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».a awm. t Ktilqt tts.Fmilck" Kerl« Wslllllt.!!«**"**"«> Sozialdcmokratiichcr Parteitag. Je»A, Pen 10. September.(Eig. Ber.) Borversammlung. Zum zweiten Male öffnet Jenas   prächtiges Volkshaus ver Nee- tretung des klassenbewußten Proletariats Deutschlands   seine gast- lichen Pforten. Ein reges und fröhliches Treiben herrscht schon seit den ersten Nachmittagsstunden in den Straßen der alten Musen- stadt. Jeder Zug bringt neue Scharen von Delegierten. Noch liegt Heller Sonnenschein auf den Straßen, als es bereits zum Volkshaus zu strömen beginnt. Ein herzliches Willkommen begrüßt von einer Ehrenpforte herab die Ehrengäste der Jenenser Arbeiterschaft: ..Durch Kampf zum Sieg" meldet stolz eine zweite Inschrift der Ehrenpforte. Eine Stunde vor Beginn der Vorversammlung sind die Tribünen des prächtigen Saales bereits gefüllt, und immer neue Scharen von Arbeitern und Arbeiterinnen drängen nach. Der Saal entspricht in seiner schlichten Vornehmheit der ein- fachen Größe, die dem Monumentalbau des Volkshauses seinen aus- zeichnenden Charakter verleiht. Durch farbige Fenster flutet ein mild abgetöntes Licht herein. Die gewölbte Decke verstärkt den har- nionischen Eindruck. Im Hintergrunde der geräumigen, mit ge- schmackvoller Eleganz geschmückten Rednertribüne steht die Statue der Freiheitsgöttin, ihr zu Seiten die Büsten unserer verstorbenen Führer Liebknecht und Singer, der vor nunmehr 6 Jahren an eben dieser Stelle die Verhandlungen leitete. Vom Vordergrund der Rednertribüne schauen Lassalle und Marx aus das Gewimmel im Saale   herab. Gegenüber der Rednertribüne hangt ein symbolisches Bild, den Sieg der Freiheit verherrlichend. Es trägt als Inschrift das alte Motto der bürgerlichen Revolution Fra�reichS  , die stolzen Worte:.Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", die heute das kämp- sende Proletariat mit neuem Inhalt gefüllt hat. Und immer voller wird der Saal. Die Begrüßungen, daß Händeschütteln nimmt kein Ende. Alt bewährte Kämpen feiern ihr Wiedersehen; neue jugendliche Kräfte werden begrüßt. Vertreter der ausländischen Bruderparteien nehmen an Ehrentischen Platz. Plötzlich ertönt ein Händeklatschen am Eingang des Saales. Blitz- schnell pflanzt es sich fort. Der ganze Saal ruft Beifall und von den Tribünen hallt er wider. Bebel ist erschienen, und in der Ovation, die es ihm bereitet, ehrt das Proletariat das gewaltige Stück Partei- geschichte. das sich in der ehrwürdigen Gestalt verkörpert. Tie Bruderparteien des Auslandes haben schon zum Eröff- nungsabend ihre Vertreter entsendet: die Parteileitung der deutschen  Sozialdemokratie in Oesterreich   vertritt Abg. Gen. Schäfer, die deutschen   sozialdemokratische» Reichsratsabgeordneten Genosse Glöckel, die nicderösterreichische Landesparteivertretung Genosse G r a s s i n g e r- Wien; die tschecho-slavische Sozialdemokratie'st durch Genossen Dr. S o u k u p- Prag, die tschechische Sozialdemo- kratie� durch Genossen Stein- Wien vertreten. Die geeinigte französische   Partei hat den Genossen Bracke» Paris  , die Sozial  - demokratische Föderation Englands den Genossen O u e l ch. die bel- gische Bruderpartei den Genossen van der S m i s s e n, die russische  Sozialdemokratie den alten Genossen A r e l r o d- Zürich   entsendet. Für die Sozialdemokratie Hollands   ist Genosse A n k e r s m i t> für die Bruderparteicn Serbiens   und BoSnien-HerzegowinaS Genosse T o p a l o w i t S anwesend. Die Parteileitungen Norwegens   und Dänemarks   haben brieflich die Nichtentsendung eines Vertreters entschuldigt und dem Parteitag die besten Wünsche übermittelt. Punkt 7 Uhr abends betreten die Genossen des Arbeitergesang- dereinS Jena die Bühne, um mit dem herrlichen Volkschor aus dem Schlußakt von Richard WagnerSMeistersingern von Nürnberg". mit dem Morgcnruf.Wach auf. eS nahet gen den Tag", die schönste Eröffnung, die sich der Parteitag wünschen kann, zu geben. Ms der rauschende Beifall, den die vortreffliche Wiedergabe des CborS ge- fanden, verklungen ist, ergreift das Wort als Sprecher der Jenenser Parteiorganisation: Genosse ReichStagSabgeordneter Leber: Parteigenossinnen und Genossen! Ich heiße Sie im Namen der Jenaer   Parteigenossenschaft, der Arbeiterschaft Jenas   überhaupt, im Namen der thüringischen Sozialdemokraten aufs herzlichste will- kommen. Zum zweiten Male darf ich Sie in diesem, von Ernst Abbe   erbauten, Volkshaus begrüßen. Ich bin in den letzten Tagen und heute wiederholt gefragt worden, wie es möglich ist, daß wir diesen Raum ungehindert benutzen können, trotzdem der Erbauer dieses Hauses heute nicht mehr lebt.(Bewegung�! Ich kann darauf nur antworten mit einigen Sätzen aus einer Rede, die an dieser Stelle der Prosessor E z a p S k i gehalten hat. Er war ein guter Freund Abbes und einer seiner besten Mitarbeiter. AIS   dieses Haus 1301 der Oeffentlichkcit übergeben wurde, führte er aus:.Will- kommen sein soll unS jeder, jede Vereinigung, jede Person, die von diesem Raum Gebrauch machen wollen, nur, um in irgendwelcher Weise, auf irgendwelchem Gebiet in einem großen Kreise zu wirken; willkommen jede politische Richtung, die hier für ihre Ideen An- bänger werben will. Ihnen mit in erster Linie sollen diese luftigen Hallen eine Freistatt sein, die jedem Unterkunft bietet, der sich inner- halb des gesetzlich und sittlich Zulässigen bewegt. Die Ueberzeugung, daß im Kampfe der Geister nur geistige Waffen erlaubt'sind, daß die Anwendung jedes anderen Machtmittels nur Erbitterung er- zeugen und moralische Vergiftung hervorrufen kann, diese Ueber- zcugung soll in diesem Räume unzweideutig begründet und betätigt werden."(Bewegung.) Als diese Worte an die Oeffentlichkeit drangen, sagten wir unS: .Nun wollen auch wir einmal die Vertreter der deutschen   Sozial- demokratie in Jena   begrüßen," und dank der Unterstützung des Ge- nossen Bebel auf dem Parteitage in Bremen   dursten wir das auch ausführen. Dieses Mal brauchten wir nicht darum zu ersuchen. Der Parteitag machte unS eines schönen Tages die Mitteilung, daß der diesjährige Parteitag hier abgehalten werden soll, und dem stimmten wir freudig zu.(Bravo  !) Gestatten Sie mir, meinen Begrüßungsworten noch einiges hinzuzufügen, nämlich, daß Jena   nicht stehen geblieben ist. sondern daß ebenso, wie die Bevölkerung sich hier kolossal entwickelt hat, sich auch die Jenaer   Arbeiterbewegung entwickelte. (Lebhaftes Bravo!) 1906 konnte ich Ihnen mit Begeisterung mit- teilen, daß wir schoy eine politische Organisation mit über 600 Mit- gliedern hatten. Das war auch damals eine Zahl, deren wir uns nicht zu schämen brauchten. Heute können wir mit ganz anderen Zahlen aufwarten. Unsere politische Organisation ist von 600 auf 2000 gestiegen.(Beifall.) Wir haben allen Arbeitern, die als Industriearbeiter zugezogen sind, begreiflich ge- macht, daß sie sich ohne weiteres uns anschließen müssen. Die ge- werkschaftliche Organisation zählte damals 1700 Mitglieder, heute -Shlt sie weit über 6000.(Beifall.) Und diese Organisationen haben Einrichtungen geschaffen, die dafür sorgen, daß sie ständig weiter wachsen Wir haben mit Hilfe der Leipziger   und Geraer   Genossen am t Oktober 1906 die.Weimarische Volkszeitung" inS Leben ge- rufen Der Kampf war kein leichter. Im Jahre 1907. am 2S. Ja- nuar'bei den Rcichstagswahlen haben wir eine Stimmcnzahl von 2734 erreicht und heute hat die.Weimarische Volkszeitung" über 3000 Abonnenten.  (Beifall.).. Im Jahre 1905 waren wir tm Gemeinderat noch nicht ber- treten Vor 5 Jahren ist es uns möglich gewesen, den ersten Sozial- »>-makratcn in die Jenaer   Stadtverordnetenversammlung zu brinaen Heute sind wir 9 Mitglieder unter 30.(Lebhafter Beifall.) Unsere Gegner haben sich koaliert, aber wir haben sie trotzdem besiegt.(Bravo  !) Aehnlich ging es bei den Wahlen zum Landtage. Im Jahre 1909 haben wir die alte Universitätsstadt Jena   erobert. Das war den Spießbürgern sehr unangenehm, hauptsächlich, weil auf der Gegenseite der Sammelkandidat, der bekannte liberale Verlags- buchhändler Fischer, aufgestellt war. Und diesen Wahlkreis haben wir nicht nur erobert, sondern wir haben ihn für immer, das kann ich Ihnen versprechen.(Lebhafter Beifall.) Von unseren 15 thüringischen Wahlkreisen werden wir jeden- falls beim ersten Ansturm die große Hälfte erobern. Und oann bei den Stichwahlen(Heiterkeit) da haben ja allerdings nicht wir zu entscheiden, aber da werden die Liberalen Farbe be- kennen müssen. Es ist Heiterkeit bei Ihnen entstanden, aber wie liegen denn die Dinge? Nun, wir werden ja beim dritten Punkt der Tagesordnung darauf zu sprechen kommen. Aber, daß das ein- trifft, was ich gesagt habe, dafür werden unsere thüringischen Par- teigenossen schon sorgen.(Lebhaftes Bravo!) Nun noch einige Worte zur Tagesordnung. 1905 hatten wir eine außerordentlich wichtige Tagesordnung, anderthalb Tage ver- wendeten wir auf die Maifeier, dann legten wir den Grundstein zu unserer jetzigen Organisation und beschäftigten uns außerdem anderthalb Tage mit dem politischen Massenstreik. Sie wissen, er hat auch Opfer damals bei uns in Jena   gefordert, die Genossin Luxemburg   hat sich drei Monate Gefängnis geholt, und es war nicht möglich, sie davon zu befreien. Obwohl sie die Strafe ab- gebüßt hat, gebessert hat sie sich nicht!(Heiterkeit.) Es wird nun allgemein behauptet, die Tagesordnung sei dies- mal nicht so bedeutend, aber ich glaube, wir werden alle Punkte, die auf der Tagesordnung stehen, so erledigen, daß die deutsche Arbeiterschaft und auch die außerdeutsche mit unserer Arbeit zu- frieden sein wird. Wir werden die Marschroute angeben, und dann werden die Arbeiter mit fliegenden Fahnen als eine siegreiche Phalanx in die herrliche Zukunft marschieren.(Lebhafter Beifall.) DaS Wort ergreift hierauf Bebel(mit lebhaftem Beifall und Hochrufen begrüßt): Verehrte Versammlung! Es ist das erste Mal in der neuen Geschichte der Partei, daß wir an ein und demselben Orte zweimal den Parteitag abhalten. Der vorige Parteitag hat dem Parteivor- stand die Vollmacht erteilt, über die Wahl des Ortes zu entscheiden. Da haben wir uns gesagt: Besser und angenehmer als in Jena  kann es nirgends sein.(Sehr richtig!) Es hat uns vor 6 Jahren in diesen prachtvollen Lokalitäten sehr gefallen, und alle waren einig, daß wir niemals einen schöneren Saal gehabt haben.(Sehr richtig!) Ueber den Mann, dem die Jenenser und insbesondere die Jenenser Arbeiter es zu danken haben, daß dieses Haus gebaut wurde, haben wir unS auch schon vor 6 Jahren geäußert. Ich selbst konnte mit Genugtuung darauf hinweisen, daß Abbe mir sehr nahe gestanden, und ich glaube wohl sagen zu können: einen menschen- freundlicheren, wohlwollenderen und auf der anderen Seite gcschei- teren Menschen habe ich niemals kennen gelernt.(Zustimmung.) Der Mann hat Großes geschaffen, er hat die sehr bedeutenden Mittel seines Geschäftes, die sonst unter Aktionäre und Teilhaber verteilt werden, selbstverständlich unter Zustimmung aller Beteilig- ten, dazu verwendet, ungemein Großes und Schönes zu schaffen. Er hat nach jeder Richtung hin gezeigt, daß er ein ganzer Mann war, und sein Grundsatz war: will man ein echter Demokrat sein, dann muß man soziales Empfinden haben und überall mit der Tat vorangehen.(Lebhaftes Bravo!) Wir haben in der Eröffnungssitzung vor 6 Jahren Fragen er- örtert, die durch ein eigenartiges Zusammentreffen teilweise auch heute wieder im Vordergrunde des Interesses stehen. In erster Linie war cS die M a r o k k o f r a g e. Im Jahre 1905 hatte be- kanntlich der deutsche   Kaiser seine Reise nach Tanger   unternommen und dort eine Rede gehalten, in der er für den Sultan von Marokko  , den damaligen, eintrat. Kaiserliche Reden sind schon oft Gegenstand von Erörterung gewesen, und wir haben es erlebt, daß das, was damals vom Kaiser in Aussicht gestellt wurde, sich im Laufe der nächsten Jahre in leere Luft aufgelöst hat. Das Jahr 1906 brachte die Alaeciras-Akte. Aher die Vereinbarungen, die Deutschland   und Frankreich   1909 bezüglich Marokkos   getroffen haben, stehen in sehr wesentlichen Punkten mit der Algeciras  -?lktc in Widerspruch.(Sehr richtig!) Aher keiner der Beteiligten störte sich daran. Die Marokko  -Wirren sind weiter gegangen und haben zu verschiedenen Zeiten Europa   in Aufregung versetzt. Am heftig- sten«n diesem Sommer, als das deutsche Schiff .Panther" in Agadir landete.(Sehr wahr!) Es ist selbstverständlich, daß eine solche Frage auch von den Vertretern der deutschen   Arbeiterklasse behandelt werden muß und daß der Partei- tag oazu Stellung nimmt.(Lebhafte Zustimmung.) Eine andere Frage, die ich damals im Namen des Parteivor- standes erörterte, betraf die russische Revolution. Leider hat nun mein Pessimismus von damals Recht behalten. Es ist zwar nicht richtig, wenn behauptet wird, die russische Revolution sei spurlos und ohne Erfolg verschwunden. Kein Zweifel, so traurig und entsetzlich die Zustände in Rußland   heute sein mögen, daS Land ist ein anderes als vor 1905. Wir sehen in Rußland  eine Volksvertretung und in derselben sogar eine Reihe von Ar- beitervertretern, von Sozialdemokraten. Allerdings, das Zaren- tum bietet alles auf, um die revolutionären Elemente niedcrzu- halten. Mit der ganzen Barbarei, der ganzen Grausamkeit und Roheit, deren es von jeher fähig war, kämpft es gegen die Angehörigen politisch verdächtiger Parteien. Tausende, Zchntausende sind aufs Schaffot geschleppt worden, Hunderttausende in Verbannung und Gefängnis gesandt. Aber trotzdem wird die revolutionäre Bewegung in Rußland   Fortschritte machen, sie bekommt viel- leicht Hilfe von einer Seite, an die heute noch kein Mensch denkt oder richtiger gesagt, kein Mensch zu denken wagt.(Sehr gut!) Wir haben auf diesem Parteitage eine Reihe wichtiger Fragen zu beantworten. Die Tagesordnung sieht an Bedeutung nicht hinter der von 1905 zurück(Sehr wahr!) Mit dem Verlauf, den die M a r o k k o k r i s i s, speziell durch das Eingreifen Eng- lands, genommen hat, hat die ganze europäische   Situation ein ganz anderes Gesicht bekommen. Mit einem Schlage ist eine ganze Reihe von Gedanken und Bestrebungen, die noch vor einigen Monaten auch uns als Partei im Reichstage beschäftigten, sozu- sagen weggeblasen worden. Die Frage der Abrüstung und was damit zusammenhängt, wird uns künftig nicht mehr trennen. Die ist beseitigt. Nicht Abrüstung heißt künftig in Europa  die Losung, sondern Aufrüstung zu Wasser und zu Lande, und wir gehen einem Zustand entgegech. der meiner Ueberzeugung nach nur noch mit einer großen Katastrophe enden kann und muß.(Bewegung.) Die Antwort auf die Vorgänge in England war dann die Kaiserrede in Hamburg  , in der er sagte, er glaube, die Hamburger seien einig darin, daß die deutschen   Secrüstungen weitergeführt werden müßten. Die Hamburger   Bourgeoisie war die allerletzte in Deutschland  , die für die große Flottenvor- läge begeistert ist.(Sehr richtig!) Wer die Stimmung in den neunziger Jahren und zu Ansang dieses Jahrhunderts in Hamburg  studiert hat, der hat dort nichts von Begeisterung gemerkt, weil sich dort die Exporteure und Bankiers sagen, wenn es zum Treffen kommt, haben wir die ersten Kosten zu tragen.(Sehr wahr!) Daß wir eine neue Flolkenssorlage hekommey, steh! für mich unzweifelhaft fest. Parteigenossen, erinnert Euch, daß ich im Frühjahr 1899, nachdem im Herbst des Vorjahres die erste große Flottenvorlage angenommen war, im Reichstage den Staats- sekretär von Tirpitz aufforderte zu antworten, ob es wahr sei, daß eine neue große Flottenvorlage in Aussicht steht. Tirpitz schwieg, und schwieg auch auf erneute Interpellation. Endlich wurde er in der Budgetkommission vom Zentrum zur Rede ge- stellt und da erklärte er, daß er gar nicht daran denke. Und sieben Monate später war sie da!(Bewegung und Zu- stimmung.) Und als bei den letzten allgemeinen Wahlen es für jedetf, der denken kann, sicher war, daß dem neuen Hottentotten-Reichstag gewaltige Steuervorlagen vorgelegt werden würden, da hatte die offiziöseNorddeutsche Allgemeine Zeitung" drei Tage vor der Wahl, als ihr niemand mehr antworten konnte, die Stirn zu er- klären, die verbündeten Regierungen dächten gar nicht an eine Steuervorlage.(Heiterkeit und sehr richtig!) Die offiziösen Blätter können leicht etwas ableugnen, dafür geben sie aber auch gerade über die wichtigsten Angelegenheiten keine Auf- klärung.(Sehr gut!) Auch jetzt wird man wieder ableugnen, trotz aller Flottenagitation. Und doch, so sicher wie zwei mal zwei vier ist, kommt die Vorlage. Zugleich aber auch kommen wieder neue Steuervorlagen.(Sehr wahr!) Denn trotz der 450 Millionen neuer Steuern reichen die Mittel wieder nicht, um die nächsten Mehrkosten zu decken. In dieser Situation nun haben wir die ungeheure Preis- steigerung(sehr richtig!) und wahrscheinlich werden weite Kreise unserer ärmeren Bevölkerung im nächsten Winter eine Art Hungersnot mitmachen müssen.(Hört! hört!) Die Preis- steigerung wird immer mehr und mehr wachsen. Schon heute sind viele Millionen Deutscher nicht mehr imstande, sich ausreichend zu ernähren.(Zustimmung.) Und wenn nun die neue Frage gestellt wird, wo sollen die neuen Steuern hergenommen werden, dann wird allerdings die Partei und dafür haben Sie bei den Reichstagswahlen zu sorgen energisch zu erklären haben: Nun mögen einmal die Reichen in den Beutel greifen, deren Reich das Reich ist.(Stürmische Zustimmung.) Die Teuerung verschwindet auch nicht mehr. Die Preise gehen leicht in die Höhe, aber sehr schwer wieder herunter. Die Verkäufer und Produzenten werden jeden Widerstand gegen eine Verbilligung leisten und dann trifft für das Deutsche Reich die sehr ernste Frage der Lebensmittelpreise in den Vordergrund. Wir müssen die Oeffnung der Grenzen, die Herabsetzung der Zölle, die Einfuhr fremden Fleisches und Viehes, die Aufhebung der Einfuhrscheine, die Beseitigung der Futtermittel zölle behandeln. In dem Augenblick aber, wo es uns, unterstützt von der ungeheuren Masse des Volkes, gelingt, eine oder die andere dieser Forderungen durchzusetzen, hat das Reich ein erhöhtes Defizit, weil da? Reich doch auf den indirekten Steuern und Lebensmitielzöllen aufgebaut ist.(Lebhaftes sehr richtig!) Und dann mutz das Reich an die- jenigen Klassen heran, welche Steuern noch aufbringen können. Ist aber einmal die Bourgeoisie zur direkten Be- steuerung herangezogen, ja dann schweigen alle Flöten, dann hört der Patriotismus auf.(Heiterkeit.) Als Miguel 1890 sein ncncL Steuerprogramm mit der Einkommen-, Vermögens- und Erbschaftssteuer vorlegte, da seufzte sofort die Kölnische Zeitung  ", daß es einmal Zeit werde, die monarchischen Ueberzcugungen zu revidieren.(Hört! hört! und Heiterkeit!) Soweit ging man, genau wie man auch jetzt in der Opposition gegen die kaiserliche Politik zum alleräußersten bereit ist. Ich meine, wir haben ein ganzes Maß von Ausgaben, das er- erledigt werden muß, und zwar unter allen Umständen erledigt werden muß. Auch an Zeichen der Zeit für die Situation fehlt es nicht. Es ist doch charakteristisch, daß die eng- tischen Arbeiter, die so lange scheinbar sich gefügt und geduckt hatten und von den Streiks kaum noch etwas wissen wollten, in diesem Sommer die große Arbeitseinstellung machten, die ganz England bis in die tief st en Tiefen aufgerührt hat. Das sind Zeichen der Zeit, die zeigen, wohin der Wind weht, und daß Aehnlich es in anderen Staaten auch vor» kommen kann, wenn das Seil zu straff gespannt wird. Nun droht man ja mit Ausnahme maßregeln, mit der Ver- schärfung des Strafgesetzes auch ein Punkt, über den wir noch zu reden haben werden. Na, wir haben ja in den 45 bis 50 Jahren, in denen die Sozialdemokratie existiert, schon manches auSgchaltcn, und in letzter Instanz hat es uns immer genutzt. Die ein- zclnen sind geschädigt worden, viele sind zugrunde gerichtet und viele sind frühzeitig ins Grab gesunken, aber die Bewegung ist immer vorwärts gegangen, die hat keine Macht der Welt auf- halten können, mochte man was immer für Mittel anwenden. Und so wird es auch jetzt kommen.(Sehr richtig!) Nun noch ein Wort zu dem, lvas der Vorredner gesagt hat. Er meinte, in den letzten Wochen sei eine gewisse Unzufriedenheit bemerkbar geworden. Jawohl, Parteigenossen, ein Teil von Euch ist mit seiner Regierung unzufrieden und findet, daß sie nicht richtig das gemacht hat, was sie soll, und meint, daß man da ein Feuer hinterher machen und sie vorwärts fck'ieben muß. Na, wir vom Parteivorstand haben ja auch alles gesehen und sind sehr ge- spannt darauf, was herauskommen wird. Wir werden uns auch unserer Haut wehren, darüber besteht kein Zweifel. Aber gern wollen wir zugeben, daß es ein gutes Zeichen von Lebens. kraft i st, w e n n m a n sich rührt, und nicht mit allem so ein- verstanden ist. Das geht nicht, daß man die Dinge immer so gehen läßt. Es kommt ja auch vor, daß eine Regierung manchmal zu bequem wird, das geschieht nickt bloß bei der Sozialdemokratie (Heiterkeit), anderwärts wohl noch häufiger. Im großen und ganzen waren Sie ja immer mit uns zufrieden, Sie haben uns ja immer wiedergewählt. Aber lassen wir es auf die Probe ankommen, kritisiert, macht V c r b e s se r u n g s v o r s ch l ä g e wenn es wirklick Verbesserungen sind, werden wir sie gern annahmen. Das wäre eine schlechte Parteileitung, die meinte, man müsse immer nur am alten festhalten. Deswegen sind wir ja eine demokratische Partei, damit wir uns aussprechen und damit dann die Mehrheit entsckeide, und wenn entschieden ist, haben wir so wie w>r früher zusammen gearbeitet haben, zu- sammen weiter zu arbeiten. Denn großen Kämpfe,« gehen tvir entgegen, darüber wollen wir uns nicht täuschen. Dem Leber möchte ich sagen,Nur nicht zu o p t i m i st i s ch".(Heiterkeit.) Das ist ein taktischer Fehler, schon mancker General hat geglaubt, den Sieg schon in der Tasche zu haben, und durch seine Vertrauens- seligkcit hat er ganz gehörige Ohrfeigen bekommen. Also ch t i g' g ea r b e i t e t, dann zusammenge- schlössen, auf zum Kampf, auf zum Sieg!(Brau- sonder anhaltender Beifall.) Bebel betritt nochmals die Tribüne und erklärt: Ich glaubte schon, mit meiner schönen Rede sei alles erledigt.(Heiterkeit.) Wir müssen uns aber noch konstituieren, nachdem der Parteitag eröffnet ist. Auf Vorschlag von G r o g e r- Rixdorf werden die Genossen D i e tz und Leber zu Vo r s, tz e n d e n. auf Vorschlag von Li pinski-Leipzig zu Schriftführern gewählt: Schmitt. München  , B i t t o r f- Berlin, S ch i e b e l- Leipzig, S t u b b e- Hamburg, Sydow-Brandenburg, B i s ch o f f-Altona, Docrnke-