Beilage zum„Vormiirts" Berliner Volksblatt.Ar. 305.Freitag, den 1. September 189310. Jahrg.Pariser Sriefe.28. August.Auf dem Montmartre, im Viertel von Clignancourt, erhebtstch eine dem Herzen Jesu geweihte Kirche, l'Eglise du Sacre-Coeur, die aus Sühne für die Gottlosigkeit von Paris nach demSturze der Kommune in Angriff genommen wurde. Obwohldieselbe noch nicht ausgebaut ist. wandern doch schon seit Jahrenganze Schaaren zu ihr hin. Es giebt wohl kaum einen Recht-gläubigen und noch weniger eine Rechtgläubige, die aus derProvinz oder von auswärts nach Paris kommend, nicht zum„Sacrs-Coeur" wandelte, wie die Kirche kurz benannt wird. Jaähnlich wie nach Lourdes und anderen Wallfahrtsorten werdenauch dahin eigene Pilgerzüge veranstaltet. Da giebt es dennauch neben Wirths-, Gast- und Pensionshäusern, die fast aus-schließlich von den Wallfahrern leben, eine Anzahl von Hüttenund Läten, die dem Käufer nichts als„Heiligen'-Figuren.„Heiligen"-Bilder, Gebetbücher, Rosenkränze, Denkmünzen u. vgl.bieten. Was Wunder denn auch, wenn sich da allmälig eineBevölkerung bildete, die, von der Kirche lebend, ihr auch zudienen bereit ist? Unter solchen Umständen kann es für einenStreiter der Kirche, der den Ehrgeiz besitzt, Abgeordneter zu werden,keinen besseren Wahlbezirk gebe», als es Clignancourt ist. Das hatdenn auch der apostolische Missionär Abbe Garnier heraus-gefunden und demgemäß, mit besonderer Rücksicht auf seine Kan-didatur, schon seit Langem operirt. Aber trotz aller Wohl-thätigkeitsgründungen, trotz der massenhaften Vertheilung vonFlugschriften mit und ohne sein Bildniß von heule und von1370, wo er sich als ein schmucker Zuave präsentirt, trotz derBildung zahlreicher Wahlkomitees und der Abhaltung unzähligerWahlversammlungen, sowie der Affichirung zahlloser Wahlplakateerhielt er beim ersten Wahlgange kaum mehr als die Hälfte derauf den sozialistischen Kandidaten Gustave R o u a n e t ent-fallenen Stimmen und kaum mehr als ein Drittel von allen inClignancourt abgegebenen Stimmen. Ob es ihm, wie er hofft.bei der Stichwahl viel besser ergehen wird, ist sehr zu bezweifeln,da es kaum noch ein Mittel giebt, um Stimmen zu ködern—er hat den Wählern selbst seine Visitenkarte zugeschickt—, das ernicht schon beim ersten Wahlgange benutzt hätte.Und wenn es noch wenigstens lauter Mittel gewesen wären,die sich, wir sagen nicht mit dem Priefterkleide— denn dieKleider machen noch weniger den Menschen als die Kutte denMönch—, sondern mit dem einfachen Anstände vertragen. Dieswar aber, wenn man nicht auch Verdächtigungen, Ver-lenmdungen und Fälschungen dazu rechnen will, durchaus nichtder Fall.Wir sind weit entfernt davon, alle Worte, die irgend einemKandidaten in der Hitze des Redegefechts entfallen, auf die Wag-schale legen zu wollen. Auch die Leidenschast hat gewisse Rechte,und in diesem Falle möchten wir es selbst mit dem Wortehalten: Tont cornprendre, c'est tout pardonner— Alles begreifen, heißt alles verzeihen. Wenn daher der Abbe Garnier,Missionnaire apostolique, Candidat dans la Ciroonscriptioflde Clignancourt, wie es aus seiner den Wählern zugeschicktenVisitenkarte heißt, in seinem christlich-katholischen Eifer nur aufJuden und Freimaurer schimpfte, und um sich den Kampf gegendie Sozialisten zu erleichtern, diese ganz einfach zu Juden undFreimaurern stempelte, wollten wir mit ihm eben so wenigrechten, als wenn er, der Römling, den Mordspatrioten hervor-kehrt. Er geht aber weit, weit über die Grenze des selbst imhitzigsten Kampfe Erlaubten hinaus. Er setzt sich nämlich an denSchreibtisch hin und streut kalten Blutes Infamien, wie diefolgende, in die Welt:„Ich will unseren Freunden, den Ar-beilern, lehren.. sich die sozialistischen Agitatoren vom Halse zuschaffen, die von Preußen bezahlt sind, wie diesgestern„le Vorwaerts", ihr offizielles Organin Deutschland, gestand."In derselben von ihm gezeichneten Wahlbroschüre heißt esu. a. ferner:„Jedermann weiß, daß die Streiks sich allseitig ver»mehren und oft unter dem nichtigsten Vorwand. D i eRädelsführer gestehen ganz zynisch, daß siehierfür Geld vom Ausland, speziell vonEngland oder Deutschland, erhalten. Sehroft sah man sie die Streikenden zu dem Rufe anfeuern:Nieder mit Frankreich! Es lebe Preußen!"Aber diese und noch so manche andere Nichtswürdigkeit magder Abbee ja auch aus dem Papierkorbe irgend eines Palridiotenhervorgeholt haben, über die das allgemeine Stimmrecht bereitsbeim ersten Wahlgang vom 20. August zur Tagesordnung ge-schritten ist. Eigenes Gewächs ist es aber sicherlich, wenn derapostolische Missionär eine Stelle aus der Schrift eines Genossenderart wiedergiebt, daß sie. wenn auch ohne ei» Wort geändertzu haben, ganz einfach durch vorgenommene Streichungen, einenC anderen Sinn bekommt, als sie in der Wirklichkeit hat., eine solch' jesuitische Fälschung hat Abbee Garnier anLasargue's„Droit ä la Paresse" verübt.„Wir hören." heißt es nämlich in der frommen Wahl-broschüre,„den Freimaurer(!) Lafargue in seinem Buche„DasRecht auf Faulheit" ausrufen:„Die Indianer Brasiliens tödtenihre Siechen und ihre Greise... alle primitiven Völker habenden Ihrigen diese Beweise von Zuneigung gegeben; wie sehrsind die modernen Proletarier entartet!"Der Herr Abbee hat es da nun leicht, zu dieser Stelle zubemerken:„Es ist nicht allein die Wiederkehr zur Sklaverei.sondern die Neugestaltung des wilden Zustandes, die man unserblicken läßt und uns verspricht."Wie lautet aber nun die zitirte Stelle, die nebenbei bemerkt,nur als eine Anmerkung im„Droit k la Paresse" steht, inWirklichkeit?„Die Indianer der kriegerischen StämmeBrasiliens tödten ihre Siechen und ihre Greise; siebezeugen ih r e F r e un d sch a st, indem sie einemLeben, das nicht mehr durch Kämpfe, Festeund Tänze erfreut wird, ein Ende machen.Alle primitiven Völker haben den Ihrigen diese Beweisevon Zuneigung gegeben: ebensowohl die Massageten des Kaspi-sche» Meeres(Herodot) wie die Wenden Deutschlands und dieKelten Galliens. In den Kirchen Schwedens bewahrte man vorkurzem noch Keulen, sogenannte Familienkeulen, die dazu dienten,die Eltern von den Betrübnissen des Alters zu befreien. Wiesehr sind die modernen Proletarier entartet, um die schreck-lichen Erbärmlichkeiten der Fabrikarbeit inGeduld zu ertragen!"Und diesen Fälscher, auf dessen„muthige Wahlkampagne"der„Monde" die Aufmerksamkeit und die Sympathien seinerLeser lenkt, nennt dieses sonst anständige, wenn auch klerikaleBlatt eine A p o st e l s e e l e! Wie mag es dann wohl mit denSchächerseelen bestellt sein?...roliciles.ßdle Selbsterkenntnis?. Wir lesen in der„Köln. Ztg."vom Montag folgendes ans Berlin:„Für die Redensart vondem Pfeil, der ans den Schützen zurückprallt, hat ein hiesigesBlatt heute ein wahrhast treffendes Beispiel geliefert. In seinerMorgenausgabe schreibt es:„In der Begleitung des Monarchenbefand sich unter anderen der Reichskanzler Graf Caprivi, welcherder Majestät während der Fahrt Vortrag hielt, aber eines leichtenUnwohlseins wegen, das ihn seit einigen Tagen befallen, vomGörlitzer Bahnhofe direkt nach seinem Palais fuhr." In seinerAbendausgabe schreibt dasselbe Blatt, nachdem es eine Behaup-tung eines Abendblattes, der„Post", als„pure Erfindung" be-zeichnet hat:„Aus Erfindung beruht auch die heute veröffentlichteMeldung eines ebenso unzuverlässigen Morgenblattes, wonachGraf Caprivi an Unwohlsein leide. Das Gerücht ist dadurchentstanden, daß der Reichskanzler den Monarchen nicht zur Ein-weihung der Emmauskirche begleitete, sondern dringender Amts-geschäfte wegen— und nicht etwa wegen eines Unwohlseins—nach dem Auswärtigen Amt zurückkehrte." Ein Blatt, das sichselbst der Erfindung bezichtigt und für sich die Eigenschaft derUnzuverlässigkeit in Anspruch nimmt— man kann die Auf-ricbtigkeit in der That nicht weiter treiben. Diese Handlungsweise streift ja schon an moralischen Selbstmord."— Hinzusetzenwollen wir nur noch, daß das betreffende Blatt das„Berl. Tage-blatt" ist.Große Unregelmäßigkeiten find bei dem Vorschußvereindes Wedding- Stadttheils entdeckt worden. Am 22. Juni d. I.starb der langjährige Rendant des Vereins, der in der Müller-straße 12 wohnhafte Kaufmann Johann Andreas Lehmann, Mit-bentzer der Lack-, Firniß- und Farbenfabrik von Arnold undLehmann. L. hatte als vermögender Mann gegolten. Nachseinem Tode stellte es sich heraus, daß seine finanzielle Lage einesehr schlechte gewesen war; über seinen Nachlaß mußte dasKonkursverfahren eröffnet werden. In der ersten Gläubiger-Versammlung machte nun, wie ein hiesiges Blatt erfährt, derJustizrath im Namen des Vorschußvereins die Mittheilung. derVerstorbene habe während seiner siebzehnjährigen Thätigkeit alsRendant nicht weniger als 247 219 Mark unterschlagen.— Vonanderer Seite wird noch folgendes gemeldet: Nach dem Ab-leben L.'s haben sich im Kassenlokale des Vorschußvereins Vor-fälle abgespielt, die die Möglichkeit zulassen, daß ein großerTheil des Geldes nach dem Tode des Mannes auf andereWeise verschwunden ist. Die Wittwe des Verstorbenen.mit welcher er erst seit etwa einem Jahre vermählt war. nach-dem er von seiner ersten Frau einen Monat vorher rechtskräftiggeschieden worden, hat nach dem Tode ihres Mannes die zu denGeldschränken gehörigen Schlüssel dem Aufsichtsrath des Vereinsabgeliefert, und seitens des letzteren hat dann eine Kassenrevisionstattgefunden, die das überraschende Resultat ergab, daß von denDepositen in Höhe von ca. 120 000 M. und von den Mitglieder-Guthaben von ca. S0 000 M. nichts mehr in den Kassenschränkenvorhanden war. Erst einige Tage nachher, als das Fehlen derDuplikat-Schlüssel zu den Geldschränken bemerkt wurde, ivurde»dieselben von der Wittwe des Verstorbenen in den Beinkleiderndes letzteren vorgefunden und abgeliefert. Es ist somit nichtausgeschlossen, daß unberechtigte Personen mit diesen Dublikat-schlüsseln Zutritt zu den Geldschränken gefunden und die darinvorhandenen Werth« entwendet haben. Immerhin bleibt esaber auffallend, daß der Rendant die Duplikatschlüssel bei sichgetragen hat. Die Kassenkontrolle ist bei dem Borschußvereinjedenfalls eine sehr mangelhaste gewesen.Zur Choleragefahr. Der Polizeipräsident macht folgendesbekannt: In den Tagen vom 23. bis 23. d. sind sämmtliche890 Flußschiffe, welche aus dem Berliner Stromgebiet— zwischendem Markgrafendamm und der westlichen Weichbildgrenze an-getroffen wurden, ärztlich auf den Gesundheitszustand derSchifssbevölkcrung untersucht worden. Die Untersuchungenhaben ei» befriedigendes Ergebniß gehabt. Cholerakranke odercholeraverdächtige Personen wurden auf keinem Schiffe auf-gefunden.Seitens der Sanitätsbehörden ist bei den hiesigen Aerzten,welche im vorigen Jahre auf den Sanitätswachen angestelltwaren, Umfrage gehalten worden, ob sie geneigt sind, auch indiese», Jahre eventuell den ärztlichen Wachtdienst zu über-nehmen.Der Landrath des Niederbarnimer Kreises hat angeordnet,daß jeder Fremde, der nach einer Ortschaft des Kreises kommt,noch an demselben Tage polizeilich gemeldet werden muß.Die Polizeiverwallung in Nauen hat im Hinblick auf dieCholeragefahr den Verkauf von Obst und sauren Gurken aus�demSedanfestplatze verboten.Die Bnchbinderfrau Schuster und ihr kleines Töchterchen,die an der asiatischen Cholera erkrankt sind und im KrankenhausFriedrichshain verpflegt werden, befinden sich auf dem Wege derBesserung. Ein vier Wochen altes Kind derselben Frau ist da-gegen in sehr elendem Zustand im Lkrankenhaus Friedrich-Haineingeliefert worden und liegt so gut wie hoffnungslos darnieder.Dieses Kind ist seit acht Tagen krank und leidet angeblich amBrechdurchsall. Die bezüglich dieses Falles angestellten bakterio-logisäien Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. ImMoabiter Krankenhaus wurden in der Zeit von gestern um 10 Uhrmorgens bis heute früh um dieselbe Stunde zwei unter cholera-artigen Erscheinungen erkrankte Männer aufgenommen und inder Beobachtnngsstation untergebracht. Entlassen wurden ausdieser Station vier Personen und eine wurde eineranderen Station überwiesen. In Moabit verbleiben zweiCholerakranke und acht Personen in der Beobachtunasstation.Was den Arbeitshäusler betrifft, der von den Rieselfeldern beiMalchow nach Moabit gebracht worden ist, so hat sich die gestrigeDiagnose bestätigt; er hat somit nicht die Cholera. Im Kranken-Haus am Urban sind bis jetzt weder Cholerapatienten noch untercholeraarligen Erscheinungen erkrankte Personen zur Beobachtungeingeliefert worden.Charlottenbura. Gestern morgen gegen Uhr wurde ander Bismarck- und Leibnizstraßcn-Ecke ein älterer Steinkutschervon seinem mit Tausend Steinen beladenen Wagen derart über-fahren, daß ihm das Hinterrad des Gefährts mitten auf seinerBrust stehen blieb. Der Unglückliche konnte erst, nachdem dasHinterrad mit seiner Last angehoben war, unter dem Wagenhervorgezogen werden. Der in der Nähe wohnende ArztDr. Hanotmann ordnete die Ueberführung des Verunglückten inshiesige ikrankenhaus an, wozu jedoch kein Fuhrwerk zu ermittelnwar. Ein Polizei-Wachtmeister ertheilte den Rath, den Krankenauf seinem eigenen Wagen ins Kraukenhaus zu fahren. Wäreder Verunglückte vielleicht mit Glage- Handschuhen, Frack undweißer Weste bekleidet gewesen, fo hätte man bald ans demnebenan belegenen Fuhrgeschäst eine Droschke geholt. Für denin schmutzige Lumpen gehüllten Proletarier war zedoch erst, nach-dem durch mehrfaches Hin- und Her-Telephoniren eine Stundevergangen war, Hilfe in Gestalt des städtischen Transportwagensherbeizuschaffen.Wegen Glücksspiels verhaftet. Gestern wurde der wegenGlücksspiels vorbenrafte Monteur Wilhelm Hoffmann auf grundeiner anonymen Anzeige sistirt, die ihn des gewerbsmäßigenFalschspiels bezichtigte. Bei der Durchsuchung des Hoff-mann fand man in seinem Besitz sechs Spiele Karten, derenEcken auf der Rückseite punktirt waren, so daß ein Eingeweihterohne große Schwierigkeiten an diesen Kennzeichen die Bildererkennen konnte. Ferner fand man bei Werner eine großeAnzahl Würfel, die zum Theil blind warenf, zum Theilnur ein, zwei oder drei Augen oder andere Augenzahle», aberdoppelt aufwiesen. Auch 530 M. an baarem Geldc, eine goldeneHerrenuhr, zwei goldene Damenuhren und andere Schmucksachenwurden Hoffmann abgenommen. Hoffmann, der zur Zeit keinennachweislichen Erwerb hat, behauptet, daß das Geld aus Er-sparnissen herrühre, die er früher als Besitzer eines Zigarren-ladens gemacht haben will, und die Schmucksachen behauptet erals Pfänder für Darlehne erhalten zu haben. Von den Kartenund Würfeln erzählt er, daß er sie zum Vergnügen ohne besonderenZweck bei sich führte. Es liegt nun allerdings der dringendeVerdacht vor, daß Hoffmann das Geld unter Benutzung derpunktirten Karten und der falschen Würfel im Glücksspiel gewonnenhat, aber es ist nicht möglich, den Nachweis zu führen, da sichbis jetzt niemand gemeldet hat, der auf solche Weise durch Hoff-mann geschädigt worden ist. Er hat daher wieder entlassenwerden müssen.Die Treulosigkeit seiner Frau hat am Mittwoch Nach-mittag einen fleißigen und braven Arbeiter, den BauklempnerEmil W., zum Selbstmord getrieben. W. hatte am Vormittagein Krankenhaus, in welchem er sich wegen Erkrankung an einerLungenentzündung befand, verlassen und seine Wohnung auf-gesucht. Dieselbe war verschlossen; als sie durch einen Schlossergeöffnet worden war, entdeckte W., daß seine Frau das ganzeMobiliar verkauft hatte. Wie sich herausstellte, war die Frauvor kurzem unter sittenpolizeiliche Aufsicht gestellt worden unddann verschwunden. W., der seine treulose Frau sebr ueliÄ«hatte, wurde am Nachmittag von einer Flurnachbarin an einemFensterkreuz hängend und nur noch leise röchelnd aufgefunden.Einem sofort herbeigeholten Arzte gelang es, ihn wieder insLeben zurückzurufen, worauf der Unglückliche wieder nach demKrankenhause gebracht wurde.In Spandan war kürzlich, wie wir berichtet haben, einOffiziersbursche, der mehrere Zivilisten in unverantwortlicherWeife gereizt hatte, schwer verwundet worden. Ein Mann, derihm die Messerstiche beigebracht haben soll, befindet sich noch inHaft. Bisher nahm man an, daß der Zustand des Offiziers-burschen hoffnungslos sei; sein Befinden hat sich jedoch so ge-bessert, daß er in absehbarer Zeit von den schweren Verletzungenwieder hergestellt werden kann.In der Strafsache wegen versuchten Mordes gegen den„Arbeiter" Müller und Genossen, die unlängst den Arbeiter Langein den Landwehrkanal geworfen haben, sind drei der Thäter,wie bereits gemeldet, vor einigen Tagen verhaftet worden, außerMüller die„Arbeiter" Linke und Luttkus. Jetzt ist auch der Viertedingfest gemacht worden, der von seinen Genossen als der„Ulanen- Julius" bezeichnet wurde. Es ist dieses der„Arbeiter"Julius Malischek. Er behauptet nun allerdings, Luttkus habedas Attentat aus Lange allein verübt, doch steht diese Angabeim Widerspruch zu den Aussagen der anderen, die zum Theilgeständig sind.Verhaftet wurde am Mittwoch Abend in einem Restaurantin der Andreasstraße Hierselbst, wo er friedlich beim Glase Biersaß, der Monteur Paul Pawlowitsch aus Weißensee bei Berlin.P. ist Anarchist und gehörte zu den Angeklagten in dem Pro-zesse Schenk und Genoffen, bei dessen Verhandlung er indeß be-reits in der Schweiz ivar, wohin er sich geflüchtet hatte. Gegenihn soll daher jene Sache nun besonders verhandelt werden.Aus dem Züricher Kongreß war Pawlowitsch Delegirter derZüricher Anarchisten und gehörte dort mit zu den hinaus-gewiesenen Lärmmachern. Er leitete nachher den Auchkongreßder Anarchisten und sogenannten Unabhängigen.Polizeibericht. Am 30. v. Mts. Morgens wurde ein Mannin seiner Wohnung in der Reinickendorferstraße erhängt vor-gefunden.— Beim Abbruch des Hauses Gartenstr. 124 fiel Nach-mittags der Arbeiter Forkel vom Dache auf den Bürgersteighinab und erlitt außer mehreren Verletzungen im Gesicht einenBruch des Vorderarms. Er ivurde nach dem Lazarus-Kranken-hause gebracht.— Abends sprang ein zivölfjähriges Mädchenaus dem Küchenfenster der im 4. Stock des Hauses Antonstr. 17belegenen Wohnung der Mutter auf den Hof hinab und starbbald daraus.— Im Lause des Tages fanden vier kleineBrände stall.TheKkcr.Nesidenztheater. Ein grausam unerbittliches Stück Lebenund Lebenswahrheit war es, welches uns Richard Skowronuekam Mittwoch Abend im Nesidenztheater vorführte.Um 30 M.„aufzutreiben", wie der Kunstausdruck lautet,war Heinrich des Morgens ausgezogen. Und gelobt hatte er sich,nie mehr eine Karte in seinem Leben anzurühren, denn in denKarten sitzt ein Teufel, ein Dämon, der ihn mit unwiderstehlicherGewalt niederzwingt, der ihn nicht aus seinen Klauen läßt,wenn er ihn erst einmal gepackt hat. Er ist ein Spieler, erweiß es; zwar haßt und verachtet er die Leidenschaft, die ihnbeherrscht, und doch ist er ein willenloser Sklave, so-bald er ihrem Banne unterliegt. Und es gelingt ihm,die sechzig Mark aufzutreiben, denn es ivar die höchsteZeit, seine wenigen Möbel hat der Gerichtsvollzieher bereits ge-pfändet, und morgen früh sollen sie abgeholt werden, wenn nichtdie Summe gezahlt wird. Nun, glücklicher Weise wird es foschlimm nicht werden, denn das Geld klimpert ihm in der Tasche— da erblickt er einen Freund aus seiner Spielergesellschaft,mitgehen soll er, und nur zusehen.Und inzwischen sitzt sein abgehärmtes Weib zu Hause inder elenden Wohnung, in welcher sich nur noch die allernoth-wendigsten und allernothdürftigsten Möbel befinden, mit seinemKinde. Und Stunde auf Stunde verrinnt, und aus demTage wird Abend und aus dem Abend die grauenvolle Nachtmit ihrem tiefen Dunkel, ihrer bleiernen Stille und den peinigen-den bohrenden Gedanken. Und der Morgen bricht an, aber derSpieler ist noch nicht zurückgekehrt.Dagegen erscheint der Gerichtsvollzieher mit seinen Arbeitern.Wohl krampst das Herz des ergrauten Dieners der Gerechtigkeitzusammen bei dem Elend, welches er erblickt, und die Trostes-ivorte, die er spendet, mögen aus einem mitfühlenden Gemüthkommen, aber die Pflicht ist stärker wie das Erdarmen, die arm-seligen Möbel werden zusammengepackt und fortgeschafft.Thränenden Auges sieht die Frau ihre letzte Habe verschwinden,und nun endlich erscheint der Gatte, übermüdet, über-nächtigt, von Ekel erfüllt über sich, über seine unseligeLeidenschaft. Er hat gespielt, gespielt in der wahnfinnigen Hoff-nung, durch eine glückliche Karle sich dem Elend entreißen zukönnen. Das Glück war ihm nicht hold, als das fahleMorgenlicht in das Kaffeehaus hineinschien, war er ärmer alszuvor.Doch immer hatte ihm die Frau verziehen, immer undimmer wieder hatte sie seinen Besserungsschwüren geglaubt; sie