Nr. 207.
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Vorwärts
10. Jahrg.
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Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Sonntag, den 3. September 1893.
Bur Lehrlingstrage. zugelassen, sie haben demnach nicht die Aufgaben
technische Beamtenkarriere einzuschlagen, in die LehrwerkDie Reformpläne des Herrn von Berlepsch, mit denen erfüllt, die ihnen gestellt werden sollten. In Belgien bedie Handwerker wider ihren Willen beglückt werden sollen, standen schon 1850 hundert Lehrwerkstätten, ihre Zahl ist zerfallen in zwei Theile, von denen wir den ersten, die seitdem beträchtlich, wenn auch nicht genügend vermehrt Fachgenossenschaften und Handwerkerkammern behandelnden, worden. In der Lehrwerkstätte, die leider die gewerbliche schon in Nr. 197 des Vorwärts" besprochen haben. Der Bildungsanstalt der Zukunft und nicht der Gegenwart ist, andere Theil regelt das Lehrlingswesen. Es ist die un- erzielen die Lehrlinge durch stete Unterweisung mit und an getheilte Meinung aller Sachkenner, daß das Lehrlings- der Arbeit das höchste Maß von Handfertigkeit und körperwesen durchaus reformbedürftig ist, während über seine licher Gewandtheit, in ihnen kann Sorgfalt und Genauig Reformirbarkeit die Meinungen getheilt sind. Da wir das keit der Arbeit, Zweckmäßigkeit der Ausführung und SchönHandwerk als eine absterbende Form der Produktion be- heit der Form den Lehrlingen zur zweiten Natur gemacht trachten, können wir nicht glauben, daß das Lehrlingswesen und dabei Ueberarbeitung und gesundheitliche Schädigung im Handwerke unserer Zeit von seinen Schäden befreit der Lehrlinge hintangehalten werden. Beim System der werden kann. Ginge man gründlich und deshalb auch Lehrwerkstätten werden der unbedeutenden und doch überaus rücksichtslos gegen all' dies vor, was zu Klagen beim Lehr wichtigen Reform, daß der Unterricht in den Fortbildungslingswesen berechtigte, so müßte man die Lebensfähigkeit schulen vor und nicht nach der Arbeitszeit fällt, feine unüberdes Handwerkes gewaltig beschränken, man wäre gezivungen, windlichen Schwierigkeiten entgegengesetzt werden. Dann werden den meisten Handwerksmeistern wegen mangelnder persön auch die Fortbildungsschulen etwas leisten können, während jetzt licher Fähigkeit oder wegen zu großer Spezialisirung des die durch die Arbeit übermüdeten Lehrlinge in ihnen mit offenen Betriebes das Recht, Lehrlinge zu halten, abzuerkennen, man oder geschlossenen Augen schlafen. Freilich werden damit müßte auch, da die Gehilfen keine Zeit haben, sich um die die Fortbildungsschulen noch nicht ihren Zweck erfüllen. Lehrlinge zu kümmern, die Zahl der Lehrlinge, die ein Meister Dies wird erst dann der Fall sein, wenn die Söhne der halten darf, auf höchstens zwei beschränken. Da aber zahlreiche Arbeiter in den Volksschulen das für das bürgerliche Leben Handwerksmeister heute ihre Selbständigkeit nur bewahren erforderliche Maß von Elementarkenntnissen auch wirklich tönnen, weil sie mit der kostenlosen oder sehr billigen erwerben tönnen. Heute ist dies nicht der Fall, und des Lehrlingsarbeit produziren, so hieße diese Voraussetzung halb sind die Fortbildungsschulen teine Anstalten zur einer ernst zu nehmenden Reform unseres Lehrlingswesens Fortbildung, sondern sie sind das Eingeständniß, daß nichts anderes, als Vernichtung zahlloser Kleinbetriebe. Die Volksschule ihren Zweck nicht erfüllt, und daß der Nichts liegt aber der Reichsregierung ferner, und deshalb Versuch gemacht werden muß, den jungen Leuten das doch will sie den Belz waschen, ohne ihn naß zu machen. noch beizubringen, was sie in der Volksschule hätten lernen
Da unserer Meinung nach zahlreichen Handwerks- sollen. Aus all' dem geht hervor, daß die technische Ausmeistern die Fähigkeit abgeht, ihre Lehrlinge zu unterweisen, bildung, die heute der Lehrling in der gewöhnlichen Werkebenso wie zahlreiche, sonst ganz tüchtige Personen, die stätte eines Meisters erhalten kann, in vielen Fällen, selbst Lesen, schreiben und rechnen können, nicht die Fähigkeit wenn ein regelmäßiger Besuch der gewerblichen Forthaben, in einer Volksschule zu unterrichten; da ferner in bildungsschule stattfindet, ungenügend ist. In den meisten den meisten Werkstätten des Handwerks nicht all das ge- Gewerben giebt es zahlreiche Werkstätten, in denen theils arbeitet wird, was der angehende Arbeiter lernen soll, da sehr einfache, nur geringe Geschicklichkeit und Kunstfertigkeit fie gesundheitlich und technisch ungenügend sind, so wäre erfordernde, theils stets die gleichen Arbeiten verrichtet unferer Meinung nach die Heranbildung der Arbeiter in werden, so daß dann im günstigsten Falle der Lehrling eine besondere Anstalten, in die Lehrwertstätten, zu ver- dürftige, einseitige technische Ausbildung erhält. legen. Eine gründliche Fachbildung ist, wie Bücher schon Statt nun gründlich reformirend da einzuwirken, Berlepsch vor mehr als einem halben Menschenalter für Deutschland plant Herr ein Flickwerk, durch ausgeführt hat, bei Festhaltung der bisherigen Form des das die wirklichen Mängel unserer Lehrlingsausbildung Lehrlingswesens innerhalb der Werkstätte nicht zu erzielen, gänzlich unberührt bleiben. Aus seinen Vorschlägen für es muß eine Form der gewerblichen Ausbildung gesucht die Regelung des Lehrlingswesens im Handwerke heben werden, die ohne Preisgabe der produktiven Zwecke den wir die folgenden hervor: Unterricht zur Hauptsache macht und damit eine genügende Fachbildung ermöglicht. Versuche mit dieser neuen Form der Lehrlingsausbildung in Lehrwerkstätten wurden in Frankreich , Belgien , im österreichischen Kunstgewerbe, vereinzelt auch in Süddeutschland und bei den preußischen Staats- Eisenbahnen und in den Marinewerkstätten gemacht. In Preußen hat man in der Regel blos ausgewählte Personen, die nachher an technische Hochschulen gingen, um die
Feuilleton.
Nachdruck verboten.)
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Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
gemäße Unterweisung und Erziehung eines Lehrlings nicht selbständig zu leiten vermögen.
Die Untersagung wird auf Antrag der Fachgenossenschaft, oder der Ortspolizei- Behörde, im letzteren Falle nach Anhörung der Fachgenossenschaft durch die Handwerkskammer , verfügt.
Durch die Landes- Zentralbehörde oder eine von ihr zu bestimmende Behörde kann die entzogene Befugniß zum Halten oder zur Anleitung von Lehrlingen nach Ablauf eines Jahres wieder eingeräumt werden.
Durch den Bundesrath können für bestimmte Handwerke Vorschriften über die zulässige Bahl von Lehrlingen im Verhältniß zu den in einem Betriebe beschäftigten Gesellen erlassen werden. So lange solche Vorschriften nicht erlassen sind, sind die Handwerkskammern zu deren Erlaß mit Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde befugt.
Aus der beigegebenen Erläuterung wollen wir noch die folgenden Absätze zum Abdruck bringen: folgenden Absätze zum Abdruck bringen:
Die Vorschläge für die Regelung des Lehrlingswesens sind aus der Erkenntniß hervorgegangen, daß auf diesem Gebiet thatsächlich Mißstände vorliegen, deren Beseitigung das öffentliche Interesse verlangt. Zu diesem Zweck soll für die technische Ausbildung und insbesondere auch für die fittliche Erziehung der Lehrlinge eine größere Gewähr geboten werden, und es ist deshalb neben einer Beschränkung der Befugniß zum Anleiten von Lehrlingen eine Bestimmung vorgesehen, wonach Personen, bei denen die Ausbildung und Erziehung des Lehrlings gefährdet erscheint, das Recht zum Halten und Anleiten von Lehrlingen entzogen werden kann. Die zum Schluß der Lehrzeit vorgesehene Lehrlingsprüfung foll vornehmlich erziehlich wirken und nur den Nachweis liefern, daß der Lehrling seine Ausbildungszeit gewissenhaft ausgenutzt und der Lehrmeister seinen Pflichten nachgekommen ist.
Bei Festsetzung der Mindestzeit der Lehrzeit ist entscheidend gewesen, daß eine dreijährige Lehrzeit bisher die Regel gebildet hat und nach den gemachten Erfahrungen im allgemeinen zweckentsprechend ist. Durch die Bestimmung, daß die Lehrzeit nicht länger als 5 Jahre dauern darf, soll der Gefahr der Ausbeutung von Lehrlingen namentlich für die Fälle vorgebeugt werden, wenn für deren Ausbildung ein Lehrgeld nicht gezahlt werden kann. Bei der Art und Gestaltung einer Reihe von Gewerbszweigen wird eine Abkürzung der Lehrzeit unbedenklich oder selbst nothwendig sein. Hierüber allgemein verbindliche Vorschriften zu erlassen, soll dem Bundesrath vorbehalten bleiben; während der Handwerkskammer die Befugniß beigelegt werden soll, für den Einzelfall mit Rücksicht auf die Individualität des Gewerbes des Lehrherrn und des Lehrlings Ausnahmen zuzulassen.
Durch die dem Bundesrath beigelegte Befugniß, das Verhältniß der Zahl der Lehrlinge zu der Zahl der Gesellen festzusetzen, soll dem allgemein beklagten Uebelstande entgegen getreten werden, daß unter Hintansetzung der Interessen Der Ausbildung zur Beschaffung billiger Hilfskräfte ausschließlich oder in verhältnißmäßig großer Zahl Lehrlinge gehalten
werden.
Die Befugniß, Lehrlinge zu halten, oder anzuleiten, tann solchen Personen überhaupt oder für bestimmte Zeit untersagt werden, welche sich grober Pflichtverletzungen gegen die ihnen anvertrauten Lehrlinge schuldig gemacht haben, oder gegen Daß mit diesen Mittelchen die Lehrlingsfrage einer welche Thatsachen vorliegen, welche sie in sittlicher Beziehung gedeihlichen Lösung entgegengeführt werden wird, kann zum Halten oder zur Anleitung von Lehrlingen ungeeignet erscheinen lassen. In gleicher Weise kann die Befugniß zur An- niemand hoffen. Nach rein äußerlichen Gesichtspunkten leitung von Lehrlingen solchen Personen untersagt werden, wird die Berechtigung, Lehrlinge zu halten, ertheilt, sie wird welche wegen geistiger oder förperlicher Gebrechen die sach- im wesentlichen davon abhängig sein, daß der Handwerker
nichts? Du weißt doch, daß ich Dir immer freie Hand gelassen habe."
Johanna reichte mit Thränen in den Augen und einem ftrahlenden Lächeln auf den bleichen Lippen André die Hand, die er ergriff, fest in der seinen hielt und mit
alle Sorgen und Kümmernisse vergangener und zukünftiger Zeiten wie ein Nichts erscheinen läßt und jeden andern Gedanken in der Vollbefriedigung der aufs höchste gesteigerten Empfindungen auslöscht. Johanna und André hielten die Hände verschlungen und konnten nicht müde der schwachen Beihilfe des Wortes bedurft hätten, fühlten fie, wie sich zwischen ihnen jene geheimnißvolle Seelengemeinschaft vollzog, das gegenseitige Sichdurchdringen zweier Wesen, dies Geschenk der Leidenschaft, das Eines dem Andern weiht und das das Wesen der Liebe ist.
Die Bekehrung André Savenay's. Stüssen bedeckte. Er vermochte nur mühsam zu stammeln werden, sich anzuschauen und anzulächeln. Ohne daß fie
Sozialistischer Roman
von Georges Renard.
Autorisirte Uebersehung von Marie Kunert . Donnerwetter!" rief Vater Deschamps ganz gerührt. " Ich kann Dich nicht tadeln, Kleine. Besser, man spricht fich vor als nach der Hochzeit aus. Aber bei all demi hast Du nun feinen Gatten, mein armes Kind!"
D Dank! Dank! Ich liebe Sie so sehr!" Johanna betrachtete ihn mit unendlicher Zärtlichkeit, nnd mit ganz veränderter Stimme, einer tiefen und sammetweichen Stimme, die der Großvater bisher nicht an ihr gekannt hatte, sagte sie zu André:
André?"
" Sag, jezt gehst Du doch nicht mehr fort, Freund Vater Deschamps, den Johanna und André Händen gefaßt hatten, hustete, um nicht zu zeigen, dem Weinen nahe war.
Die Sonne war längst untergegangen. Kaum flammten noch einige ihrer legten Strahlen auf den höchsten Monubei den menten von Paris . Ein kühlerer Wind kräufelte leicht die daß er Seine. Mit dem unbewußten Egoismus der Liebenden wären die beiden jungen Leute imstande gewesen, noch André's Blicke suchten unterdessen die Augen " Ach, Ihr Duckmäufer", sagte er endlich, Ihr habt Stunden lang hier zu bleiben, ohne an etwas anderes als Johanna's. Endlich wagte sie es, ihm in das Autlig zu schauen, das eine seltsame innere Bewegung widerspiegelte. Euch also heimlich geliebt! Und ich, der einfältige Bater, ihr überschwängliches Glück zu denken. Aber Vater DesIn dem Blick, den André auf Johanna's holde Züge ge- der die Augen immer in den Wolfen hatte, habe rein gar champs, der nicht dieselbe Veranlassung hatte, unempfindlich heftet hielt, lag eine so leidenschaftliche Frage, daß sie tief nichts gemerkt, wie es den meisten Vätern seit altersher gegen den kalten Nordostwind zu sein, läutete zum Rückzug. erröthete. Aber aus ihren Augen, welche die stumme geht. Sie hätten mich wohl etwas vorbereiten können, mein Der brave Mann wußte sich vor Freude nicht zu lassen. Er ging hinter dem jungen Paare, dessen elegante Sprache der seinigen verstanden hatte, leuchtete ihm ver- Fräulein." heißungsvoll eine beseligende Antwort.... Aber Johanna schloß ihm den Mund mit einem Russe. Haltung er im Stillen bewunderte, her, und wiederholte " Vater, schmolle doch nicht! Wir sind ja so von Zeit zu Zeit mit zärtlicher Stimme: glücklich!" Ach, Kinder, wie glücklich werden wir sein! Es lebe " Und ich auch, wenn's erlaubt ist! Wir werden jetzt das Leben, meine Kinder!" " Herr Deschamps, wollen Sie mir die Ehre erweisen, zu dreien tüchtig für die Sache des Sozialismus schaffen." Dann drückte André Johanna's Arm etwas fester und mir die Hand Fräulein Johanna's zu gewähren?" Die beiden Liebenden dachten offen gestanden in diesem sie gab ihm einen sanften Druck zurück. Jetzt dachte er Wie! Was ist denn das?" stotterte der Alte ganz Augenblick gar nicht an den Sozialismus. Sie waren in gewiß nicht mehr an seine Reise. Der Wind mochte wehen, wie er wollte, die Nacht bestürzt und blickte die beiden jungen Leute nach einander eine m jener Momente der Verzückung, in denen die Welt fragend an. Sie wollen meine Tochter haben? Aber ich vor denen, die ihre unvergeßlichen Wonnen genießen, ver- konnte das Grün und die Blumen ringsum verhüllen, den will und kann doch nicht über sie verfügen. Sie müssen schwunden ist. Es sind dies jene seltenen Momente, in Himmel verdunkeln. Es war hell und warm, es war Frühsie selbst schon danach fragen. Und Du, Du antwortest denen die Fülle des Glückes die herbsten Leiden aufwiegt, ling in ihm. Sein Herz, das der Winter mit Trauer und
Bater Deschamps hatte kaum geendet, als André, das Haupt entblößend, ehrerbietig zu ihm sagte:
"