Durchführung ber Ansiedclung von Waldarbeitern gefordert wird. ES ist ferner alS Grundsatz aufgestellt worden, daß die Waldarbeiter nicht schlechter zu stellen sind als die der Arbeiter der gewöhnlichen Industrie und in der Stadt. AuS den Unter- stützungZfonds sind Beihilfen an solche Leute zu zahlen, die längere Zeit hindurch Arbeit geleistet haben. Ferner soll ein angemessener Urlaub gewährt werden und an vaterländischen Festtagen sind die Löhne wie gewöhnlich zu zahlen. Für das übliche Arbeitszeug wird zur eigenen Herstellung von Holzteilen Holz geliefert, während die Gerätschaften in den Kulturbetrieben von der Verwaltung gestellt werden. In den abgelegenen Forst- teilen wird auf die Errichtung von Schutzhütten und das Auf- stellen von Zelten Gewicht gelegt, um den Arbeitern gesundheits- schädliche Einflüsse fernzuhalten. Wo sich von der Ansiedelung «ine Resultate erwarten lassen, werden von der Staatsforst Verwaltung Arbeiterhäuser errichtet." Das Eingeständnis, daß der Fiskus.Schwierigkeiten" hat. geeignete Waldarbeiter zu erhalten, kommt etwas sehr spät. Im Winter sind Tausende armer Bauarbeiter gezwungen, Wald arbeiten zu verrichten. Da werden die Akkordlöhne von den Ober förstern gedrückt, Gesinnungsschnüffelei getrieben usw. Kommt das Frühjahr, dann bleiben natürlich diese brauchbaren Kräfte wie�e aus und wenden sich ihrem Berufe zu, der ihnen doppelt höhere Löhne und kürzere Arbeitszeit bietet. Die Absicht, nun die Waldarbeiter„nicht schlechter zu stellen als die Arbeiter der gewöhnlichen Industrie und in der Stadt", ihnen also die gleichen Löhne zu zahlen usw., ist sehr verständig. Verdächtig ist jedoch die Bezeichnung„der gewöhnlichen Industrie". Hat man damit die Tagelöhner in Fabriken im Auge, die oft nur nach dem orts- üblichen Tagelöhnen bezahlt werden, nicht aber solche Arbeiter, die als Zimmerleuie usw. die besten Waldarbeiter abgeben könnten? An die Beseitigung der gegen ländliche Arbeiter, ein- Schließlich der Waldarbeiter, gerichteten Ausnahmegesetze denkt die Regierung, wie es scheint, noch immer nicht. Wir erinnern an das Gesetz von 1854, das Ungehorsam und Vertragsbruch mit Strafe bedroht, an die Einschränkung des Koalitionsrechts und an die Schlechterstellung der ländlichen Arbeiter in der Ver sicherungSgesetzgebung. Diese stellt die ländlichen Arbeiter be kanntlich erheblich schlechter als die Industriearbeiter. Man denke nur daran, daß bei einem Unfall eines Waldarbeiters— und Unfälle kommen ja häufig vor— die Rente nicht nach dem jetzt zu„erhöhenden" Verdienst deS Verletzten, sondern nach der jammer- vollen, behördlich als Jahresverdienste land- und sorstwirtschaft- licher Arbeiter festgesetzten Summe sich richtet. Die Rente eines Waldarbeiters ist daher sehr oft dreimal niedriger als die eines Bauarbeiters. Bedenkt man ferner die lange Arbeitszeit und die Behandlung der Leute durch die schneidigen Forstbeamten, so kann es nicht wundernehmen, daß ein großer Mangel an geeigneten Waldarbeitern eintritt und dieser Mangel sich von Jahr zu Jahr noch vergrößert. Daran ändern auch die„Mittelchen", wie„Zelte, Schutzhütten, Urlaub, Arbeiterhäuser" und dergleichen nichts. Jetzt wird gar als besonderer Vorzug die Zahlung des Lohnes an den vaterländischen Festtagen ermähnt. Die Nichtzahlung, wie sie nach der Notiz bisher erfolgte, ist eine grobe, ist eine grobe, ungesetzliche Verkürzung des nach§ 616 des Bürgerlichen Gesetzbuchs den Land arbeitcrn zustehenden Lohnes. Tie Regierung sollte die ländlichen und Forstarbeiter den ge werblichen gleichstellen: dann hätte sie nicht mehr über Arbeiter- Mangel zu klagen._ Steckbriefe gegen ländliche Arbeiter. Die LandwirtscbaftSkammern veröffentlichen in den Kreisblättern bekanntlich die zu ihrer Kenntnis gekommenen angeblichen Kontraki- brüche, die Arbeiter begangen haben sollen. So veröffentlicht die Landwirtschaftskammer für die Provinz Brandenburg in der letzten Nummer des.Niederbarnimer KreiSblatteS" die Personalien von 28 Arbeitern und Arbeiterinnen, die in den Kreisen LebuS , Niederbarnim. West-Sternberg, Templin . Ruppin , Ostpriegnitz, Anger münde und Teltow in den Monaten Mai und Juni kontraktbrüchig geworden sein sollen. 20 von diesen öffentlich in Verruf getanen Personen sind Ausländer<17 Galizier, S Russen), 19 werden als Wanderarbeiter, 2 als Dienstmädchen. 4 als Kuechte, eine als.Dienst- magd, einer als Stellmacher bezeichnet. Bei 21 ist der Aus enthalt der Kammer unbekannt, 3 hat daS Amt Planitz sRuppin) ausgewiesen, ein Knecht ist mit 14 M. bestrast, die Dienst- magd in den Dienst zurückgeführt. Eine derartige Ver- öffentlichung, die einer Verrufserklärung nahe kommt, ist schon um deswillen im höchsten Grade unbillig, weil die Land- wirtschaftSknmmer die Namen der kontraktbrüchigen Arbeit- g e b e r nicht veröffentlicht, weil ferner das Gericht von einem Fall abgesehen»och nicht gesprochen und auch in diesem Fall da» Gericht keineswegs auf Publikation des Urteils erkannt hat, und weil endlich die Veröffentlichung von Personalien zu dem Zweck erfolgt, die einzige Ware, die der Verrufene hat, seine Arbeitskraft lahmzu- legen. Naturgemäß muß solche Praxis der Landwirtschaftskammern die Leutrnot vermehren. Sinb die LandwirischaftSkammern der An- ficht, damit Verträge gehalten werden, sei solche Veröffentlichung er- forderlich, so sollten sie auch die Namen und Personalien aller Guts- besitzer veröffentlichen, die ihren vertragsmäßigen Verpflichlunge» gegen die von ihnen beschäftigten Arbeiter nicht erfüllt oder die ihre Weinrechnungen usw. nicht bezahlt haben. Die Publikationen sind um f overweiflicher, als Vertreter der LandwirtschasiSkaiumern alljährlich bei Vereinbarungen der.,LiescrungS"-Bedingnngen mit der Feldarbeiter- Zentrale auf eine möglichste Tiefe deS Lohnes dringen und als daS Rechtsverhältnis der Laudarbeiter in Preußen bei der Mißhandlung der Reckte der Landarbeiter durch Gutsbesitzer in der Tat oft treffend mit Professor Lolmar als.Absolutismus, gemildert durch Vertrags- bruch", zu bezeichnen ist._ Von ber Paplerverarbeitungs-Berufsgenossenschaft. Der soeben erschienene Geschäftsbericht dieser Berufsgenosscn- schaft zeigt uns, daß die Arbeiterschaft dieser Branche wahrlich nicht gut gestellt ist. Versichert Ivaren im Berichtsjahre 1916 insgesamt 4171 Betriebe mit 137 597 Arbeitern. Die Zahl der Arbeiter hat sich gegen das Vorjahr um 4266 erhöht. Der Durchschnittsverdienst der beichäftigten Arbeiter betrug nur 956 M. pro Jahr lgegen 931 M. im Vorjahre). Den höchsten Lohnsatz hat wieder die Sektion Berlin mit 1996 M., den niedrigsten Cassel mit 817 M. aufzuweisen. Gemeldet wurden 3896 Unfälle. Bon diesen wurden nur 491 entschädigt. An Kosten für Fürsorge der Verletzten in den ersten 13 Wochen dcö Unfalles wurden 17 327 M. verausgabt. Die technischen Auffichtsbeamlen haben im Berichtsjahre 556 Betriebe besichtigt und in diesen 4825 Anordnungen treffen müssen, welche 9473 Mängel betrafen. Die meisten Mangel wurden ver- hälinismäßig in den Buntpapierfabriken und Grobpapierfabriken vorgefunden. Unter den im Jahre 1916 wiederbesichtigten Betrieben hatten sich 65 Proz. hinsichtlich der Unfallverhütung gar noch verschlechtert. Laut Bericht sind 52 Proz. der gemeldeten und 69 Proz. der cnt- schädigten Unfälle als Majchnienunfälle anzusehen. Trotzdem bringt es die Berufsgenossenschast fertig zu schreiben:„Ein großer Teil dieser Mängel fällt, wie gewöhnlich, der Gleichgültigleit. der Un- achtsamkeit und dem Leichtsinn der Arbeiter zur Last." Einige Zeilen weiter wird aber den Unternehmern ans Herz gelegt, nur erfahrene Arbeiter an den Maschinen zu beschäftigen, die speziell in dieser Branche so gefährlich sind. Die Statistik belehrt uns aber, daß dies nicht geschieht, denn von den 3396 gemeldeten Unfällen entfallen 15,7 Proz. auf jugendliche Arbeiter unter 16 Jahren, und 24 Proz. aller Unfälle auf Arbeiter unter 17 Jahren. 18 Proz. aller W-aschinenunfälle betrafen jugendliche Arbeiter unter 16 Jahren und 29 Proz. unter 17 Jahren. Gcricbts- Zeitung. Straflosigkeit bei gesetzwidrigen Berfemnuge« Arbeitswilliger. S 184 deS JnvalibenversicherungSgesetzeS schreibt zum Lchuge der Arbeiter gegen Lahmlegung ihrer Arbeitskraft vor. daß, wer Eintragungen in die Ouittungskarlen in der Absicht macht, den Inhaber der Ouittungskarte anderen Arbeitgebern gegenüber zu kennzeichnen, mit Geldstrafe bis zu 2000 Mark oder Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten zu bestrafen ist. Diese Strafvorschrist ist nötig, um den Arbeiter gegen Verfemungen zu schützen. Was nützt aber die beste Vorschrift, wenn sie Arbeitgebern gegenüber nicht zur An Wendung gelangt? Ein drasttscher Fall strafloser Gesetzwidrigkeit eines Fabrikanten wird uns aus Baden mitgeteilt. Die Pforzheimer Firma Kollmar u. Jour d a n hatte bei einem Teil ihrer Arbeiter in die Invaliden karten den Vermerk eingestempelt:„Ausgetreten wegen Streik". Ein an die Staatsanwalt s ch a f t eingereichter Antrag hatte nicht den Erfolg, daß eine Verfolgung der an dieser ungesetzlichen Brandmarkung der Arbeiter schuldigen Personen eingeleitet wurde. Die Begrürn dung der Staatsanwaltschaft ging dahin: „Das Verfahren wird e i n g e st e l l t. Die Erhebungen haben keinen bestimmten Nachweis dafür ge geben, daß die Vermerke„Ausgetreten wegen Streik" auf Anordnung einer zur Vertretung der Firma Kollmar u. Jourdan g e- setzlich befugten Person in den OuitlungSkorten einiger Arbeiter angebracht wurden, so daß eine solche Person auch strafrechtllsch nicht verantwortlich gemacht werden� kann. ES fehlt aber mich weiterhin jeder Nachweis dafür, daß der fragliche Vermerk den OuittungSkarten in der Absicht beigesetzt wurde, den Inhaber der Karte anderen Arbeitgebern gegenüber zu kennzeichnen, wie dieS der ß 184, Abs. 2 Vers,-Ges. verlangt. Bielmehr steht fest, daß die genannte Firma den Stempel nur für ihre Personal- alten angeschafft hat. Die Verwendung desselben in den Jnvalidenlarten durch das Bureaupersonal ist offenbar nur des halb geschehen, um eine Erklärung für die plötzliche Unterbrechung der versicherungspflichtigen Arbeit in kurzer und rascher Weife zu bewirken Wenn eine Kennzeichnung der Arbeiter beabsichtigt gewesen wäre, dann wäre der Vennerl auch in den OuittungSkarten aller streikenden Arbeiter— etwa 266— beigefügt worden, waS jedoch nickt geschah." Eine Beschwerde gegen die Ablehnung der Verfolgung der leicht zu ermittelnden Schuldigen bei der O b e r st a a t s anwaltschaft blieb erfolglos. Die Pforzheimer Fabrikanten jubilieren aufs neue über den Schutz, den der b a d i f ch e M u st e r st a a t i h r e r Arbeiterunterdrückung gewährt. Die Pforzheimer Arbeiter gelangen durch solche Bescheide aber immer mehr zu der Einsicht, daß das„badische Musterländle" nicht minder wie andere deutsche Vaterländer den Arbeiter schutzlos läßt. WaS die Berliner Stadtmissiou alles verlangt. Die von dem Hofprediger Stöcker begründete Berliner Stadt» Mission hatte, wie bereits früher an dieser Stelle mitgeteilt, einen von mehreren hochstehenden Persönlichkeiten unterzeichneten Aufruf, in welchem um die Gewährung von Geldbeträgen für die Stadt Mission gebeten wurde, auch einem hiesigen Fabrikbesitzer D. zu gesandt. Dieser erklärte hierauf, daß er an sich zur Gewährung von Beiträgen für wohltätige Zwecke stets bereit fei, es aber ablehnen müsse, Geld an die Kasse der Berliner Stadtmission abzuführen, da, wie ihm und auch weiteren Kreisen bekannt sei, dort jahrelang ür wohltätige Zwecke eingezogene Geldbeträge in großen Summen unterschlagen worden seien, ohne daß eine Verfolgung der Schul- digen stattgefunden hätte. Einer der Schuldigen wäre sogar als Geschäftsführer und Kassenrendant angestellt gewesen, obgleich er ein bereits wegen Unterschlagung im Amte vorbestrafter ehemaliger Eisenbahnsekretär war, dessen Bestrafung dem Vorstande der Stadt Mission bei seiner Anstellung bekannt gewesen war. Das wiederholte Ansinnen der Stadtmission, diesen Vorwurf zurückzunehmen, hatte der Fabrikbesitzer abgelehnt. Von der Stadtmission wurde trotzdem nichts gegen D. unternommen. Dieser äh sich dann, in der berechtigten Annahme, daß den Unterzeichnern des Aufrufs diese groben Verfehlungen unbekannt seien, veranlaßt, ihnen von diesen Mitteilung zu machen. Gleichzeitig wurde von D. darauf hingewiesen, daß die Stadtmission auf milde Gaben ftber� Haupt nicht angewiesen sei, da sie einen ihr entbehrlichen Teil ihre? Grundstücks am Johannistisch an die Stadt Berlin für Straßen zwecke sehr vorteilhaft verkaufen könne. Die Stadtmisston beantragte hierauf bei dem Landgericht III den Erlaß einer einstweiligen ver- fügung, durch welche dem Fabrikbesitzer bei einer Strafe von 1666 M. ür jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt werden sollte, ferner Angriffe der vorstehenden Art gegen die Stadtmission zu richten Dieser Antrag wurde vom Landgericht abgelehnt. Auf die hiergegen eingelegte Berufung hat jetzt auch daS Kammergericht den Antrag der Stadimission, welche die Unterschlagungen zugeben mußte, abgewiesen. Milde Gaben könnten wohl eine bessere Verwendung finden, als zur Kostendeckung für aussichtslose kostspielige Prozesse. Jude» die Berliner Stadtmission geht ihre eigenen Wege. Sie glaubt berech- tigt zu sein, die wahre Mitteilung von Unterschlagungen, die sie elbst zugestehen muß. unterdrücken zu dürfen, um desto erfolgreicher den Klingelbeutel schwingen zu können. Ungünstige Auslegung des ReichSvereinSgesetzeS. Ende vorigen Jahres wurde in Hettstedt (Provinz Sachsen ) ein Handelsmann welcher der sozialdemokratischen Partei angehört hatte, beerdigt. An dem Leichenbegängnis beteiligten sich auch der Gesangverein„Freiheit" und der sozialdemokratische Verein aus Hettstedt . Während im Traucrhause im Beisein eines Geistlichen eine Trauerfeier abgehalten wurde, nahmen Mitglleder der Vereine und andere Leidtragende auf der Straße vor dem Trauerhause Auf- tellung. ES kamen dann auch der Schuhmacher Dauerhin und der Maurer Hildebrandt mit Kränzen, an denen große rote Schleifen befestigt waren. Es waren die Kränze deS Gesangvereins„Frei- heit" und des sozialdemokratischen Verein?. B. und H. nabmen so Aufstellung vor den auf der Straße wartenden Leidtragenden, daß zwischen ihnen und dem Leichemvagen genügend Zwffchenraum blieb sowie für den Geistlichen und für die Angehörigen des Ver- lorbenen, mtlT warteten so das Ende der Leichenfeier im Hause ab. Ein Polizeikommissar Fischer verlangte die Entfernung der Schleifen von den Kränzen. B. und H. hielten sich dazu nicht berechtigt und trennten die Schleifen nicht ab; sie widersetzten sich aber auch nicht, als der Kommissar nun die Schleifen abschnitt, wobei B. und H. die Kränze entglitten. B. und H. wurden angeklagt. D-S Landgericht Halle a. S. prach sie frei sowohl von der Anklage der Ucbertretung einer ManS- eldifchen Kreispolizeiverordnung. als auch von der Anklage der Uebcrtretung der ZZ 7, 9 und 19 Ziffer 1 des RcichSvereinSgefches. WaS die Verordnung angeht, so wurde angenommen, daß eine Widersetzlichkeit gegen die Anordnung deS Kommissars auf Eni- fernung der Schleifen nicht vorliege, so daß auf die Frage der Gültigkeit der Polizeiverordnung nicht eingegangen werden brauche. Dann wurde in vereinSrcchtlicher Beziehung ausgeführt: Durch§ 19 Ziffer 1 des Reichsvereinsgesetzes in Verbindung mit den ZZ 7 und 9 desselben Gesetzes sei nicht nur die Beranstal-. tun, öffentliZer Bersammsuugen unter freier Himmel u»d. öffent- brünstigem Sebet... licher Aufzüge ohne polizeiliche Genehmigung unter Strafe gestellt, sondern auch die Veranstaltung ungewöhnlicher Leichenbegängnisse, wenn sie ohne Genehmigung erfolge. Es sei auch anzunehmen, daß hier die Mitführung der Kränze mit den großen roten Steifen das Leichenbegängnis zu einem außergewöhnlichen gemach�chaben würde, zumal Beerdigungen mit roten Schleifen in Hettstedt bisher nicht vorgekommen seien und zweifellos das Gange den Charakter einer sozialdemokratischen Demonstration erhalten haben würde. Auch als Veranstalter des ungewöhnlichen Leichenbegängnisses würden B. und H. dann anzusehen sein nach der ganzen Art und Weise, wie sie Aufstellung nahmen mit ihren Kränzen. Aber durch das Dazwischentreten des Kommissars sei die Mitführung der Kränze im Leichenzuge verhindert worden. Somit sei das außergewöhnliche Leichenbegängnis nicht zustande gekommen. Nur deshalb könnten die Angeklagten nicht bestraft werden. DaS Kammergericht hob am Montag auf die Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil des Landgerichts Halle auf und ber- wies die Sache zu nochmaliger Verhandlung an daS Landgericht zurück.— Begründend wurde ausgeführt: Ohne Rechtsirrtum habe das Landgericht angenommen, daß vorliegend die Voraussetzungen eines ungewöhnlichen Leichenbegängnisses gegeben seien, und daß den Angeklagten die Rolle der Veranstalter zufalle. Unzutreffend sei aber die Annahme deS Landgerichts, daß das außergewöhnliche Leichenbegängnis noch nicht begonnen gehabt habe. Das Kammer- gericht nehme an, daß der Begriff deS Leichenbegängnisses im Sinne des Z 9 deS Vereinsgesetzes d«S Leichenbegängnis als Ganzes um- fasse, und daß nicht bloß die Zeit gemeint fei, wo sich der Trauerzug vom Trauerhause nach dem Friedhof bewege. Es sei früher schon ausgesprochen, daß die Versammlung am Grabe zum Leichen- begängniS gehöre, und daß das Leichenbegängnis noch fortdauere, wenn die Leiche bereits in die Erde gesenkt worden sei, so daß die Sichtbarkeit der Leiche bezw. des Sarges nicht zur Erfüllung des Begriffs deS Leichenbegängnisses gehöre. Daraus müsse gefolgert werden, daß ein Leichenbegängnis auch bereits dann begonnen habe, wenn während einer Trauerfeier im Haufe die daran nicht teil- nehmenden Leidtragenden bereits vor dem Haufe Aufstellung ge- nommen hätten, wie das hier der Fall gewesen sei, bevor der Beamte die Entfernung der roten Schleifen herbeiführte. Die Leute» die sich draußen aufgestellt hätten, nähmen ebenso gut bereits an dem Leichenbegängnis teil wie diejenigen, die im Hause seien und der Rede eines Geistlichen oder irgend eines anderen lauschten. Aus den Feststellungen des Vorderrichters ergebe sich auch, daß dieser Teil deS Leichenbegängnisses bereits begonnen gehabt habe, als die Angeklagten hinter dem Leichenwagen und vor dem Trauerzuge Ausstellung genommen hatten und als der Polizeikommissar die Entfernung der Schleifen verlangte. Die Freisprechung der An- geklagten sei daher� nicht zu rechtfertigen und die Sache müsse zur anderweiten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen werden. Das Leichenbegängnis wurde wegen Mitführung roter Schleifen zu einem außergewöhnlichen gestempelt, weil in Hettstedt gewöhnlich Kränze mit roten Schleifen nicht mitgeführt werden. DaS ist aber eine durchaus unlogische Feststellung. Wäre sie richtig, so wäre a danach auch ein Leichenbegängnis, bei dem keine Kränze mit- getragen, ein außergewöhnliches, weil das Tragen von Kränzen üblich ist. Danach müßte man dem Gesetzgeber also imputieren, er habe ein Begräbnis ohne Kränze nur von polizeilicher Genehmigung abhängig gemacht. Das Landgericht übersteht, daß eS nur darauf ankommen kann, ob bei Leichenbegängnissen von Sozialdemokraten Kränge mit roten Schleifen üblich sind. Die fortgesetzt gemachten Versuche, die bei Leichenbegängnissen von Sozialdemokraten übliche Art zu einer außergewöhnlichen zu stempeln� übersehen, daß der Gesetzgeber das Pictätsgcfühl der Trauernden schützen, aber nicht verletzen wollte. Auf eine Verletzung des Pietätsgefühls kommt aber der für zulässig erachtete polizeiliche Eingriff und die gericht, li(f|e Verfolgung Leidtragender hinauf £[us aller Melt. Cm KultiirbUd aus franhreicb. vor etwa zwei Wochen brachten wir an dieser Stelle bfe Notiz über eine Hinrichtung, wie sie nach französischen Berichten kürzlich im„kultivierten" Frankreich vollzogen wurde, und zwar in einer Weise, daß e« in absehbarer Zeit schwer fallen dürfte, an Barbarei und Roheit ein Gegenstück zu ihr zu finden. In- zwischen sind in Toulon am 9. August an den des Mordes chuldig gesprochenen Matrosen Gueguen und Lemaröchal zwei weitere Todesurteile vollstreckt worden, und, war eS im vorigen Falle die unmenschliche Roheit, so ist eS nun neben dieser die geradezu beispiellose Schamlosigkeit und Heuchelei der herrschenden Klassen, die einem die Glut der Empörung in die Wangen treibt. So berichteten die Pariser Morgenbläiter, die sich, ihrem Publikum Rechnung tragend, am Tage der Hinrichtung spaltenlange SeusationS» artikel drahten ließen, unter anderem: „Beide Deliqucnlen erlvieien sich dem geistlichen Zuspruch zu- gängiich. Sie beichteten, jeder in seiner Zelle, den AbböS Bruno und Gourdon, und wurden sodann in die Gefängniskirche geführt, wo sie. je zwischen zwei Aufsehern, vor dem Hochaltar Platz nahmen. Der eine der Priester laS. der andere bediente die Messe, worauf die Verurteilten daS Abendmahl nahmen..." Im Morgengrauen werden sie dann zur Richtstätte geführt.„Im Osten", beißt es weiter,.anlern auf der Reede die Kriegsschiffe, im Westen ziehen ich die Häuser deS Viertels am Schießplatz entlang, und schon öffnen sich ollerorten die Fenster: die Anwohner werden zweifellos die besten Plätze einnehmrn. Ueberall in der Dämmerung wimmelt es von Leuten, die in lärmenden Haufen herbeiströmen.... Eine Abteilung deS 16. SrtilleriereginientS rückt an. Die Zahl der Neu- gierigen wächst von Minute zu Minute. Auf dem Wege von Mou- rillon rollen in unabsehbarer Reihe Fialer und Automobile heran. Neue Truppen marschieren auf. Die Menge strebt mit aller Gewalt der Mitte deS Schießfeldes zu, aber der diensttuende Major, der das vordringen bemerkt, läßt sie auf den Weg zurücktreiben. und es fetzt ein wildes Gcdiänge. Pfiffe und EntrüstungS- rufe.... Um'/z5 Uhr werden in der Ferne zwei Schaluppen ficht- bar.... Fünf Minute» später legen sie am Schießplätze an.... Die EmpfangStruppen bilden Karree und nehmen die Delinquenten in die Mitte. Der Sbbö Bruno stützt Gueguen. der vorangeht, eine Zigarette im Munde. Der Sbbö Gourdon führt Lemaröchal.... Bei den Schießpfählen angelangt, find beide käst bewußtlos; die Priester leisten ihnen Beistand, und nach einem letzten Gebet verbindet ihnen der Feldscher Olivier die Augen.... Tiefe Stille tritt ein, während die zur Exekution be- ohlene Rotte sich in zwei Reihen gliedert, die vordere in kniender, die Hintere in aufrechter Stellung. Ein Marineoffizier tritt vor, hebt den Säbel und läßt ihn jäh sinken. Ein Knattern zerfetzt die Luft, während die Köpfe der Gerichteten sich neigen. DaS Urteil ist vollstreckt I Trotzdem beiden Delinquenten die Augen verbunden waren, ge- lang eS Gueguen, noch bevor die Salve ertönte, sich der Binde zu entledigen. Während sich diese Szenen abspielten, die keine Feder zu beschreiben vermag, fcsseten unweit die beiden Abb öS in in»
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