Nr. Ü2. 28. Iahrgaug. Sonntag. 14. Mai 1911. Gerichts-Zeitung. Ilm den jungen Grafen Kwilecki. Gestern hatte das Reichsgericht zu entscheiden, ob der jetzt vierzehn Jahre alte Graf Joseph Kwilecki weiter diesen Namen führen oder von nun an Leo Franz Parcza heißen soll. Die Prozesse der jetzigen Äahnwärtersfrau Meyer, geborenen Parcza, gegen den Grafen Zbigniew Kwilecki und die inzwischen verstorbene Gräfin wegen Herausgabe des Knaben nahmen im April 1904 ihren Ansang und am 29. Dezember 1999 erklärte das Qberlandesgericht zu Posen, daß der Beklagte verurteilt werde, den angeblich am 27. Januar 1897 geborenen und am 39. Januar 1897 beim Standes- amt 3 in Berlin angemeldeten Knaben an die Klägerin heraus- zugeben. Gegen das Urteil hatte Graf Z. Kwilecki Revision ein- gelegt, so daß sich gestern der vierte Zivilsenat des Reichsgerichts als letzte Instanz mit der Angelegenheit zu beschäftigen hatte. Das Gericht erkannte auf Aufhebung des Urteils. Das Urteil des preußischen Landgerichts Lissa von 1997 wird dahin abgeändert, daß die Klägerin Meyer mit ihrer Klage abgewiesen wird. Ein Raubanfall auf einen Kaufmannslehrling, der Geld von der Reichsbank geholt hatte, beschäftige gestern das Schwurgericht des Landgerichts III. Wegen Straßenraubes hatte sich der bisher unbestrafte Ziseleur Hermann Bölke zu ver/rntworten. �— Am 25. März nachmittags begab sich der Handlungsgehilfe Ernst Schmidt im Auftrage seines Chefs nach dem Postscheckamt in der Dorotheenstraßc, um dort einen Postscheck über 1971 M. einzulösen. Da er auf dem Postamt nicht das nötige Kurantgeld erhielt, fuhr er nach der Reichsbank, wo er 5 Rollen Kuran-t und etwa 299 M. loses Geld erhielt. Der junge Mann tat das Geld in einen Leinwandbeutel und diesen wieder in eine schwarze Aktentasche, die er verschloß. Am Bahnhof Friedrich- straße bestieg er einen Autoomnibus, den er an der Müller- und Burgsdorffstraße verließ. Er ging dann schnell zu Fuß weiter, um nach dem Srengelstraße 15 belegenen Gcschäftslokal seines Chefs zu gelangen. Die Aktenmappe hielt er fest unter dem rechten Arm. Als Schmidt in die Sprengelstratze einbog, hörte er hinter sich Tritte, gleich darauf trat ihm der Angeklagte auf die Hacken und entriß ihm die Aktenmappe, die ihm bald wieder abgenommen wurde. Der Angeklagte war geständig.— Staatsanwalt Assessor Gallenkamp beantragte die Schuldfrage nach Raub zu bejahen, während Rechtsanwalt Dr. Carl Löwcnthal ausführte, daß der Angeklagte die Tat aus Hunger und Not begangen habe und bei Ausübung der- selben nicht Herr seines Willens gewesen sei. Der Verteidiger beantragte, nur einen Diebstahl als vorliegend zu erachten und dem Angeklagten mildernde Umstände zu bewilligen.— Dem letzteren Antrage entsprachen die Geschworenen, sie hielten aber im übrigen den Tatbestand des Raubes für erwiesen. Der Gerichtshof der- urteilte den Angeklagten zu 1 Jahr 3 Monaten Gefängnis. Ein Chemiker als Kurpfuscher und Betrüger. Vom Landgericht Altona ist am 4. Februar der Chemiker Bernhard Heyden wegen Betruges zu 6 Monaten Gefängnis der- urteilt worden. Er hatte bereits in früheren Jahren in Zeitungs- anzeigen ein Mittel zur rationellen Behandlung von Nervenkrank- Heiten angepriesen und ein Pulver unter Nachnahme von 6,49 M. versandt. Ein Schöffengericht bat damals festgestellt, daß das Pulver wertlos sei, aber Herrn Heyden von der Anklage des Be° truges freigesprochen, da ihm nicht das Bewußtsein der Recksts- Widrigkeit nachzuweisen war. Später, im Jahre 1996, hat er sein Mittel wieder in der„Dorfzeitung" in Hildburghauscn angepriesen und es gegen 12,89 M. und 39 Pf. Nachnahme versandt. Er ist dann zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt worden. Jetzt hat er wieder dasselbe Manöver ausgeführt und sich von einem Schneider- meister, dessen 18jährige Tochter an Rheumatismus litt, 99 M. zahlen lassen. Das Mittel, welches er gesandt hat und tvelchcs aus ganz billigen Chemikalien bestand, ist nach den Feststellungen von Sachverständigen wertlos. Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit wurde diesmal als erwiesen angesehen, da der Angeklagte aus seiner früheren Verurteilung entnehmen mußte, daß seine Hand- lungsweise als Betrug angeschen werden würde.— Die Revision des Angeklagten, der die Feststellung dieses Bewußtseins als un- genügend bezeichnete, wurde vom Reichsgericht verworfen. Ruq aller Sielt Der Dalbmond von JVIarohho. Das Sehnen aller respektablen Bürger, das leere Knopfloch des Frackes mit irgend einem glitzernden„Spielzeug " zu schmücken, hatten sich seit einiger Zeit mehrere Pariser Gauner zunutze gemacht. Die Geschäftskundigen gründeten einen Orden, den„Halbmond von Marokko ", und alle zahlungsfähigen Spießer konnten schon für 39 Frank die Heldenbrust schmücken. Natürlich weigerte sich die Gesellschaft durchaus nicht, wenn sich Dumme ihre„Dekorierung" etwas mehr kosten lassen wollen. Daneben wurde noch ein schwunghafter Handel mit Diplomen getrieben, die zahlungsfähigen Industriellen ihre hervorragende Tüchtigkeit bekundeten. Das Geschäft ging ganz vorzüglich, Filialen wurden in verschiedenen Städten Frankreichs eingerichtet, um dem Ansturm der Ordenswütigen genügen zu können. Was Wunder, daß der Staat, dessen eigene Ordensauszeichnungen bedenklich im Kurse sanken, scheel auf die unangenehme Konkurrenz sah. So beschlagnahmte denn in der letzten Nacht die Pariser Polizei bei einem der Gründer des marokkanischen Ordens den ganzen Vorrat, gegen drei- tausend Diplome und eine große Menge Ordens- auszeichnungen. Mehrere„Gründer" wurden hinter Schloß und Riegel gesetzt, wo sie über die Dummheit ihrer Mitmenschen philosophische Betrachtungen anstellen können. Christliche Moral. Aus Rom wird uns geschrieben: Zu einem klerikalen Skandal erster Ordnung entwickelt sich eine geheimnisvolle und anfänglich als Kirchenschändung verschrieene Verstümmelung eines Christus- bildes in Villafranca bei Verona . Der Küster des sehr klerikalen Ortes meldete unlängst den Carabinieri, daß einem Christus- bilde in der Kirche von unbekannter Hand der Kopf ab- geschlagen worden sei und lenkte dann den Verdacht auf zwei junge Leute des Ortes, die d e r s o z i a l i st i s ch e n P a r t e i an- gehören. Den Carabinieri schien der Eifer des Anzeigers einigermaßen verdächtig. Obwohl sich die Klerikalen des Ortes und der umgebenden Dörfer fanatisch gegen die beiden Beschuldigten wendeten, Bußübungen abhielten und auf eine Neueinweihung der entweihten Kirche drangen, jblieben die Carabinieri bei dem Glauben, daß der Küster Cacciatori mehr über die Sache wüßte, als er zeigen wollte. Nach langem Kreuzverhör gab endlich der biedere Küster zu, das Christusbild sei ihm beim Schmücken zu Boden gefallen und dabei der Kopf zerbrochen. Auch diese Darstellung erschien wenig glaubwürdig, da der Zweck der Verhetzung allzu dreist zutage getreten war. Vor einigen Tagen hat man nun wirklich unter einem Haufen Unkraut den unbeschädigten Christus- köpf gefunden und hat somit einen Beleg dafür in der Hand, daß der Küster gelogen hat. Der Küster ist daraufhin verhaftet worden. Das arme Christusbild ist übrigens ein Opfer des 1. Mai geworden. Es bestand die Absicht, zu diesem Tage gegen die Soziali st en Stimmung zu«rächen. Zur Erreichung dieses frommen Zweckes war jedes Mittel recht. Immer standesgemäst. Der„Pravo lidu" veröffentlicht folgendes Kulturdokument: Dienstbefehl Z. 152. In der Nacht vorn 1. zum 2. Mai wird von Brünn nach Wien Staatsbahnhof. ein S o nd er z u g von Pferden des Hofes nach dem beigefügten Fahrplan mit Anschluß von Kladrub abfahren. Mit diesem Zuge werden 25 Stück Hospferde in sechs Stallwagen und ein Hofbeamter im Wagen B(II. Klasse) fahren. Das Heizhaus in Wien wird für diesen Zug nach Brünn eine Maschine Serie 23 oder 35 liefern. Den Dienstvorständen wird aufgetragen, alles Nötige für einen sicheren Transport dieses Sonderzuges zu vcr- anlassen. Der Empfang dieses Dienstbefehls ist telegraphisch dem Verkehrschef nach Wien zu melden. Auf derselben Bahn ist vor kurzer Zeit bei Wildenschwert ein E i s e n b a h n g l ü ck passiert, dem sechs Bahnbeamte zum Opfer fielen. Hervorgerufen wurde das Unglück, weil man einen Bremser weggenommen hatte, um Kosten zu sparen. Die kaiserlichen Hofpferde wurden besser vor eventuellen Unfällen be- hütet._ Kleine Notizen. Krieg im Frieden. Während einer Felddienstübung des franzö- fischen 28. Dragoner-Regiments in der Nähe von Rilly rannten zwei Schwadronen aufeinander. Zahlreiche Reiter kamen zu Fall, zwei erlitten schwere Verletzungen. Einer davon ist im Lazarett g e st o r b e n. Opfer eines Wirbelsturmes. Die in Antwerpen erscheinende „Tribüne Congolaise" meldet, daß infolge eines Tornados in Lo- kandu am Kongo zwei mit Soldaten öesetzte Boote gekentert sind. Dreißig Mann, vermutlich sämtlich Eingeborene, sind umgekommen. Wie man den Hunger stillt. AuS der von Hungersnot heim- gesuchten chinesischen Provinz Hupeih in Hukau eingetroffene Flüchtlinge versuchten, das Amtslokal des Bezirkschefs, der ihnen Verpflegung§ mittel verweigerte, zu zerstören. Die Polizei zer st reute die Ruhestörer. Nun werden sie wohl keinen Hunger mehr spüren. Marktpreise von Berlin am 13. Mai 1911, nach Ermittelung des Königlichen Polizeipräsidiums. Markthallenpreife.(Kleiubandcl.) 199 Kilogramm Erbsen, gelbe, zum Kochen 39,09— 59,99. Speisebohnen, weiße 39,99—59,99. Linsen 20,99—69,99. Kartoffeln 6,99—9,00. 1 Kilogramm Rindfleisch, von der Keule 1,69— 2,49. Rindfleisch, Bauchfleisch 1,20 bis 1,79. Schweinefleisch 1,29— 1,99. Kalbfleisch 1,50—2,59. Hammelfleisch 1,40—2,20. Butter 2,20—2,80. 60 Stück Eier 2,80—1,50. 1 Kilogramm Karpfen 1,20—2,40. Aale 1,40—3,00. Zander 1,40—3,60. Hechte 1,20 bis 2,80. Barsche 0,80—2,00. Schleie 1,20—3,40. Bleie 0,80—1,60. 60 Stück Krebse 2,50-30,00. « Gegründet 1867 Zentrale und Versand: Jerusalemer Str. 38-39 Potsdamer Strasse 2 Friedrich-Strasse 75 Tauentzien- Strasse 19a König-Strasse 25-26 Schöneberg, Hauptstr. hö Rixdorf, Berg-Str. 25-26 RosenthalerStrasseS Tauentzien■ Strasse 7 b Mark 12.50 Spezial-Verkaut Demnächstige Eröffnung: Charlottenburg Wilmersdorfer Strasse 45 Ecke Schiller-Strua« Reich Illustrierter Haupt-Katalog gratis Braune Schuhe und Stiefel Unsere Auswahl in farbigen Schuhwaren ist noch nie so gross gewesen wie in der diesjährigen Saison Neue Farben° Neue Modelle-- Neue Fassons Aparte Halbschuh-Neuheiten für Damen Tennis-Schuhe und Ruder-Schuhe Vorschriftsmässige T urnschuhe □ Sandalen in modern, u. antiken Formen Leinen-Stiefel und Leinen-Schuhe für Herren, Damen und Kinder in weiss, grau und mode Ledergeflochtene Stiefel und Schuhe Berg-, Touren- und Jagd-Stiefel in besonders grosser Auswahl Haus-, Garten- und Reise-Schuhe für Herren, Damen und Kinder Haupt-Preislagen für Herren- und Damen-Stiefel 1050 12� 15'° 18°° Naturgemäüe Kinder-Stiefel 8 75 • i •I « • J « r #1 *E • 8 • 1 *1 •I « i- €i • i
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