in Marokko verpflich/et hat. Da der Premierminister ASquith von einer„veränderten Situation" gesprochen hat. die angeblich eine größere Aktivität der brU ischen Politik in Marokko bedingt,'so er» scheint Deutschland um so mehr im Recht, wenn es aus der durch das Vorgehen Frankreichs geänderten Lage die 5kiönsequenzen jfchte 3i>er drohende Ton einzelner Pariser Blätter wild hier nicht e r n st genommen, ebenso« wenig wie die erneuten ersuche, die Absendung eines englischen und eines französischen Kriegsschiffes nach Agadir z« veranlassen. Man wetß an den zuständigen Stellen in London und Paris sehr wohl, daß ei» derartig unfreundlicher Akt die Lage verschlimmern und die Ausfpvache ungünstig beeinflussen wiirde, die der frnnzWsche Botschafter Combo» nach seiner Rück- kehr hierher einleiten wird." Diese Art der Polemik trägt sicher nicht dazu bei, die Situation zu verbessern. Sie zeigt nur, daß die englische Stellungnahme den Wünschen des Herrn v. Kiderlen-Wächter nicht entspricht. England und der deutsche Vorstoß. . London , ö. Juli.(Eig. Ber.) Die abwartende Haltung, die die englisch « Regierung in der durch das Eingreifen Deutschlands wieder akut gewordenen Marokko » frage einnimmt, ist wohl dem Unistand zuzuschreiben, daß man hier das Eintreffen des deutschen Adlers vor der Wohnung des todkranken Marokkaners schon seit einiger Zeit erwartet und für den Fall auch schon seine Borkehr uugen getroffen hat. Auch über die Art des deutschen Eingreifens war man angesichts der vielen Beispiele, die die deutsch « Dreschslegeldiplomatie in den letzten Jahren von ihrer Kmist gegeben hat, nicht in Zweifel. Aus strategischen Gründen glaubt die englische Regierung nle und nimmer darin einwilligen zu können, daß Deutschland A g a d i r oder irgendeinen anderen Hafen an der maroktaniföben Küste in Besitz nimmt. Und daß die Besitzergreifung eines solchen Hafens im Bereich der Möglichkeit liegt, davon können alle AblengmingSversuche eines Teiles der offiziösen Presse Deutschlands nichts ändern. England einigte sich im Jahre 1904 mit Frankreich und später mit Spanien über Marokko . Nun da Deutschland eingegriffen hat, das bei den früheren Verträgen nicht in Betracht kam, ist die Stellungnahme Englands ihm gegenüber dieselbe, die England Frankreich gegenüber bor 1004 einnahm. Dies ist nach dem„Daily Graphic" der Inhalt einer Mitteilung, die die englische Negiernng dem deutschen Gesandten in London zustellte. Nach dieser Angabe wäre England also der pfiffige Schacher«, der sich«ntschloffen hat, die schon einmal verkaufte Ware zugunsten seines französischen Freundes noch einmal zn verkaufen, um vielleicht dafür einen uner- schwinglichen Preis zn verlangen. Es ist nicht zu leugnen, daß die Möglichkeit, daß Agadir ein deutscher Hafen wird, von dem ans deutsche Kriegsschiffe leicht olle Handelswege Englands beherrschen könnten, die Oeffentlich« keit beunruhigt. Die chauvinistische Presse Englands schickt sich schon an, die neue drohende Gefahr nach allen Regeln ihrer ge- wissenlosen Kunst auszunützen. Die chauvinistische Trommel hat hier- zulande in der letzten Zeit viele Löcher bekommen und das neue marokkanische Ziegenfell kommt ihr daher zn starten und dürste sich als sehr dauerhaft erweisen. In der inländischen wie in der äußeren Politik scheint die deutsche Regierung nur danach zu trachten, sich möglichst viele Feinde zu schaffen oder ihren Feinden Waffen zu liefern. Mit dem Abenteuer in Agadir hat sie diese Auf- gäbe in bezug auf England glänzend gelöst. • Die aUdeutfebe JVIarolikobetze. Die alldeutsche und die Scharfmacherpresse vom Schlage der »Täglichen Rundschau' und der. Rh e in isch« We st- fälischen Zeitung?- bleibt bei ihrer gemeingefährlichen Haltung in bezug auf den neuesten deutschen Marokkostreich. Sie läßt sich nicht wie die übrige Preffe auf mehr oder weniger phantastische Kombinationen über die EntWickelung der politischen Lage ein. sondern verlangt klipp und klär die Besetzung von Agadir und seines Hinterlandes. und zwar selbst um den Preis eines Krieges mit Frankreich . So be- greiflich das vom Standpunkte der alldeutschen Maulhelden— daß General Keim und General v. L i e b e r t auch dazu gehören, ist selbstverständlich— und dein Standpunkte der Blätter ist, die mit dem Geld« der Panzerplatten» und Kanonenfabrikanten ihr Leben fristen, so ist das wüste Hetzen doch geradezu verbrecherisch. Und das un, so mehr, als diese Blätter mit der größten Verlogenheit zu Werke gehen. Sie wissen, was sie dem„national" verblödeten deutschen Spießer bieten können, die politisch reife Arbeiterschaft wird aus ihren Schwindel nicht hereinfallen. So schreibt die„Tägliche Rundschau" zu der Eni- sendnng des Kreuzers„Berlin ", daß die von den maroklanischen Rebellen bedrängten Deutschen von den Wällen AgadirS den tapferen deutschen Seeoffizieren und den„frischen, blauen Jungen" zujubeln werden; sähen sie doch, daß man ihrer in der Heimat nicht vergessen habe. Ein größerer Schwindel ist noch nicht dagewesen. BiS jetzt hat weder die Negiernng noch ein einziges bürgerliches Blatt eine be« stimmte Angabe machen können, wie viel Deutsche sich eigentlich in und um Agadir befinden. Die phantastischen Erzählungen dcS eng- tischen SeniattonSblattes„Daily Mail" von ein paar deutschen ManneS- mann-Jngenieuren. die mit ihrem reichhaltigen Proviant die Ein- geborenen im EuS-Gebiet durchfüttern, hat kein einziges deutsch - ofsiztöseS Blatl zu bestätigen�gemagt. Wenn wir vor einigen Tagen sagten, daß nicht ein halbes Dutzend Deutscher sich in Agadir nnd Umgegend befinde, so sagen wir heute, daß nicht ein einziger Deutscher sich .zurzeit dort aufhält, ebensowenig wie kaum ein anderer Europäer .jetzt in jener Gegend zu finden sein wird. Möglich, daß ein paar zweifelhaste Subjekte arabischer, berberischer oder jüdischer Herkunft sich für ein paar DuroS einen deutschen Schutzbrief haben aus- drängen lasten, um als Unterhändler für die Firma Mannesmann Landkäufe zu machen. Diese ganz unkontrollierbaren Geschäfte einer speknlätionSlüsternen und skrupellosen Firma repräfenlieren auch so ziemlich die ganzen„deutschen Interessen", die nach der RegterungS- erklärung durch Entsendung„zunächst" eineS Kriegsschiffes wahr- genommen werden sollen. WaS sonst an deutschen HandekSwerten in Südwest-Marokko noch in Frage kommen könnte, ist nicht in Agadir , das bekanntlich feit l'/s Jahrhunderten für jeden europäischen Handel gesperrt war. fondern in Mogador zn suchen. Wir glauben aber sehr reichlich zu schätzen, wenn wir den Wert be-Z deutschen Handels über Mogador auf jährlich eine halbe Million Mark taxieren. Wir sind gewiß da- für, daß dem deutschen Handel in.Marolko die denkbar größte Be- wegungsfreiheit gesichert wird, aber daS Risiko eines Kolonial- oder gar Weltkrieges. sind die gegenwärtigen deutschen HandelSintereffen dem, doch nicht wert. Man möge sich auf dem Wege friedlicher Verhandlungen einigen, bei denen mal, sicher mehr erreichen wird als durch ein Heruinfuchteln mit der gepanzerten Faust.' An solchen Verhandlungen hat es in der letzten Zeit nicht gefehlt. Sogar daS internationale Kapital hatte sich über die Aus- beutunz der marokkanischen Minen geeinigt, nur die Firma ManneS- mann zeigte sich von vornherein dickfellig und Ivollte für sich einen besonderen Anteil cm der marolkanischen Beute sichern. So spricht der.Tewps", sonst da» Sprachrohr der rücksichtslosesten französischen Marokkoireiber. sehr vernünftig über diese friedliche Verständigung. Er zählt die seit 190S geführten Verhandlungen über verschiedene dentsch-französische Unternehmungen und Projekte in Marokko und den afrikanischen Kolonie» ans und weist ans die Verhandlungen über den Bau der Kamerun — Kongobahn tin, die von Kamerun nach Französisch-Kongo führen und womöglich nach dem belgischen Kongo - staate verlängert werden sollte. Obgleich bereits die Gründung einer mit den Vorarbeiten zn betrauenden Gefellschaft geplant und eine Kilometer- garantie seitens der französischen und der deutschen Regierung inS Ange gefaßt worden war, gerieten die Verhandlungen, die im April dieses Jahres angeknüpft wurden, im Juni ins Stocken. Ebenso seien die über die deutsche Beteiligung an marokkanischen Bahn- bauten geführten Verhandlungen seit Rücktritt des Kabinetts Briand ins Stocken geraten. Der„TempS" bemerkt weiter: Die. Verhand- lungett zeigten, daß auf beiden Seiten der gleiche Wunsch nach Ver- ständigung bestand. Leider haben innerpolitische Streitigkeiten Frankreichs internationale Angelegenheiten in bedauerlicher Weise beeinflußt. Wie dem aber auch sei, Frankreich und Deutschland könnten unschwer in Besprechungen eintreten, sie brauchten zu diesem Zwecke nur die seit langem begonnenen Verhandlungen mit größerem Eifer wieder aufzunehmen. Diese ruhige Sprache— mag sie beim„TempS" auch recht egoistischen Motiven entspringen— paßt natürlich unseren Alldeutschen und Panzerplattenpatnoten nicht in den Kram und daher ihre wüste Kriegshetze. Am widerwärtigsten ist dabei daS Gebaren der„Rheinisch- Westfälischen Zeitung". Dieses Blatt der Schlotbarone sucht ausgerechnet den deutschen Arbeitern klar zu machen, daß uns eine Kolonie ziw Ansiedelung des BebölkerungsüberschuffeS. zur Versorgung mit Getreide und Rohstoffen, bor allem aber mit Baumwolle bitter not tue. All das sei aber in geradezu idealer Vollkommenheit in Südwest- Marokko zu finden. MS ob die dort ansässigen Berbersiämme, die«ort freier und unabhängiger find als die gewiß schon gefährlichen Ristkabylen, von denen sie zum Teil abstammen, sich so ohne weiteres ihr Land ivegnehmen ließen. Sie find keine schlecht bewaffneten Hereros, die man in verhältnismäßig kurzer Zeit abtim imd vernichten konnte. Ein Blick auf die Geschichte der Jahrzehnte währenden französischen Kämpfe in Algerien genügt schon, um zu wiffen, daß sich das deutsche Volk durch eine Besetzung marokkanischen Gebietes in die Gefahr eine? ewigen Kolonialkrieges stürzen würde, ehe überhaupt an die Möglichkeit einer deutschen Ansiedelung oder der Ausfuhr von Getreide und Baumwolle gedacht werden könnte. Dabei ist das Klima jener südmarokkanischen Gegenden filr Europäer höchst ungesund. Auch ist es sehr fraglich, ob bei der häufig ein- setzenden Trockenheit sich Baumwoll- und Getreidekulturen in größerem Maßstab anlegen laffcn würden. An eine künstliche Regulierung der Vewäfferung durch große technische Anlage» ist bei der Feindseligkeit der BerberstSmme in absehbarer Zeit nicht zu denken. Deutschland müßte sich jeden Fußbreit Landes erst erkämpfen— die Kämpfe der Franzosen mit den Kabylen und der ewige Kleinkrieg der Spanier im Riffgcbiete beloeisen da? zur Genüge— und die Unkosten de» Unternehmens wären hundertmal höher als der auch in Jahrzehnten noch problematische Ertrag. DaS alles weiß die„Rheinisch-Westfälische Ztg." auch recht gut. Sie baut aber auf die Leichtgläubigkeit und Urteilslosigkeit des deutschen Bürgertums, daS nicht merken soll, wie die Soldschreiber des GroßkqpitalZ mtr im Jntereffe ihrer AustragKeber arbeiten, deren Weizen bei emem Kolonialkriege natürlich auf» schönste blühen würde. Und kommt es dabei zu einem europäischen Kriege, s» kam, es den Herren auch recht sein, das Geschäft geht dann noch besser. Angesichts, dieser Gewissenlosigkeit ist eS immerhin beachtenswert, daß»in-stmst.slleö andere als franzoseiffttundliche Blatt, die„Ha m- bne�er Räch richte n", einst das Leibblakp'MSmarckS, schreibt: „Wir würden eS für ein Verbrechen gegen da» Vaterland halten, um Marokkos willen Krieg zu führen." Also nicht einmal die Hamburger Reederkreise, die hinter diesem Blatte stehen und die gewiß jeden Profit gern mitnehmen, haben Lust, sich um der Privat- interessen der Firma Mannesmann in ein aussichtsloses und gefähr- liche» Geschäft, zu stürzen.. Eine ganz verschrobene Stellungnahme kann man in der„Post" finden. Daß dieses Blatt im Grunde seines Herzens eine» Krieg mit Frankreich ganz gen, sehen würde, versteht sich von selbst. Diese KriegSlüsternheit diktiert dem Blatte auch seine Stellung zur Marokkostage. Er bezeichnet als Hauptaufgabe Deutschlands , dafür zu sorgen, daß die schwarzen und arabischen Truppen Frankreichs nicht auf einen europäischen Kriegsschauplatz gelassen, bielmehr in Nordastika festgelegt werden. Um das zu erreichen, muffe Marokko entweder.ein souveräner, starker mohammedanischer Staat werden oder Deutschland miiffe die Mittel zu einer mohammedaniswen Insurrektion gegen Frankreich in Nordafrika in den Händen erhalten. Leider schweigt sich das edle Blatt darüber aus, wie es sich da» letztere vorstellt. Soll Deutschland vielleicht von Südwest« Marokko aus die marokkanischen und algerischen Stämme gegen Frankreich auswiegeln, damit«S seine astflkanischen Truppen nicht auf einen europäischen Kriegsschauplatz schicken kann? Der Plan ist so blöde, daß man ihn nur auf daS Konto der Julihitze setzen muß. Bei dieser Gelegenheit leistet sich die„Post" so ganz au» dem Zusammenhange heraus eine Anrempelung des„Vorwärts". In fetter Schrift schreibt sie nämlich: „Im übrigen stellen wir an den„Vorwärts" heute die Frage, wie er sich zu der Frage der schwarzen und algerisch-marokkanisch- arablsch-berbcrischen Armee Frankreichs stellt. Ob er deutschen Soldaten— also doch wohl auch deutschen Handarbeitern— zumuten will, im Kriegsfall nicht nur gegen einige Regimenter, sondern gegen ganze Armeen von einigen Hnnderttaiisenden dieser wilden Kerle zu kämpfen und ob er deutsche Franen und Mädchen — also wohl auch deutsche Handarbeiterfrauen nnd-mädchen— den Brutalitäten dieser Schivarzen preisgeben will." Man möchte mit dem seligen Stumm fragen: Welcher Esel hat daS geschrieben? Denn nachgerade weiß jedes Kind, da« das deutsche« wie das französische Proletariat gegen jeden kriegerischen Konflikt ihrer beiden Länder find. Ferner sollte jeder, der nur ein- mal seine Nase in die Politik gesteckt hat, wissen, daß die internationale Sozialdemokratie ein Bolisheer erstrebt, mit dem Angriffskriege ein« fach ausgeschlossen sind. DaS ist klar und deutlich im Programm der deutschen Sozialdemokratie auegesprochen und daS verlangt unter anderem auch Genosse Jaurös in seinem kürzlich erschienenen Buche „L'armöo nouvello"(Die neue Armee). Nicht wir sind eS also, die daS Turkogespenst heraufbeschwören, sondern das„Post'-Gelichter nnd seine Spießgesellen bringen deutsche Soldaten und deutsche Frauen und Mädchen in Gefahr, den„wilden Kerlen" Afrikas preis- gegeben zu werden. poUtilcbe deberlicbt. Berlin , den 7. Juli 1911. Zur Reichsfinanzloge. Der„NeichSanzeiger" veröffentlicht die Ergebnisse des Reichshaushalts fiir das Rechnungsjahr 1910. Danach ergibt sich ein Ueberfchutz von 117 700000 M. Die Einnahmen an Steuern. Zöllen usw. haben den; Voranschlag um 57'/, Millionen überschritten. Die Ueberschüffe der Reichs« postvertvaltung weisen ein Mehr von 19.7 Milltones Mark ans._ Zur Reichstagsersastwaht ttt Düsseldorf . Lange haben die Nationalliberalen geschwankt, ob sie für die am 19. September stattfindende Reichstagsersatzivahl in Tiisseldors einen eigenen Kandidaten aufstellen sollten oder nicht. Schließlich smo sie, wie zu erwarten war, zu dem be» quemen Entschluß gelangt, keinen Kandidaten aufznstellciH und mit verschränkten Armen dem Kampf zwischen Sozial- demokratie und Zentrum zuzusehen. Wie nämlich aus Düffel- dorf telegraphisch gemeldet wird, hat der Hauptvorstand der liberalen Vereinigung, die zum größeren Teil aus National» liberalen, zuni kleineren aus Freisinnigen besteht, beschlossen» diesmal auf die Aufstellung eines eigenen Kandidaten zu ver» zichten, obgleich bei der letzten Wa-hl für den National« liberalismus iin Düsseldorfer Wahlkreise 14664 Stimmen abgegeben worden sind. Bestimmend für den Beschlaß ist jedenfalls gewesen, daß in den Kreisen der rheinischen nationalliberalen Groß- industriellen die Neigung besteht, zu den nächsten allgemeinen Neichstagswahlen mit dem Zentrum eine Art Wahlkartell gegen die Sozialdemokratie abzuschließen: während anderer- seits in den jung- und linksliberalen Kreisen der Kampf gegen rechts gefordert wird. Dieiem Dilemma zu entgehen, haben die leitenden Größen der liberalen Vereinigung Düsseldorfs allem Anschein nach eine besonders kluge Taktik anzuschlagen gemeint, wenn sie sich der direkten Beteiligung am Wahl- kanipf enthalten und jedem Liberalen überlassen, ob und wie er stimmen will. Wahrscheinlich spielt dabei im stillen die Erwartung mit, daß der weitaus größere Teil der national- liberalen Wähler einen Zentrumsmann dem Sozialdemokraten vorziehen und also der klerikale Kandidat siegen wird. Gespannt sind wir, welche Stellung die freisinnige Volks- Partei zu dem Entschluß der Düsseldorfer Liberalen ein- nehmen wird. Das„Berliner Tageblatt" fordert zur Auf- stellung eines fortschrittlichen Kandidaten auf. Es fragt: „Was sagt die Fortschrittliihe Volkspartei zu dem gestrige» Beschluß der Düsseldorfer Liberalen? Darauf wird alle? ankommen, llntcr den heutigen Umständen kann es aks selbst- verständlich gelten, daß dieser Beschluß für den entschiedenen Liberalismus nicht bindend sein darf. Wollen die Nationalliberalen trotz der mehr als 14 000 Stimmen, die sie bei der vorigen Wahl ausbrachten, die Flinte ins Korn werfen. dann muß sie von den Anhängern des entschiedenen Liberalismus aufgenommen werden. Jetzt ist es für die Fortschrittliche Volks- Partei Zeit, einen eigenen Kandidaten in Düsseldorf aufzustellen und keinen Zweifel daran zu lassen, daß sie bei einer etwaigen Stichwahl den sozialdemokratischen Kandidaten gegen den Kandidaten des Zentrums unterstützen wird. Die blau« schwarzen Parteien müssen zurückgeworfen werden, das versteht sich unter den heutigen Verhältnissen von selbst. Auch hier heißt es: Liberale Bürger» heraus!" Ganz richtig— aber das„Berliner Tageblatt" bat wenig Einfluß auf die Führerschaft des Freisinns..«-* Die„rote Gefahr" und die katholische Kirche . Die„Berliner Reuesten Nachrichten" versuchten an der Hand der Neichstagswahlflatissik nachzuweisen, daß von einer ultr am on» tauen Gefahr keine Rede sein könne, wohl aber drohe eine rot« Gefahr, gegen die alle Parteien zusammenhalten müßten. Di« „Germania " freut sich dieser Argumentation. Sie weiß auch ein Mittel gegen die rote Gefahr, die sie nicht so sehr in der Zahl der Mandate als in der Zahl der Stimmen sieht: „Im Parlament selbst ist die Sozialdemokratie nicht so schlimm, daß der Staat ernstlich etwas befürchten müßte; die rote Mehrheit ist eine Phantasie; in allen Lebensfragen der Nation wäre nicht» zu fürchten, wenn selbst 44V rote Abgeordnete gewählt würden; die Mehrheit von 2SV Abgeordneten aber— 230 ohne die Polen — müßte dann nur umso fester zusammenhalten. ES mag hier und dort unangenehm fein, eine so starke rote Fraktion zu haben; aber das Gefährlichste ist dies an der Sozial- demokratie nicht. Dem Staats- und Völkerleben wird vielmehr weit mehr zugesetzt, und deshalb wird es weit bedenklicher bedroht durch die roten Volksmassen: sie find die einzige Gefahr für die deutsche Nation. 150 Sozialdemokraten im Reichstage sind nicht so bedenklich ivie 10 Millionen sozialdemokratisch gc- sinnter Deutscher einschließlich der Familien. Hier muß der große Kamps auSgesochten werden. Was aber tut der Staat hier zur Abwehr? So gut wie nichts." Ausnahmegesetze, so meint die„Germania " weiter, helfen nicht. Militarismus und Sozialpolitik nützen auch nicht», und wenn die Kirche sich anbietet, lehnt er(der Staat) diese Hilfe ab; wir er- imiern hier an daS FortbildungSgesetz usw. Rur ja nicht zu viel Religion! Diese große liberale Irrlehre steckt in unserem Staate noch so tief in den Knochen, daß er lieber dem Ruin entgegeneilt, als daß er diese Hilfe annimmt. Darum die rote Gesahr." Warum macht sich denn die Kirche nicht ohne StaatSunterstützung an die Bekämpfung der roten Gefahr? Oder traut sich die Religion ohne polizeiliche llnterstiitzuug die Kraft nicht zu. den roten Feind zu schlagen? Viel Vertrmien in die„göttliche Kraft de» religiösen Gedankens" würde das gerade nicht beweiseil. Ter Ruhm des JunkerparlainentS. Nachdem vor einigen Tagen der freikonservative Abgeordnete Freiherr v. Zedlitz und Neukirch in einem Artikel des roten„Tag" dem preußischen dreiklassigen Junkerparlament die Diagnose gestellt hat, daß eS an hochgradigem Marasmus leidet, folgt in demselben Blatt der zahm-sreisünüge Abgeordnete Dr. Pachnicke mit einer ähnlichen Schilderung der gänzlichen parlamentarischen Verwahr- lösung de? preußischen Abgeordnetenhauses. Er schreibt: „Wenn ein Rückschluß von dem Erzeugnis auf die erzeugenden Kräfte gezogen werden soll, so lautet er für daS geltende Wahlrecht ungünstig. DaS Dreiklassenparlament stand nicht auf der Höhe feiner Aufgabe. Es hatte nicht Drang und Fähigkeit gemig, um die ihm erwachsenen Pflichten zu erfüllen. Eine Gleich- gültig keit war über das Hans gekommen, die sich am deut- lichsten dadurch kundgab, daß in der 97. Sitzung 173, in der 98. 207 Mitglieder ohne Entschuldigung fehlten. Die Gleichgültigkeit der Gewählten hängt mit der Gleich» güliigkeit der Wähler zusammen. DaS jetzige Wahlrecht führt im Durchschnitt höchstens einige 30 von hundert Wählern an die Urne, in manchen Fällen Nur 20, 10, ja auch nur 8 und 2 vpm Hundert. Bei größerer Wahlbeteiligung ständen die Mitglieder des Ab- geordnetenham'es unter weit schärferer Kontrolle und würden einen solchen Grad von Lässigkeit nicht wagen.... Die Mehrheit betrachtet daS Mandat nicht als ein Amt mit zwingenden Pflichten, sondern als eine Nebenbeschäftigung, der man sich je nach Gelegenheit nnd Gefallen widmen oder entziehen kann. DaS geht so weit, daß man manche der Kollegen im Laufe einer Lcaislaturperiode kaum kennen lernt. Oft sind mehrfache dringende Rund« schreiben oder Telegramme nötig, um die Säumigen herveizuschuffen. Finanzielle Folgen nuipfen sich an da« Ausbleiben nicht; sybald sich der Abgeordnete zu Beginn der Session im
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten