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stellt sind als die Inländer, während ihres SlufenthaltS im Reichsgebiete die Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung ebenso gelten wie für Inländer. Abg. Hue(Soz.): Der Paragraph sieht gewissermaßen einen internationalen reichs- versichernngSgesetzlichen MeistbegniistigungSvertrag vor. Die Zahl der in Deutschland beschäftigten ausländischen Arbeiter ist sehr groß. t90S waren allein im Ruhrkohlenbergbau 18 000 ausländische krankenverficherungspslichtige Arbeiter vorhanden, heute sind cS etwa 30 000.(Hört I hört!) Diese Leute kommen meist durch gewissenlose Agenten nach Deutschland hinein, ohne von den Verhältnissen etwas zu wissen. Es wird ihnen von diesen Agenten einfach gesagt, daß sie alle Borteile haben wie die deutschen Arbeiter auch. Es wäre eine Ehrenpflicht Deutschlands , da unsere Industrie ohne diese ausländischen Arbeiter nicht aus- kommen zu können glaubt, klare, für diese ausländischen Ar- bester möglichst günstige Bestimmungen in das Gesetz auszunehmen. Um so besser werden dann auch die deutschen Arbeiter im Aus- lande gestellt sein, In Betracht kommt auch, daß die ausländischen Arbeiter in viel größerer Zahl der Unfall- und Erkrankungsgesahr unterliegen. Ebenso trifft das im Auslande auf die deutschen Ar- beiter zu. Zum Teil ist die soziale Fürsorge im Auslände besser geregelt als in Deutschland , z. B. in F r a n k r e i ch in bezug auf die Alters- und Invalidenrente. Wir haben also unsere» Antrag gestellt, damit nicht etwa deutsche Arbeiter im Auslände durch unsere Beschlüsse geschädigt werden. Heute ist es ganz unklar. was für Rechte eigentlich die ausländischen Arbeiter in bezug auf die Versicherung bei unS haben. Diesem unhaltbaren Zustande endlich ein Ende zu machen, bezweckt unser Antrag. Es steht zu befürchten, daß auch über diese Frage der Trappistenblock (Sehr gut I bei den Soz.) sich aus schweigen wird. Dann darf man sich nicht wundern, wenn wir bei jeder Beratung des Etats des ReichSamts des Innern eine Fülle von Material vorbringen werden, das die ungerechte Behandlung der ausländischen Arbeiter beweist. Wollen Sie dies vermeiden, so nehmen Sie unseren Antrag an.(Bravo ! bei den Sozialdemokraten.) Abg. Schmidt-Berlin (Soz.): Die Kommissionsfassung bedeutet eine neue Begünstigung der Agrarier, speziell der o st e l b i s ch e n Großgrundbesitzer, die Hunderttausende von Arbeitern au-s Russisch- und Galizisch-Polen beschästigen. Es liegt auf Grund des§ 169 die Möglichkeit vor. die Versicherungspflicht dieser Arbeiter durch Bundesratsbeschluß aus- zuschließen. Beabsichtigen die Verbündeten Regierungen von dieser Befugnis allgemeinen Gebrauch zu machen? Oder denken Sie sich auf Ausnahmefülle zu beschränken? Ich bitte dringend um Antwort. (Sehr gutl bei den Sozialdemokraten.) Ministerialdirektor Caspar: Die Befürchtungen des Abgeordneten Schmidt sind unbegründet. Wenn das Ausland dieselben Verpflichtungen gegenüber deutschen Arbeitern übernimmt, so werden die Arbeiter des betreffenden Landes den deutschen Arbeitern gleich- gestellt. Abg. Schmidt-Berlin (Soz.): SS ist auf lange nicht daran zu denken, daß Rußland eine dahingehende Verpflichtung übernehmen wird. Der Vertreter des Reichsamts deS Innern hat also die Bersicherung. um die ich bat, nicht abgegeben: aus seiner Antwort geht vielmehr hervor, daß man die russischen Arbeiter von de» Wohltaten der Versicherung auszuschließen beabsichtigt.(Hört! hört i bei den Sozial« demotraten.) Abg. Molkcnbuhr(Soz.): Der Paragraph ist um so bedenklicher, als bereits die polizeiliche AuSweismigspraxis die ausländischen Arbester rechtlos macht. Jeder Ausländer, der sich.lästig" macht, wird ausgewiesen. AlSlästig" wird in Zukunft mancher Arbeiter betrachtet werden. der Ansprüche an die Krankenversicherung geltend macht. Recht und Billigkeit verlangen die Annahine unseres An- träges.(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Nach einer im Zusammenhang unverständlich bleibenden Antwort deS Ministerialdirektors Caspar wird der Antrag Albrecht gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und einiger Freisinniger ab- gelehnt, ß 169 in der Kommissionsfa ssung an- genommen. § 171 bestimmt, daß die Beschäftigung eines Ehegatten durch den anderen keine BerstcherungSpflicht begründet, daß dagegen andere Verwandtschaftsgrade zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die VersichemngSpflicht und Versicherungsberechtigung nicht ausschließen. Die Abg. A l b r c ch t und Genossen(Soz.) beantragen, den ersten Paffus zu streichen und den s 171 zu fassen: .Verwandtschaftsgrade zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer schließen die Versicherungspflicht und Versicherungsberechtigung nicht aus." Abg. Schmidt-Berlin (Soz.) begründet den Antrag. Es liegt kein Grund vor, die ständig im Betriebe des Ehemannes arbeitende Ehefrau von der Versicherung auszunehmen. Wenn eine obligatorische Familienversicherung in der Reichsverstcherungsordnung vorgesehen wäre, möchte unser Antrag überflüssig sein; da die» aber nicht der Fall ist, haben wir unseren Antrag gestellt und bitten um seine Annahme.(Bravo ! bei den Sozialdemokraten.) Abg. Molkcnbuhr(Soz.): Wenn neben dem Eheverhältnis ein Arbeitsverhältnis besteht, liegt kein Grund vor, die Ehefrau, weil fie im Betriebe ihres Mannes arbeitet, ungünstiger zu stellen als andere Arbeite- rinnen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Die Diskussion schließt. Der Antrag wird a b g e l e h nt. § 174 bezeichnet als Hausgewerbetreibende im Sinne dieses Gesetzes die selbständigen Gewerbetreibenden, die in eigenen Werk- stätten im Austrage und für Rechnung anderer Gewerbetreibender gewerbliche Erzeugnisse herstellen oder bearbeiten. Abg. Alirecht(Soz.): Die Kommissionsfassung ist darum bedenklich, weil die Zwischen- meister oder sogenannten Platzgesellen von der Definition nicht getroffen werden, die hier vom BegriffHausgewerbetreibende" ge- geben wird. Diese ungenügende Definition kann zur S ch ä d i- a u n g zahlreicher Arbeiter bezw. vieler Krankenkassen führen. Wir beantragen daher folgende Fassung:.Als Hausgewerbetreibende im Sinne dieses Gesetzes gelten diejenigen Gewerbetreibenden, die in eigenen oder fremden Betriebsstätten im Aufttag und für Rech- nüng anderer Gewerbetreibender gewerbliche Erzeugnisse herstellen oder bearbeiten sowie her st eilen oder bearbeiten lasse n".(Beifall bei den Sozialdemokraten.) Abg. Dr. Pfeiffer<Z.): Die dringend notwendige Klarheit wird meines Erachtens am wenigsten durch den Antrag Albrecht geschaffen. (Sehr wahr I im Zentrum.) Allerdings ist auch die Kommissions- fassung keineswegs sehr klar. Wir werden in der zweiten Lesung für diese Fassung stimmen, behalten uns aber vor, für die dritte Lesung eine bessere Formulierung vorzuschlagen. Mimsterialdirellor Caspar erklart, daß das ReichSversicheningS- amt jeden einzelnen zu ferner Entscheidung gelangenden strittigen Fall, der die Stellung der Hausgewerbetreibenden betrifft, sorg- fältig prüfe, und daß auch in Zukunft so verfahren werde. Abg. Albrecht(Soz.) bittet nochmals um Annahme des sozialdemokratischen Antrags. Auf allen'Heimarbeiterkongressen wird der Ruf nach Ausdehnung der Versicherung auf alle HauSgewerbetreiben- den erhoben.(Lebhaste Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Der Antrag wird abgelehnt. Der Rest des ersten BucheS drikd debattelos erledigt. Trotz lebhafter Vertagungsrufe läßt der Vizepräsident Schultz. beim zweiten Buch(Krankenversicherurlg) fortfahren. Der erste Paragraph desselben.§ 177. s-tzi die Höchstgrenze deS "wie" biöher ftst obligatoniche Krankenversicherung auf Die Abgg. A l b r e ch t und Genossen beantragen, den§ 177 wie folgt zu fassen:Für den Fall der Krankheit werden alle Personen versichert, die gegen Lohn oder Gehalt beschäftigt sind und deren Entgelt in Naturalleistungen oder sonstigen Bezügen besteht, sowie die selbständigen Gewerbetreibenden. Betriebsbeamte, Handlungsgehilfen sowie andere Angestellte, die mit einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Tätigkeit berufsmäßig beschäftigt werden, sind nur dann versicherungspflichtig, wenn ihr Gehalt nicht mehr als 6000 Mark pro Jahr beträgt. Ebenso sind von der Versicherungspflicht die selbständigen Gewerbe- treibenden befreit, deren Jahreseinkommen mehr als 6000 M. beträgt. Abg. Büchner(Soz.): ES ist dringend notwendig, die Versicherungspflicht auf die Handwerker und kleinen Gewerbetreibenden und ebenso auf die Kleinbauern auszudehnen. Wenn man an eine Reform der Kranken- Versicherung herangeht, die im Jahre 1683, also vor 27 Jahren, hier in diesem Hause geschaffen wurde, so soll man doch versuchen, die Mängel aus der Gesetzgebung herauszubringen. die sich im Laufe der Jahre eingestellt und herausgestellt haben. Der Wert des Geldes ist heute ein viel geringerer als vor 27 Jahren bei der Schaffung der Kranlenversicherung, und gerade durch Ihre Finanz- und Zollpolitik ist der Geldwert so stark ge« sunken, und trotzdem läßt man heute, wo man eine sogenannte Reform der Krankenversicherung vornehmen will, die Höchstgrenze auf 2000 M., genau wie vor 27 Jahren. Millionen schließt man dadurch von der Versicherung aus, und da sie zu mittellos find, um im Falle der Krankheit die Krankenhauskosten zu bezahlen, so geht ihnen auch»och ihr Wahlrecht in Staat und Gemeinde ver- loren. Wir verlangen, daß für die Angestellten und kleinen Ge« werbetreibenden die Höchstgrenze auf 5000 Mark festgesetzt wird. Mit der Annahme dieses Antrages würden Sie auch den Privatangestellten entgegenkommen und die Verstchcrungs- Pflicht iin Interesse der arbeitenden Bevölkerung erweitern.(Bravo I bei den Sozialdemokraten.) Abg. Pauli-PotSdam(k.): Die Kommission hatte zuerst die Höchstgrenze der Bersicherungspflicht auf 2600 Mark festgesetzt; aber sie bat sie dann wieder auf 2000 Mark heruntergesetzt; denn wer 2000 Mark Einkommen hat, kann selbst für den Fall seiner Krank- heit Borsorge treffe».(Lebhafter Widerspruch bei den Sozial- demokraten.) Abg. Brühne(Soz.): Wenn von irgend einem, so hätte ich von dem Abgeordneten Pauli die Zustimmung zu unserem Antrage erwartet.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Die Handwerker wollen viel lieber in einer Zwangskrankenversicherung sein als in den Zwangs­innungen. Würden Sie fie darüber abstimmen lassen, so würden die Zwangsinnungen auffliegen.(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Bei den Wahlen treten Sie(nach rechts) mit Worten immer sehr lebhaft für die Handwerker ein; aber jetzt, wo Sie Gelegenhett haben, dem Wort die Tat folgen zu lassen, ver« sagen Sie.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Auch das Zentrum sollte für unseren Antrag im Interesse der Hand- werker und der Privatangestellten stimmen.(Bravo I bei den Sozial« demokraten.) Abg. Hoch(Soz.): Wenn man sagt, die selbständigen kleinen Gewerbetteibenden usw. dürfen sich selbst versichern, so trifft daS doch nur für die zu. die bis zu 2000 M. Einkommen haben. Bedenklich ist die Streichung des Wortes.Techniker" durch die Kommission. Man sagt, es sollen die von der Versicherung ausgeschlossen sein, die eine wissenschaftliche Tätigkeit haben. Aber die Grenze dafür ist sehr schwer festzusetzen. Und außerdem ist gerade die Lage der akademisch gebildeten Techniker unmittelbar nach dem Studium äußerst traurig. Daher muß hier bei der Krankenversicherung dafür ge- sorgt werden, daß all diese Angestellten in gehobener Stellung, so lange sie weniger als 2000 M. haben, krankenverficherungöpflichtig sein müssen.(Bravo l bei den Sozialdemokraten.) Der Antrag Albrecht wird abgelehnt. Den§ 180, wonach der Bundesrat ollgemein oder in einzelnen Bezirken die Versicherungspflicht für bestimmte Berufszweige auf Gewerbetreibende und andere Arbeitgeber erstrecken kann, die regel- mäßig keine oder höchstens zwei Versicherungspflichtige beschäftigen, hat die Kommission gestrichen. Abg. Brühne(Soz.) tritt für Wiederherstellung der Vorlage ein. DaS Haus beschließt nach dem KommisfionSantrag. Nach§ 181 kann der Gemeindeverband für feinen Bezirk oder Teile davon die Versicherung statutarisch auf Familienangehörige deS Arbeitgebers ausdehnen, dre ohne Entgelt und Arbeitsvertrag in seinem Betriebe tätig sind. Die Kommission hat auch diesen Paragraphen g e st r i ch e n. Abg. Busold(Soz.) bittet dringend im Interesse der kleinen Handwerker und Kleinbauern diesen Paragraphen wieder herzustellen. Vor der Abstimmung bezweifelt Abg. Bebel iSoz.) die Beschlußfähigkeit des HauseS. Da sich das Haus trotz anhaltenden HerbeiklingelnS der Ab- geordneten aus den Wandelgängen nur spärlich füllt, erklärt Präs. Graf Schwrrin-Lowitz, daß daS Bureau sich einstimmig diesem Zweifel anschließe. Die Sitzung muß also abgebrochen werden. Die Weiterberatung wird vertagt auf Montag 12 Uhr. Schluß 51/4 Uhr._ flus dem Folizeikaropf gegen die Zligendbemgung. Vor dem Landgericht III Berlin wurde gestern volle sieben Stunden hindurch über den Lichtenberger Bildungsverei» für jugendliche Arbeiter und Arbeiterinne» verhandelt, der im No- vember 1909 von Mitgliedern der Groß-Berliner Freien Jugend- organisation gegründet wurde und nach der Auffassung der Polizei einpolitischer Berein " gewesen sein soll. Im Januar 1911 war der ehemalige Borsitzende Düwell vom Amtsgericht Lichtenberg wegen Ucbertretung des Bereinsgesetzrs zu 6 M. Geldstrafe ver- urteilt worden, weil er in dem als politisch anzusehenden Verein jugendliche Personen von weniger als 18 Jahren geduldet und die bei politischen Vereinen vorgeschriebene Einreichung der Statuten und des Verzeichnisses der Vorstandsmitglieder unterlassen habe. Gegen dieses Urteil hatte Düwell Berufung eingelegt, über die nun das Landgericht III durch die Strafkammer 4 unter dem Vorsitz des Landgerichtsdireftors Ehrecke entscheiden sollte. Für den Angeklagten Düwell. der noch nicht volljährig ist, War neben seinem Verteidiger auch der Vater zugelassen worden, derBorwärts"°Redakteur Düwell, der zugleich als Zeuge geladen war. Daß der Angeklagte einenVorwärts"-Redakteur zum Vater hat, ist an sich sehr nebensächlich, aber in dem Urteil des Amts- gerichts wird das mit Bedacht hervorgehoben. Diese nahe Be- ziehung des Vercinsvorsitzenden zu einem Redakteur desVor- warts" war der Polizei von vornherein bedenklich erschienen, und in dem ganzen Verfahren gegen Düwell hat dann der Umstand, daß er der Sohn seines BaterS ist, eine wichtige Rolle gespielt. Schon das weckte den Brrdacht politischer Betätigung, der noch da- durch verstärkt wurde, daß für den neuen Verein der Reichstags- abgeordnete Stadthagcn einen Vortrag hielt. In der Verhandlung vor dem Landgericht wiederholte der Angeklagte die schon vor dem Amtsgericht abgegebene Erklärung, er fei im Jahre 1909 für den in der Entstehung begriffenen Verein nur in den ersten zehn Tagen, vom 10. bis zum 20. No- vember, provisorischer Borsitzender gewesen, so daß er. selbst wenn bei LkILUl cill MtiM.r geßsiai teäic, hie erst innerhalb vi«» zehn Tagen zll erledigenden Meld'üng?tt Nicht nötig gehab! hätte. Demgegenüber wurde von dem Kriminalkommissar Baumann, deö in dem Etmittelungsvcrfahren mit großem Eifer tätig gewesen ist, die Meinung vorgetragen, Düwell sei länger Vorsitzender geblieben. Das ergebe sich aus den Aussagen der von der Polizei durch Bau- mann vernommenen Zeugen, und außerdem habe er esauch sonst noch Dienstlich erfahren", doch dürfe er nicht sagen, wer ihn in- formiert habe. Der Verteidiger protestierte dagegen, daß auf solche angeblichenFeststellungen", die unkontrollierbar seien, das Gericht ein Urteil gründen solle. Er kenne die Quellen, aus denen hier geschöpft worden sei; es feien Spitzel, die man in den Verein hincingeschickt habe. Ter Herr Kommissar schwieg. Die von ihm im Ermittclungsverfahrest befragten Zeugen, ehemalige Bereinsmitgliedcr, wurden auch bor Gericht vernommen, aber trotz umständlichsten Verhörs war kein klares Bild des Sachverhalts zu gewinnen. Man empfing schließlich den Eindruck, daß der Verein, der nach der Meinung der Polizei unter oer Leitung des An- geklagten sich politisch betätigt haben sollte, noch gar nicht recht zustande gekommen war, als Düwell wegen Erkrankung und mit Rücksicht auf seine Berufsvorbereitung auf Veranlassung seine» Vaters den Vorsitz niederlegte. Immer wieder wurde den Zeugen vorgehalten, was in dem Protokoll des Kommissars Baumann über die vor ihm gemachten Aussagen stand, aber sie blieben dabei, diese Angaben seien nicht in allen Punkten zutreffend. Ein Zeuge schilderte, wie die Vernehmung vor dem Kommissar sich abgespielt hatte. Junge Leute, die an einem Abend auf der Straße ein paar Einladungszettel angeklebt hatten, waren festgenommen wordr», und nun benutzte der Kommissar Baumann die Gelegenheit, sie noch in der Nacht auch über den Verein auszufragen. Bis um 3 Uhr morgens wurden sie verhört, dann durften sie auf der Polizeiwache sich schlafen legen, am Morgen wurde das Verhör fortgesetzt, und schließlich ließ Herr Baumann sie sein Protokoll unterschreiben. Der Zeuge erzählte vor Gericht, das Verhör habe sehr lange gedauert und er sei müde gewesen, da habe er die Fragen deS Kommissars, ob es in dem Verein so und so zugegangen sei, mit Ja beantwortet. Hierzu erklärte der Kommissar Baumann mit erhobener Stimme, alle Aussagen seien freiwillig gemacht worden, und diese Meinung wurde unterstützt von einem als Zeugen geladenen Schutzmann, der am Morgen den letzten Teil der Vernehmung mitangehört hatte. Viel Mühe machte sich das Gerich! mit der Prüfung der Frage, ob der Verein ein politischer gewesen sei. Was wurde da nicht alles vom Kommissar Baumann alsBcweiSmaterial" vor- gelegt! Da erfuhr man, daß in einem Flugblatt, das zum Ver- sammlungsbesuch einlud, etwas gegen die Religion gesagt und über die vortreffliche Weltordnung gespottet worden war; daß ein sozialdemokratischer Abgeordneter, unser Genosse Stadthagen , zu einem Referat aufgefordert war, da war und dann über daS WortAns Vaterland, ans teure, schließ dich an!" gesprochen hätte; daß das VereinsorganArbeiter-Jugend" die Befreiung der arbeitenden Menschheit vom Joch des Kapitalismus gefordert hatte; daß in den Zusammenkünften die Marseillaise gesungen worden war. Auch der Nürnberger ParteitagSbeschluß über die Jugendausschüsse sollte ausgespielt werden gegen die Jugend- organisationen, die man mit ihnen zusammenwarf, ebenso ein Wort des Abgeordneten Genossen Hirsch, der im Landtag die Jugendorganisationen alsunsere" bezeichnet hatte. Einige Bei- träge zurMaterialsammlung" deS Herrn Baumann waren ihm durch zeneS Berhör bei Nacht geliefert worden, aber hierzu wurde vor Gericht von einem Zeugen wieder aufs bestimmteste versichert, die in dem Protokoll angegebenen Aeußerungen über die Roten " usw. seien ihm von dem Kommissar geradezu in den Mund gelegt worden. Herr Baumann widersprach sehr energisch, DaS Ergebnis der Beweisaufnahme wurde von dem Ber - leidiger Rechtsanwalt Dr. Kurt Rofenfeld dahin zusammengefaßt, daß Freisprechung erfolgen müsse. Der Verein sei nicht politisch gewesen, er habe keinen Einfluß auf die Gesetzgebung bezweckt. Der Staatsanwalt sah als erwiesen an, daß der Verein sich politisch betätigt habe. Diese Abficht sei zu folgern unter anderem schon aus dem persönlichen Moment der Beziehung des Angeklagten zu demVorwärts"-Redakteur, seinem Vater. Schon das sei politische Betätigung eines Vereins, die Mitglieder im Sinne einer be- stimmten politischen Partei zu erziehen. Der Verteidiger er« widerte, die Beweisaufnahme habe hierüber nichts ergeben. Re- dakteur Düwell erklärte, der Nürnberger Beschluß habe gerade ver- hüten wollen, daß Juaendorgamsatwnen Politik treiben, und auf dem Boden dieses Beichlusses stehe auch er. Wie könne man da gegen den Angeklagten die Beziehungen des Vaters zur Sozial« demokratie ausspielen! Das Gericht kam zu dem Urteil, der Berein sei politisch ge« Wesen, mithin sei der Angeklagte schuldig der Uebertretung deS VereinSgesetzeS und eS bleibe bei 6 Mark Geldstrafe. In der Urteilsbegründung wurde hervorgehoben, daß auf dem Nürnberger Parteitag die Sozialdemokratie«inen freundlicher. Standpunkt zu den Jugendorganisationen eingenommen Haber Dem Kommissar Baumann wurde bescheinigt, daß das in seinem Protokoll nieder« gelegte Ergebnis des nächtlichen Verhörs einwandfrei fei.____, Jugendbewegung. Arbeiter-Jugend. Aus dem Inhalt der soeben erschienenen Nr. 9 heben wir hervor: DaS neue preußische Fortbildungsschulgesetz.-- Wie arbeite ich mir einen Vortrag aus? Die Revolution in England. Von A. Con­rad». Der rheinisch-westfälische Jndustriebezirk. Von E. Mehlich. Mit Illustrationen). Kinder und Jugendliche in der Unfall- Versicherung. Die aufgelöste Jugendorganisation. Humoreske von Karl Rieck. Aus der Jugendbewegung(Mannheim . Mülheim a. Rh.. Jugendkonferenz in Jena ). Die Gegner an der Arbeit. Vom Kriegsschauplatz usw. Beilage: Freiheit. Erzählung von Karl OkonSky. Die Bergarbeiter. Von K. Haenifch. An der Donau . Von Ludwig Lessen. (Mit Illustrationen). Einiges über Gerhart Hauptmann . Von Otto Koenig. Verfall deS Handwerks und der Zünfte. Von Gg. Engelbert Graf. Pips und die Automobile. Erzählung von Erwin Rosen . flus der frauenbewcgung. Ein Hausdienstausschuß. Die bürgerlichen Frauen haben ein Mittel entdeckt, um eine friedliche Lösung der Dienstbotenfrage" in Berlin herbeizuführen. Ein Hausdien st ausschuß soll diese Aufgabe lösen. Er ist als VermittclungSorgan zwiichen den Vereinigungen der Hausfrauen einerseits und den Verbänden der Hausangestellten andererseits ge- dacht. Von 16 Organisationen und einiben städtischen Beamten(Stadt- räten usw.) war eine Einladung zu einer Versammlung ergangen, in der diese Frage besprochen werden sollte und die am Freitag nach- mittag im Bürgersaole des Rathauses abgehalten»vurde. Fräulein von Änebel-Döberitz referierte. Nach einem kurzen Ueberblick über die EntWickelung der Dienstbotenbewegung in Deutschland und speziell in Berlin erläuterte sie die Notwendigkeit der Gründung eines Hausdienstausschusses, der bestimmt sei, die bestehenden.Gegen- sätze auszugleichen, unterschiedliche Auffassungen zu klären und ge. meinsame Aktionen in die Wege zu leiten". Der Susichuß soll auf paritättscher Grundlage aufgebaut werden; also Dienstboten und HauShaltungsvorstände sollen in gleicher Zahl vertreten sein; auch erwartet man, daß die Gemeinden von Groß-Berlin Juristen und Aerzte als Vertreter zu diesem Ausschuß senden. Zu den Aufgaben deS Ausschusses gehört nach der Reserentin in erster Linie die Auf- stellung eines Dienstvertrages. Unter den vielen Fragen, mit denen sich der Ausschuß beichastlgen soll, nannte die Reserentin die Lohnfrage, die Kostgeldfrage, die Frage der Frei» zeit, des ZeligniSzwangeS, der Kranken- und Uufallversicherung. der Fortbuduiigsbesirebungen. Ferners iind>gllerlej EohlfahrtS- einrichtungen in Betracht zu ziehe».