Kr. 80. 28. Jahrgang. I StilU i>cs Jotrairls" Klllim Ncksdklt. Dienstag, 4. April IM Reichstag. 162. Sitzung. Montag, den3. Zlpril, vormittags 11 Uhr. Am Bundesratstisch: Mermuth , Dr. Delbrück, V. Kiderlen- Wächter. Dritte Beratung deS Entwurfs eines Reichsbesteuerungsgesetzes. Der Entwurf führt die kommunale Besteuerung der Reichs- betriebe unter bestimmten Bedingungen ein; nach der Fassung in der zweiten Beratung entsteht die Steuerpflicht, wenn die in den Betrieben beschäftigten Arbeiter und Beamten sowie die Witwen und unversorgten Slinder der früher in Reichsbetrieben beschäftigt ge- wesenen Personen mehr als 6 Proz. oder, falls in der Gemeinde weder Truppen- noch Marineteile ihren Standort haben, mehr als 2 Proz. der Zivilbevölkerung ausmachen. Abg. Ahlhorn<Vp.) begründet einen auch von Mitgliedern des Zentrums und der Reichspartei gestellten Antrag, den Prozentsatz auf 8 Proz. heraufzusetzen und die Worte»sowie die Witwen... usw. bis Personen" zu streichen. Reichsschatzsekretär Mermuth bittet ebenfalls, diesen Antrag an- zunehmen, der die Beschlüsse der Kommission wieder herstellt; diese beruhten auf einem Kompromiß, da die Regierungsvorlage verlangte, daß die in Reichsbetrieben beschäftigten Personen 10 Proz. der Zivil- bevölkerung betragen müssen. Würde an den Beschlüssen zweiter Lesung festgehalten, so würden die Verbündeten Regierungen nicht zustimmen können und sich vorbehalten, die Materie erst im nächsten Jahre zu regeln. Abg. Erzberger(Z.) bittet, im Interesse deS Zustandekommens deS Gesetzes, an dem namentlich die ärmeren Gemeivden interessiert seien, dem Kompromitzantrag zuzustimmen. Danzig werde bei dieser Fassung des Gesetzes nichts bekommen; gerade Danzig hat aber auch große Vorteile von seiner Besatzung: wesentlicher sei, daß den kleinen armen Gemeinden geholfen werde. Abg. v. Oldenburg-Januschau(l) bedauert, daß Danzig bei diesem Gesetze leer ausgehen soll.' Nach weiteren unwesentlichen Bemerkungen der Abgg. Becker- Cöln(Z.) und Will(Z.) wird das Gesetz mit dem Antrag Ahlhorn angenommen. Dritte Lesung deS Etats. Abg. Lcdebour sSoz.): Die Generaldiskussion hat den Zweck, die Schlußfolgerungen aus den bisherigen Verhandlungen zu zuhen; ich werde mich dabei auf da« unbedingt Notwendige beschränken. Zuerst möchte ich die inter - cssante Tatsache konstatieren, daß wir uns jetzt bereits innerhalb der- jenigen Zeit befinden, für die der Etat beschlosien werden soll. Das Haus konnte aus den bereits hier wiederholt erörterten Gründen mit der Etatberatung nicht fertig werden, weil die Regierung den Etat zu spät einbringt und weil durch die Hinauszögerung der Beratung in der Budgetkommission das HauS zu spät in die eigent- liche Beratung eintreten konnte. ES herrscht also jetzt eigentlich ein ganz gesetzloser Zustand(Heiterkeit), und eS überrascht mich, daß eine konservative Regierung dem Anarchismus Borschub leistet.(Erneute Heiterkeit.) Die Regierung hat sich darauf Verlasien und leider konnte sie daS mit einem gewissen Recht, daß die Majorität diese? Hauses ihr den Gefallen tun würde, nun wenigstens nach dem 1. April noch alle? rasch durchzupeitschen, damit da« große Publikum nicht merkt, daß wir unS in einem gesetzlosen Zustande befinden.(Zuruf bei der Bolkspartei.) Herr Heckscher, der noch vor wenigen Tagen daS SechStage-Rennen hier so scharf geißelte, hat heut« nichts dagegen einzuwenden. Er sieht mit lächelndem Geficht und einer Blume im Knopfloch ruhig zu.(Große Heiterkeit.) Diese Art der Geschäftsführung, die das Reich in einen anarchischen Zustand gebracht hat, hat von Anfang an über dem Hause gelastet; gleich der erste Redner bei der Etatberatung, Herr Speck, begann damit, er werde sich»angesichts der Geschäftslage deS HauseS" außerordentliche Beschränkung auferlegen.(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) ES sollten Schritte getan werden, um eine besiere gegen den An- archiSmu« gerichtete Geschäftsführung herbeizuführen. Dazu müßte der Reichstag früher einberufen werden(Zustimmung bei den Sozial- demokraten); er brauchte dann nicht sofort mit der Budgetberatung zu beginnen, es könnte, losgelöst von der Budgetberatung, eine all- gemeine politische Debatte über die politischen Fragen stattfinden, etwa in der Form einer Adreßdebatte, und zwischendurch könnten SchwerinStage zur Erledigung wichtiger Anträge eingeschoben werden. Die Budgetberatung würde dann weit bester zur Erledigung aller budgetären Fragen dienen als jetzt.(Sehr richtig I bei den Eozialdemo- kraten.) Daß der gegenwärtige Zustand unhalibar ist, dafür liefert die Kleines feullleton. P. F. Jakubowitfch(Melfchin) si. Am 30 März ist im 51. Lebens- jähre Peter Jakubowitfch gestorben. In ihm wird Rußlands größter politischer Dichter, den es seit Nekrassows Tode besessen, zu Grabe getragen. Als Sprößling einer alten adeligen Familie hatte er sich anfänglich der akademischen Laufbahn gewidmet. Dem reich begabten Jüngling, der mit der höchsten Auszeichnung die philo- logischen Studien an der Petersburger Universität absolvierte, winkten die wissenschaftlichen Erfolge— aber auch der Ruhm des Dichters. Denn schon als Achtzehnjähriger hatte er sich durch seine Verse einen guten dichterischen Namen erworben. Aber er wählte ein anderes Los... Anfang der achtziger Jahre ist er in den ersten Reihen der »Narodnaja Wolja "(.Volkswille"— die politisch-terroristische Orga- nisation der russischen Sozialisten, die Mitte der siebziger Jahre entstand). Das war die Zeit, als sich der Zarismus von der Kata- strophe des 1.(13.) März 1881 bereits erholte und sich anschickte, die letzten Reste der todesmutigen Kämpferschar durch wahnsinnige Verfolgungen zu sprengen. Im Jahre 1884 wurde Jakubowitsch verhastet. Drei volle Jahre dauerte seine Untersuchungshaft in der Petcr-Paulssestung. Endlich wurde das Urteil gefällt. Es lautete aus die Todesstrafe. Drei Wochen ließ man dann den Verurteilten auf die Urteilsbestätigung warten, und nun wurde et zur achtzehn» jührigen Katorga„begnadigt". Die Hölle der sibirischen Katorgagcfängnisse verschlingt den Dichter aus lange Jahre. Erst 1899 kehrt er nach Rußland zurück. wo die Revolution von 190S ihm seine Bürgerrechte wiedergibt. Ungebrochen am Geist, aber mit zerrütteter Gesundheit widmet er sich ganz der literarischen Tätigkeit. Als Redakteur der Zeitschrist ..Nußkoje Vogatslwo", als einer der gelesensten von den zeitgenössi- schen Dichtern, erwirbt er bald eine hervorragende literarische Stellung. Doch das schwere Herzleiden, das Erbe der qualvollen Berbannungszeit, vergiftet die letzten Jahre seines Lebens und läßt die Feder seiner Hand entgleiten, lange bevor all seine Schaffens- keime zur vollen Blüte gelangten. Schon während seines sibirischen Aufenthalts veröffentlichte Jakubowitsch die Skizzen aus dem Gefängnis- und Katorgaleben (deutsch unter dem Titel: L. Melschin , Tagebuchblätter eines sibirischen Sträflings), die sich den berühmten „Memoiren aus einem Totenhause" von Dostojewskis an die Seite stellen lassen. Wenn auch hier die zergliedernde, bis in die unheim- lichsten Tiefen der Verbrecherseele gehende Analyse von Dosto- jewskij fehlt, so wirkt doch das ganze Sittcngcmälde, das wir durch daS seelische Milieu eines echt und tief empfindenden und leidenden Renschen erblicken, als eine erschütternde Tragödie der Verstoßenen, Regierung selbst den Beweis, indem sie noch eine Herbstsession plant. Wenn aber dann der neue Reichstag erst im Januar ge- wählt wird, so stehen wir im nächsten Jahre vor genau derselben Kalamität. Damit soll nicht gesagt sein, daß unS die Wahlen im Januar unangenehm wären. Für uns als Partei ist eS gleichgültig, wann Sie die Wahl machen; wir sind gerüstet» wenn die Wahlen innerhalb 6 Wochen stattfinden, und wir werben noch bester gerüstet sein, wenn sie im Januar sind, um so mehr, als wir fest überzeugt sind, daß die kommende Tätigkeit des Hauses und die Aktionen der Reichsregierung uns wiederum reichlichen Stoff für die Agitation liefern werden. Neben dieser früheren Einberufung des Reichstages müßte eventuell auch eine längere Ausdehnung der Session gehen, um die Geschäfte gründlich zu erledigen, und dazu wäre selbstverständlich eine Acndcrung des gegenwärtigen Diätcngcsetzes notwendig, die Sie jetzt, wie ich höre, für die Herbstsession planen. Wenn daran ge- gangen wird, muß das Diätengesetz von allen seinen Mängeln befreit und auf die Grundlage wirklicher Anweienheitsgelder gestellt werden. an Stelle dieses ShstemS der Taufend-Mark-Prämien am Schluß der Session für möglichste Durchpeitschung der letzten Arbeiten. Darüber wird seinerzeit mehr zu sagen sein. Eine Frage, die augenblicklich wichtiger ist, ist die Stichwahlfrage. Vor einigen Tagen haben sich die Nationalliberalen und Kon- serbativen die erbittertsten Vorwürfe gemacht. Wenn ich mich bloß auf unseren sozialdemokratischrn Parteistandpunkt stellen wollte, könnte ich sagen: Wir haben das mit großer Gemütsruhe angehört.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Aber objektiv, wie wir sind, (Lachen rechts und bei den Nationalliberalen.) kann ich Ihnen sagen: Sie haben sich eigentlich gegenseitig bis zu einem gewissen Grade unrecht getan, besonders in bezug darauf, daß Sie sich gegenseitig vorwerfen, in den Stichwahlen hätten da oder dort die Konservativen oder Nationalliberalen oder Freisinnigen für einen Sozialdemokraten gestimmt. DaS war eine Anwandlung überlegener politischer Klugheit bei Ihnen.(Sehr gut! bei den Sozialdemo- kraten.) Also zu gegenseitigen Vorwürfen haben Sie keinen Grund. Aber in einem Punkte stimme ich mit Ihnen überein: Stichwahlen sind ein Nebel für alle Parteien, und daher rührt eS. daß alle Parteien dabei einen bitteren Geschmack im Munde bekommen. Bei der Stichwahl muß man ein sogenanntes kleineres Uebel wählen. Am wenigsten leiden wir Sozialdemokraten darunter. Wir können uns am leichtesten entscheiden, weil wir nur nach einer Richtung zu urteilen haben, und da entscheiden wir uns immer für diejenige Partei, die in den gegebenen politischen Kämpfen mit uns noch am entschiedensten Opposition macht. (Sehr richtig I bei den Sozial- demokraten.) Aus dem Grunde konnten wir 1907 zum großen Teil für das Zentrum stimmen. DaS hat nun aufgehört.(Große Heiterkeit.) Mit der Oppositionslust der Herren vom Zentrum ist eS längst Matthäi am Letzten. (Große Heiterkeit.) Charaftervollere Oppositionsleute Ihrer Partei wie die Herren Dr. Heim und Häußler, sind rücksichtslos in die Ecke gequetscht worden, und die wandlungssähigeren Schlangen- menschen(Heiterkeit) gefallen sich in der Rolle. daS RegieruagS- mundstück zu spielen. Also mit Ihnen ist es vorläufig alle für uns (Große Heiterkeit. Zurufe von den Nationalliberalen: Vorläufig I) und ob die Zeit wiederkommen wird, weiß ich nicht. Aber trauen Sie nicht zu sehr auf die Gunst der Regierung: Hirtenknabe. Hirten- knabe, Dir auch fingt man dort einmall— wie jetzt den Liberalen. Auch die Konservativen sind relativ wemg durch Stichwahlen bedrängt. Am meisten leiden darunter die Mittel« Parteien und besonders diejenige mittlere Mittelpartei dieses Hauses, bei der das Mittelmaß gewistermaßen Charakter- eigenschaft ist, die Nationalliberalen.(Heiterkeit.) ES war wirklich mitleiderregend, als wir hier vor einigen Tagen den Herrn Abg. Fuhrmann sich in Stichwahlwehen winden sahen.(Stürmische Heiterkeit.) Er hatte die schwierige Aufgabe übernommen, sich die Stichwahlunterstützung der Konservativen zu sichern, wenn er mit dem Sozialdemokraten in Stichwahl kommt, und die Stichwahl Wahlunterstützung der Sozialdemokraten, wenn er es mit dem Kon- servativen oder Zentrum zu tun hat.(Widerspruch bei den National- liberalen.) Wenn Herr Fuhrmann jetzt widerspricht, so er- innere ich ihn an folgendes. Zuerst haben Sie mit dem Pathos des Pattioten auf die empfindsamen Herzen der Konservativen wirkend erklärt, daß Sie immer Ihre nationale Pflicht gegen die Sozialdemokraten erfüllt hätten.(Sehr richtig I bei den Nationalliberalen.) Gewiß, Sehr richtig I Sie haben ja da eine Probe in Gießen geliefert, die nicht zu über- treffen ist.(Lebhafte Zustimmung bei den Nationalliberalen.) Nach- dem der gegenwärtige Herr Abgeordnete Ihnen eine Qualifikation erteilt hatte, die ich hier nicht wiederholen möchte(Heiterkeit), haben die unter der Sündenlast der heutigen Gesellschaft zusammen gebrochen sind. Dauern aber wird vor allem MelschinS politische Lyrik. In dieser Lyrik spiegelt sich die Psychologie der russischen revolutionären Intelligenz der 70er Jahre, die den Riesen Volk durch die sozia- listische Propaganda auS seinem Schlaf vergebens aufzurütteln suchte, und dann den verzweifelten Versuch unternahm, die Mauern des Zarismus durch Dynamit zu sprengen. Als die schwarze Nacht der Reaktion hereinbrach, tönte sein Lied den„verlorenen Posten in dem Freiheitskriege", die zwar die Hoffnung auf den baldigen Sieg, nicht aber ihren alten Kampfesmut aufgaben. So bleibt diese Lyrik, trotz ihres politischen Charakters, eine Lyrik der heroi- schen Individualität, die ihr alles— persönliches Wohl, Ehre, Leben— auf dem Altar der Freiheit opfert. Es sind nicht die schwungvollen Akkorde der Freiligrathschen Dichtung, das Erzittern der Erde unter dem eisernen Tritt der empörten Massen, die unS aus dieser Lyrik entgegentönen. Es ist die Kampfansage deS Helden, der die Schmach des gflnechteten Volkes noch tiefer, noch schmerz- voller als seine eigene empfindet. Und wenn die rohen Mächte der Gewalt ihn erdrücken und überwinden, so glauben wir aus seinen Versen den Klang der Ketten zu vernehmen, die der Dichter so lange getragen.... Aus dem Leben der Frau Curie . Die Entoeckung des Radiums. die Frau Sklodowska Curie zusammen mit ihrem Manne ge- lungen ist, hat den Namen dieser Frau, die eine der glänzendsten Gestalten der modernen Wissenschaft ist, über die ganze Welt hin getragen. Aber von ihrer Persönlichkeit und ihrem EntwickelungS- gange ist wenig in die Oefsentlichkeit gedrungen. Erst in jüngster Zeit haben sich bei Gelegenheit der Kandidatur von Madame Curie für die französische Akademie der Wissenschaften die französischen Blätter eingehend mit ihr beschäftigt. Diese Frau, die durch ihr» Lehrstcllung an der Sorbonne und ihre Forschungen auf dem Ge- biet der Radiumkunde in der wissenschaftlichen Welt an erster Stelle steht, führt ein Leben in völliger Zurückgczogenheit. Seit ihr Mann durch einen tragischen Unglücksfall ihr entrissen wurde, verbringt sie ihre wenigen freien Stunden nur noch mit ihren Kindern und in ihrem Haushalt. Die große Gelehrtin ist auch eine gute Mutter. Marie Sklodowska ha� in ihrer Jugend in der Heimat all die Qualen einer armen uii? unterdrückten Menschenklasse kennen ge- lernt. Ihr Vater war ein verarmter Lehrer, und sie mußte bald sehen, ihr Brot selbst zu verdienen. So wurde sie denn in Ruß- tand Gouvernante und hatte die Töchter eines Edelmannes zu unterrichten. Ihr Herz war leidenschaftlich erglüht für die revo- lutionäre Bewegung; sie war die einzige Idee, der diese scheinbar so temperamentlose Polin ihre Kräfte weihte, bevor die Wissen- schaft an Stelle der Politik trat. Bei einer der vielen Unter- suchungen gegen die Revolutionäre wird schließlich auch ihr Name Sie den Mann in den Reichstag gewählt. Das war eine Vrobe auf nationale Gesinnung, die sich nicht überbieten läßt.(Lebhaftes Sehr wahr I bei den Nationalliberalen.) Aber als späterhin von der Möglichkeit einer Unterstützung der Sozialdemokratie bei der Stich- wähl die Rede war, sagte Herr Fuhrmann: Bielleicht kann es auch noch dahin kommen. Man will es also auch mit den Sozialdemo- kraten nicht verderben. Die Stichwahlen sind ein Uebel, aber sie sind kein notwendiges Uebel. Sie sind eine Folge unseres Wahlverfahrens, aber das Wahlverfahren kann geändert werden. Wir können die Stichwahlen beteitigen, wenn wir das Proportionalwahlvcrfahren einführen.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Ein Proportionalwohlverfahren sür das ganze Reich würde ich freilich für absolut unzwcck- mäßig halten. Eine Liste von 400 Leuten kann man nicht wählen. Das hieße die Aufstellung der Kandidaten in die Hände einer kleinen Koterie legen. Aber man kann mehrköpfige Wahlkreise, sagen wir von fünf Abgeordneten bilden, wo dann durch das Proportionalwahlversahren die Hauptparieien berücksichtigt werden können. Dadurch würde uns auch die Unannehmlichkeit er- spart bleiben, daß sich bei dem Listenskrutinium über das ganze Reich allerhand Ouerkopfparteien bilden, wir wollen einmal sagen, eine Partei der Kurpfuscher(Heiterkeit), eine Partei der Lotterie- spekulanten usw. Es würde dann wünschenswert sein, die Zahl der Abgeordneten ein für allemal sagen wir auf 400 festzulegen, aus rein praktischen Gründen, weil sich ein Sitzungssaal nicht wie eine Gummistrippe nach Belieben erweitern läßt und auch 400 Leute vollkommen ausreichen, um parlamentarische Geschäfte dauernd zu erledigen. Die Verteilung der Sitze müßte je nach der Volkszählung auf die festgesetzten Wahlkreise alle ö oder 10 Jahre neu vorgenommen werden. Damit würde das schreiende Unrecht fortfallen, das jetzt besteht, daß wir unsere Wahlkreiseinteilung aus Grund der Volkszählung von 1864 haben. Der gegenwärtige Zu« stand widerspricht direkt der Reichsverfassung, denn in ihr steht aus« drücklich, daß auf 100 000 Einwohner ein Abgeordneter zu wählen ist. Planmäßig und systematisch läßt die Regierung diese Be- stimmung der Verfassung außer acht(Sehr wahr I bei den Soziald.), und zwar aus Parteirücksichten, weil sie eine engherzige konservative Parteiregierung ist, weil die konservative Partei bei dem gegen- wärtigen Zustande die besten Geschäfte macht.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Noch ein Wort zur Stichwahlfrage. Hierüber muß volle Klarheit bestehen, damit nicht Herren wie der Abg. Naumann im vorigen Jahre sich Illusionen darüber hingeben, daß wir, um das, was Sie eine falsche Stichwahl nennen, zu vermeiden, etwa auf die Ausstellung eigener Kandidaten verzichten würden. Das kann nicht geschehen. Wir müssen dir Stimmzählung vornehmen, die sür uns ungeheuer wichtig ,ft.(Zuruf links: DaS läßt sich nicht machen l) Gewiß, da« läßt sich machen, wie es z. B. das Zentrum in Tutt- fingen gemacht hat, wo es zwei Kandidaten aufstellte, weil eS sich sagte: wenn wir in die Sttchwahl kommen, fallen wir durch, deshalb wollen wir lieber noch einen anderen Kandidaten haben. Die Liberalen empfahlen uns dieses Beispiel und sagten, eS sei außer« ordentlich staatsmännisch und praktisch. Es besteht aber ein fundamentaler Unterschied i» den Parteien. Unsere Rekrutierung ist nicht wie die des Zentrum» an eine konfessionelle Schranke gebunden, sie erfolgt auf dem Felde der Pro« letarier aller Bekenntnisse und aller Schichten. Wir würden Toren sein, wenn wir unS durch irgend welche Gegenwartsrücksichten leiten ließen. ES wäre auch eine ganz falsche Kattulation. Wären wir z. B. in Ueckermünde -Wollin dem klugen liberalen Rat gefolgt, dann hätten wir jetzt einen Freisinnigen statt meines Freundes Kunze im Reichstage.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Vorläufig entscheiden wir unsere Wahltaktik noch nach unserem Interesse. Wir würden selbst in dem Falle, wo die Wahl eines unserer Partei- genossen noch unwahrscheinlicher wäre, nicht anders handeln und auf den Versuch, unseren Kandidaten durchzubringen, nicht verzichten, weil jede Wahl uns nicht nur für den Augenblickserfolg gilt, sondern eine Etappe für künftige Wahlerfolge ist. Wir werden uns niemals die Zukunft in einem Wahlkreise selber abgraben. Wenn Sie(zu den Freisinnigen) aus eigener Kraft in die Stichwahl kommen und wir zurückbleiben, dann können Sie. dessen versichere ich Sie. jederzeit mit Sicherheit auf unsere Unterstützung rechnen. Wir hoffen, daß Sie auch uns unterstützen werden, und ich will ausdrücklich erklären, daß das Verhalten der freisinnigen Partei bei der Stichwahl in Gießen uns gegenüber durchaus einwandfrei gewesen ist. Wir haben keine Ver« anlaffung, Ihnen irgend«inen Vorwurf zu machen.(Abg. Nau« mann: Was schreibt der.Vorwärts"?) DaS war, glaube ich. nur ein falscher Ausdruck, es sollte gegen die Nationalliberalen genannt; ihr Leben ist in Gefahr, sie entflieht in Verkleidung auS Rußland und hungert sich nach Paris durch. Als Marie in Paris ankam, besaß sie nur 50 Frank. Lange Hungerjahre folgten. Sie haben vielleicht ihre Gestalt so ausgetrocknet. Als sie sich wieder bessere Nahrung gönnen konnte, mußte sie sich erst langsam an den Geschmack von Wein und Fleisch gewöhnen. In Paris erwachte ihre Leidenschaft für die Naturwissenschaften und besonders für die Chemie, mit der sie sich schon früher am liebsten beschäftigt hatte. Ihr ganzes Streben war darauf gerichtet, in einem Labora- torium arbeiten zu dürfen. Aber wer wollte das mittellose, unbe- kannte Mädchen aufnehmen? Schließlich wurde sie in einem Laboratorium, in dem damals Prof. Lippmann Untersuchungen an- stellte, zum Heizen des Ofens und Reinigen von Flaschen angestellt. Hier erkannte man bald ihre außerordentliche Begabung, die sich in kleinen Handreichungen, beim zufälligen Vertreten von Assisten- ten äußerte, und nach einer Woche war bereits Prof. Lippmann auf sie aufmerksam geworden. Er interessierte sich für �ie geniale Autodidaktin, nahm sich ihrer an und brachte sie auch mit einem seiner bedeutendsten Schüler in Verbindung, einem jungen Manne namens Pierre Curie . Der Enthusiasmus für die Chemie führte die beiden zusammen, jahrelang arbeiteten sie nun Seite an Seite, und Pierre wurde der unzertrennliche Gefährte der jungen Polin, um deren Hand er schließlich anhielt. Lange mutzten die Braut- leute warten, denn beide waren blutarm, aber schließlich kam doch die Heirat zustande. Zwei Kinder wurden geboren, und dann kam die große, gewaltige Entdeckung des Radiums, die den Namen des Ehepaares Curje mjt einem Schlage unsterblich machte, Notizen. Vorträge. Einen Lichtbilder- Vortrag über die Mark Brandenburg veranstaltet die Zeitschrift„Die Mark" am Mittwoch, 5. April, im Dresdener Kasino, Dresdener Str. 96. Der Lauf der Havel von Zehdenick über Spandau , Potsdam , Werder nach Brandenburg und weiter wird in künstlerisch kolorierten Lichtbildern vorgeführt; daran schließt sich eine Betrachtung der A l t m a r k mit ihren alten Baudenkmälern. — Walter L e i st i k o w, der Maler der märkischen Land». schaft, soll in der Gemeinde Grunewald einen Denkstein erhalten. — Der konfiszierte„P a n". Die letzte Nummer der Zeitschrift„Pan"(Nr. 11) ist auf Antrag des Amtsgerichts Berlin- Mitte konfisziert worden. Den Anlaß dazu hat ein Artikel Herbert Eulenburgs geliefert. Sein„Brief eines Vaters unserer Zeit" schildert in der Tat das feudale deutsche Studententum, wie es ist. Dergleichen untergräbt na-türlich den Respekt vor der angestammten Obrigkeitsschicht. Man verbietet es daher besser, zumal wenn sich dieser„Pan" auch noch herausnahm, ein Porträt von Adolf Hoff- mann, als„dem schlagfertigsten deutschen Abgeordneten", nach einer Zeichnung L. CorinthS zu bringen,
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