Beilage zum„Vorwärts" Berliner VoMlatt. Hr. 203. Mittwoch, den 30. August 1893. 10. Jahrg. VnvkeiNAihvtttjkim. Lebe» wir»och unterm Sozialistengesetz? Unser Bruderorgan, die„Thür. Tribüne* schreibt: „Irgend ein Schlaukopf muß auf den Gedanken gekommen sein, daß man am besten aus der Abonnentenliste der„Thür. Tribüne* ersehen könne, wer Sozialdemokrat sei. Diese geniale Idee hat unsere Polizei, wie es scheint, ausgegriffen, denn vor einigen Tagen begaben sich zwei Beamte in die Wohnung des Expedienten der„Tribüne", Genossen KappaufHverlangten die Abonnentenliste unseres Blattes und drohten, als Kappauf die Serausgabe verweigerte, mit Verhaftung. Schließlich nahm der cndarm die Liste mit Gewalt. Wir wissen nicht, ob die beiden Beamten in höherem Auftrage gehandelt haben— der Gendarm behauptete, der stellvertretende Landrath habe ihn zu dem ungesetzlichen Akt kommandirt— wir erwarten aber von den zuständigen Behörden, daß sie den verantwortlichen Ur- Heber dieser nichtswürdigen Spitzbüberei zur Verantwortung ziehen. Zwei Knaben, welche die„Tribüne" austrugen, wurden ins Rathhaus gebracht, wo sie zwei Stunden warten mußten und wie ein paar Verbrecher bewacht wurden. Dann wurden sie Vörden stellvertretenden Landrath geführt, von diesem verhört und erst um 3 Uhr nachmittags entlassen. Der Gendarm erklärte ihnen noch, er leide es nicht, daß sie Sonntags das Blatt aus- trügen!!! Der Kriegervcreinsvorstand und einige Mitglieder des Vereins hatten ebenfalls ein Verhör vor dem Landraths- Stellvertreter zu bestehen. Während des Verhörs fand in ihren Wohnungen in ihrer Abwesenheit Haussuchung nach sozial- demokratischer Lektüre statt." Neuer Kurs!— Alter Kurs!— Worin unterscheiden sich beide?— •• Zeitz . 28. August. Kreistag. Der vom Genossen Leopoldt einberufene Kreistag wurde um 2 Uhr Nachmittags mit einem Hoch aus die völkerbefreiende Sozialdemokratie eröffnet. Der Saal war festlich geschmückt und niit Inschriften versehen. Zu- nächst giebl der Einberufer die eingegangenen Schreiben der hiesigen Polizeibehörde und des Oberprüsidenten von Magdeburg bekannt, wonach die Eröffnung des Kreistages auf 1l Uhr Vor- mittags verboten resp. die eingelegte Beschwerde auf den In- stanzenweg zurückverwiesen ist. Beschickt ist der Kreistag von 39 Delegirten, darunter 2 Frauen; dieselben vertreten 38 Ort- schasten. Ferner sind noch anwesend 7 Vertreter ohne Mandat. Nach Erledigung der üblichen Formalitäten ging man zur Tages- ordnung über und entsaltete sich über verschiedene Punkte eine rege und lebhafte Diskussion. Hervorzuheben ist aus den Ver- Handlungen, daß der diesjährige Parteitag zu Köln nur von einem Delegirten beschickt werden soll, und wird als solcher Genosse Leopoldt einstimmig, als Stellvertreter im Behinderungs- falle desselben Genosse Rebs-Weißenfels ebenfalls mit großer Majorität gewählt. Der nächste Kreistag findet in Naumburg statt. Nach Erledigung der Tagesordnung giebt Genosse Leopoldt noch einen kurzen Ueberblick über die ftatlgefundeneu VerHand- lungen und schließt mit einem Hoch auf die internationale. völkerbesreiende Sozialdemokratie, in welches die Delegirten und die Zuhörer begeistert einstimmten, um 9 Uhr die Verhandlung. — Näherer Bericht folgt.— Hieran schloß sich die Lassalleseier. Die Festrede mußte wegen Heiserkeit des Genossen Leopoldt unterbleiben, doch erfreute der Arbeiter-Sängerchor die Anwesen den mit einigen Liedern, u. a. dem„Sozialistenmarsch". Ein Tänzchen hielt die Genossen und Genossinnen bis in die frühe Morgenstunde beisammen. Mainz . 27. August. Die'sozialdemokratische Partei des 8. rheinhessischen Landtags- Wahlbezirkes stillte heute in einer Telegirtenversammlung den Stadtverordneten Georg Dörr als Kandidaten für die bevorstehende Landtagswahl aus. Mainz , 27. August. Das Gewerksschaftskartell hat in seiner letzten Sitzung beschlossen, ein Auskunstsbureau für alle Arbeiter- angelegenheiten zu errichten. Eine Kommission wurde ernannt, welche die nöthigen Vorarbeiten vorzunehmen hat und die Ge- werkschasten aufgefordert, der Kommission ihr Material zur Ver> fügung zu stellen. � Frankfurt a. O., 28. August. Die am Sonntag in der Schwedenschanze veranstaltete Lassallefeier hatte sich einer regen Betheiligung der hiesigen Genossen zu erfreuen. Leider war die Witterung kühl und naß, so daß der Aufenthalt im Freien nicht gerade angenehm berührte. Trotzdem herrschte eine ausgezeichnete Feststimniung, welche die Genossen bis 12 Uhr Nachts zusammenhielt. Partei-Versammlung. Am der � � Stuttgart , 28. August. Sonnabend Abend fand in der Arbeiterhalle in der Heusteig straße eine gutbesuchle Versammlung der sozialdemokratischen Partei statt, in welcher der Delegirte zum internationalen Arbeiter- Kongreß in Zürich , Genosse Kloß, Bericht über die daselbst gepflogenen Verhandlungen gab. Der Redner schilderte zunächst die den eigentlichen Verhandlungen vorangegangenen Aus- einaudersetzungen über die Zulassung resp. iilbweisung der er- schienenen Anarchisten und Unabhängigen und erklärte, daß er nach Lage der Sache es wohl verantworten zu können glaubte, für den"Ausschluß derselben zu stimmen. Er habe dies Haupt- sächlich aus dem Grunde gethan, weil e§ den Vertretern der Anarchisten und Unabhängigen nicht darum zu thun war, bei den Berathungsgegenständen ihre abweichende Meinung in an- ständiger Form zum Ausdruck zu bringen, sondern es sei viel- mehr von Anfang an die Absicht derselben gewesen, die VerHand- lungen um jeden Preis zu stören und die sozialdemokratische Partei und ihre Vertreter zu verunglimpfen. Nach 2 lägigen Verhandlungen, nachdem der Ausschluß der Anarchisten beschlossen war, konnte in die eigentlichen Berathungen eingetreten werden. Ehe Redner auf dieselben einging, entrollte er noch ein Bild über den groß- artigen Festzug, an dem sich wohl an die 13 009 Personen be- theiligt haben mochten. Die Zahl der Zuschauer werde mit 30 000 nicht zu hoch geschätzt sein.— Redner schloß seinen Be- richt mit den Worten Greuliches: Die Sozialdemokratie wird un- überwindlich sein, so lange sie auf realem Boden stehen bleibt und sich nicht davon entfernen läßt. Ein Hoch aus das inter - nationale Proletariat wurde lebhast aufgenommen und dem Redner reicher Beifall gezollt. Folgende Resolution wurde ein- stimmig angenommen: „Die heutige Versammlung ist mit den Beschlüssen des inter - nationalen Kongresses und mit der Haltung der deutschen Tele- girlcn einverstanden und ist, als ein Theil der internationalen Sozialdemokratie, gewillt, mit aller Kraft alle Mittel anzuwenden, um der Befreiung der Proletarier aller Länder wirksam Vorschub zu leisten." Eine Diskussion über den Vortrag entspann sich nicht.— Hieraus gab der Kassirer des sozialdemokratischen Vereins einen halbjährlichen Kassenbericht, gegen den keine Einwendungen er- hoben wurden. Die Wahl- Abrechnung sesbst werde nicht veröffentlicht, doch könne konstatirt werden, daß der Wahlkreis seine Kosten so ziemlich selbst gedeckt habe. Polizeiliches, Gerichtliches«. — Würzen. Redakteur Mehl von der„Wurzener Zeitung", der seinerzeit wegen Beleidigung des Rathssekretärs Hallbauer vom Schöffengericht zu 14 Tagen Gefängniß verurtheilt war, wurde vom Landgericht Leipzig freigesprochen. Loltales: Das„Schillertheatcr". Zum Winter soll in Berlin , wie wir bereits kurz mitgetheilt haben, unter dem Namen„Schiller- theater" ei» neues Theaterunternehmen ins Leben treten, eine „Volksbühne" in großem Stil, die den Unbemittelten gute Stücke in guter Darstellung zu fniedrigen Preisen bieten soll. Das zur Begründung dieser Bühne zusammengetretene Komitee besteht aus höheren Beamten, Gelehrten, Schriftstellern, Künstlern, Groß- industriellen u. s. w. und erfreut sich der Unterstützung staatlicher und städtischer Behörden. Die Bestrebungen, auch den Unbemittelten den Besuch des Thealers zu ermöglichen, sind nicht erst von heute und gestern. In den letzten beiden Jahrzehnten haben wiederholt Theater- direktoren, die ein Geschäft zu machen wünschten, Privatpersonen, die ihre besonderen Neigungen auf dem Gebiete des Theaters zur Geltung bringen wollten, und Vereine, die einen Einfluß aus die geistige Entwicklung des„niederen" Volkes beabsichtigten, die Volksbühnenfrage jeder auf seine Art, aber alle mit gleichem Mißerfolge zu lösen versucht. Schließlich hat, wie bekannt, vor nunmehr 3 Jahren der Verein„Freie Volksbühne " über die Köpfe theorelisirender„Volksbildner" und„Kunstfreunde" oder allzu praktischer, d. sh. profitsüchtiger Theaterunternehmer hinweg die Idee mit einem Schlage verwirklicht. Im vorigen Jahre ist dann noch die von einer Anzahl ausgetretener Mit- glieder begründete„Neue Freie Volksbühne" hinzugekommen. Ein Theil der bürgerlichen Blätter hat in den Berichten über das im Entstehen begriffene„Schillertheater" diesen Ent- wickelungsgang der Volksbühnenfrage nur verschämt angedeutet, sodaß der harmlose, mit der Sache nicht vertraute Leser beinahe auf den Gedanken kommen muß, die neue Gründung mit ihren billigen Eintrittspreisen sei etwas noch nie Dagewesenes. Ein Blatt nennt die Preise sogar„so niedrig, wie sie die Theater- geschichte Berlins seit Jahrzehnten nicht kennt". Ehrlichere Blätter haben in ihren Berichten auf die Bestrebungen der „Freien Volksbühnen" hingewiesen und ihre bisherigen Erfolge, sowie ihre unbestreitbaren Verdienste um die Förderung der Volksbühnenfrage anerkannt. Aber auch unter diesen Blättern haben die meisten nicht damit zurückgehalten, daß ihnen die „Freie Volksbühne " wegen ihrer angeblich„sozialdemokratischen" Tendenzen nicht allzu sympathisch sei, wenigstens nicht so sympathisch, wie die angeblich„parteilose"„Neue Freie Volks- bühne". Diese Haltung der bürgerlichen Presse ist beachtens- werth; denn sie gestattet einen Schluß darauf, was ungefähr die bürgerlichen Kreise von der Thätigkeit des„Schillertheaters", dieser Gründung der Beamten -, Geist- und Geldaristokratie, als Wirkung erwarten und erhoffen. Mehr als diese, gewissermaßen persönliche Frage interessirt uns die andere, was denn nun durch das neue Theater für die Sache, für die Lösung der Volksbühnensrage, gewonnen wird. Das„Schiller-Theater" will eingestandenermaßen die Er- fahrungen der„Freien Volksbühnen" benutzen, aber es will deren Einrichtungen vervollkommnen. Es soll also nicht eine bloße Kopie, sondern eine Weiterbildung der„Freien Volks- biihnen" sei». Es will täglich spielen, wird also ein eigenes Bühnenhaus und ein eigenes, fest engagirtes Personal haben. Das ist ein wichtiger Fortschritt, der dem„Schiller-Theater" des- halb möglich ist, weil es von Anfang an nnt den 300 Mark- Antheilscheinen der Großindustriellen rechnen kann, während die „Freien Volksbühnen" auf die 30-Pfennig-Beiträge ihrer Mit- glieder angewiesen ist. Das„Schiller-Theater" hat mit einer Anzahl bereits bestehender Vereine Verträge geschlossen, so daß es weniger auf die mühsame Werbung von Mitgliedern ange- wiesen ist. Das ist ebenfalls ein Forlschritt; aber diejenigen Vereine, die man bisher gewonnen hat, z. B. der kaufmännische Hilfsverein, der deutsche Lehrer-Schriftstellerbund, der Verein für Volksunterhaltungen, der kaufmännische und gewerbliche Hilfs- verein für weibliche Angestellte, der Verein der Bankbeamten, die Verliner Beamtenvereinigung, die Gesellschaft für ethische Kultur, der Verl . Lehrerverein, der Berl. Handwerkerverein ic., gehören doch wohl etwas anderen Kreisen an, als die sind, an welche sonst immer bei dem Wort„Volksbühne" gedacht worden ist. Das„Schiller- Theater" wird weiter einen Eintrittspreis von 50 Pf. aufwärts bis zu 1 M. erheben.(Von einem Eintrittspreis von 2ö Pf., den mehrere Blätter ebenfalls angeben, enthält der uns zuge- gangene„Entwurf" nichts.) Diese Preise bilden einen Rück- schritt. Was der„Freien Volksbühne " mit ihren bescheidenen Mitteln möglich ist, das sollte dem von Großindustriellen und Behörden unterstützten„Schiller-Theater" nicht ebenfalls möglich sein? Und warum will man das System der Preisunterschiede beibehalten? Warum will man sich nicht auch die Erfahrungen zu Nutze mache», die die„Freien Volksbühnen" mit ihrer Ein- richtung des für alle gleichen Eintrittspreises gemacht haben? Soll dadurch vermieden werden, daß diejenigen unter den Un- bemittelten, welche sich sür besser halten als Arbeiter, dem Theater fern bleiben, weil ihnen das Publikum„zu gemischt" ist, wenn auch Arbeiter im Parquet und im ersten Rang sitzen dürfen? Die Gründer des„Schiller-Theaters" scheinen von den nothwendigen Voraussehungen eines„Volkstheaters" doch nur eine sehr unklare Vorstellung zu haben. Dem Besitzlosen wird der Besuch der bestehenden Theater nicht nur durch die hohen Eintrittspreise, sondern auch dadurch verleidet, daß er gegen das zwar geringere, aber für ihn immer noch zu thenre Entree der obersten Ränge die s ch l e ch t e st e n Plätze bekommt, auf denen er unbequem sitzt oder steht, wenig sieht, schlecht hört und unter der Hitze leidet. Auch das„Wallner-Theater", das sür das„Schiller-Theater" in Aussicht genommen ist. hat in, 2. Rang und auf der Gallerte eine ganz beträchtliche Anzahl Plätze, auf denen man sehr wenig sieht. Wir vermuthen, daß der grüßte Theil der Herren des„Schiller-Theater".Komitees ent- weder überhaupt niemals oder doch, seit sie sich in ihren ein- träglichen und geachteten Stellungen und Aemtern befinden, nie- mals mehr die obersten Ränge eines Theaters besucht haben. Das ist aber sehr nöthig, wenn man ein„Volks-Theater" be- gründen will. Wir empfehlen, bevor der Eintrittspreis endgiltig festgesetzt wird, noch schnell die Gallerten möglichst aller Theater Berlins in oorxors zu besuchen. Die Sache ist diese, einige Selbstüberwindung erfordernde Probe wirklich werth. Leider»st es nicht möglich, daß sich die Herren Geheimräthe u. s. w. probe- weise auch in die Slinimung versetzen, die einen armen Schlucker beherrscht, wenn er sich vergegenwärtigt, daß er auf die schlechten Plätze oben unter der Decke deshalb venviesen wird, weil er ärmer ist als die da unten. Wer den Einfluß dieser Stimmung auf die Abneigung des Unbemittelten gegen den Besuch von Theatern mit Preisunterschieden gering anschlägt, der weiß nichts von dem Empfinden des Volkes und sollte die Begründung von Volk»- Bühnen denen überlassen, die mit dem Volke Fühlung haben. In den„Freien Volksbühnen" sind solche Empfindungen ausgeschlossen, denn da ist der Preis für alle Plätze gleich niedrig, und die Plätze werden durchs Loos vertheilt. Das„Schillertheater" ist trotzdem von allem, was die be� sitzende Klasse bisher zur Lösung der Volksbühnenfrage versucht hat, immer noch das Beste. Unter der Voraussetzung, daß das Unternehmen in guter Absicht geplant ist und in guter Absicht durchgeführt wird, könnte es sogar Beachtung und Unterstützung auch durch die arbeitende Klasse verdiene». Und wenn sich herausstellen sollte, daß auch idas sich dabei in letzter Linie er- gebende Resultat geeignet ist, das geistige Wohl der arbeitenden Klasse zu fördern, so wäre es nicht gegen unseren Parier- standpunkt, sondern gerade diesem Standpunkt entsprechend, das Unternehmen zu unterstützen. Die eigentliche Absicht scheint uns aber zunächst noch sehr dunkel. Die Leiter des Unternehinens würden sich wahrschein- lich sälnmtlich gegen den Vorwurf, antisozialdemokratische Ten- denzen zu verfolgen, entschieden verwahren. Schön. Aber diese selbe Verwahrung ist auch bei manchem anderen Unternehmen eingelegt worden, das sich„volksfreundlich" nannte, nichts mit Politik zu thun haben ivollte und sich nachher als antisozial- demokratisch erwies. Wir finden auch in dem Komitee eine ganze Reihe von Personen, bei denen kein Zweifel herrschen kann, daß sie antisozialdemokratifchen Unternehmungen eher ihre Unterstützung leihen würden als solchen, die jede politische Nebenabsicht zurück- weisen. Man wird uns gestatten müssen, daß wir solchen Herren ein Mißtrauen entgegenbringen, das sich sehr leicht von selbst auf das ganze Unternehmen überträgt. Man wird es hoffentlich begreiflich finden, daß wir a n t i sozialdemokratische Bestrebungen, selbst wenn sie dem Volke zunächst gewisse Vortheile bringen, für in letzter Linie volks feindlich halten und gegebenenfalls rücksichtslos bekämpfen. Den Mitgliedern der„Freien Volks- bühne" wird nian es auch nicht verübeln dürfen, wenn sie ver- muthen, daß der mächtige Aufschwung, den dieser Verein seit dein letzten Winter genommen hat, nicht ohne Einfluß auf den Plan der Begründung des„Schiller-Theaters" gewesen ist. Wir und die Mitglieder der„Freien Volksbühne" thun damit nichts anderes als, was die Kreise, denen das„Schiller-Theater"- Komitee angehört, der„Freien Volksbühne " gegenüber von An- fang an gethan haben, weil sie bei ihr s o z i a l d e m o k r a- tische Tendenzen vcrmutheten. Es wird behauptet, die„Freie Volksbühne " sei seit der sogenannten Spaltung gänzlich ins sozialdemokratische Lager übergegangen. Wir wollen diese Frage hier unerörtert lassen; aber wir finden es natürlich durchaus be- greiflich, daß die besitzende 5tlasse, wenn sie nun einmal daran glaubt, sich der„Freien Volksbühne " vollends feindlich gegenüber- stellen muß.(Die„Neue Freie Volksbühne", die sich bei der be- sitzenden Klasse einer gewissen Sympathie erfreut, soll sich jetzt sogar auf Unterhandlungen mit dem Schillertheater-Komitee ein- gelassen haben). Die bürgerlichen Blätter haben den Plan der Gründung des „Schillertheaters", der in aller Stille vorbereitet worden ist, be- reits in überschwenglicher Rede gepriesen. Die Gelegenheit, wieder einmal eine„Volksfreundlichkeit" zur Schau zu tragen, die im übrigen zu nichts verpflichtet, war zu günstig, als daß selbst solche Blätter hätten widerstehen können, die sonst jeden Versuch der besitzlosen Klasse, sich mehr Theilnahme an den leiblichen und geistigen Genüssen des Lebens zu erringen, als freche Begehrlich» keit brandmarken zu müssen glauben. Vorerst kann man aber noch gar keine Stellung zu dem geplanten Theater einnehmen. Die Bekanntgabe des Repertoires ist man noch schuldig geblieben. Das ist aber gerade das wichtigste; denn man muß doch wissen, was für einem Unternehmen man seine Unterstützung leihen soll. Der Entwurf sagt:„Der Spielplan ergiebt sich, wenn man von einer Volksbühne spricht, von selbst." Es herrschen aber über das, was in den Spielplan einer Volksbühne gehört, sehr verschiedene Ansichten. Der„Entwurf" sagt weiter:„Nur heben wir angesichts der Bestrebungen von anderer Seite ausdrücklich hervor, daß unser Institut weder einer politischen, noch sozialen oder religiösen Tendenz dienen soll u. s. w." Danach wären die meisten neueren Stücke von der Aufführung ausgeschlossen, natürlich auch die Wildenbruch'sche Hohenzollern -Dramatik. Die Vorbereitungen zur Begründung des„Schiller-Theaters" erinnern in dem Punkte„Repertoire" an den„Verein zur Begründung deutscher Volksbühnen", der hier in Berlin im Jahre 1889 unter großem Lärm zusammengetrommelt wurde, aber nach einer Thätigkeit von noch nicht zwei Wintern lautlos wieder ausein- anderging. Dieser Verein stützte sich im allgemeinen auf dieselben Kreise, aus denen das jetzige„Schiller-Theater"-Komitee sich ge- bildet hat. Eine Bekanntgabe des Repertoires unterblieb auch damals, obwohl der Theaterplan in den übrigen Punkten bis in die kleinsten Einzelheiten hinein erörtert wurde. Der angekün- digte Vortrag des Herrn Raphael Löwenfeld über„das Ra- pertoire der Volksbühne" wurde erst aus den zweiten Winter verschoben und dann überhaupt nie gehalten. Dagegen ließ der geistige Vater des Vereins, Herr von Maltzahn, in der kon- stituirenden Versammlung sehr deutlich durchblicken, daß man gegen die„Vaterlandslosigkeit" und den„Umsturz" zu Felde ziehen wolle. Es muß abgewartet werden, ob man beim „Schiller-Theater" sich rvirklich von diesem holden Traum los- gerissen hat. Wenn darüber Klarheit verbreitet sein wird, dann werden wir uns über unser Verhältniß zu der neuen„Volks» bühne" noch einmal äußern. Der Fall deS Grenadiers Schröder vom I. Garde« Regiment, der bekanntlich infolge der humanen Behandlung, die ihm zutheil wurde, durch Selbstmord endete, ist unseren Lesern bekannt. In der gesammten Presse wurde dieses Vorlommntß besprochen— aber den Nagel auf den Kopf hat ein obskures Winkelblättchen getroffen, welches sich.Moabiter Nachrichten" benamset und in welchem ein Herr K. v. R. seine tiefsinnigen Beobachtungen niederlegt. Sie verdienen wirklich tiefer gehäugt zu werden. Herr K. v. R. kommentirt den ergreifenden Brief des jungen Mannes in folgender Weise: „Selbstverständlich benutzt der„Vorwärts" diesen Brief, um gegen die Armee und speziell die Vor« gesetzten die giftigsten Ausfälle zu machen. Nun ist es ja richtig, daß derartige Mißhandlungen, wenn sie vor- gekommen sind, die strengste Ahndung erfahren müssen. Allein was ist die eigentliche Ursache zu solchen Bestialitäten mancher Unteroffiziere? Einzig und allein doch nur die rohe Gesinnung eines Peinigers. Und wer ist für eine solche Gesinnung verantwortlich? Vor allem diejenigen, welche auf den Unteroffizier, so lange er den Rock des Königs nicht trug, also vor seiner Einstellung als Rekrut, ihre er- ziehliche Wirkung ausübten, mit anderen Worten, die ver- rohende, die Bestie im Menschen aufweckende sozialdem»- kralische Presse! Der„Vorwärts" und Konsorten sollen also lieber in sich gehen und dahin wirken, daß ihre Schüler als fühlende Menschen zur Armee gehen; dann werden dieselben auch, wenn sie die Tressen erhalten haben, mitfühlende Menschen bleiben und die Mißhandlungen mehr und mehr schwinden. So lange jedoch die Presse von der Sorte sdes„Vorwärts" und der„Berliner Zeitung ", des„Kleinen Journal" und der„Volks- Zeitung" dahin streben, das Christenthum aus den Herzen ihrer Leser zu reihen und den Sinn sür
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