Genosse Bauer von der Generalkommission und Molken- buhr vom Vorstand der sozialdemokratischen Partei Deutsch- lands ergriffen dann das Wort. Die Reden der deutschen Delegierten weckten besonders starken Wiederhall. Nach ihnen redeten noch Tom Mann(England), B a r r i o N e g r e (Spanien ), K o n l t e k(Holland ). Namens der französischen sozialdemokratischen Partei legte Abgeordneter L a V a u d (Paris ) und namens der Konföderation die Genossen Jon- H a ux und Ivetot die Bedeutung des Tages dar. Folgende Resolution wurde einstimmig angenommen: Die am 4. August im Wagramsaale anivesendeu Arbeiter sind einmütig veriammelt, um laut gegen die Regierenden aller Nationen zu protestieren, die, um die moustriellen Gegensätze zu lösen, unter dem Druck der Finanzpiraten die Arbeiter in den internationalen Konflikt mitzureißen suchen. Dieser kapitalistischen Konkurrenz setzen die Arbeiter ihre Älassensolidarität entgegen. Die deutschen , spanischen, englischen. holländischen und französischen Delegierten der Arbeiterorganisationen erklären daher, bereit zu sein, sich jeder Kriegserklärung mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu widersetzen. Jede vertretene Nation übernimmt die Verpflichtung, gemäß den Beschlüsien ihrer nationalen und der internationalen Kongresse gegen alle verbrecherischen Um- triebe der herrschenden Klasse zu handeln. Unter dem Gesang der Internationale wurde die Versammlung geschlossen. Bierchrlichc Freude über den Marokkoschacher. Halle, 5. August. Tor Köscncr Kongreß deutscher Korps- st u d c n t c n hat folgendes Telegramm an Exzellenz von K i d c r- len-Waechter gesandt: Die in Halle zu außerordentlicher Tagung versammelten deutschen Korpsstudenten gestatten sich, Euer Exzellenz zu der tatkräftigen Vertretumg dcutschnationalcr Interessen ihre Begeisterung und ihr freudiges Vertrauen kundzugeben und geloben treue Gefolgschaft zur Wahrung und Mehrung vater- ländischcr Ehre und Größe. Ei. ei! Was werden„Post" und„Nationallibcrale Korre- spondcnz" zu diesem Jubel der Korpsicrs, dieser„Blüte der Na- tion". sagen! Nie«ler Sepsralkmu; den fozialdemo- krafifchen Charakter verdirbt! Aus Wien wird uns vom 3. August geschrieben: Daß der Separatismus — das„böhmische Staatsrecht" inner- halb der Sozialdemokratie — die Leugnung des echten Jnter- Nationalismus ist, unterliegt keinem Zweifel und ist auch in Kopen- Hägen von der gesamten Internationale bekräftigt worden. Aber die nationalistische Absonderung in der Gewerkschaftsbewegung, wie sie nun bei den tschechischen Genossen alleinselig- machendes Dogma geworden ist— die n a t i o n a I i st i s ch e: denn von dem ganz berechtigten Streben jedes Proletariats, seine Kraft als Ganzes und Einheit national zusammen- zufassen, hat sich der tschechische Separatismus nun himmelweit ent- weit entfernt— diese tschechische Abschließung und Sonderung muß untveigerlich auch zur Verschüttung des Klassenbewußt- s e i n S führen. Wer die tschechische Partei in den letzten Jahren am Werke gesehen und es beobachtet hat, wie die prinzipiell und programmatischen Auffassungen immer mehr den oberfläch- lichsten taktischen Bedürfnissen weichen mußten, wie das ganze Tun der Partei immer ausnahmsloser von dem Gedanken be- herrscht war, was die Gegner dazu sagen könnten, der wird über die Entwickelung, wie sie nun offenbart wird, freilich nicht überrascht sein und am wenigsten wird er sich über die tief- gehende Aenderung dieser einstmals stolzklassenbewußten Partei durch den Aufputz der radikalen Redensarten täuschen lassen, in denen die Separatisten dann am meisten exzellieren, wenn die Dinge ihnen am schroffsten widersprechen. Aber wer die mährischen Separatisten nun in einer förmlichen Gefangenschaft, der bürgerlichen Politik wahrnimmt, weiß leider genau, wie es um das Klassenbewußtsein der tschechischen Partei nun beschaffen ist. Was kommen mußte, ist in Mähren gekommen: der Separa« tiSmus, der einen Keil in die tschechische Arbeiterschaft hinein- trieb und sich den deutschen Sozialdemokraten bewußt entfremdete, der mußte dahin gelangen, bei den Bürgerlichen An- lehnung zu suchen. DaS ist in Mähren fast auf den Tag ein- getreten: kaum war der Separatismus ausgebrochen, wurde die bis dahin tobende Fehde mit den bürgerlichen Parteien sofort eingestellt mit ihnen Frieden geschlossen und allmählich ein komplettes Bündnis eingegangen. Wenn es nur. wie eS die tschechische Parteipresse ihrer Parteiöffentlichkeit berichtet, nur ein S t i ch w a h l k o m p r o m i ß mit den„freisinnigen" Parteien gegen die Klerikalen gewesen wäre, so wäre dagegen natürlich nicht« zu sagen und so lange eS aus ein solches beschränkt schien, hat auch niemand dagegen das geringste gesagt. Aber indem die Sozialdemokraten ihre Kandidaten so wesentlich nach den Bedürfnissen und Wünschen der alliierten Partei ausgesucht und bestimmt haben, war eS auch ein. wenngleich ver- stcckteS, Kompromiß für die H a u p t w a h l e n.— was sicherlich seine bedenklichen Seiten hat und das mangels ausreichender Gründe auch gewiß nicht gerechtfertigt werden kann. Auch das Kompromiß für die Stichwahlen hat des zweideutigen Charakters nicht entbehrt: um nämlich den Macher der„Volkspartei "(die die eigentlich tschechisch- bürgerliche Partei des Landes ist), einen gewissen Dr. Stransky zu gewinnen, wurde fem soziu.demokratischer Gegenkandidat, der ihm in geradezu absolut sicherer Stichwohl entgegenkam, zum Rücktritt gezwungen, was die Norm eines Stichwahlkompromisseö schon be- trächtlich überschreitet. Trotzdem hat sich die deutsche Partcipresse jeder rekriminierenden Bemerkung enthalten, weil sie der Ansicht ist. daß man sich in der Kritik gegenüber einer Schwester- Partei weit mehr Zurückhaltung auferlegen muß. als bei der Kritik der eigenen Partei. Aber dieses Kompromiß, das angeblich nur für die Stichwahlen abgeschlossen ward, hat sich nun immer deutlicher zu einer kompletten Alliance erweitert: die Separatisten sind in Mähren mit den Bürgerlichen ein Herz und eine Seele. Sie halten mit ihnen gemeinsame Versammlungen ab, in denen neben den Genossen Rem« und Tuser ständig auch Herr StranSky als Redner auftritt; sie bilden um diesen ihren Gönner eine förmliche Schutz- und Leibgarde, und der Krieg, den dieser mit dem Prager Juugtschechen Kramarsch führt(dessen Parteigenosse er vor kurzem now war, und von dessen Partei die mährische Volkspartei nur eine Spielart ist), ist auch ihr Krieg. Die Ausrede, daß Herr Kramarsch — vor kurzem übrigen« auch so eine Art von sozialdemokratischem Schutzheiligen— der Organisator des antisozialdemokratischen Kartells für Böhmen sei und mit dem StranSky hauptsächlich wegen jenes Bündnisses mir den Sozialdemokraten in Zwist geraten ist. ist nicht ausreichend, um den erstaunlichen Eifer der tschechischen Sozialdemo- traten in der Verteidigung und Behüwng des bürgerlichen Politikers zu erklären; ein Stichwahlbündnis ist eine Sache für die Stichwahl allein und tvenn es kein Aufgeben von Prinzipien sein soll, muß es mit der Stichwahl ein Ende haben. Die Wahrheit ist, daß die Separatisten, je weiter sie von der Internationale abrücken, desto näher au den bürgerlichen Rationalismus geraten müssen.! Dieser wahre, durch keine formalistischen Ableuginmgcn zu beseitigende Grund jener immer inniger werdenden Intimität tritt um s» deutlicher hervor, al» die mährische» Sozialdemokraten vor Jahr und Tag ihre heutigen Alliierten, den Mann und die Parier, noch leidenschaftlich befehdet und mit den verächtlichsten Worten belegt haben. Und dies knapp bis z um Tage des Ausbruchs des Separatismus! Wir können den Lesern die Details dieser Beweisführung nicht ersparen und müssen ihnen also aus der Kampagne, die das Organ der tschechisch- mährischen Partei, die „Rovnost"(deren Chefredakteur der jetzige Abgeordnete Tusar, der wahre Vater des Separatismus, war uud ist)' gegen den StranSky im Januar und Februar 1S10— im März brach in Mähren der Separatismus aus— unter dem bezeichnenden und immer wieder- holten Artikel„Der Gaukler" geführt hat. einige Stichproben vor- legen. DaS sind die Urteile über den Herrn Dr. Stransky, der heute zugleich Protektor und Prolege der mährischen Separatisten ist, dieser Genossen selber: Stransky hat das Schlagwort„Mähren in der Opposition" geprägt— die größte politische Narretei, die je die Welt gesehen hat. Jede Abstimmung dieses sonderbaren Schildes war eine fertige Komödie, die unS immer mit Widerwillen erfüllt.... Dr. StranSky ist wahrlich nur noch pathologisch interessant... Die„Volksparteiler" ver- höhnen gern die Klerikalen; aber wir find überzeugt, daß diese in ihren Reihen eine so verrückte Er- scheinung nicht dulden würden. Nun können auch seine Kollegen zu den verrückten Streichen des Dr. Stransky nicht mehr schweigen. Sie würden sich dann- oerart ernieorigen, daß sie sich selbst aus dem politischen Leben ausschalten würden. Wenn jemand in seinem privaten Leben immer„prinzipiell"(oder wegen des— Geschäftes) das Gegenteil dessen tut, was die andern tun, um damit mau auf ihn wie auf eine alternde Prima- donna nicht vergesse, wird er i» kurzem das Gespött der ganzen Gemeinde. Auf ein trauriges Ende eilt der alte Herr aus der Rudolfsgasse zu... Dann wird er ein„alter Bankrotteur" genannt,„der, weil er selbst nichts hat, gern auch den anderen das HauS über den Köpfen anzünden möchte", und gleich darauf heißt eS. daß die anderen Abgeordneten der Volkspartei „nur durch die Peitsche der „Lidovö Roviny"(des Blattes des Stransky) formell in der unangenehmen und unlieben Nachbarschaft des alten Seiltänzers gehalten werden. Man werde nicht gestatten. daß die Gauklerstiicklein des ZeitungöeigentümerS auch von seinem Personal wiederholt werden. Die Rede ist und wird sein von Stranskys Komödiant entum. und dieses werden wir nachweisen. Schritt um Schritt, Abstimmung um Abstimmung, alles hübsch geordnet. Mit ihren« B a n d i t'e n g e s ch r e i, daß Ivir ei»„RegicrringS- wisch" seien, werden sie das nicht abtun. Dafür, daß wir die Nieren des einzigen oppositionellen Politikers bloßgelegt haben. uns einen Regierungswisch zu schimpfen, ist sehr bequem, aber ebenso niedrig und lumpig. Wir wissen zwar, daß das nur aus Mangel an anderem Material geschieht, aber wenn Stranskys Gesellen noch lange mit diesem„Regie- rungs"vorwurfe herumwerfen, werden wir erst deutlicher und unangenehmer werden..„Wir kämpfen gegen den dema- gogischen„Gaukler" und vertraulichen Berichterstatter der dentschnationalen Zeitungen, weil es ein guter Kampf für die Gesundung des politischen Lebens in Mähren ist... Dr. Stransky ist durch rasch fortschreitende politische Paralyse degeneriert." In dem Kampfe gegen den politischen und sozialen Feind der Arbeiterklasse kennen wir kein Ermatten und keinen Pardon. Besonders in« Kampfe gegen die„LidovK Nobiny" des Dr. StranSky wollen wir bis zu allen Konsequenzen gehen, weil wir wissen, daß dieses Organ eine Burg allen politischen S ch ni u tz e s und L ü g e n s ist. Es ist da? ein Revolver- blatt, dessen Heimtücke schon alle Parteien und alle möglichen Leute verspürt haben, ein Blatt, das häßliche Niederträchtigkeilen auch gegen Abgeordnete der Volkspartci verübt, eine Höhle von Banditen, die jeden Menschen mit schändlichen und verruchten Waffen bedrohen! In den Reihen der Arbeiterschaft herrscht die größte Be- friedigung. denn früher wurde uns von unseren Arbeitern oft vorgeworfen, daß wir uns gegen Dr. Stransky und seine Ge- sellschast allzu passiv verhalten. Zahlreiche unserer Vertrauens- männer haben von uns oft nachdrücklich verlangt, daß wir aus unserer Reserve gegen diese Leute hervortreten. Längst schon vor uns hat unsere Arbeiterschaft entschieden und wollte den Kampf mit der komödiantenhaften und hetze- rischen Politik des volksparteilichen Gauklers und seinesgleichen... Wir handeln also heute mit der vollen Zustimmung uud auf häufiges eindringliches Ver- langen unserer Arbeiterschaft. Je schärfer unser Kampf ist, um so lieber ist er der organisierten Arbeiterschaft... Und mit diesem StranSky und seiner Partei, die sie s o be- urteilt und verurteilt haben, find die Separatisten eine Allianz ein- gegangen, die auch, wenn es sich um die moralischeste bürgerliche Partei und Persönlichkeit handelte, für Sozialdemokraten höchst kompromittierende wäre l Man sage nicht, daß sich die Menschen im Verhältnisse„geändert" haben. Was soll und kann sich in anderthalb Jahren an dem Stransky und was an den mährischen Verhältnissen geändert haben? Gar nichts: die Menschen sind dieselben und die Verhältnisse die gleichen, G e- ändert hat sich die tschechische Sozialdemokratie, und die hat sich freilich von Grund aus geändert, denn aus der internationalen Partei des Klassenkampfes ist die separatistische Partei geworden, in der der nationale Ueberschwang längst alle fozialdemo- kratischen Traditionen überwuchert hat. Von der Allianz für die Agitation ist zu dem Bündnisse im Parlament ja nur ein Schritt, und auch den haben die Separatisten schon hinter sich. Dem, na? sonst undenkbar ist. ist ihnen selbst- verständlich uud so haben sich die tschechischen Sozialdemokraten aus Mähren mit den tschechischen bürgerlichen Abgeordnelen auf dem Boden des Parlaments zu einer„Vereinigung" zusammengefunden. die einer fraktionellen Gemeinsamkeit ähnlich sieht wie ein Ei dem andern. Den gemeinsamen sozialdemokratischen Verband hat der Separatismus unmöglich gemacht, aber da? gemeinsame Wirken alles TschechentumS auf nationaler Basis hat er begründet. Fürwahr, eine traurige Entwicklung I ES könnte im Auslände wohl die Frage entstehen, wie eS nun möglich fei, daß im tschechischen Proletariat selber, dessen Reife und sozialdemokratische Tugenden unbezweifelbar sind, gegen diese» Treiben keine Reaktion sichtbar werde. Revisionisten gibt es in der ganzen Welt, aber überall sieht man ihnen doch auf die Kqppen und über theoretische Ausschreitungen kommt ihr Unfug, infolge der Gegenwehr, nicht hinaus. Aber der nationale Revi- s i o n i S m u S der tschechischen Führer(der aber heute, wie da« n, ährische Excmpel zeigt, auch andere Prinzipien als„bloß" die Jntcrnationalilät über Bord geworfen hat) findet in der tschechischen Parteipresse keinen Widerspruch. Er ist eben heute die geistige Verfassung sämtlicher leitenden und wirkenden Genossen, und wo sich ein Widerspruch regen mag, wird er mit einer ganz autokrattsch geübten Disziplin. einfach erstickt; die tausende ausgeschlossenen Zentralisten zeugen dafür. Und damit steht in Uebereinstimmung, daß den tschechischen Genossen von ihren Zeitungen nur ein, um sich milde auszudrücken, höchst unvollkommenes Bild der Dinge geboten wird, und daß sie auf der anderen Seite ganz shstemalisch zum Gegensatz, ja zum Haß wider die deutschen Genossen erzogen werden, so daß ihr proletarisches Urteil sich trübt und der traurige Parteikonflikt sich immer mehr verschärft. Der Separatismus verdirbt eben den sozial- demokratischen Charakter. Oolitil'cke Geberlicbt. Berlin , den 5. August 1911. Wer nicht schiestt, wird bestraft! Nach einer Meldung des Wolffschen TelegraPhcnburcauS soll der Berliner Polizeipräsident v. Jagow den Polizei- bcamten bekannt gegeben haben, daß er fortan jeden Schutzmann, der zu spät von der Waffe Gebrauch macht, bestrafen werde. Den Anlaß zu diesem neuen Schießcrlaß sollen mehrere Vorfälle aus neuester Zeit, ins- besondore der im heutigen lokalen Teil berichtete Vorgang in der Gcnthiner Straß? gegeben haben, bei dem ein Schuß mann von einem Einbrecher angeschossen und schwer verletzt wurde, Dieser neueste Erlaß des Berliner Polizeipräsidenten in nur geeignet, das peinliche Aufsehen, das die vor 2 Monaten erlassene erste Anordnung hervorgerufen hat, zu steigern! Es ist gewiß bedauerlich, Ivenn Polizeibeamte in Aus- Übung ihres Dienstes zu Schaden kommen. Wenn Maßnahmen getroffen werden, die geeignet sind, die Beamten wirklich zu schützen, ohne das große Publikum in Gefahr zu bringen, so wird kein vernünftiger Mensch dagegen etwas einwenden. Das setzt aber voraus, daß die Beamten mit den ihnen er teilten Machtbefugnissen keinen Mißbrauch treiben. Nun hat sich aber wiederholt und besonders deutlich bei den Moabiter Vorgängen gezeigt, daß schon heute von zahlreichen Polizeibeamten der schwerste Mißbrauch mit den ihnen anvertrauten Waffen getrieben wurde und die schlimniftcn Ausschrciwngen vorkamen, bei denen Gesundheit und Leben zahlreicher Bürger gefährdet wurde! Der Mörder des erschlagenen Arbeiters Herrmann ist bis heute noch nicht ermittelt, obwohl feststeht. daß der Er schlagene durch mißbräuchliche Anwendung der Schutzmannswaffen zu Tode gekommen ist. In Zukunft sott das noch schlimmer werden. Es soll weniger der Säbel ak. vielmehr der Revolver eine Rolle spielen! TaS geht schneller und ist radikaler! Zeugen sind dann noch schwerer aufzutreiben als bei der Säbelci! Der Anlaß, den der Polizeipräsident für seine Maßnahmen ins Feld führt, begründet den Erlaß der Polizei in keiner Weise. ES soll sogar der Schutzmann noch bestraft werden, der zu spät von der Waffe Gebrauch macht. Wer entscheidet aber darüber, wann der rechte Augenblick zum Schießen da ist? Doch nur der Schutzmann selber! Und wenn der Beamte gewärtig sein muß, bestraft zu werden, wenn er zu spät zur Waffe greift. wird ein diensteifriger Beamter sehr leicht geneigt sein, liebc!- früher als später zn schießen, ja. er wird direkt angereizt, blindlings loszuknalle«! Wir wollen im Augenblick davon abschen, zu untersuchen. ob Herr v. Jagolv rechtlich befugt ist. derartige Anordnungen zu treffen. Wir bestreiten ihm dieses Recht! Auf alle Fälle aber ist Jagows neuester Schießcrlaß geeignet, die Rechts- und Sicherheitszuftände in Preußen in der grellsten Weise zu beleuchten. Die Stadt Berlin aber wird durch diesen Jagowerlaß in der Tat in einen Belagerungszustand versetzt. Der Bevölkerung Berlins wird das Standrecht oktroyiert! Wir haben es herrlich weit gebracht! Nur eins ist uns unverständlich. Glaubt denn Herr tagow wirklich, die Empörung über die gerichtlich festgestellten olizeibarbareien, speziell über die Ermordung deS Arbeiters Herrmann, sei im Lande bereits derart verflogen, daß sie durch den neuerlichen und noch unglaublicheren Schießerlaß erst wieder besonders angefacht werden müßte?! Glaubt der unsägliche Herr v. Jagow, der Sozialdemokratie noch be- sondere Wahlhelfersdicnste leisten zu müssen? Dann unter- schätzt er wirklich seine bisherigen Verdienste! Geplänkel im Zentrumslager. Der Zwist im Zentrum tritt zwar nicht mehr so deutlich in den Spalten der Zcntrumspresse hervor, wie noch vor wenigen Wochen: aber eingeschlafen ist er deshalb nicht. Die Leiter der Berliner (Koppschen) Richtung und der Kölner Richtung betrachten sich mit haßerfüllten Blicken, und nur die Rücksicht auf die nächsten Reichstagswahlen hindert sie übereinander herzufallen. So hat kürzlich das an- geblich von einem Herrn P. Richter redigierte. tatsächlich aber von dem früheren Gerichtsassessor Franz von Savigny, dem Reichstagsabgeordneten Dr. Fleischer und dem Liz. Fournelle geleitete Blatt der katholischen Fachvercinsbewegung, der„Arbeiter", die „Kölnische Volkszeitung" beschuldigt, daß sie in den letzten Jahren verschiedentlich modernistische Anschauungen vertreten habe. Die bekanntlich„interkonfessionelle"„Kö (n. Volksztg." fühlte sich darob tief beleidigt. Sie räsonierte über„Verleumdung" und forderte den„Arbeiter" auf. Beweise für seine Behauptungen zu liefen,. Zunächst schien sich der„Arbeiter" um diese ihm gestellte schöne Aufgabe herumdrücken zu»vollen in seiner jüngsten Nummer(von, 6. August) schreibt er jedoch: Das Beweismaterial, das die„Kölnische ValkSzeittu-g" von uns fordecr, scheint einem weitgehenden Interesse zu begegnen. Wen» jedoch gewisse Zeitungen der Erwartung Ausdruck geben, das Material möchte im„Arbeiter" veröffentlicht werden so können wir diesem Wunsche leider nicht nachkommen. Der„Arbeiter" erscheint wöchent- luh einmal. Schon diese Tatsache läßt ihn alö Publikationsorgan für das von der„Kölnischen Volkszeitung" gewünschte Beweis- Material als untauglich erscheinen i dazu kommt sein beschränkter Umfang, und schließlich hat er auch noch etwas andere, ihm näher- liegende Aufgaben zu erfüllen, als sich lediglich mit dem rheinischen Zentrumsblatt in seineu Spalten auseinanderzusetzen. Wir teilten deshalb in voriger Nummer mit, daß wir für die Veröffentlichung de» erwähnten BeweiLmaterials diejenige Form wählen würden, die uns zu diesem Zivecke geeignet erscheint. Die„Kölnische VolkSztg." wird sich nicht darüber zu beschweren haben, daß wir etwa nicht Wort hielten; im Gegenteil! Unsere Leser aber werden wir darüber gelegentlich des näheren informieren. Durch diese brüderliche Antwort fühlt sich aber die „Kölnische Volkszeitung" natürlich recht wenig befriedigt. Sie erwidert: Also der Arbeiter hat seit Jahren Raum gehabt, mn in fast zahllosen Artikeln die„Kölnische Volkszeitung' in seinen eigenen Spalten vor seinen 112000 Lesern zu verdächtigen und zu verleumden. Jetzt, wo er seine Behauptungen beweisen soll, lehnt er es ab, dieses Veweisverfahrcn vor demselben Forum. nämlich seinen 112 000 Lesern, anzutreten. In welcher Weise er da? Beivcisverfahrcn antreten will, ist immer noch nicht gesagt. Er will diejenige Form wähle», die„ihm zu diese», Zwecke geeignet erscheint". Soll etwa wieder daS„erdrückende Beweismaterial" unter Kuverts an die Intimen und oiustige Geistesverwandte versandt werden? Das würde doch eine sehr merkwürdige Art der öffentlichen Beweisführung
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