Nr. 153.
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Redaktion: S. 68, Lindenstrasse 69.
Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1983.
Dienstag, den 4. Juli 1911.
Expedition: S. 68, Lindenstrasse 69. Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1984.
Heute ist der Tag des Proteftes!
Rechtlose, erscheint alle in unseren Versammlungen!
Zeigt, daß Ihr es satt habt, länger Staatsbürger zweiter und dritter Klasse zu sein!
Erhebt Einspruch gegen das Treiben der Chauvinisten, die Euer Gut und Blut für die kapitalistischen Interessen in Marokko einsetzen wollen!
Protestiert gegen den Imperialismus, der kriegerische Gefahren über das deutsche Volk heraufbeschwört!
Legt Zeugnis ab für die Freiheit und den Frieden, für die internationale Solidarität gegen kapitalistisch Völkerverhekung und gegen foloniale Raubpolitik!
Kämpft für das freie Wahlrecht in Preußen und Ihr sichert Freiheit und Kultur gegen kapitalistische Barbarei!
Das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht in Preußen ist die Vorbedingung der Ueberwindung der herrschenden Reaktion.
Der VoritoB
Die Entsendung des deutschen Kriegsschiffes nach Agadir hat wie eine Fanfare gewirkt. Als vor einigen Wochen eine Korrespondenz die Nachricht brachte, daß Deutschland Kriegsschiffe nach Marokko schicken wollte, wurde das von der „ Nordd. Allgem. 8tg." in den schärfsten Worten als eine boshafte, gewissenlose Behauptung zurückgewiesen. Was vor einigen Wochen noch gewissenlos war, ist heute eine nationale Großtat!
Noch vor wenigen Tagen hieß es, zwischen dem franzöfischen Botschafter und dem deutschen Staatssekretär sei in Sissingen unterhandelt worden und die Unterhandlungen seien befriedigend verlaufen. Jetzt stellt sich die deutsche Politit in den schärfsten Gegensatz zu der französischen .
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einiger mächtiger Kapitalistercliquen sich an dies Wert zu gewähren. Sobald Ruhe und Ordnung in Marotto machen. Aber so gefährlich und empörend diese Zumutung wiedergefehrt sein werden, soll das mit dieser ist, es ist noch nicht das schlimmste. Die eigentliche Gefahr Aufgabe des Schutes betraute Schiff den Hafen liegt auf anderem Gebiete. von Agadir berlassen.
Infame Kriegshete.
Das Vorgehen der deutschen Regierung verschärft den Gegenfab zu Frankreich und seinen Bundesgenossen außerordentlich. Die französische Regierung verhandelt Die Rhein. - Westf. 8tg." fügt dem Telegramm von der Entfieberhaft mit der englischen und der russischen, um gemein- sendung des Kriegsschiffes hinzu:„ Die Nachricht bedeutet same Gegenmaßregeln zu treffen. Auf die Forderung des nicht nur Vorteil in der Kolonialpolitik, sondern deutschen Volkes, mit England und Frankreich Vereinbarungen zugleich ist sie der Fehdehandschuh für Frant über die Einschränkungen der Rüstungen zu treffen, antwortet reich und eine Erlösung aus 20jähriger Angstdie deutsche Regierung mit der Verschärfung des Gegensages; unter Hinweis auf die militärische Macht setzt sie ihren Fuß auf den gefahrbollen marokkanischen Boden.
Die deutsche Arbeiterklasse erhebt gegen diese Politik schärfsten Protest. Ihr ist Marokko und alle Mannesmannfonzessionen auch nicht der Knochen eines einzigen deutschen Arbeiters wert. Wir wollen keinen Pfennig und Weder mit Frankreich noch sonst mit einer Macht, die den feinen Blutstropfen opfern, um der kapitalistischen Ausbeutung Algecirasvertrag unterzeichnet hat, hat sich die deutsche Politit ein neues Betätigungsfeld zu sichern. Wir wollen nicht mit ins Einvernehmen gesezt. Sie tat es nicht, weil diese Politit dem englischen und französischen Volte wegen Minenkonzessionen das völlige Aufgaben der bisherigen inter - in Feindschaft geraten. nationalen Verträge bedeutet. Der Algecirasvertrag In der bürgerlichen Presse hat mit geringen Ausist heute ein zerrissenes Stück Papier . Deutschland , jubeln die nahmen das Vorgehen der deutschen Regierung Billigung Chauvinisten, hat seine Handlungsfreiheit wieder. Wozu wird gefunden. Am lautesten bei der tonservativen Presse. Die Reaktionäre sind drauf und dran, es sie gebrauchen? aus Streich der auswärtigen Politik Kapital Das geht das deutsche Volk zunächst nichts an. Das diesem Streich weiß allein die Regierung. Sie erzählt uns, daß die Ent- für die innere zu schlagen. Das deutsche Volk sendung des Kriegsschiffes nötig war, um Leben und Eigentum brennt darauf, Abrechnung mit den Herrschenden zu halten, die deutscher Staatsbürger im Süden Marokkos zu schüßen. Vor ihm im Reiche neue Lasten auferlegt haben, die die SozialSonnabend war von einer Gefährdung deutscher Bürger nichts politik hemmen, und ihm in Preußen die politische Gleichbekannt. Irgend konkrete Tatsachen liegen auch heute nicht berechtigung versagen. Und den Herren bangt bor Da möchten sie denn das deutsche vor. Als die französische Diplomatie ähnliche Behauptungen der Abrechnung. zur Rechtfertigung des Zuges nach Fes aufstellte, wurde sie Volt in eine topflose chauvinistische Begeisterung hineinDas Spiel der Hottentottenwahlen von der ganzen deutschen Presse mit Recht berhöhnt. jagen. Dürfen wir klagen, wenn dieselben Behauptungen der deutschen foll sich wiederholen in zweiter und ver. Offiziösen denselben Unglauben im Auslande finden? stärkter Auflage. Deshalb jubelt die Streuz- Zeitung" Doch wäre es müßig, mit den diplomatischen Vorwänden über den Aufschwung der nationalen Begeisterung", deshalb des deutschen Vorgehens sich eingehender zu beschäftigen. Um wagt das Blatt der rheinischen Großindustriellen die Infamie, so aufmerksamer müssen die Tatsachen beachtet werden. zum Striege gegen Frankreich zu rufen. Zuerst die Wahlen Das Vorgehen der deutschen Regierung schafft eine neue und gemacht und dann mit vollen Segeln ins uferlose Meer einer überaus ernste internationale Situation. Der Kriegszug wahnwißigen Weltpolitik- das sind die Hoffnungen, die das der Franzosen hat die Marokkofrage neu aufgerollt. Die Vorgehen der deutschen Regierung den reaktionären ChauviSpanier benutzten das französische Vorgehen, um Larrasch und nisten eröffnet. Elfsar zu beseßen. Sie eigneten sich unter Bruch der beDie Herren machen ihre Rechnung ohne den Wirt, stehenden Verträge und entgegen den französischen Protesten das deutsche Volk. Ihr Lärm wird die Arbeiter nicht beStücke von Maroffo an. In Frankreich wurden Warnungen täuben, denn zu bitter waren die Erfahrungen, zu hart die laut und der Argwohn, daß das spanische Vorgehen von Lehren der letzten Jahre. Dieselbe Nummer der Nordd. Deutschland um deshalb widerspruchslos hingenommen wurde, Allg. 3tg.", die das attive Eingreifen Deutschlands in Marokko damit auch die deutsche Regierung ohne Rücksicht auf den gemeldet hat, hat auch die Erklärung der Regierung gegen Algecirasvertrag vorgehen könne. Nun hat Deutschland das gleiche Wahlrecht in Preußen enthalten. Im sein Kriegsschiff nach Agadir gesandt. Zugleich läßt die gleichen Atemzug wurde den deutschen Arbeitern zugeniutet, ihre Regierung offiziös verkünden, daß Muley Hafid macht- Knochen für die materiellen Interessen der herrschenden Klasse Tos sei, sie selbst den Schutz der deutschen Interessen zu Markte zu tragen und politische Heloten zu übernehmen müsse. Dieser Schutz" wird wird durch die bleiben. Als Kanonenfutter und Stimmvieh wären die aber gut genug, Stationierung eines kleinen Kriegsschiffes kaum gewährleistet. Arbeiter bollberechtigte Aber andere können folgen, und man weiß, daß in Marotto Staatsbürger werden sie nicht anerkannt. I sich„ Zwischenfälle" nach Bedarf einzustellen pflegen. Dann Nein, als Wahlparole wird der Marokkofeldzug doch nicht ergibt sich die Notwendigkeit der Truppenlandung und zu brauchen sein. Deutschland ist in Marotto ebenso engagiert wie Frankreich und Spanien .
macht.
als
Die offizielle Erklärung.
Die Mitteilung der deutschen Regierung an die In der Tat bedeutet die Entsendung des Kriegsschiffes Mächte über die Entsendung des Panther nach Agadir lautete nicht mehr und nicht weniger, als daß Deutschland seinen wie folgt: Anspruch an die marokkanische Beute geltend Deutsche Firmen, die im Süden Marokkos und besonders Die Macht Deutschlands wird den Marokko - in Agadir und Umgegend tätig sind, find über eine gewisse Interessenten, den Gebrüdern Mannesmann an der Spige, Gärung unter den dortigen Stämmen beunruhigt, die durch zur Verfügung gestellt. Ein neues unabsehbares Kolonial- die letzten Ereignisse in anderen Teilen des Landes herbor abenteuer droht dem deutschen Volke! gerufen zu sein scheint. Diese Firmen haben sich an die Kaiserliche Maroffo wird von unabhängigen, kriegerischen Stämmen Regierung mit der Bitte um Schutz für Leben und Eigentum bewohnt. Die üblen Erfahrungen der Franzosen zeigen, daß gewandt. Auf ihre Bitte hat die Regierung beschlossen, ein KriegsSte Unterwerfung Nordafritas ein langwieriges, fostspieliges schiff nach dem Hafen von Agadir zu entfenden, um nötigenfalls und blutiges Werk ist und den Krieg in Permanenz den deutschen Untertanen und Schußgenossen wie auch den beträchtbedeutet. Dem deutschen Volkt wird zugemutet, im Dienste lichen deutschen Interessen in jenen Gegenden Hilfe und Schutz zu
politit"
In dem Leitartikel Hurra! Gine Tat!" heißt es:
Es wird wie ein jubelndes Aufatmen durch unser Wolf gehen. Der deutsche Träumer erwacht aus zwanzigjährigem Dornröschenschlaf. Endlich eine Tat, eine befreiende Tat, die den Nebel bittersten Mißmutes in deutschen Landen zerreißen muß.... Bor Agadir liegt ein deutsches Kriegsschiff. Die Verständigung mit uns über die Aufteilung steht ihnen( den Franzosen. D. R. ) noch frei. Wollen sie nicht, dann wird der Panther" die Wirkung der Emfer Depesche haben. Das deutsche Volt wird zeigen, daß es seine Ehre zu wahren weiß.
Endlich eine Tat, eine befreiende Tat! Verschwinden wird mit einem Male der kleinliche Hader um die Steuergroschen, ein Ende haben wird die Selbstzerfleischung unseres Volkes, der jammervolle Parteienhader, die Frechheit der Welschlinge. Hinter unferer Regierung wenn sie durchhält!- steht geeint das
ganze Volt...."
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Die bürgerliche Presse über Marokko .
Die bürgerliche Presse nimmt mit wenigen Ausnahmen das Vorgehen der deutschen Regierung mit großer Genugtuung auf. Berhältnismäßig ruhig bleibt die flerikale„ Germania ". die schreibt:
" Der springende Punkt ist es, daß eben Deutschland nur, fo= lange die Anarchie in Marotto andauert, dieſe außerordentliche Maßregel ergreift, und daß sich die Regierung nicht durch das Geschrei der Scharfmacherpreise beeinflussen läßt zu einer weiter gehenden Aktion. Wie gesagt, wir wollen und verlangen den Schutz der Interessen unserer Bürger im Ausland, aber wir fordern ebenso, daß die Regierung alles tut, um zu vermeiden, daß ein ernster internationaler Konflikt von wegen Marokkos ents steht. Das deutsche Volt, dessen sind wir gewiß, will in seiner großen Mehrzahl diesen Konflikt nicht; hierzu sind ihm die Interessen einiger großen Firmen nicht wichtig genug auch nicht das Bestreben einiger Männer, die eine drohende Wolte am politischen Himmel für eine gute ,, Sammelparole" halten! Freilich von der deutschen Regierung wird es nicht allein abhängen, wie sich die Affäre weiter entwickelt, sondern noch in höherem Grade von der Haltung Frankreichs .
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Es ist sehr zu bedauern, daß der Reichstag nicht beisammen ist, wir sind überzeugt, daß die große Mehrheit der Parteien eine ebenso würdige als feste Haltung bewahren würde, die weit ab von allem Chauvinismus, die Franzosen davon überzeugte, daß wir durchaus keine Abenteurerpolitit in Marotto treiben
wollen."
Einige Opposition macht eigentlich nur das„ Berliner Tageblatt":
,, Man fann in dem Dunkel, das diese Gewaltigen( die Berliner Staatsmänner) über ihre Absichten breiten, nur nach der Antwort auf die Frage suchen: Wollen sie neue Verhand lungen überhaupt nicht mehr oder soll das Erscheinen des fleinen Schiffleins die Aufforderung zu neuen Versprechungen bilden? Das erstere wäre eine Frivolität sondergleichen, für die kein Mensch in Deutschland oder Frankreich , der feiner fünf Sinne mächtig ist, ein Verständnis hätte. Also muß die Absicht der deutschen Regierung gewesen sein, die Basis zu neuen Verhandlungen zu schaffen, d. h. mit Frankreich , mit dessen Entgegenkommen man bisher nicht zus frieden war, unter veränderten Bedingungen zu verhandeln... Wir lassen es dahingestellt, ob dazu eine so deutliche und zum mindesten mißverständliche Geste nötig war, wie die Entfendung eines Kriegsschiffes. Aber jedenfalls dokumentiert, hat Deuschland und dafür spricht nichts flarer, als die Aufnahme, die sein Vorgehen in Spanien gefunden hat, daß es mit dem Algeciras. bertrag fertig ist. Es respektiert ihn fürder nicht mehr und nicht weniger, als Frankreich und Spanien getan haben und tun. Den Sultan Muley Hafid hat es aufgegeben."