fff« LichicnLerz AeSZHlle JügenSäusschuß. M See GrundungS- Versammlung war ein Sozialdemokrat Referent, für die Frühfings- feier ein solcher als Vortragender auserschen. auch in der Mit- gliederversmnmlung vom 28. Juni 191» sprach nach dem»Vor- tuürts"»Genosse" ö. Schulz. Der»Vorwärts" war es auch, der unterm 7. Januar auf d,e kags daraus stattfindende Eröffnung des von der Vereinigung ein» gerichteten Jugendheims hinwies und es als Pflicht der Eltern und Vormünder der arbeitenden Jugend bezeichnete, die Jugend auf das Heim aufmerksam zu machen und sie zum Besuch des- selben anzuhalten. Nach diesem tatsächlichen Material ist als erwiesen anzusehen, �afi die Vereinigung»Jugendheim " für Lichtenbcrg-Friedrichs- selbe ihrem ganzen Wesen und Wirken nach eine Einrichtung ist, die völlig im Dienste der sozialdemokratischen Partei steht, deren Bestrebungen ganz mit denen jener Partei zusammenfallen. Der nachgewiesene enge Zusammenhang mit einer politischen Partei verleiht der Vereinigung selbst politischen Charakter und es recht- fertigt sich durchaus, auf die Vereinigung diejenigen Bestimmungen des Reichsvereinsgesetzes anzuwenden, die für„politische" Vereine Geltung haben. Ilm die Gründe für die neue Mabregel ist eS, wie dieser Bescheid des Herrn v. Jagow zeigt, sehr schwach bestellt. Denn selbst- verständlich kann ein Verein nur wegen der Tätigkeit, die er selbst entwickelt, sür politisch erklärt werden, nicht aber wegen deS politischen Charakters anderer Organisationen, die sich für ihn interessieren. Und ebensowenig macht ihn die Tatsache, daß Sozialdemokraten in den Räumen, die er unterhält, Reden halten, zu einem politischen Berein, denn auch Sozialdemokraten können unpolitische Reden halten und ihnen kann der Polizeipräsident nicht verwehren, sich unpolitisch zu betätigen. Ganz abgesehen davon hat der Herr ganz vergessen zu prüfen, inwieweit der Verein»Jugendheim' überhaupt mit diesen Veranstaltungen irgend etwas zu tun hat. Selbstver- ständlich wird sowohl gegen die Entscheidung des Herrn v. Jagow in diesem Falle wie gegen seine Verfügung wider den Berliner Berein sofort weitere Beschwerde geführt. Und so wenig Vertrauen wir im allgemeinen zu der preußischen Verwaltung haben, wir glauben doch annehmen zu dürfen, in ihr werde noch soviel Einsicht vorhanden sein, um die Unzulässigkeit dieser Maßregeln anzuerkennen. Sollte es nicht sein, so wird die Jugendbewegung auch damit sich abzufinden wissen— das hohe Ziel, das sich die Polizei gesteckt hat, wird sie auch auf diesem neuen Wege nicht erreichen I Sie Codesmarter der bratllianischen Meuterer. *" Als der Telegraph die seltsame Nachndji vosi Lem Erstickungstod brachte dem die— wie man weiß amnestier» ten— Meuterer der brasilianischen Kriegsmarine zum größten Teil zum Opfer gefallen waren, mußte der Verdacht sofort rege werden, daß sich hinter diesem anscheinenden Zufall ein schreckliches Verbrechen verstecke. Wie wohlbegründet dieser Verdacht war, zeigt der nachstehende Bericht, den ein brasi- lianisches Blatt, der„Correio da Manha", am 14. Januar dieses Jahres veröffentlicht hat und den die Pariser„TempS Nouveaux" übersetzt wiedergeben: „Die Strafe, die an den auf der Cobras-Jnsel gestorbenen Marinesoldaten bollzogen wurde, übersteigt alles, was die Phantasie an Grausamkeit auszusinnen vermag. Die.Solitarias" sind ganz kleine Zellen, die bestimmt sind, einen einzigen Häftling aufzu- nehmen. Ihre Dimensionen sind so klein, daß der unglückliche Ge- fangene nicht einmal die Möglichkeit hat, sich der Länge nach auSzu- sirecken. Im oberen Teil der Eingangstür befindet sich ein kleines Gitter, das eben noch groß genug ist, um etwas Luft durchzulassen. Im Innern der„Solitarias" herrscht selbst mitten am Tag volle Dunkelheit. JnzweidieserZellen wurden nun je 1 2 u n d 14 Häftlinge geworfen. Die letzten Ankömmlinge wurden mit der Türe hineingequetscht, die auf solche Art in ein Marterinstru- ment verwandelt wurde. Aneinandergepreßt, unfähig, sich zu rüh» reu, empfanden die Unglücklichen bald den Schrecken der Situation. Sie begriffen, daß da eine neue Form des Mordes auf sie ange- wendet wurde. Es war etwa 8 Uhr abends, als man aus dem Innern der„Solitarias" Flehen und Angstschreie zu vernehmen begann:„Um unserer Fahne willen, der wir immer treu gedient haben! Haben Sie Mitleid mit unS, Herr KommandantI Um Ihres GlückeS willen! Um des Glückes willen aller derer, die Sie lieben, haben Sie Erbarmen!" Und die demütigen Bitten der Unglück- feiigen, die mit Grauen ihre letzte Stunde nahen sahen, dauerten inmitten der höllischen Qual fort. Später traten an die Stelle der nutzlosen Bitten heftige Verwünschungen, Rufe der Revolte, Aus- brüche des Zorns:„Feiglinge I Ihr se,d geflohen, als wir Kanonen hatten und unsere Rechte verteidigten. Habt Ihr uns die Amnestie bewilligt, um uns leichter töten zu können?" Ein diensthabender Offizier, der alles gehört hatte, wandte fick an den Kommandanten Marquis da Racha und stellte ihm die fürchterliche Situation der Eingeschlossenen vor. Er erhielt aber die Antwort:„Lassen Sie die Dinge, wie sie sind! Oeffnen Sie die Türen der„Solitarias" nicht I"... Gegen Mitternacht hörten die Rufe auf. Als man gegen 3 Uhr morgens die Zellen öffnete, fielen oie Leichen zu Boden. Die Unglücklichen, die vom Kongreß(Parlament) eine vollständige Amnestie erhalten hatten, waren erstickt. Joao Can- dido und einige andere waren noch nicht tot. Sie wurden aus den »Solitartas" herausgezogen und gerettet." Die Beerdigung der Matrosen fand am 27. Dezember, um 8)4 Uhr abends, auf dem Friedhof von Capu statt. Knapp nach 8 Uhr kam eine große vollbelaoene Barke mit ausgelöschten Laternen an den Strand. Ein Sergeant des SchiffsbatalllonS stieg aus und wandte sich an den Friedhofsverwalter, dem er eine Anzahl Papiere, Totenscheine und Quittungen für angekaufte und vorausbezahlte Gräber übergab. Der Verwalter, der sich gewöhnlich zu dieser Zeit in feiner Wohnung aufhält, schien den Besuch erwartet zu haben. Nach einer kurzen Be- sprechung mit dem Sergeanten, befahl er, die Fackeln anzuzünden, um die Leichen vom Boot in die Friedhofskapelle zu trägem Der Sergeant widersetzte sich und berief sich auf seine Instruktionen, die vorschrieben, daß alles ohne Licht vor sich gehen sollte, um keinerlei Aufsehen zu machen. Derart wurden die Leichen nach der Kapelle gebracht. Die Sergeanten und seine Begleiter ent- fernten sich erst nach dem Gottesdienst. Vor dem Verlasien des Friedhofs benachrichtigte der Sergeant den Verwalter, daß er ihm am nächsten Tage weitere zehn Leichen bringen würde. Einige Minuten später fuhr das dunkle Boot rasch ab. Am nächsten Morgen wurden oie 18 Leichen in die Gruft gesenkt, ohne daß jemand an ihrem Grabe eine Blume niederlegte.... Bemerkenswert ist, daß der Mord am 27. Dezember voll- bracht wurde, die kurzen Nachrichten aber, die die brasilianische Negierung dem Ausland zu geben für gut fand, erst am 7. Januar depeschiert wurden, politische(lebersiebt. Berlin , den 24. März 1911. Kolonialpolitik. AuS dem Reichstag , 24. März. Der Rest des Kolonialetats wurde heute in sechsstündiger Sitzung erledigt. Im allgemeinen zerfaserte sich die Debatte in Einzelheiten, die wenig Interesse beanspruchen konnten. Die Sozialdemo- traten beschränkten sich auf kurze Ausführungen zu dem Zweck, der Ausbeutung und Unterdrückung der Eingeborenen in den Kolonien entgegenzuwirken. Genosse N oSke wtes besonders nach. wie die Eingeborenen in Kamerun durch die Kautschukgewinnung drangsaliert werden. Zwischen dem Genossen Ledebour und dem Freikonservativen Dr. Arendt kam es zu einem scharfen Zusammenstoß da Arendt sich beikommen ließ, die Selbstbeschränkung der Sozialdemokraten in der Debatte als ein Eingeständnis zu denken, daß sie gegen die Kolonialpolitik ernsllich nichts mehr vorzubringen hätten. Herr Arendt schnitt auch sonst nicht besonders rühmlich ab. da er seine in der Kommission gegen den Gouverneur v. Rechenberg von Ost- afrika vorgebrachten Verdächtigungen nicht zu beweisen der- mochte. Bei Südwestafrika machte auch der Zentrumsmaun Schwarze einen verunglückten Versuch, sich an der Sozial- demokratie zu reiben. An den Staatssekretär v. Lindegui st richtete Genosse Ledebour die Frage, ob er das Verbot der Großviehhaltung ausheben wolle oder nicht, ferner wie er es eigentlich begründen wolle. Um die Beantwortung beider Fragen suchte sich Herr v. L i n d e q u i st mit einigen der- legenen ironisch sein sollenden Redensarten herumzudrücken. Um 7 Uhr ging die Verhandlung zu Ende. Nächste Sitzung ist Dienstag. Auf der Tagesordnung steht der Reichseisenbahnetat._ Etatsberatung. Das Abgeordnetenhaus setzte am Freitag die dritte Beratung des Etats fort und erledigte, abgesehen von einigen kleineren Elals, den Etat der Bergverwallung, den Etat für Handel und Gewerbe und den des Ministeriums des Innern. Zum Etat der Bergverwaltung kam als erster Genosie Hoff mann zu Motte, der gründliche Abrechnung mit den Feinden der Bergarbeiter hielt und seine dreistündigen Ausführungen vom Montag abend durch eine Fülle interesianten Materials ergänzte. Zwar bemühten die Herren Jmbufch(Z.) und Hirsch-Essen (natl.) sich nach Kräften, sich als Arbeiterfreunde aufzuspielen und die Sozialdemokratie zu verunglimpfen, aber der Liebe Mühe war vergebens. Hoffmann fertigte dies sonderbare Paar, den„Arbeiter- Vertreter" deS Zentrums und den nationalliberalen Sachwalter des Grubenkapitals, die Arm in Arm das Jahrhundert in die Schranken fordetten, in schlagender Weise ab und hatte schließlich die Lacher auf seiner Seite. Beim Handelsetat stellte Leinert, indem er gleichzeitig einen in der zweiten Lesung gegen den Abg. Grafen Henckel von Donners- mark erhobenen Vorwurf als irrtümlich zurücknahm, die Tatsache fest, daß Zentrumsabgeordnete, die im Landtage im angeblichen Interesse des Mittelstandes die Warenhäuser bekämpfen, selbst an Warenhäusern finanziell beteiligt sind. Also auch hier zeigt sich wieder, daß das Zentrum den Grundsatz befolgt: Geld stinkt nicht. Recht lebhaft ging eS bei der Beratung des Etats des Ministeriums deS Innern zu. Nachdem Abgeordneter Cassel(Vp.) gegen eine Behauptung eine? konservativen Redners, daß die Sozialdemokratie mit den Freisinnigen ein Bündnis ge- schloffen hätten, protestiett und Abg. S e h d a(Pole) Lockspitzeleien von Polizeibeamten gegen Polen vorgetragen hatte, kam Genoffe Hirsch zu Worte. der in kurzen, aber scharfen Zügen ein Bild der Rechtlosigkeit der Sozialdemokratie in Preußen gab und die Behandlung der Ausländer abfällig kritisierte. Den Schluß seiner Rede bildete ein Rückblick auf die Moabiter Vorgänge. Seine Aufforderung an den Minister, endlich wenigstens jetzt, wo das schriftliche Urteil vorliegt, der Wahrheit die Ehre zu geben und seinen Irrtum über da» Verhalten der Polizei einzugestehen, fiel auf unfruchtbaren Boden. Im Gegenteil, noch wärmer als früher nahin sich Herr v. Dallwitz femer Beamten an, und selbst für die Mörder de» unglücklichen Arbeiters Herrmann fand er kein Wott der Verurteilung. Ja, feine Rede konnte sogar den Eindruck erwecken, als ob er die Sozialdemokratie für den Mord verantwortlich mache. Die Rechte jubelte Beifall, einen so reaktionären und brutalen Minister bekommt sie so bald nicht wieder. Am Montag soll die dtttte Lesung des Etats beendet werden. Ein Protest des preußischen Städtetages. Der Vorstand des Preußischen StädtetageS richtet an daS Preußische Abgeordnetenhaus einen Protest dagegen. daß durch das Einführungsgesetz zu dem ReichSzmvachZ. steuergesetz den Gemeinden die Veranlagungskosten der Steuer ab- gezogen werden sollen, daß ihnen also nicht die vollen 40 Proz. der Steuer zufließen würden, die ihnen durch den§ 88 deS Reichszuwachssteuevgesetzes zugesichert find. In dem Protest heißt eS: Wenn der§ b8 des Gesetzes hinsichtlich der den Bundes- staaten zugewiesenen 1» Proz. alitveichende landesgesetzliche Be- stimmungen zuläßt, so können solch« Bestimmungen doch nur über diese 1» Proz. und die dafür den Staaten auferlegte Gegen- leistung anderweitige Verfügungen treffen, etwa in der Weis«, daß sie die 1» Proz. unter Uebernahnie der entsprechenden Gegenleistung oder einen Teil dieser 1» Proz. gegen lieber» tragung eines entsprechenden Teils der Gegenleistung einer anderen Stelle, z. B. den Gemeinden überweisen, nimmer» mehr aber dürfen sie entgegen den Be st immun. gendes ReichSgeseheS den Gemeinden die ihnen reichsgesetzlich zustehenden 40 Proz. der Steuer durch Uebertragung des den Staaten obliegen- den Veranlagungsgeschäfts ohne Entfchädi» aung verkürzen und den Staat unter unverkürzter Be- lassung der ihm zugewiesenen 10 Proz. der Steuer von der ihm als Gegenleistung obliegenden Veranlagung befreien. Charakteristisch ist dabei, daß der Entwurf den Kreisen im 8 4 Nr. 2 für die Besorgung des Veranlagungsgeschäftes volle 10 Proz. der Steuer, allerdings nicht aus dem Anteil des Staates, sondern aus den: der Gemeinden zuweist. DaS Hohe Haus der Abgeordneten bitten wir dringend. dem§1 Nr. 1 de» Einwurfs eines AuSführungsgesetzeZ zum ReichSzuwachSsteuergefetz die verfassungsmäßige Zu- ftimmung zu versagen. Es ist in der Tat ein starke» Stück, daß jetzt im Wege der einzelstaatlichen Gesetzgebung die den Gemeinden durch Reichs- gesetz überwiesenen Einnahmen geschmälert werden sollen! Der unpolitische Bund der Landwirte. In der Landesversammlung deS Bundes der Landwirte im Königreich Sachsen, die gestern in Dresden stattfand, hat fich Herr Dr. Georg Oertel, der Chefredakleur der»Deutsche » TageS- zeitung", über die Wahltaktik dcS Bundes der Landwirte gegenüber den Nationalliberalen geäußert. Herr Oertel führte aus, der Bund müsie gegen die Nationalliberalen die schärfste Vorficht üben, sich von ihnen alleS schriftlich geben lassen und auch dann noch mißtrauisch sein, da sie in Sachsen die Sozialdemokraten bei den letzten LandtagSwahlen unterstützt hätten. Daß kein Land- bündler bei den Hauptwahlen für einen Freisinnigen eintrete, sei selbstverständlich. Luch bei den Stichwahlen sollen sie den Freisinn nicht gegen die Sozialdemokratie heraushauen, sonder» wie über- Haupt die Konservativen Gewehr bei Fuß stehen. Merkwürdig, der Bund der Landioirte ist nach d« Versicherung seiner Leiter eine völlig unpolitische Vereinigung und die Regierung akzeptiert willig diese Lusiassung. Trotzdem gibt die Bundesleitung Wahlparolen heraus, stellt Wahlkandidateu auf, schließt Wahllompromiss« ab, und der Bundesführer, der Abg. Rösicke, bezeichnet sich offiziell als Erwählter deS Bundes der Landwirte. Trotzdem hält die Regierung den Bund für völlig unpolitisch, während sie die tatsächlich unpolitische Jugendbewegung für politisch erklärt. Eine für unsere ehrenwerte Staalsregierung recht charakteristische politische Farbenblindheit!_ Neichsverbandsmache. Sllus der Quelle des Reichsverbandes kann eine recht dumm« dreiste Meldung stammen, die wir in einigen bürgerlichen Zeitungen finden. Es wird da mitgeteilt, daß die Sozialdemokraten bei der Beratung der Reichsversicherungsordnuiig möglicherweise Obstruktion treiben könnten, und dann wird heuchlerisch hinzugefügt: »Die Gründe hierfür liegen in den von der Kommission an- genommenen Bestiimnuiigen über die Anstellung der Kranken- kassenbeamien. Durch diese Bestimmungen würde eS möglich werden, etwa 8090 sozialdemokratische Agitatoren die angenehmen Versorgungsposten. die sie unter den jetzt geltenden Bestimmungen zum großen Teil sogar auf Grund von unkündbaren Vetträgen erlangt haben, und die sie im Interesse der sozialdemokratischen Propaganda mißbrauchten, wieder zu nehmen. Das würde aller- dings bei einem Scheitern der Vorlage nicht möglich sein. Anderer« seits aber käme auch die seit Jahren geplante Hinterbliebenen- fnrsorge für Witwen und Waisen, die den Bedürfnissen des Arbeiter- standes zugute kommen soll, nicht zustande." Die Absicht, die dieser Notiz zu Grunde liegt, ist doch gar zu offensichtlich. Den Parteien der Rechten ist an der Witwen- und Waisenversicherung garnichts gelegen, möglich, daß ihnen eine sozial- demokratische Obstruktion sogar recht willkonimen wäre. Wir können feststellen, daß die sozialdemokratische Fraktion zu der Art der ge- schäslsmäßigen Behandlung der Borlage noch mit keinem Worte Stellung genommen hat. Allerdings wird sich unsere Fraktion einer Durchpeitschung des Gesetzes unter allen Umständen widersetzeu. DaS könnte den Gegnern passen, wenn ihr arbeiterfeindliches Treiben unaufgedeckt blieb?. Bei einem Gesetze, das teilweise von tief einschneidender Bedeutung ist, kann und muß die große Mehrheit deS deutschen Volkes auf eine gründliche Beratung dringen. Ein angeblicher Sieg Bassermanns. Die nichtöffentlichen Verhandlungen des Zentralvorstandes der Nationalliberalen, die am letzten Sonntag in Berlin stattfanden, werden von der nationalliberalen Presse recht verschieden beutteilt: dir meisten nationalliberalen Blätter erblicken aber in dem Ergebnis der Aussprache einen entschiedenen Sieg der Richtung Bassermann. So schreibt bei'Velsweise die»Augsburger Abendzeitung": Die Fassung der mit allen gegen nur fünf Stimmen an- genommenen Entichließimg ist zwar reichlich verschwommen, besagt aber für den Wissenden dennoch genug: daß die weit überwiegende Mehrheit des Gefchäflsführenden Ausschusses des Zentralvorstandes mit den Entscheidungen gewisser Wahltreis- organ isationen, wozu wohl in erster Linie die Gießener gehören dürfte, in keiner Weife einverstanden gewesen ist. Darauf deutet auch der mit denionstrativem Jubel aufgenommene Basserniannsche Satz, daß die Richtlinien für die nationalliberale Politik(also insbesondere bei den bevorstehenden ReichstagSwahlen) vorgezeichnet feien durch die Haltung des B'u ndes der Landwirte und der von diesem abhängig ge- wordenen konservativen Partei, durch deren der nationalliberalen Partei grundsätzlich feindseliges Verhalten und durch deren immer enger werdenden Anschluß an das Zentrum. DaS heißt also mit anderen Worten i für einen Kandidaten, der mit dem Bund der Landwirte und dem Zentrum aufS eng st e liierten konservativen Partei können die nationallibe» ralen Wähler nicht stimmen. Damit ist ein Anschluß der nationalliberalen Partei an die Fortschrittliche BolkSpattei überall da, wo die erstere nicht selbständig auftreten und siegen kann, von selbst gegeben. Zu einem allgemeinen nationalltbeval-fortschritt- lichen Wahlbündnis kann und wird eS nicht kommen. Dem würden sich, ganz abgesehen von Hessen , wo der Zug nach rechts ja am stärksten ausgeprägt ist, auch die Nationalliberalen in Westfalen und i» Schleswig-Holstein widersetzen, wie schon die Opposition der Fünf im Zentralvorstand deutlich gezeigt hat. Immerhin geht unverkennbar durch die nationalliberale Partei im großen und ganzen der Zug nach links, wie auch die Tatsache beweist, daß der Widerspruch der Jungltberalen gegen die Reichs- Parteileitung immer mehr einer unbedingten Zustimmung und Vertrauensstellung gewichen ist. Man hat auch von irgendeinem jungliberalcn Widerspruch gegen die©assermannschen Ausführungen im Zentralvorstand nichts vernommen. Vielmehr hat derselbe Führer, der noch vor kurzem der entschiedenste Gegner der jungliberalcn Bewegung war, an dieser jetzt allem Anschein nach seine beste Stütze gegenüber den nach recht? strebenden Elementen innerhalb der Partei gefunden. t Möglich, daß in der Sitzung die antiagrarische Basscrmannsche Gefolgschaft das Uebergewicht hatte; aber welchen Wert hat eine solche Zufallsmajorität, zumal in einer Partei, die, wie der Gießener Stichwahlparolenwcchsel von neuem bewiesen hat. kein politisch einheitliches, disziplinierte» Gebilde ist, sondern lediglich ein Ge- mengfel ganz verschiedenartiger örtlicher Gruppen, die nur die gleiche politische Tendenzbezeichnung und die gleiche Prinzipien- lostgkeit verbindet, Wie im Gießener Wahlkampf geschwindelt wurde. In dem nun beendeten Stichwahlkampf im Kreise Gießen haben Antisemiten und Reichsverbändler selbstverständlich auch die blöde Behauptung, daß eS uns gar nicht um die wirkliche Wahrung der Arbeiterinteressen zu tun sei, wiederholt und die ältesten ollen Kamellen sind in der alten Aufmachung wieder auSgeboten worden. Es lohnt wirklich nicht, fich darüber aufzuregen und längst wieder- legte Schwindeleien nochmals zu widerlegen, wenn die Liste unserer angeblichen Sünden nicht durch eine neue Nummer erweitert worden wäre. In dem vom Wahlausschuß der Antisemiten zur Stichwahl herausgegebenen Flugblatt heißt es nämlich: »Die Sozialdemokratie st immte gegen di« Zu- Wendung von vier Millionen Mark an arbeitslos werdende Tabakardeiter." Da diese von den antisemitischen Frechlingen au» den Fingern gesogene Behauptung auch anderwärts wiederholt werden wird, so erscheint eine knappe Richtigstellung an der Hand der ReichStagsdrucksa»en geboten. Die sozialdemokratische Fraktion be- antragte unterm 30. Juni 1009(Reichstagsdrucksache 1627), den arbeitslos werdenden Tabakarbeitern und Arbeiterinnen eine mindestens 600 M. betragende Entschädigung zu zahlen. Dieser An- wag wurde in der Sitzung vom 2. Juli mit 298 gegen 67 Stimmen abgelehnt. Dagegen wurde ein erst am gleichen Tage eingebrachter Antrag Gicsberts mit 341 gegen 12 Stimmen angenommen, der nicht soweit ging, wie der sozialdemokratische Antrag, sondern nur allgemein verlangte, daß den Landesregierungen je nach dem Bedürfnis aus den Einnahmen der Tabaksteuer ent- sprechende Beträge überwiesen werden sollten. Für diesen Antrag haben selbstverständlich auch unsere Partei» genossen gestimmt. Dagegen haben aber außer zehn Konservativen auch die beiden ZentrumSabgeord- neten Schüler und Zehnter votiert. Zur dritten Lesung brachte nun das Zentrum anf Nummer 1688 der Drucksachen einen Antrag ein, wonach die zu leistende Unterstützung auf die Höchstsumme von vier Millionen SNark festgesetzt werden sollte. Gegen diesen Antrag, der leider angenommen wurde, haben unsere Parteigenossen selbstverständlich gestimmt, denn wäre derselbe abgelehnt worden, so würde der in der zweiten Lesung an- genommene Antrag, welcher die Beschränkung auf die vier Millionen und die Verschlechterung, daß die Unterstützung nicht über die ersten zwei Jahre nach dem Inkrafttreten de» Gesetzes auSzu- dehnen sei, nicht enthielt, auch in der dritten Lesung angenommen worden sein. Also, um eine Verschlechterung«ineS be- stehenden Beschlusses zu verhindern, stimmte» uns««
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