{»bem sie an eine Aeußerung de? Fürsten Bismarck erinnert, »der schon Mitte September 1870 erklärte": »Es ist die Niederlage an sich, es ist unsere siegreiche Ab- wehr ihres frevelhaften Angriffes, welche die französische Nation uns nie verzeihen wird. Wenn wir jetzt ohne alle Gebiets- abtretung. ohne jede Kontribution, ohne irgend welche Vor- theile, als den Ruhm unserer Waffen, aus Frankreich abzögen, so würde doch derselbe Haß, dieselbe Rachsucht wegen der ver- letzten Eitelkeit und Herrschsucht in der französischen Nation zurückbleiben.... Straßburg ist im Besitze Frankreichs eine stets offene Ausfallspforte gegen Süddeutschland . In deutschem Besitze gewinne» Straßburg und Metz dagegen einen defensiven Charakter. Wir sind in zwanzig Kriegen niemals die Angreifer gegen Frankreich gewesen, und wir haben jetzt von letzterem nichts zu begehren, als die von ihm so oft gefährdete Sicherheit im eigenen Land." Die Logik dieser Aeußerung steht auf gleicher Höhe mit ihrer Wahrhaftigkeit. Daß die Wegnahme von Elsaß-Loth- ringen den Franzosen gleichgiltig gewesen sei. kann ein Nichtidiot nur im Hohn sagen. Und um zu begreifen, was Bismarck bei dieser Aeußerung und namentlich bei den Worten vom„französischen Angriff" gedacht haben mag, muß man bedenken, daß er zwei Monate vorher die Emser Depesche gefälscht, und dadurch den Krieg provozirt hatte. — Interessant ist es aber, daß Blätter, wie die„Allge- meine Zeitung", es für nöthig halten, die Annexion zu be- schönigen.— Verwandte Seelen. Die— von uns abgedruckte— Charakteristik, welche die Wiener„Arbeiter- Zeitung " von einigen„anarchistischen" Helden gegeben hat. will der auarchistenfreundlichen Reaktionspresse gar nicht gefallen. Herr von und ßu Hammerstein z. B. bricht in der letzten Nummer der„Kreuz- Zeitung " eine Lanze für jene Talmi- revolutionäre, und meint geistreich i es sei doch„cigenthüm- lich, daß auf solche„Burschen" erst geschimpft wird, nach- dem sie der offiziellen Partei den Rücken gekehrt haben". Wenn Herr von und ßu Hammerstein das Auslachen für „Schimpfen" hält, so ist das zwar„eigenthümlich", aber auch sehr gleichgiltig. Und wenn er nicht begreift, daß diese„Burschen"„uns den Rucken gekehrt haben", weil sie in der Partei nicht dasselbe Verständniß und Entgegen- kommen fanden, wie bei den Bourgeois- und sonstigen Reaktionsparteien, nun so können wir ihm nicht Helsen . Vielleicht entdeckt er noch die Seelenverwandtschaft.— Deutsche Rechtspflege. Die Unterbrechung eines Hochs auf den Kaiser hatte am 1. September vor der Ferien-Strafkammer zu Mannheim eine Bestrafung wegen Majestätsbeleidigung zur Folge. Als der Gesang- verein„Frohsinn" in Weinheim am 9. Juli d. I. ein Gartenfest feierte, wollte der Tünchermcister Wetzel einen Toast auf den Kaiser ausbringen, wurde aber, als er an die Wendung:„Er lebe" kam, von dem Arbeiter Mich. Pauli mit den Worten:„Wir sind kein Kriegerverein, wir brauchen keinen Kaiser!" von dem Stuhle, auf dem er stand, herabgestoßen. Pauli erhielt zwei Monate Ge- sängniß.— Der Heilige Sedan ist würdig gefeiert worden— das müssen wir anerkennen. Zwar war die Zahl der An- beter auch diesmal wieder geringer als im Vorjahr, wo sie schon arg zusammengeschrumpft war. Aber das Pumpwerk der nationalen Begeisterung that noch seine Schuldigkeit, wenn auch mit Knarren und Knurren, die arme Schul- jugcnd, von strebsamen oder ängstlichen Lehrern geführt, diente als Staffage, und was an Quantität fehlte, wurde durch die Qualität der Reden, deren patriotischer Fusel- gehalt aufs höchste gesteigert ward, nach Möglichkeit wett- gemacht. Wir haben uns eine kleine Kollektion der Reden angelegt, die für eine künftige Kulturgeschichte zur Ver- füguug stehen. Wie der Stil, so'der Mensch. Und wie der Stil, so die Parteien. Wer diese mordspatriotischen Reden liest, der hat das getreueste Bild unserer Mords- Patrioten: Rohheit und Geistlosigkcit. Der eine der Fest- redner„hält die eine Hand am Schwert und streckt die andere zum Himmel"(ein Dr. Kaiser aus Leipzig ); ein zweiter freut sich inmitten der unerquicklichen Zustände, daß„Fürst Bismarck lebt und frisch und stark inmitten seines Volkes weilt", und ruft verzückt aus:„d e ß' laßt uns fröhlich sein!" Die Verherrlichung des Fälschers der Emser Depesche bildete überhaupt den Grundzug der dies- jährigen Sedausfeier, die damit ihren richtigen Inhalt ge- funden hat. Es war im Großen und Ganzen eine Fort- setzung und die Krönung des Kissinger Bismarck-Rummels. An der nöthigen Wein-, Bier- und Schnapsvertilgung mit obligaten Rohheitsorgien hat es natürlich nicht gefehlt. Und der Kulturgeschichtsschreiber, der dieses Material einst bearbeitet, wird aus ihm feststellen können, auf welches un- glaublich tiefe geistige und sittliche Niveau„die besten Männer der Nation", wie sie bescheiden sich selbst nennen, am Ende des 19. Jahrhunderts im Lande des„Denker- volles" herabgesunken waren, und wie nothwendig die Neu- geburt unseres Vaterlandes durch die vaterlandslose Sozialistenbrut gewesen ist.— König Stumm verbietet bekanntlich„seinen" Arbeitern, ohne seine Genehmigung zu Heirathen. Das Beispiel des Neunkirchener Alleinherrschers fängt an, im„hellen Sachsen " Schule zu machen. Wie dem„Wähler" mitgetheilt wird, heißt es in den Anstelluugsbedingungen für die Beamten der Leipziger Fcuerversicherungs-Gesellschaft: § 7. Will ein Beamter sich v e r h e i r a t h e n, so hat er hiervon der Direktion Mittheilung zu machen, und dieser steht es frei, hierzu ihre Einwilligung zu geben oder dieselbe zu verweigern.§ 8. Im Falle der Verheirathung ohne Einwilligung der Direktion verliert der Beamte die unter 6 er- wähnten Ansprüche an die Pensions- und Unterstützungskaffe und hat seine Entlassung aus dem Dienste zu gewärtigen. Das profitsüchtigc Unternehmerthum macht seine Lohn- sklaven zu wirklichen Sklaven und greift in ihre Privat- Verhältnisse diktatorisch bestimmend ein.— Schäbige Angeberei treiben ultramontane bayerische Blätter. Sie melden, daß für den dauern- büudlerischcn Reichstags-Abgeordneten Bachmeier in einer Gemeinde gesammelt worden sei, um ihm die nöthigen Existenzmittel zur Ausübung des Mandats zu verschaffen, und meinen, wenn das wahr wäre, würde dem Bachmeier ein Diäten prozeß drohen. So hetzt die schofle Zentrunispresse den Staatsauwalt auf den politischen Gegner.— Bismartk-Märchen. Das Münchener Bismarck Blatt schreibt: „Man erzählt in Berliner amtlichen Kreisen, das einzige Schriftstück, das Fürst Bismarck mit der Unterschrift seines Nachfolgers erhalten, sei die Aufforderung gewesen, das Gehalt für die elf Tage vom L0. bis 31. März 1830 zurückzuzahlen, und dies, nachdem der Fürst die ihm angetragene Dotation von einer Million Mark ausgeschlagen!" Wenn die Geschichte wahr ist, so hat Graf Caprivi nur seine Pflicht erfüllt, wenn er vom Fürsten Bismarck Reichs- gelder, die ih,n nicht zukamen, zurückverlangt hat. Und Bismarck sollte eine Spende zurückgewiesen haben, eine Spende von einer Million! Dazu ist der Erwerbstrieb des Chefs aller Bolksauspowerer viel zu stark entwickelt. Er hat wohl gewußt, daß der Reichstag nicht gewagt hätte, zu solch' einem Trinkgeld Ja und Amen zu sagen.— Frankreich . Aus Paris schreibt man uns unterm 2. September: Die Wuth der Bourgeoisblätter xar excellence, die wie „Temps" und„Journal des Debats ", die Niederlage Lasargue's schon im vorhinein gefeiert, kennt keine Grenzen. Sie, die aus der ganzen Republik nichts als eine große Schacherboutique machen möchten, sie, die mit den Rallurten, dieser pfäffisch- monarchistischen Klique, die sich wie weiland Ludwig XVI . die phrygische Mütze aufsetzen, um die Republik desto leichter verrathen zu können, ein Schutz- und Trutzbündniß eingingen, diese Lonis und Alphons(—Louis) der Bauko- und Plutokratie, erfrechen sich nun mit Rücksicht auf die Liller Wahlvorgänge von„Schacher",„zynischer Koalition", „Syndikat wenig achtbarer Interessen",„Kupplerei" und ähnlichem zu sprechen. Und warum all diese Jauche? Was hat denn den Herren gar so sehr den Darm gereizt? Nichts anderes als daß die bürgerlichen republikanischen Wähler des 2. Liller Wahlbezirks, in welchem Genosse Lafargue mit einem Klerikalen in die Stichwahl kommt, wie die sozialrevolutionären Wähler des 8. Liller Wahlbezirkes(Tourcoing ), in welchem ein fortschritt- licher Republikaner, der bisherige Abgeordnete Gustave Dron, mit einem Klerikalen in die Stichwahl kommt, entschlossen sind, vor Allem den beiderseitigen reaktionären itandidaten eine Niederlage zu bereiten. Da aber diese beiden Kandidaten, der eine über den sozialistischen Gegenkandidaten, der andere über den bürgerlich-republikanischen, einen bedeutenden Vorsprung haben, ist die Niederlage nur dann eine gesicherte, wenn die republikani- scheu Wähler der beiden Wahlbezirke, gleichgiltig ob sie sich nun zum Sozialismus bekennen oder nicht, gemeinsam vorgehen. Würden nun die beiden Kandidaturen aufrecht erhalten bleiben oder deren Wähler sich bei der Stichwahl der Abstimmung enthalten, dann siegten die beiden reaktionären Kandidaten ebenso sicher, als sie eine Niederlage erlitten, wenn dort die sozialistischen Wähler für Dron und hier die bürgerlich-repulikanischen Wähler für Lafargue einträten. Was ist da natürlicher, als daß die bürgerlich- republikanischen und sozial-revo- lutionären Wähler gegen den gemeinsamen Feind ge- meinsam vorgehen? Wenn sich„Temps" und„Debats" darüber gar so sehr ärgern, so ist es natürlich nur darum, weil dadurch Lasargue's Sieg gesichert erscheint. Daß auch Dron dadurch wieder in die Kammer gelangt, ist ihnen gleichgiltig. So sehr es ihnen auch leid sei, sagen sie, wenn Herr Dron nicht wieder- gewählt würde, Pflicht der Republikaner sei es vor allem zur Nieder- läge Lasargue's beizutragen. Was liegt ihnen auch daran, wenn mit Lasargue's Niederlage auch die Dron's mit besiegelt würde? Was daran, wenn dadurch gleichzeitig zwei Reaktionäre in die Kammer kämen? Was liegt dem„Temps" wie den„Debats" und ihren Kommanditisten überhaupt an der politischen Ge- flnnung der Abgeordneten, wenn diese nur in ökonomischer Be- ziehung mit ihnen an einem Strange ziehen, mit ihnen für den Kapitalismus eintreten? Glücklicherweise bedeuten aber„Temps" »nd„Döbats", Adrien Höbrard ivie Leon Say noch nicht Frank- reich und am allerwenigsten das arbeitende Frankreich , wie ihnen dies ivohl recht deutlich nicht nur aus Lille , sondern auch aus vielen anderen Wahlbezirken, in denen Sozialisten in die Stich- wähl kommen, entgegenschallen wird, und zwar ehe noch dieser Brief an seine Leser gelangt. Mitlerweile hat die Wahl stattgefunden, und unser Ge- nosse Larfargue ist dem bürgerlichen Gegner unterlegen. Die„Republikaner " haben also doch, dem Zuge ihres bürgerlichen Herzens folgend, ihrem sklaffengenossen, trotz dessen reaktionärer Neigungen, zum Sieg verholfen. Unsere französischen Genossen mögen daraus die Lehre ziehen, daß sie nur aus eigener Kraft und auf sich selbst gestellt ihre Ziele erreichen können.— Das Ergebnitz der französischen Stichwahlen ist bis jetzt nur sehr unvollständig bekannt. Gesiegt hat Vaillant, was wir mit besonderer Freude begrüßen, da er als Organisator ebenso tüchtig ist wie klar und fest als Vertreter der sozialistischen Grundsätze. Lafargue dagegen ist erlegen. Wie viel Sozialisten gestern gewählt wurden, wissen wir zur Stunde nicht. Clemenccau und sein Freund Pichon sind gefallen— desgleichen der Opportunist Floquet, der auch im Panamaschmutz stecken geblieben ist, und der imperialistische Gassenbube Grenier und Caffaignac. Im. Allgemeinen scheint das Ergcbniß den Erwartungen ziemlich genau zu entsprechen. Aus Paris wird telegraphirt: Paris , 4. Sept. Von den bisher bekannt gewordenen 1ö2 Resultaten entfallen 132 auf die Republikaner (die So- zialisten eingeschlossen), Sauf die Konservativen und 11 auf die Ralliirten.— Eine Wolff'sche Depesche meldet: Paris , 4. September. Bisher sind 187 Stichwahl- Er- gebnissc bekannt. Gewählt sind: 143 Republikaner, alle republikauischen Parteirichtungen umfassend; 113 Progressisten oder Radikale; 12 Ralliirte; 23 Sozialisten. Die Republikaner gewannen 27 Sitze. 7 Ergebnisse aus den Kolonien stehen noch aus; da die betreffenden Stichwahlen aber ausschließlich zwischen republikanischen Kandidaten stattfanden, so wird die Zusammensetzung der neuen Kammer sich, unter Berücksichtigung der Wahlergebnisse am 20. August, die 358 Republikaner aller Richtungen und 59 Konservative als gewählt ergaben, folgender- maßen gestalten: 513 Republikaner und 63 Konservative. Zu den 513 Republikanern gehören 25 Ralliirte uud 69 Radikale oder Sozialiste».— Nach der amtlichen statistischen Zusammenstellung wird die neue Kammer aus 409 Republikanern und Ra- dikalen, 79 sozialistischen Radikalen und Sozialisten, 29 Ralliirten und 64 Konservativen bestehen. Was wir in den französischen Arbeiterblättern über W a h l b e e i n s l u s s u n g e n anläßlich der Wahl in Frankreich lesen, oas zeigt uns so recht deutlich, wie machtlos die besten Gesetze gegenüber dem Kapitalismus sind, und wie die schönsten politischen Freiheiten durch die ökonomischen Verhältnisse zu Nichte gemacht werden. Die französischen Arbeiter sind, da wo die Herren Bourgeois es wagen konnten, von„ihren Brotherren" ebenso frech vergewaltigt, ebenso ungenirt an die Wahlurne geschleppt worden, wie die Bergleute von Rheinland-Westfalen . Die- selben Beeinfluffungcn, Bedrohungen, Maßregelungen. Der Wein— bei uns muß Schnaps und Bier die nöthige Be- geisterung liefern— floß in Strömen und Geld wurde massenweise vertheilt, um die Hefe der Gesellschaft gegen die klassenbewußten Arbeiter aufzuhetzen, für welche die Agitation in vielen Gegenden lebensgefährlich war. Kurz, ganz wie bei uns— trotz Republik und Freiheit. — Die belgische Wahlreform ist abgeschlossen. Der Senat hat am 2. September mit großer Mehrheit den An- trag Visart bezüglich des Wahlmodns für den Senat angenontmen und zwar in derselben Fassung wie die Kanimer, um eine endliche Uebereinsttmmung herbeizu- führen.— Der englische Grubenarbeiter- Ausstand. Aus Wales meldet Wolff's Telegraphen-Bnreau: In einer in Pontypridd am 8. September abgehaltenen, von 30 000 Personen besuchten Versammlung wurden folgende Beschlüsse gesaßt: Die Bergleute von Süd-Wales sollen sich dem Bergarbeiter-Vcrbande von Großbritannien anschließen; die Vertreter der Bergleute in dem Komitee, das die An- wendung der beweglichen Lohnskala zu überwachen hat, scheiden aus ihm aus; die Arbeit wird unter gewissen Be- dingungen am Montag wieder aufgenommen; sollten die Grubenbesitzer diese Bedingungen nicht cmnehmen, so wird eine weitere Versammlung einberufen. Bei der allgemeinen Abstimmimg der Bergleute L o t h i a n s sprach sich die Mehrheit derselben für die Wiederaufnahme der Arbeit am Montag aus, nachdem die Grubenbesitzer 10 Prozent Lohnerhöhung zugestanden haben.— Die Untionalrathswahlr« in der Schwei;. Zürich, den 31. August. Zuerst die deutschen , dann die französischen und schließlich die schweizerischen Parlamentswahlen— das reinste Wahljahr! Die Wahlen zum schweizerischen Nationalrath finden am letzten Sonntag im Oktober, also dieses Jahr am 29. Oktober, statt. Gewählt wird derselbe aus die Dauer von drei Jahren und zwar auf je 29 999 Einwohner, eventuell auf die Bruchzahl über 10 099 je ein Abgeordneter, bei getheilten Kantonen wenigstens ein Mit- glied. Die ganze Schweiz ist unter Berücksichtigung der Kantons- grenzen in 52 Wahlkreise eingetheilt, welche die 146 Mitglieder des Nationalrathes zu wählen haben. Die Zahl der von den einzelnen Wahlkreisen zu wählenden Abgeordivetcn schwankt zwischen 1 und 6, letztere Zahl hat der 1. eidgenössische Wahl- kreis, Stadt und Bezirk Zürich , zu wählen. Stimm- b e r e ch t i g t ist jeder Schweizerbürger über 20 Jahre, der in bürgerlichen Ehren steht, wählbar jeder Stimmberechtigte weltlichen Standes; die Geistlichen sind von der Wählbarkeit ausgeschlossen. Die Parteien im Nationalrathe sind: Die Radikal- Demokraten, die Jungdemokraten, das Zentrum(Liberal- Kon- servative) und die Ultramontanen. Die Sozialdemokrat! e war in der letzten Legislaturperiode zum ersten Male durch einen Abgeordneten, nämlich durch Vogelfänger in Zürich , vertreten. Innerhalb ver einzelnen Fraktionen giebt es meist wieder Unterschiede der sozialen und politischen Gesinnung. Bei manchen Abstimmungen werden die Fraktionsgrenzeu völlig ver- wischt, so z. B. wenn die Westschweizer— die Welschen— ihren Föderalismus in den Vordergrund stellen gegen den Zentralismus der Oftschweizer. Worin der schweizerische Nationalrath allen anderen Volksvertretungen gleicht, das ist der Bourgeoischarakter. Das kleine Häuflein linksstehender Abgeordneter, die namentlich als Sozialpoutiker der Sozialdemo- kratie nahe stehen— Curti, Locher, Scherrer- Füllemann und einige andere—, vermögen jenen Charakter nicht zu ändern. Die Väter der schweizerischen Gesetze sind wie in allen anderen Ländern Angehörige und Vertreter der Bourgeoisie und es kann daher nicht anders fein, als daß die An- schauungen und Gesinnungen der besitzenden Klassen und nicht diejenigen des Proletariats sich in den Gesetzen widerspiegeln. Ein schlagender Beweis hierfür sind die neuesten, noch im Stadium der Vorberathung liegenden Gesetz- entwürfe, betreffend die eidgenössische Kranken- und Unfall- Versicherung, die in eleganter Weise alle Forderungen der Arbeiter ignoriren und alle Wünsche der Unternehmer und ihrer ganzen Klasse trefflich verwirklichen. Wie bei den letzten Nationalrathswahlen, so tritt die So- zialdemokratie auch diesmal selbständig in die Wahlbewegung ein. Die Richtschnur hierfür hat bereits der vorigen Herbst in Solothurn stattgefundene Parteitag gegeben, der in einer ein- stimmig angenommenen Resolution erklärte, daß in allen Wahl- kreisen, wo es den Parteigenossen nur irgendwie möglich ist, ausgesprochen sozialdemokratische Kandidaturen aufgestellt werden sollen. Dabei sind blos als Parteigenossen bekannte Personen als Kandidaten zulässig, von denen vorausgesetzt werden kann, daß sie im Falle der Wahl keiner der bisherigen Fraktionen der Bttndesversammlung beitreten und, wenn mehrere Parteigenossen gewählt sind, eine eigene sozialdemokratische Fraktion gründen helfen werden. Die etwaige Unterstützung nichtsozialdemokratischer Kan- didatnren wird dem freien Ermessen der Genossen der einzelnen Wahlkreise überlassen. Unter allen Umständen sollen jedoch die von der sozialdemokratischen Partei der Kreise aufgestellten Wahl- vorschlage, auch wenn sie neben den Parteikandidaturen— die als solche unzweideutig zu bezeichnen sind— noch andere Kan- didaturen enthalten, deutlich den Charakter eines von der sozial- demokratischen Partei des betreffenden Kreises aufgestellten Wahl- Vorschlages tragen. Bisher ist anscheinend noch sehr wenig an Vorarbeiten für die Wahl geschehen und zwar von den anderen Parteien wie von der Sozialdemokratie. In Basel ist Redakteur Wull- s ch l e g e r, der ja dort der gegebene Kandidat der sozial- demokratischen Partei ist, bereits nominirt worden. In Zürich wird Vogelsanger wieder aufgestellt und neben ihm noch Genosse Lang. Jm Winterthurer Wahlkreise wird eben- falls ein Sozialdemokrat kandidiren. Weiteres ist bis heute noch nicht bekannt. Bei der weit getriebenen Dezentralisation der schweizerischen Industrie, die ein Ansammeln größerer Proletariermassen in be- bestimmten Zentren verhindert, liegt die Situation für die Sozialdemokratie sehr ungünstig, namentlich bezüglich parlamen- tarischer Wahlerfolge. Diese Situation zeichnet der schweizerische Bericht an den in Zürich stattgefundencn internationalen Sozialistenkongreß sehr treffend mit folgenden Sätzen. „Die Bevölkerung der Schweiz ist ziemlich gleichmäßig über das Land verkheilt. Nur eine Sladt, nämlich Zürich , zählt 199 999 Ein- wohner. In Gemeinden mit mehr als 10 090 Einwohnern wohnt nur etwa ein SechStheil der gesammten Bevölkerung. Dieser Umstand erschwert die Agitation natürlich nicht wenig. Das proletarische Klassenbewußtsein und der revolutionäre Charakter bildet sich in kleinen Kreisen aus naheliegenden Gründen viel schwerer aus als in großen, auf einem Platz zusammengedrängten Volksmasseii." Unter diesen Umständen dürfen die Erwartungen der Sozial- demokraten für die nächste Nationalraihswahl nicht hoch gespannt werden. Wenn neben der zweifellosen Wiederwahl Vogelfängers»och Lang gewählt würde, müßte dies schon als ein Erfolg bezeichnet werden. Das Zahlenverhältniß der übrigen Parteien dürste wenige Aenderungen erfahren und so die Herrschaft der bürgerlichen Parteien auch in der neuen Bundesversammlung ungeschwächt bleiben.
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