES ist für ihn eine„geschichtliche Begebenheit", daß „russische Mädchen sich an Matrosen weggeworfen" haben! Nach diesem Geständnis ist es natürlich voll- kommen gleichgültig, was der Mann über die psychologischen Beweggründe dieser„Begebenheit' schwätzt, die er als eine Art„mil- dernde Umstände" betrachtet. Diese„Verteidigung" ist für die russische studierende Jugend noch beleidigender als die Anschuldigung deS betrunkenen Echtrussen. Die russische studierende Jugend. die jetzt, wie vor den Nevolutionsjahren, ihren Herois- muS, ihre Aufopferungsfähigkeit in ihrem Kampfe gegen die Reaktion bekundet, bedarf der Huldigungsphrasen eines Menschen nicht, besten geile Phantasie eS ihm unmöglich macht, die perversen Anschuldigungen eines Pogromisten als Nieder- tracht zu erkennen. Sie kann aber Anspruch darauf erheben, daß das„vornehmste' liberale Blatt Berlins darauf Acht gibt, durch die Schwätzereien ihres Feuilletonisten der russischen Schmutzpresse nicht noch neue Insinuationen gegen die studierenden Frauen zu liefern. • Herr Theobor S ch i e m a n n beruft sich in dem heutigen Leit« artikel der„Kreuz-Zeitung ', in dem er aus die Verleumdung des Obraözow zu sprechen kommt, auf ein im„Vorwärts" vom IS. August 1006 veröffentlichtes Telegramm, das eine ähnlich lautende Nachricht eines russischen reaktionären BlatteS wiedergab. Der„V." hat aber am 31. August diese Nachricht ausdrücklich als völlig falsch gekennzeichnet und ihr die Erklärung russischer Genosten verschiedener Parteirichtungen hinzugefügt, daß eine solche Handlungsweise den Ideen der revolutionären Parteien vollständig Widerspricht und geradezu unmöglich ist. Nach beliebtem Rezept. Bei der großen Wahlrechtsdemonstration am 13. Februar v. I., die in H a l l e, N e u m ü n st e r und mehreren anderen Städten zu blutigen Polizeimbeleien führte, wurde in Halle auch der Stein- drucker Marlart durch einen Säbelhieb schwer am Kopfe verletzt. Er war ganz zufällig in die von der Polizei in Aufregung und Un- ordnung gebrachte demonstrierende Menschenmenge geraten und er- hielt den Hieb von hinten her, als er sich nach seinem zur Erde ge- sallenen Hute bückte. Markart strengte auf Grund des Gesetzes über die Haftung des Staates und anderer Verbände bei Amtspflichtverletzungen von Be- amten in Ausübung der öffentlichen Gewalt und des ß'83S B. G.-B. Schadenersatzklage gegen die Stadt Halle an. In erster Instanz er- stritt er ein obsiegendes Urteil, indem sein Anspruch dem Grunde »ach für gerechtfertigt erklärt wurde. Da sonach die Sache für die Stadt schlecht stand, beantragte der Magistrat bei der Regierung zu Merseburg die Erhebung deS Konflikts, welchem Wunsche diese sofort nachkam. Sie erklärte, daß der schuldige Beamte, der übrigens gleich dem Handabhacker in B r e S l a u und den Mördern des Arbeiters Hermann unermittelt geblieben ist, durch den Kläger in einen Irrtum versetzt worden sei, der auch bei Pflicht- gemäßerem Verhalten nicht zu vermeiden gewesen sei. Vorsätzliches Handeln des Säbelschwingers sei keineswegs anzunehmen. Danach hat in Preußen jeder Staatsbürger, der die Straße be- tritt und infolge de«„Irrtums" eines Polizisten niedergeschlagen wird, durchaus keinen Anspruch auf Entschädigung. Als braver Untertan hat er seine Wunden auszuheilen, Steuern zu zahlen und auch das Maul zu halten, wenn der beamtete Rohling �unermittelt" bleibt. Wegen der prinzipiellen Bedeutung des Falles soll gegen den Entscheid der Merseburger Regierung das Oberverwaltungsgericht angerufen werden._ Oeftemicb. Für Schiedsgrrichke. , Wien , LI. März. Abgeordnetenhaus. Im Einlaufe befindet sich eins Interpellation des christlich-sozialen Ab- geordneten Schöpfer, in der gefragt wird, was der Minister» Präsident zu tun gedenke, um die Anregung Sir Edward G r e h s bezüglich der Schiedsgerichtsverträge in geeigneter Weise zu fördern. franfemcb. Das Vertrauensvotum für Mouis. Pari», 22. März. Die gestrige stürmische Kammersitzüng endete, nachdem der Ministerpräsident die Vertrauensfrage gestellt hatte, mit der von der Regierung geforderten Annahme des UnterstaatssckretariaiS mit 363 gegen 163 Stimmen. Bei der Verkündigung des SlbstimmungSergobnisseZ rief ein Mitglied der äußersten Linken: Der Block ist wieder hergestellt! In der Tat umfaßt die Mehrheit, die für das Ministerium stimmte, alle Parteien des ehemaligen Blocks, nämlich die Sozia. tistisch-Radikalen. Radikalen, unabhängigen Sozialisten, die meisten Mitglieder der demokratischen Linken sowie zahlreiche ge. einigte Sozialisten. Älerikale Fanatiker. ' Pari», 22. März. Die Bewohner des Dorfes Montaudon bei Montbeliard . die den Schull ehrer zwingen wollten, die von den Bischöfen verurteilten Schulbücher.aufzugeben, beschlossen, den Lehrer zu boykottieren u.nd ym leiyx SebesSe� mitkel mehr zu verkaufen. Der Lehrer verständigke die Behörde von seiner bedrohlichen Lage, worauf diese ihm unbe» grenzten Urlaub bewilligte. Der Lehrer hat nunmehr den Ort verlassen. Die Schule wurde geschlossen. Italien . Em Ministerium Giolitti iu Sicht. Rom , 22. März. Wie es heißt, haben alle dorn König befragten Politiker ihm den Rat gegeben, Giolitti mit der Kabinettsbildung zu betrauen. Neue Schandurteile in der Romagna . Rom . 16. März.(Eig. Ber.) Schon wieder hat das Gericht von Ravenna 60 sozialistische Frauen wegen Vergehens gegen die Freiheit der Arbeit zu schweren Strafen verurteilt. Für die Rückfälligen wurde auf 7 Monate, für die anderen auf K Monate Gefängnis erkannt. Nur für die minderjährigen Angeklagten ließ das Gericht etwas Milde walten, indem es nur auf 3 Monate Gefängnis erkannte und die bedingte Verurteilung in Anwendung brachte. Im ganzen sind in den letzten Wochen rund 156 Jahre Gefängnis über sozialistische Frauen der Romagna verhängt worden. Cnglanä. Die Koweitfrage. London , 22. März. Auf eine Frage D i l I o n S. ob die Regierung dem Unterhause eine Erklärung abgeben wolle, worauf Großbritannien seine Ansprüche auf Schutzrechte über K o w e i t gründe, erklärte Sir Edward G r e y. Großbritannien habe dort seit geraumer Zeit wichtige Handels- bezie Hungen . In den letzten Jahren hätten verschiedentlich Besprechungen mit dem Scheil von Koweit stattgefunden, auch sei im Jahre 1839 ein formelles Abkommen abgeschlossen worden. In bezug auf den Scheik habe die Regierung stets den Standpunkt vertreten, daß der Status guo auftecht erhalten werden müsse; auch jetzt feien Verhandlungen im Gange. Für den von Dillon gebrauchten Ausdruck.Schutzrechte" lehne die Re- gierung die Verantwortlichkeit ab. I�onvegen. Ein schlechtes Debüt. Kristiania , 22. März. In der heutigen Sitzung des Storthing ersuchte der Sozialdemokrat Nissen bei der Beratung des Militärbudgets die Regierung, im nach- sten Budget die Ausgaben für das Heer herabzusetzen; für dieses Jahr schlage er vor. Ersparniste in Höhe von einer Million zu machen. Daraus hielt Fräulein Rogstad ihre erste Rede im Storthing. Sie führte aus, daß sie eine Freundin des Friedens sei, für Schiedsgerichte eintrete und hoffe, daß ebenso wie das Faust recht dem Recht und Gesetz weichen mußte, auch die Kriege und das Militärwesen einmal auS der Welt geschafft würden. Trotzdem werde sie nicht gegen daS ordentliche Hecresbudget stimmen, das die Selbstverteidigung zur Grundlage habe. Sie vertraue der Regierung und der Verteidi- gungskommission, daß nicht mehr als notwendig vorgeschlagen sei, möchte jedoch betonen, daß sie besonders die Vorschläge unterstütze, die darauf ausgehen, die nördlichen Landesteile zu beschützen, wo die Verteidigung noch zu wünschen übrig lasse. RnßUmcl. Ein Zwischenfall an der chinesischen Grenze. Charbin, 22. März. Als eine Patrouille der Grenz. wache unter Führung eiNeS Unteroffiziers in ein sechs Werst von Charbin gelegenes chinesisches Dorf einritt, wurde sie von chinesischen Soldaten beschossen. Als sich die Patrouille entfernt«, sandten die Chinesen ihr zehn Schüsse nach. Verwundet wurde niemand. Amerika. Eine neue Erklärung der Bereinigten Staaten. Washington , 22. März. Wie von zuständiger Seite erklärt wird, beabsichtigen die Vereinigten Staaten nicht, sich in die inneren Angelegenheiten MexikoS einzumischen, wenn nicht besondere Umstände es unumgänglich notwendig machten; die Entsendung der Truppen nach Texas sei erfolgt auf Grund von Nachrichten, daß Leben und Eigentum von Amerikanern bedroht sei. Präsident Taft glaube, daß die Mobil, machung einen beruhigenden Einfluß gehabt habe. Die Dauer deS Aufenthaltes der Truppen in TexaS häng« von der Weiter- cntwickelung der Dinge in Mexiko ab. Huö der Partei. Personalie». In die Redaktion deS„Vorwärts� wird an Stelle des Genosten Block der Genosse Ernst Däumig , zurzeit leitender Redakteur der. Tribüne" zu Erfurt » früher in der Redaktion des.Volksblatt" für Halle, eintreten. Eifrige Justiz. Siel Aufmerksamkeit beweist die Danziaer Justiz zurzeit dem Genossen Cr,Spien. dem Parteisekretär für Westpreußen . Nicht weniger al« vier Straffachen schweben zurzeit gegen ihn. In einem Artikel der„Volkswacht". des in Danzig erscheinenden Wochenblattes für Westpreußen . ist angeblich der Gemeindevorsteher von Oliva eines nahe bei Danzig gelegenen Dorfes, beleidigt. Wegen eines anderen„VolkSwacht'-ArtikelS stellte der Freiherr v. d. Goltz. Kom- mandeur des westpreußischen Armeekorps. Sttasantrag wegen Be- leidigung. Weiter erhob der Staatsanwalt Anklage, weil Genosse CriSpien in einer öffentlichen Volksversammlung am 28. August v. I.«eaen den§ 110 deS Reichsstrafgesetzbuches gefrevelt haben soll. Die Ver- sammlung beschäftigte sich mit der Tagesordnung:„Millionen für den König, Fußtritte für das Volk". Bei der Erörterung dieses Stoffes soll unser Genosse die Soldaten zum Eidbruch und zum Ungehorsam gegen die Vorgesetzten aufgereizt haben. Die«ullageschrift weist in dieser Hinsicht ebenso kühne Konstruktionen aus. wie das Deutsch , in dem sie abgefaßt ist, schlecht ist. Erwähnt werden mag. daß zu den Beweisen für die Crispiensche Freveltat auch die Rezitation des Herweghschen Gedichts:„Die Ar- bester an ihre Brüder I" zählt. Außerdem ist unser Genosse schon wieder zu einer verantwortlichen Vernehmung geladen. Straftonto der Presse. Wegen Beleidigung eines SteinbruchmeisterZ wurde am 20. März der Genosse N c u m a n n von der„Arbeiterzeitung" zu Essen zu 500 Mark und in einem zweiten Prozeß, der sich um die angebliche Beleidigung zweier Schutzleute drehte, zu 200 Mark Geldstrafe verurteilt. Sein Redaktionskollege Genosse Stein- b ü ch e l bekam im zweiten Prozeß Ivo Mark Geldstrafe ab. Zugendbewegung. Und wieder eine Auflösung ins Blaue hineku. Nun hat auch die Polizeiverwaltung in Duisburg die dortige Freie Arbeiterjugend„aufgelöst". Einer der jungen Leute, die so frei waren, ohne polizeiliche Genehmigung sich außer- halb der christlich-nationalen Bevormundung zu bewegen, erhielt nämlich nachstehendes polizeiliches Schriftstück: Die Polizeiverwakiung. Der Oberbürgermeister. Duisburg , den 18. März 1911. Hierdurch wird Ihnen als dem Borsitzenden und Leiter deS Vereins„Freie Arbeiterjugend", der auch„Jugend- organisation" heißt, eröffnet, daß ich den Verein aus Grund deS Z 2 des ReichsvereinSgesetzeS für aufgelöst erkläre. Nach den angestellten Erhebungen ist die Jugendorganisation die Vereinigung einer Mehrheit von Personen behufs Erreichung eines gemeinsamen bestimmten Zweckes und steht untex einer eigenen hierzu organisierten ein- heitlichen Leitung— die Begriffsmerkmale des Vereins sind also gegeben. Dieser Verein bezweckt die Einwirkung auf politische Angelegenheiten. Seine Beltrebungen decken sich mit denen der Sozialdemokratie, deren Ziele auch die seinigen sind. Der Verein zählt unter seinen Mitgliedern auch Personen unter 13 Jahren, was nach 8Z 17, 18,5 des Vereinsgesetzes verboten ist. Er verfolgt daher Zwecke, die den Strafgesetzen zuwider- kaufen und er war daher aufzulösen. Gemäߧ 2 Absatz 2 des VereinSgesetzcS kann diese Ver- fügung im Wege des VertvaltungsstreitverfahrenS angefochten werden. In Vertretung: Maiweg. Da der angebliche Verein, der auch„Jugendorganisation" heißen soll, weder einen Borstand noch einen Vorsitzenden, weder Statuten noch MitgliodSlarten besitzt, weder ein Verein noch eine Organisation ist. so sind wir den» doch neugierig darauf, was das für„Erhebungen" geivesen sein mögen, auf Grund dessen die Polizei- Verwaltung festgestellt hat, daß bei der Duisburger freien Arbeiter- jugend die„Begriffsmerkinale" des Vereins gegeben sind. Wie kann man nur etwas, was nicht vorhanden ist, auflösen. Soziales. Durchlöcherung der Sonntagsruhe im Handelsgewerbe. Zwei Inhaber von Konfektionsgeschäften in D.-Nuhrort be« schäftigten lvähvend der Sonntagsverlaufszeit auch ihre Zuschneider durch Anwendung zum Maßnehmen, Anprobieren, Abstecken und dergleichen. Die Geschäftsinhaber erhielten wegen Beschäftigung gewerblicher Arbeiter Strafmandate, wurden aber vom Schössen- gericht freigesprochen, weil diese Tätigkeit der Zuschneider nicht als eine handelsgewerbliche zu betrachten sei. Der Amtsanwalt legte, gestützt auf die Ministerialverordnungen vom 3. September 1909 und vom 19. Mai 1910 Berufung ein. Die Strafkammer i» Duis- bürg als Berufungsinstanz erkannte dieser Tage auf kostenpflichtige Verwerfung der Berufung. Es machte sich den Staudpunkt der Vorinstanz zu eigen und erklärte, daß di« Tätigkeit der Zuschneider ein„Bestandteil des Vertaufsgeschäfts" bilde. D« Bestimmungen der Gewerbeordnung, K 105b. seien nur auf die Sonntagsarbeiteil, die in der Werkstatt vorgeuomemn würden, anwendbar. Das Urteil bedeutet eine erhebliche Durchlöcherung der Sonn- tagsruhe im Haudelsgewerbe, steht mit der Gewerbeordnung im Widerspruch und dürfte in der höchsten Instanz schluerlich Bestand haben._ Keine Daucrrenten. ES ist ein weit verbreiteter Irrtum, daß die Unfallverletzten eine sogenannte.Dauerrente" erhalten würden. Deshalb begnügen sich zu ihrem Schaden auch manche Verletzte mit der gebotenen Rente und verzichten auf eine Berufung, da sie ja eine Dauerrente erhalten. Kaum ist aber einige Zeit ins Land gegangen, so werden sie zum Vertrauensarzt beordert, der oft eine„Angewöhnung" kon- statiert. Dann wird die Rente gekürzt. Ja es kommt sogar vor. daß die Berufsgenossenschaft sich im Vergleich am Schiedsgericht zur Gewährung einer Danerrente versieht und trotzdem in einigen Jahren die Rente zu kürzen sucht. Beruft sich nun der Verletzte auf diesen Vergleich, so wird ihm gewöhnlich die Entscheidung deS Neictis- versicherungsamtes entgegengehalten, welche keine Dauerrente mehr kennt. So hatte ein Verletzter vor zirka zehn Jahren am Schiedsgericht einen Vergleich abgeschlossen und erhielt im Bescheide dann auch schriftlich:„Diese Rente wird als eine dauernde bewilligt" und trotzdem wurde ihm jetzt die Reute wieder gekürzt. Dos ReichSverstwerungSamt erklärte:„Die Bor- schrist des§ 88 des U.-V.-G. ist öffentlichen Rechts und kann daher durch private Vereinbarungen der Parteien nicht geändert werden. Danach ist ein Vergleich, durch welchen die Berufsgenossenschaft dem Verletzten'eine lebenslängliche Rente in bestimmter Höhe zu ge- währen sich verpflichtet, nichtig. Wird eine Rente als sog.„Dauer- rente" bewilligt, so hindert dies eine anderweite Fetzsetzuug der Entschädigung gemäߧ 83 nicht." Solche Bergleiche sind also nicht bindend und daher zu beachten. Anders wird aber die Sache, wenn Verletzte sich auf die Entscheidungen des ReichsversichcrungS- amtes berufen wollen� So hat dieses vor Jahren schon entschieden, daß z. B. Rentenveränderungen nur um 5 Proz. nicht mehr vo» ?enommen werden können. Ein Verletzter wird daher kein Glück mehr aben, wenn er den Antrag aus Erhöhung seiner Rente um 5 Proz. stellen würde. In besserer Lage sind die Berufsgenossenschaften, die auch heute noch Renten um 5 Proz. kürzen. Das Schiedsgericht ent- scheidet dann oft wie folgt:„Wenn auch nach den Entscheidungen des ReichS-VersicherungSamteS Rentenänderungen um 5 Proz. im allgemeinen nicht vorgenommen werden sollen, so rechtfertigt sich im vorliegenden Falle die Herabsetzung der Rente von 15 Proz. auf 10 Proz. deshalb, weil es sich voraussichtlich um eine dauernde Rentenfestsetzung handelt und bei aeringfiigigcn Unfallfolgen eine Aeuderuug um 5 Proz. immerhin als wesentlich zu betrachten ist". Das ReichS-VersicherungSamt gibt in solchen Fällen fast immer dem Schiedsgericht recht und verleugnet in solchen Fragen seinen eigenen eigenen Standpunkt. Ja man hat noch den Mut, von einer„dauern- den Rentenfeslsetzung" zu sprechen, die es doch gar nicht mehr gibt. So verschlechtert sich unsere Unfallrechtsprechung von Jahr zu Jahr. Ein Menschenalter TrnnksuchtSstatlstik. Einen wesentlichen und wichtigen Beitrag für die Trunksuchts- statistik hat das Preußische Statistische Landcsamt geliefert durch eine„Nachweisung der mit Trunksucht belasteten Personen in den allgemeinen Heilanstalten Preußens von 187? bis 1397". Die Ta- belle ergibt eine beträchtliche und mit einzelnen Ausnahmen stetige Permehrung der in Heilanstalten verpflegten Trinker. Waren es 1877 3052(2854 männliche und 198 weibliche), so 1887 schon 10 419 (9775 männliche, 635 weibliche), 1897 12 256(11557 männliche, 699 weibliche) und 1997 17 302(16 343 männliche, 959 weibliche). Aus dieser starken Zunahme trunksüchtiger Patienten(nach 30 Jahren fast die sechsfache Zahl) eine entsprechend große Vermehrung der Trinker überhaupt, also ein dermaßen ungeheure» Umsichgreifen der Trunksucht abzuleiten, würde nicht den Tatsachen entsprechen. Wir dürfen nicht vergessen, daß die ärztliche Wissenschaft von heute in vielen Fällen den alkoholischen Charakter einer Krankheit sowohl erkennen als bezeugen wird, wo sie es vor 30 Jahren noch nicht konnte oder wollte, gerner wird, entsprechend den Fortschritten der Heilkunde, gerade auf dem neurophathischen Gebiete die Heil- anstaltsbehandlung heute sehr oft eintreten, wo man früher den Trinker in seiner alten Umgebung und ohne ärztliche Pflege ließ. In dieser Beziehung ist besonders lehrreich die relativ stärkste Stei- gcrung in den achtziger Jahren: 1S82: 8544, 1883: 0604, 1884: 7658, 1885: 8819. 1886: 10 085. Das waren gerade die Jahre, wo in Deutschland die neue Nüchternheitsbewegung kräftig einsetzte. Hand in Hand mit dieser Bewegung ging die vermehrte Aufmerk- samkeit, die man von ärztlicher Seite dem Alkoholismus, seinen Ursachen und Wirkungen zuwandte. All diese Erwägungen in Rechnung gezogen, stehen wir aber immer ndch vor der Tatsache, daß in den 30 Jahren die Trunk- sucht zum mindesten nicht zurückgegangen ist. sondern sich eher weiter verbreitet hat. Darum dürfen die Anstrengungen zum Zweck ihrer Bekämpfung— sowohl tu den Heilanstalten als außer- halb derselben nicht erlahmen, vielmehr auf das äußerste ange« spannt werden.
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