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Nr. 194.

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10. Jahrg.

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Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Cholera- Abwehr

Sonnabend, den 19. August 1893.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

und Medizinalreform. ein genügendem Maße der Cholera entgegentreten Länder erlangt habe, wo es mit der Medizinalverwaltung

Aus Fachkreisen wird uns geschrieben: Der Reichs- Anzeiger" sagt:" Wir nähern uns den Tagen, in denen vor Jahresfrist die Cholera unser ganzes Baterland in Angst und Schrecken versetzte. Aus den ver­schiedensten Ländern wird auch jetzt wieder berichtet, daß Cholera- Erkrankungen in wachsender Zahl zur Feststellung tommen. Die Thätigkeit der Behörden auf diesem Gebiete kann jedoch nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn sie von einem vernünftigen Verhalten aller Staatsbürger und von einer besonderen Unterstützung durch alle, die sich zu den Einsichtigeren rechnen, gefördert wird."

tommen wir zu unserer zweiten Behauptung, daß bisher sogar der alles beweisende Abgeordnete Gneist bereits 1876 nichts geschehen ist, um diese Beamten so auszurüften, daß erklärte, daß Preußen nach und nach die Zustände der tönnen. Diese Physiker bekommen 900 M. Gehalt, keine am schlechtesten stehe". Was nutzen denn gewisse Kurse den Pension, keine Bureaugelder, find aber mit Schreibereien Physikern, wenn sie die darin erworbenen Kenntnisse nicht überhäuft, müssen sich Mikroskop und Obduktionsinstru- verwenden können! Der jüngst so lebhaft zurückgewiesene mente felbft kaufen und erhalten, haben keine Initiative, Vorwurf, daß Stagnation im Medizinalwesen herrsche, der müssen sich ihren Lebensunterhalt mit der Praxis erwerben ist nicht unberechtigt. und sollen dann, wenn letztere gerade am größten ist, d. h. in Cholerazeiten, ihre Haut und ihren Geldbeutel zu Markte tragen. Was wird aus den Angehörigen des Medizinal­beamten, wenn er sich bei der Sektion einer Choleraleiche infizirt und stirbt?

Wer hat den größten Schaden davon? Gerade die arbeitende Bevölkerung. Biele Tausende sterben alljährlich Bahl dann ab und zu noch durch Fleckfieber, einheimische an Diphtheritis, Scharlach, Kindbettfieber, Typhus , deren die besiglose Klasse den weitaus größten Prozentsaz davon. und asiatische Cholera vermehrt wird, und immer liefert at man es nun schon einmal erlebt, daß ein Physikus die bazu, revidirt hätte? In den größten Städten mag es hin und wieder vorkommen. Die Wohlhabenden können wohl für sich allein sorgen, aber wer besorgt dem Armen eine gesunde Wohnung, gesundes Wasser, gesunde Arbeits­räume, wer hilft ihm, die Seuche von seiner Familie fern­halten, wenn in ein oder zwei Räumen sechs und mehr Und der Dank? Trotzdem die Zustände sich als völlig Personen hausen müssen? Hier muß ihm der Staat unhaltbar erwiesen haben, sind alle Hoffnungen auf eine beiftehen, und damit er das kann, muß er befähigte Organe haben. Medizinalreform völlig begraben; die Physiker haben ihre Arbeit gethan, fie können gehen. Eines bleibt ihnen. Im Wir brauchen durchgreifende Arbeiterschutzgesetze, die Ministerium rechnet man darauf, daß sie in Zeiten der die Lage der Arbeiterklasse verbessern, wir brauchen eine Noth ihre Schuldigkeit wieder thun werden. Der Direktor ernsthafte Sozialpolitik, die die Intereffen der großen der Medizinalabtheilung hat den erblichen Abel" erhalten. Masse wahrt, und innig verbunden damit muß die öffent­Nun, das ist eine sehr bequeme und billige Reform", im liche Gesundheitspflege, erfüllt von sozialpolitischem Geist, übrigen blieb alles beim Alten. D. h. die alten Uebel ge- thatkräftig Hand anlegen. Die Medizinalbeamten müssen Aber man stelle sie wirthschaft­deihen weiter, mag ein Mandarin zwei oder drei Knöpfe fozialpolitisch denken. an der Müze tragen. Aber man täusche sich nicht, unter lich sicher und unabhängig, man gebe ihnen die nöthige den Medizinalbeamten herrscht weit verbreitet eine solche Initiative auf gefeßlicher Grundlage. Bekanntlich fehlt Erbitterung und Wurstigkeit", daß es uns denn doch auch diese gefegliche Basis noch der Cholera gegenüber; Was ist endlich geschehen, um für die ärmere Bevölke- etwas zweifelhaft erscheinen möchte, ob sie in der That zum denn das Reichsseuchengesetz ist ja nicht zu stande gekommen. rung bessere Wohnungen zu schaffen, um vor allem zu ver- zweiten Male so aufopfernd und thatkräftig wie 1892 ihre Man denke nun, der Medizinalbeamte ordne wegen eines hüten, daß sie in Räume gepfercht wird, die die Brutstätte Interessen, ihre Eristenz und die ihrer ganzen Familie für Cholerafalles die nöthigen Maßregeln an: auf grund welchen von Entartung und Elend sind? Und doch waren die nichts und wieder nichts der im Interesse des Militarismus Gesetzes will man in so manchen Fällen die Betreffenden schlechten Wohnungsverhältnisse im Gängeviertel zu Ham- geübten Sparkunst des Staates zum Opfer bringen werden. zwingen, dieselben auszuführen? Wir wollen nur an die burg ein gewichtiger Fattor theils für die Ausbreitung Die Verhältnisse, die stärker sind, als die Menschen, werden Ueberführung in ein Krankenhaus, an die Räumung gewiffer theils für die Ueberwinterung der Krankheit. Häuser, an die Beobachtung verdächtig Erkrankter erinnern. Wer will gesetzlich einen leicht erkrankten Schiffer zwingen, fich 5 Tage der Schifffahrt zu enthalten und in Beobachtung zu begeben? Man wird sich auf das Polizeigesetz berufen wollen; aber nach der Ansicht so mancher Juristen wäre das unzulässig.

Man glaube nicht, daß wir übertreiben. Wir wünschen nichts mehr, als daß die, die ein Recht zu haben glauben, Dazu bemerken wir, daß uns ein vernünftiges" Ver- vom grünen Tische aus über diese Sache zu urtheilen, ein­halten aller Staatsbürger vor allem ein zweckentsprechendes mal einige Wochen die Physikatsgeschäfte in einem Kreise Verhalten der Staatsregierung und ein daraus erwachsendes zu verwalten hätten, wo eine gewisse Zahl von Cholera Vertrauen zu ihr vorauszusehen scheint. Bisher tonnten fällen auftritt. Was das für eine Arbeit Tag und Nacht wir uns aber in vollem Umfange davon leider nicht über- ist, welche Verluste in der Praxis eintreten, wie der un­zeugen. Wohl find Vorschriften in großer Bahl und glückliche Physikus sogar von der Bevölkerung gemieden mit dankenswerther Energie erlassen, um für jeden wird, würde dann den Herren Bureaukraten gewiß recht einzelnen verdächtigen Fall die nöthigen Vorkehrungen deutlich werden. zu treffen; aber es ist weder von einer thatsächlichen Ab­stellung örtlicher Mißstände, noch von der Beschaffung besser ausgerüsteter Organe zur Ausführung jener Vorschriften sonderlich viel zu bemerken gewesen.

Man sehe sich nur in den einzelnen Städten um, wie schlecht noch heute die Wasserversorgung und die Abfuhr vielfach eingerichtet sind. Das betrifft weniger vielleicht die großen als die kleineren Städte; aber daß auch in jenen nicht alles so ist wie es sein sollte, das hat uns z. B. die Charlottenburger und die Magdeburger Wasserfrage ge­zeigt. Wie wenig Städte besigen öffentliche Schlachthäuser, und dabei ist die Beschaffung gesunden Fleisches in Cholera­zeiten gewiß von Bedeutung.

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fie eben zuletzt zwingen, die Sache etwas mehr an sich Wohl bestehen gewiß überall die einschlägigen Beherankommen zu lassen, genau so wie es der Staat thut. stimmungen. Aber wer soll sich denn darum kümmern, da Seit über 40 Jahren ist von allen Seiten, auch vom man den Polizeipersonen kaum hygienische Kenntnisse zu- Regierungstische aus, oft genug die unbedingte Nothwendig sprechen kann! Es ist allerdings ein Gegenstand, der nur teit einer Neu- Organisation des Medizinalwesens anerkannt sehr ungern wegen seiner Schwierigkeit von der Exekutive und versprochen worden, damit endlich eine wirksame Be­berührt wird, und" Indiskretionen" in dieser Beziehung fämpfung der epidemischen Krankheiten in Verbindung mit Darum endlich einmal fort mit der Quacksalberei, aus­sind eben nicht angenehm. Aber das kann kein Hinderniß einer obligatorischen Leichenschau und eine geordnete hygie- gekehrt den ganzen alten Wust von Verfügungen und Ver­sein, diese Sache endlich mit Gründlichkeit zu behandeln. nische Ueberwachung aller Zweige des öffentlichen Lebens ordnungen und eine gründliche Neuorganisation des Me­Es fehlt eben auch hier an den nöthigen sachverständigen in Kraft trete. Und doch ist bisher so gut wie nichts ge- dizinalwesens durchgeführt mit wirklichen Medizinalbeamten Organen, und es ist klar, daß das dieselben sein müßten, schehen. Der Militarismus verträgt sich nicht mit der Er- in den Kreisen, damit sie sich den Aufgaben der Hygiene die die oben erwähnten Vorschriften auszuführen und zu füllung von Kulturaufgaben. Die meisten anderen Staaten, widmen, insbesondere auch den Wohnungs-, Ernährungs-, überwachen haben. Das sind die Kreisphysiker, und damit selbst Rußland , find uns hierin weit voraus, so daß Arbeitsverhältnissen der arbeitenden Klasse ihre Aufmerk

Feuilleton .

Nacbrua verboten.)

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Die Bekehrung André Savenay's. Dank für das Versprechen, das zu geben ihr nicht sehr beiben in Wirklichkeit besaß.

Sozialistischer Roman

von Georges Renard.

Kopf zu sich auf ihr Kopfkissen herab und flüsterte ihr einige und den hübschen Ausflügen, die sie gemeinsam unternehmen Worte ins Ohr, die Johanna erröthen ließen. Hatte sie wollten. Die Mutter wieder stellte sich in Gegenwart der mit ihrem weiblichen Scharfblick das Geheimniß ihres Tochter, als ob sie durch ihre Worte ganz beruhigt wäre. Bruders errathen? Sie hatte nämlich mit leidenschaftlichem Sie hatte sogar den Muth, heiter zu scheinen. Und so be­Drängen zu der Freundin gesagt:" Sie werden ihm immer mühten sich die beiden Frauen, durch eine zweifache fromme gut sein, nicht wahr?" Und dann hatte sie Johanna zum Lüge einander eine Hoffnung einzuflößen, die keine von schwer geworden war, gefüßt. Auch Magdalene, die in dem Der Oktober var herangekommen und hatte einen jener Krankenzimmer das Geräusch ihrer Schritte und den Ton schönen Herbstabende gebracht, an denen die Sonne mehr ihrer Stimme möglichst dämpfte, fragte sie: Licht als Wärme über den blassen Azur des Himmels aus­Haft Du Freund André sehr lieb?"" Ach ja!" hatte gießt, an denen das Laub, das in der kalten Morgenluft die Kleine da überrascht und ein wenig entrüstet über diese bleicht und erschauert, einen bezaubernden Reiz annimmt. Frage, geantwortet. Nun," sagte Germaine darauf, denke Germaine wollte, daß das Fenster weit geöffnet bleiben daran, daß Du ihn immer so lieb haben mußt, ja, wenn sollte, um die sanfte Melancholie, welche die ganze Atmo­Du kannst, noch lieber." Die Kleine antwortete nichts, sphäre zu erfüllen schien, die leichte, reine Luft, das gedämpfte aber ohne daß sie wußte warum, bewegte der feierliche Ton, Licht, den Duft der welken Blätter, die tausend Geräusche der in dem Germaine zu ihr sprach und der bloße Gedanke, daß Straße vermischt mit einem fernher dringenden dumpfen Brau­Guter André, wie Du Dich um eine solche Kleinigkeit die Treue ihrer Zuneigung für ihren großen Freund besen, aus dem sich hin und wieder ein lauterer Ton, der Ruf eines so abmühst! Du weißt nicht, wie ruhig ich sein würde, zweifelt werden konnte, fie so, daß ihr die Thränen aus Kindes, das Pfeifen einer Lokomotive, das Wiehern eines Pferdes, wenn ich nicht Deinet- und Mamas wegen unruhig wäre." den Augen stürzten. die freischende Stimme eines Hausirers vernehmlich machte,

Autorisirte Uebersetzung von Marie Kunert .

Ein anderes Mal, als André fich, um sie von ihren Gedanken und ihren Leiden abzulenken, wahrhaft heroisch zusammengerafft hatte, drückte sie ihm schwach lächelnd die Hand und sagte in dem Ton zarten Mitleids, wie wenn er der Kranke gewesen wäre:

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Johanna besuchte in Madeleine's Begleitung häufig Germaine fagte auch zu Norine:" Sorgen Sie so gut ins Zimmer dringen zu lassen. Die Hand in der der Germaine und brachte ihr zierliche Sträuße mit, die sie Sie können für Mama. Sie muß mehr essen und so oft Mutter hatte sie Stunden lang matt dagelegen. Sie schien forgfältig von duftlosen Blumen zusammenstellte. Ger - spazieren gehen, wie zu der Zeit als ich noch da war." Es dabei das Behagen eines Menschen zu empfinden, der fühlt, maine gefiel sich nicht nur darin, die Blumen anzusehen, war, wie wenn jemand eine Reise von einigen Wochen daß er einschläft. Gegen fünf Uhr, als eben die glühend sondern sie berührte auch gern die weißen Herbstanemonen, antreten will und nun noch das Haus den Zurückbleibenden rothe Sonne hinter den hohen Häusern gegenüber hinaba die einfachen Dahlien mit den großen Blättern, die zarten, empfiehlt. Die alte Norine vermochte sich bei ihren Worten sant, bat sie mit schwacher Stimme darum, man möchte ihr bescheidenen Astern mit ihrer violetten Blumenkrone mit nicht zu fassen und eilte in ihre Küche, um hier ihrem den Kopf aufrichten, weil ihr das Athmen etwas schwer wurde. André nahm sie in seine Arme und stützte sie sanft dem goldigen Herzchen in der Mitte, die Maßliebchen , deren Herzen in Thränen Luft zu machen. Stiele sich unter der Laft der leuchtenden Blüthenkrone Frau Savenay war die Einzige, vor der Germaine durch die zusammengelegten Kissen. Als er sie darauf fragte, neigen. Mechanisch zerpflückte sie oft eine dieser Blumen niemals eine Anspielung auf die große Reise, von der sie ob ihr so besser wäre, stieß sie einen tiefen Seufzer aus. und sagte dann, wenn sie es gewahr wurde:" Armes wußte, daß sie ihr nahe bevorstand, machte. Im Gegentheil, Ihre Hand hatte sich in einer konvulsivischen Bewegung, Blümchen, was hattest Du gethan, daß Du sterben mußtest?" in ihrer Gegenwart that die Kranke so, als ob sie an ihre der letzten, zusammengekrampft. So war sie gestorben, wie Eines Tages, als André nicht da war, zog sie Johanna's Genesung glaube. Sie sprach von dem kommenden Frühling man einschlummert.