Politik deS Kulturfortschritts'werden wir auf allen Lebensgebieten weiter treiben, und wenn Sieversuchen sollten, eine Unterdriickungspoliti! zu inszenieren, statt denruhigen, geordneten Fortschritt zu besördern, dann werden Siewiederum das Umgekehrte erreichen: dann sprengt die EntWickelungdie Bande, die Schranken, den Kerker, in den Sie sie hineinziehenwollen, nnd Sie werden nur um so früher den Sozialismus überdas System des Kapitalismus ttliimphicreu sehen.(Lebhafter Beifallbei den Sozialdemokraten,)Hiermit schließt die Generaldiskussion.Abg. Dr. Werncr-Gießen(Ant.) versucht im Rahmen einer per-sönlichen Bemerkung eine lange Rede über sein BerhältniS zu denRatio ii alliberalen zu halten.Präsident Graf Schwerin-Löwitz unterbricht ihn unter zu-nehmender Heiterkeit des Hauses, besonders der Linken, S— ö Mal.Endlich gibt Dr. Werner seine Absicht auf und verläßt unterschallendem Gelächter die Rednertribüne, die er, mtt einem dickenAltenbündel bewaffnet, bestiegen hat.Es beginnt die SpezialdiSkussion.Die Etats des Reichstags und deS ReichskanzlersVerden debattelos bewilligt.Beim Etat des Auswärtigen AmtS begründetAbg. Oeser(Vp.) eine Resolution auf Einstellung eines Fondsin den nächstjährigen Etat, aus dem die amtliche Korrespondenz derGeneralkonsulate und Konsulate mit Privaten bestritten werden soll.Abg. Hormaim-Bremen(Vp.): Der Abgeordnete David hateine Darstellung von de» Vorfällen mit den österreichischenDurchreisenden gegeben, die zwar der Sache nach richtig war,an die er jedoch falsche Schlußfolgerungen geknüpft hat. Es gehtnicht an, zu behauplen, daß die Polizeibehörden mit den Schiffahrts-geiellschaften in Verbindung stehen und ihnen fremde Auswandererzutreiben. Solche Pflichtwidrigkeiten lasten sich unsere Behördennicht zuschulden kommen, wenn auch wohleinmal Ver-st ö ß e v o r k o m m e n. In bezug auf die österreichischen Aus-Wanderer find die gesetzlichen Borschriften streng befolgt worden.Man soll doch die Tribüne des Reichstags nicht benutzen, umdeutsche Institutionen zu diskreditieren.(Beifall rechts. Heiterkeitbei den Sozialdemokraten.)Abg. Dr. David(Soz.):Selten hat eine Ausführung mich in größeres Erstaunenverfetzt, als die Ausführungen des Abgeordneten H o r m a n n. Ichhabe Fälle angeführt, in denen österreichische Staats-angehörige an der holländischen Grenze zurückgehalten, nachBingerbrück zur Station deS Norddeutschen Lloyd gebracht und ängstlich untersucht wurden, und dann, al- sie sichweigerten, über Bremen und mit einer Schiffskarte des Nord-deutschen Lloyd zu fahren, nach Oesterreich zurückgebracht wurden.Herr H o r m a n n sagte, das Verfahren entspreche den gesetzlichenBestimmungen und sei durchaus korrekt, und das Vortragen dieserDinge so geeignet, Deutschlands Ansehen zu diskreditieren. Wennetwas Deutschland diskreditieren kann, so ist eSder Versuch, diese skandalösen Fälle zn rechtfertigen.Entspräche dieS Verfahren wirklich den gesetzlichen Be-stimmungcn, so wäre das für Deutschland eine Situation, deren essich vor der ganzen zivilisierten Welt zu schäme« hätte.(LebhaftesSehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Herr Hormann hat sichauf das Aubwanderergesetz berufen. Aber in diesem Gesetz ist keinAnhaltspunkt für dieses Vorgehen vorhanden, dann aberhandelte eS sich gar nicht um Auswanderer, sondern um Durch-reisende. Man brachte die Leute vom Rheine ander holländischen Grenze gewaltsam per Schub zu derKontrollstanon des Norddeutschen Lloyd in Bingerbrück.untersuchte sie dort ärzllich, sie lourden gesund befunden, und nunverlangte man von den Leuten, die ihr Billett Wien-London überRotterdam in der Tasche hatten, sie sollten über Bremen und vondort mit einer Schiffskarte des Norddeutschen Lloyd fahren. Da dieLeute daS nicht wollten— sie konnten eS auch gar nicht mehr, ihrGeld reichte nicht mehr dazu aus,— brachte man sie nach derösterreichischen Grenze zurück, und zwar auf ihre Kosteneinschließlich der Kosten für die begleitenden Polizeibeamten. HerrHormann fiihrte auch sanitäre Gründe an, Auswanderer könnten Krank«Helten einschleppen. Abgesehen davon, daß eS sich nicht um Auswandererhandelt, sondern um Durchreisende, mußte man dann doch die Leutebeim Eintritt in dos Reich untersuchen, nicht aber siezurückhalten, wenn sie die Grenze verlassen wollen.(Sehr richtig!bei den Sozialdemokraten.) Herr Hormann spricht von den gesetz«lichen Bestimmungen. Die Fälle liegen so skandalös, es Handellsich umFreiheitsenizithung und Geldbcraubung,daß sie durch keine Gesetze gerechtfertigt werden können. Sie erklärensich daraus, daß die großen Schiffsgesellschaften mit Hilfe der Polizeiversuchen, jeden Durchreisenden, der mit dem Personenzug fährt,und von dem sie glauben, er könne sich nicht wehren, für ihreRouten zu pressen suchen, und die P o l i z e i— daS ist dasSkandalöse dabei— leistet hierzu Hei scrsdicnste(Sehr richtig I b. d. Soz.)Da diese Vorgänge unsere auswärtigen Beziehungen berühren, sohabe ich sie vorgetragen, damit der Staatssekretär des Auswärtigensolche Fälle verhindert. Ferner existiert ein deutsch- österreichischesAbkommen vom Jabre IbOS. wonach beide Staaten sich verpflichten,ihren gegenseitigen Angehörigen, die durch das Gebiet des anderenauswandern wollen, keine Schwierigkeiten in den Weg zu legen.Dadurch ist die Sache keine preußische, sondern eine deutsche, um-soniehr, als sie daö Ansehen Deutschlands in der ganzen Weltschädigen muß.(Lebhaftes Sehr richtig I bei den Sozialdemo-Katen.)StaaiSsekeKetär deS Auswärtigen v. Sidcrlen-Wächter: Ich be-tone nochmals im Namen des Reichskanzlers, daß die Fremden-Polizei ausschließlich Sache der Bundesstaaten ist. Mit den an-geführten Fällen bin ich durch den österreichisch-ungarischen Bot-sckaster befaßt worden. Bei dem von dem Abg. David erwähntenAbkommen von 1905 handelte es sich um ganz etwa? anderes, da-mals wollte Ungarn seine Auswanderer nicht über deutsche Häfenreiten lassen. Wir haben uns an den preußischen Minister des«tmnern gewandt und die Auskunft erhalten, daß die betreffendenReisenden ausschließlich nach den gellenden Bestimmungen behandeltseien. Die betreffenden Reisenden sind ja außerordentlichhart betroffen worden, aber sie haben eS sich selbstzuzuschreiben, denn sie haben sich selbst als Auswanderer bezeichnet.Es wird jetzt geprüft, wie solche Härten zu vermeiden sind. Aberunkere Bestimmungen für Aus- und Durchwanderer aus fremdenStaaten sind lediglich hervorgerufen durch ein Gebot der Notwehr,so lange werden Staaten die allerstrengsten Gesetze über Ein-Wanderer haben.Abg. Hormann(Vp.):$Jch muß die Behauptung de? Abg. Davidzurückweisen, daß die großen Schiffsgesellschaften und die Polizeisich in die Hände arbeiten.„.Abg. Dave(Vp.): Die angeführten Fälle beweisen, wie not-wendig eS ist. die Fremdenpolizei reichsgesetzlich zu regeln.(Zustimmung bei der Volkspartei.)Abg. Dr. Arendt(Rp.>: Als Dr. David in der zweiten Lesungden Fall vortrug, erschien er mir so ungeheuerlich, daß ichmir sagte, er kann unmöglich wahr sein. Aber nach der Art, wieHerr Hormann den Fall behandelt hat. und nach der Erklärmigdes Staatssekretärs scheint er doch im wesentlich richtig zusein. Dann aber liegt ein so schwerer Mißgriff— allerdings wohlvon untergeordneten Beamten— vor. daß es dringend geboten er-scheint, den Fall weiter aufzuklären und dann mit aller Strengegegen diejenigen vorzugehen, die sich vergangen haben. Man sagt,der Mann habe sich selbst als Auswanderer bezeichnet. Ich weißnicht, wie ein Reisender mit einem Billett Wieii— London in derTasche Gelegenheit hat. sich als Auswanderer vorzustellen.(Sehrwahr l bei den Sozialdemokraten.) Ich glaube nicht, daß eS richtigist, dieftn Fag zu verallgemeiner»; jedenfalls werde ich Gelegenheitnrhinen, ihn auch im p r e uß i s ch en A b g e 0 rd ne ten h a u s ezur Sprache zu bringen.Abg. Dr. David(Soz.):ES handelt sich nicht um einen Fall, sondern um zwei, diegenau gleich verlaufen sind: das beweist, baß es sich hierum ein System handelt. Der preußische Mintster des Innern hat ldem Staatsselretär gesagt, die Leute hätten sich selbst als Aus-Wanderer bezeichnet. Diesen Strohhalm hat schon derAbg. Arendtzerkaut.(Heiterkeit.) Herrn Hormanns Rede ist mir ganz unver-ständlich.(Abg. Scheidemann(Soz.): Es tut ihm Lloyd!)(Heiter-kell.) Er spricht von gesetzlicher Bestimmung.Ist denn eine Verordnung des preußischen Ministers Gesetz?Wenn sie den gesetzlichen Bestimmungen nicht entspricht, ist sie u n-gesetzlich.(Lebhafte Zustimmung� Wir kennen die Verordnungrecht gut, ivir halten sie für ungesetzlich, und an den vorgetragenenFällen zeigt sich, wie ungeheuerlich sie ausgeführt wird. Hoffentlichsind die Fälle nicht umsonst vorgetragen.Staatssekretär v. Kiderlm-Wächter: Für mich ist die Sachedurch meine Mitteilung an den österreichisch-ungarischen Botschaftererledigt.Abg. Hormann(Vp.): Ich weise nochmals den Vorwurf, daßPolizei und Schiffsgesellschasten sich in die Hände arbeiten, also denVorwurf der Korruption zurück.Abg. Dave(Vp.): Die Sache ist keineswegs erledigt.wenn sie zwischen dem österreichisch-ungarischen Botschafter und demStaatssekretär erledigt ist; der Staatssekretär ist auch uns gegen-über verantwortlich.Abg. Dr. David(Soz.):Eine Verallgemeinerung liegt lediglich in den Ausführungendes Abg. H 0 r m a n n, der behauptet, das Vorgehen entspreche dengesetzlichen Bestimmungen. Dem Staatssekretär v. Kiderlen-Wächterkann ich nur sagen, er ist ein sehr schlechter Wächter des Reiches.(Heiterkeit.)Abg. Prinz zu Schönaich-Carolath(natl.) dankt der Regierung.daß sie einen Bettag zur Unterstützung der interparlamentarischenUnion, also der allgemeinen Schiedsgerichtsbewegung, in den Etateingestellt hat. Darin liege eine Anerlennung der Schiedsgerichts-bewegung. für die der Reichskanzler wohl etwas wärmere Töne hättefinden können.Abg. Sttesemann(natl) befürwortet die Resolution Ablaß fürGewährung der Portolosten an die Konsulate.Die Resolution Ablaß wird angenommen.Abg. Everling(natl.) polemisiert gegen den Abg. Kohl, der inder zweiten Lesung eine Unterstützung deutscher Schulen im Aus-lande über die Zunicksetzung der Katholiken beklagt und damitkonfessionelle Gesichtspunkte in diese nationale Sachehineingetragen habe.Abgg. Kohl(Z.), Pichler(Z.) weisen diesen Vorwurf zurück.Abg. Schräder(Vp.) schließt sich dem Abg. Everling an.Abg. Erzberger(Z.) behauptet, daß gerade Everling stetskonfessionelle Punkte in die Debatte bringe und wirst demAbg. Schräder vor, Freimaurer zu sein.(Heiterkeit.)Abg. Ledeionr(Soz.):Ein russischer Untertan.(Heiterkeit und Zuruf: Untertan?) Wennman von Ruhland spricht, kommt einem das Wort.Untertan" sehr leichtin den Mund, ich will aber das korrektere Wort.Staatsbürger"gebrauchen. Also ein Russe namens Montag, der hier 43 Jahrelang als Kaufmann ansässig war, ist, wie er mir schreibt, ganz Plötz-lich nicht nur ausgewiesen, sonder» au die rnssischeu Behörden aus-geliefert worden. Nähere Angaben habe ich nicht erhalten können.Ich stelle an den Staatssekretär die Frage, ob der Mann inWirklichkeit ausgeliefert ist? Und wenn dies der Fall, aus welchemGrunde?Staatssekretär v. Sidcrlen-Wächter: Der Herr Montag ist a u S-gewiesen worden. Er bewegte sich immer zwischen Ruß-land und hier hin und her und führte auch sonst ein be-wegteS Leben. Er bedrohte feine Frau mit dem Revolver und istauf Ersuchen des Amtsrichters ausgewiesen worden.Ledrbour(Soz.):Der Mann behauptet, ausgeliefert zu sein an die russi-schen Behörden, die ihn sofort ins Gefängnis in Kalisch warfen.Ter Staatssekretär sagt, es liege nur eine Ausweisung vor, wiekommt es denn, daß der Mann dann nach Kaiisch gebracht wurde?Wir wissen, daß es in Dutzenden von Fällen vorgekommen ist, daßman unter dem Vorwande einer Ausweisung die Leute an dieGrenze gebracht und der russischen Polizei übergebenhat. Der Staatssekretär kennt derartige Fälle offenbar nicht,weil er damals in Bukarest war. Er soll sich also nicht mit derAuskunft des Polizeipräsidenten v. I a g 0 w begnügen, auf die hiner wohl gesagt hat:„da kann ich ja den Sozialdemokraten eine ganzgehörige schnoddrige Antwort geben".Vizepräsident Schultz: Dieser Ausdruck ist ganz ungehörig.Abg. Ledebour(fortfahrend): Es muß festgestellt werden, obdie preußische Polizei hier ihre Hand im Spiele hatte, um denMann der russischen Polizei in die Hände zu liefern. Dazu warsie unter keinen Umständen berechtigt. Wenn derMann hier etwas getan hat, so war er hier vor Gericht zustellen.(Redner wird mehrfach durch Gelächter der Rechten unter-krochen.) Daß Sie als Gesetzgeber bei dem Verlangen der Fest-stellung einer Gesetzesverletzung nichts als ein blödes Gelächterhaben, ist bezeichnend für Sie und Ihre Auffassung von der Würdedes Reichstages.(Lebhafte Zustimmung links.)Staatssekretär v. Kiderlen-Wächter: Ich habe die amtlicheAuskunft gegeben, daß der Mann ausgewiesen ist und damit müssenSie sich beruhigen.(Lebhaftes Oho! links.)Abg. Gothein(Vp.): Die Sache ist so ernst, daß man sich damitnicht beruhigen kann. Wir haben hier das Interesse, dasAnsehen des Deutschen Reiches und Reichstags zu wahren. Dasverlangt, daß das Reich sich nicht zu Schergen-Dienstenhergibt.(Lebhafte Zustimmung links.) Die Form der Aus-Weisung kann man aufrecht erhalten und doch eine Auslieferungvornehmen. Das Entscheidende ist, ob der Mann freiwillig an dierussische Grenze gegangen ist. und darüber haben wir keine Aus-kunft erhalten und haben daS Recht, sie zu verlangen.(GroßeUnruhe rechts.)Abg. Ledebour(Soz.):Der mir absolut unbekannte Mann hat mir aus dem G.efäng-nis in Kalisch geschrieben, er sei ausgeliefert worden. Erversteht offenbar nicht den Unterschied zwischen einer zwangs-weisen Ausweisung über die russische Grenze und einer Ausliefe-rung. Rechtlich gibt es auch nicht eine zwangsweise Ausweisung.äber es ist ein Skandal, daß sie tatsächlich vorkommt.(Tierlaute bei den Junkern.) Wahrscheinlich handelt essich um eine markierte Ausweisung, zu der der Polizeipräsidentv. I a g 0 w kein Recht hatte. Wenn der Staatssekretär nicht ge-nügend informiert ist, so kann er das durch Benutzung des Tele-phonS in so kurzer Zeit sein, daß er die Auskunft geben kann, nochbevor sein Etat erledigt ist.(Lebhafte Zustimmung links.)Staatssekretär v. Kiderlen-Wächter: Ich wiederhole, es istnicht eine Auslieferung erfolgt, sondern es hat eine Ausweisungstattgefunden, und zwar nicht von Polizei wegen, sondern auf An-Weisung des Vormundschaftsrichters. �(Hört! hört! rechts.) DerMann wird von dem Richter als ein gemeingefährlicher Menschbezeichnet und es wird verlangt, das Polizeipräsidiumsolle ihn sofort an die Grenze befördern.(Bravo!rechts. Lebhaftes Hört! hört! links.) Ein solcher Mann hätteeine Aufforderung, gefälligst abzureisen, doch nicht befolgt, da bleibtdoch nichts übrig, als ihn an die Grenze zu bringen.(Zustimmungrechts. Widerspruch links.)Abg. Frhr. v. Gamp-Massaunen(Rp.): Wenn man Beschwerdenvorbringt, muß man sich vorher genügend informieren. Das hatder Kollege D a v i d in dem Falle, den er vortrug, getan, der KollegeLedebour aber nicht.(Heiterkeit und Widerspruch bei denSozialdemokraten.) Uebcr das Mißtrauensvotum deS Herrn Ledebour wird sich der Staatssekretär wohl trösten können.(Bravo!rechts.)Abg. Ledcbiur(Soz.):Daß Herr G a m p und Herr v. Kiderlen-Wächter der-selben Meinung über die Rechte der Ausländer in Deutschlandsind, glaube ich schon.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.)Immer bleibt die Frage: warum wurde der Mann nach der r u s s i-j ch e n Grenze gebracht�(Sehr wshrl linkst Was meine Jvfor,mationen betrifft, so habe ich eine Menge Material; Aenn ich esnicht vorgebracht habe, so in Rücksicht darauf, daß der Reichstagheute oder morgen seine Debatte schließt. Ueber solche Vorgänge,wie den Fall Montag, zu Gericht zu sitzen, ist eine Ehrenpflicht desReichstags und der Abg. v. Gamp sollte soviel parlamentarischesEhr- und Anstandsgefühl besitzen, nicht Kollegen einem Vor-Wurf zu machen, die dafür sorgen, daß der Reichstag dieffe Auf-gäbe erfüllt.(Lebhaste Zustimmung bei den Sozialdemokraten.Lärm und Unruhe rechts. Glocke des Präsidenten.)Vizepräsident Dr. Schultz ruft den Reoner zur Ordnung.(Stür-Mischer lärmender Beifall rechts. Zuruf: Der zweite Ordnungsruf.)Abg. Gothein(Vp., von der Rechten mit wütendem Lärmempfangen): Wenn der Staatssekretär gleich im Anfang dieLiebenswürdigkeit gehabt hätte, sich etwas ausführlicher zu äußern,so hätte diese Debatte nicht diesen Umfang angenommen.(Sehrwahr! links.)Die Debatte schließt. Der Etat des AuswärtigenAmte» wird bewilligt.Es folgt der Etat des Reichsamts des Inner«»»Abg. Hengsbach(Soz.)begründet eine sozialdemokratische Resolution auf Ergänzung derBundesratsverordnung betr. den Betrieb der Anlagen derGroßeisenindustrie. Wir erheben folgende Forderungen:Erstens muß die Dauer der täglichen Arbeitszeit im allgemeinenfestgesetzt werden. Zweitens ist für die in den Feuerbrtmbrn beschäftigten Arbeiter angesichts der Natur dieser Arbeit die acht-stündige Schicht vorzuschreiben.(Lebhaste Zustimmimg bei denSozialdemokraten.) Drittens ist durch präzisierte Vorschriften dafürzu sorgen, daß die Pausen innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeiteinzuhalten sind. Den Versuchen der Unternehmer, von hintenherum diese Pausen illusorisch zu machen, muß ein wirksamerRiegel vorgeschoben werden.(Sehr wahr! bei den Sozialdemo-krvten.) Viertens verlangen wir die Einschränkung der Urberzeit-arbeit. Es bedeutet eine schwere Gefährdung von Leben und Ge-sundheit der Arbeiter, wenn Arbeitsschichten von 14, ja Iii Stundenvorkommen.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Inderselben Richtung bewegen sich unsere fünfte und sechste Forderungauf strengste Durchführung der zum Schutze der Arbeitererlassenen gesetzlichen Bestimmungen und auf durch-greifende Vorschriften über die sanitäre Einrichtung derArbeitsräume, die Errichtung von Wasch und Badeanstalten, An-kleide- und Speiseräumen. Die fortgesetzten Unfälle bc-weisen die unbedingte Notwendigkeit strengster Vorschriften undgewissenhaftester Kontrolle.(Sehr wahr! bei den Sozialdemo-kraten.) Ich erinnere an den großen Unfall in den DuisburgerStahlwerken. Die Gewerbeinspektoren sind derart über-lastet, daß sie ihren Aufgaben einfach nicht genügen können. Dieheilsamste Wirkung würde es ausüben, wenn endlich unsere Forde-rung erfüllt würde undKontrolleure aus der Arbeiterschaftden Gewerbeinspektoren beigegeben werden.(Zustimmung bei denSozialdemokraten.)— Herr v. Gamp hat uns hier im März er-zählt, daß viele Arbeitgeber aus eigenem- Autrieb in ihren Betriebendie neun», ja die achtstündige Arbeitszeit eingeführt haben. Herrv. Gamp folgert daraus, daß eine gesetzliche Regelung der Arbeits-zeit nicht notwendig sei. Nun, in der Großeisenindustriebaben mindestens 63 000 Arbeiter in einem einzigen Regierungsbezirk einemindestens zwölfstündige Arbeitsschicht.(Lebhaftes Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Aber nur zuoft wird selbst diese zwölfstündige Schicht überschritten. Esist berechnet worden, daß. wenn— eine doch überaus bescheideneForderung!— die über 12 Stunden hinausgehenden Ueberstundenbeseitigt würden, nicht weniger als 200 000 Arbeitslose eingestelltwerden können.(Lebhaftes Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.)Man sagt: viele Arbeiter machen gern Ueberstunden. Wenn dasliXihr ist, so kommt das von den elenden Löhnen und von der Höheder Lebensmittelpreise.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)>— Daß auf dem Gebiete der Arbeitsräume, der Errichtung vonWasch- und Badeanstalten vielerlei geschehen ist. erkennen wir an.Das schließt aber nicht aus, daß auch noch hier sehr viele Mißständevorhanden find, wie in den Berichten der Gewerbeinspektorenhäufig hervortritt.Gegenüber allen sozialen Forderungen erheben die Unternehmerdie Klage von der übermäßigen Belastung.(Heiter-keit bei den Sozialdemokraten.) Indessen beweisen die Dividendenund der Stand der Aktien in der Großeisenindustrie, daß sie wahr-haftig noch einige„Lasten" tragen können, ohne darunter zu-sammenzubrechen.(Sehr wahrl bei den Sozialdemokraten.) Daßdie Magen und Beschwerden der Arbeiter der Großeisenindustrienur allzu berechtigt sind, hat auch das Zentrum anerkannt undes hat vor einiger Zeit eine Resolution im Sinne der Hauptfordc-rungen dieser Arbeiter eingebracht. Die Resolution wurde vorzwei Jahren auch vom Reichstag angenommen. Allerdingswar dazu erst ein Hammelsprung nötig. Diese vom Zentrum ein-gebrachte und vom Reichstag angenommene Resolution erkennt aus-drücklich an, daß die Bundesratsverordnung nicht genügt.(Hört!hört! bei den Sozialdemokraten.) Und jetzt kommt das Zentrummit einer Resolution, in der eine Denkschrift über die Wirlungender Bundesratsverordnung gefordert wird. DaS bedeutet einfacheine Verschleppung.wenn die Resolution dann auch werter eine Erweittrung dieserVerordnung im Sinne des Reichstagsbeschlusses fordert. Eine soallgemein gehaltene Forderung hat keinen Wert und Erhebungensind wirklich nicht mehr nötig, denn amtliches, unanfechtbaresMaterial über die Lage der Großindustriearbeiter liegt ge-nügend vor. Wir bitten daher den Reichstag dringend, unsererResolution und den in ihr enthaltenen, wahrlich außerordentlichbescheidenen Forderungen zuzustimmen.(Lebhafte Zustimmungbei den Sozialdemokraten.) Wenn der Reichstag auch nur eineSpur von Interesse und Empfindung für diese Arbeiter hat, mußer unseren Antrag annehmen.(Erneute Zustimmung bei den So»zialdemokraten.)Wir beantragen ferner eine Resolutton. in der der Reichs-kanzler aufgefordert wird, baldigst einen Gesetzentwurf über dieVerhältnisse der Pensionskassen in den industriellen Werkenvorzulegen. Unsere Resolution verlangt eine einheitlicheR e g e l u n g für das ganze Reich. Wie nötig es ist. in die Ver-Hältnisse oder, besser gesagt, in die Mißstände der Werkkassen hinein-zuleuchten. ist hier pft und von verschiedenen Seiten dargelegtworden. Wir erleben es aber nur zu oft, daß unsere Resolutionenvon den B e h r e n s u. C 0 m p. abgelehnt werden, die dann ähnlicheResolutionen beantragen und zur Annahme bringen, nur umdraußen im Lande zu erzählen, daß die Sozialdemokraten keinepositive Politik betreiben. Es ist dringend notwendig, daßdurch die Reichsgesetzgebung der geradezu himmelschreiende Zustandbeseitigt wird, daß Arbeiter, nachdxm sie ihr Leben lang an Kassengezahlt haben, nachher aller Ansprüche beraubt werden. Neulich hatsich erst wieder ein außerordentlich krasser Fall in den DuisburgerSpinnwerken zugetragen. Ich bitte also dringend um Annahmeauch dieser unserer Resolution.(Lebhafte Zustimmung bei denSozialdemokraten.)Noch eine Sache muß ich hier zur Sprache bringen. Wie oftwird hier gezetert über den sozialdemokratischen„Terroriömus".Wieviele Worte werden gemacht über angeblichen Terrorismus, dersich oftmals nachher als bloße Notwehr herausstellt. Llber wie stehtes auf der anderen Seite? In Oberschlesien wird mit allen,Mitteln versucht, die Arbeiter wie die Steiger aus ihren Organisa-tionen heraus- und in dir gelben Vereine, sowie in die Krieger.vereine hineinzubringen.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.)Mit Drohungen wird dabei nicht gespart, ebensowenig mit derVrotlosmachung hartnäckiger Elemente.(Lebhaftes Hört! hört! beiden Sozialdemokraten.) Mit solchen Mitteln erreicht man nichtsweiter, als daß man Heuchler heranzieht.(Sehr wahrl bei denSozialdemokraten.) Die Wähler werden über diesenTerrorismus der Unternehmer und der Behördenc&Mo feig Quittung ausM<B ttzig Mr die Politik dcr»vi