Nr. 229.

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Berliner Volksblatt.

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Telegramm Adresse:

Sozialdemokrat Berlin ".

Zentralorgan der fozialdemokratifchen Partei Deutschlands .

Redaktion: S. 68, Lindenstrasse 69.

Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1983.

Wahlfieg in Düsseldorf .

Bei der heutigen Reichstagsstichwahl wurden abgegeben für den sozialdemokratischen Kandi­daten Haberland 39 264, für den Zentrums­kandidaten Dr. Friedrich 36 111 Stimmen.

Sonnabend, den 30. September 1911.

Expedition: S. 68, Lindenstrasse 69. Ferusprecher: Amt IV, Nr. 1984.

Kriegsbeginn!

Der sozialdemokratische Kandidat Haber Mächten ist der Krieg erklärt worden! Hier die Meldung: I and siegte also mit einer Mehrheit von 3153

Stimmen.

Wenn auch der Wahlsieg der Sozialdemokratie in Düssel­ dorf nur deshalb möglich wurde, weil sich die National­liberalen bei der Stichwahl der Stimme enthalten haben, so kann doch die Sozialdemokratie ihren Sieg mit freu­digem Stolze verzeichnen. Denn die Sozialdemokratie weist in dem Wahlkreise Düsseldorf ein Wachstum auf, das zu der Hoffnung berechtigt, daß es der Sozialdemokratie in wenigen Jahren gelingen wird, aus eigener Kraft nicht nur den Sieg über das Zentrum, sondern auch über eine ultramontan- nationalliberale Koalition

davonzutragen!

sind, so ist es der Sozialdemokratie gleichwohl gelungen, aus

von ihm erreichte Stimmenzahl sicherlich beträchtlich hinter

bringen.

Das Furchtbare ist geschehen. Zwischen zwei europäischen | Recht Gebrauch machen, die Mohammebaner der ganzen Welt um Hilfe anzurufen; um Geld und um Menschenmaterial. Und im äußersten Notfalle, falls die europäischen Mächte den Rom , 29. September. Da die ottomanische Regierung Italienern nicht ein Halt zurufen, wird sich das Kalifat gezwungen die in dem Ultimatum enthaltenen Forderungen Italiens fühlen, alle völkerrechtlichen Vereinbarungen, speziell die der nicht angenommen hat, besteht zwischen Italien und Nichtanwendung des heiligen Krieges, als nicht existierend der Türkei seit heute, den 29. September, nachmittags anzusehen. Denn nicht nur ist Italiens Handlungsweise gegen das 22 Uhr, Kriegszustand. Die italienische Regierung Völkerrecht, sondern bei jedem internationalen politischen Kongreß wird für die Italiener sowie für die Angehörigen der haben sämtliche europäischen Mächte die Integrität der Türkei anderen Nationalitäten in Tripolis und Cyrenaita mit garantiert. Halten sich diese Mächte nicht an die von ihnen gegebene allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln Sorge tragen. Garantie, so darf sich auch das Kalifat als von seinen Versprechungen entbunden betrachten. Die Blockade der ganzen Küfte von Tripolis und Sollte die Türkei wider Erwarten diesem Gedankengang nicht Cyrenaika wird sofort den neutralen Mächten notifiziert folgen, so tann fie darauf gefaßt sein, daß man über ihren Kopf hinweg selbst zur Ausführung schreitet. In zwei Monaten und zehn Tagen finden die Pilgerfahrten nach Metta statt. Und dort ist dann alles möglich.

werden.

Das Programm spricht für sich selbst und wenn auch die

in den Arm zu fallen.

Bei der Hauptwahl hat die sozialdemokratische Die Folgen dieser Nichtswürdigkeit sind unabsehbar. Die Stimmenzahl sich, um 8700 Stimmen vermehrt, während die Besetzung von Tripolis setzt auch den Balkan in Flammen. Bahl der Zentrumsstimmen völlig stationär geblieben war. Bulgarien , Serbien , Griechenland lauern seit Jahren auf den Und bei der Stichwahl hat sich die sozialdemokratische günstigen Augenblick, über die Türkei herzufallen und ihr macht, die dahinter steht, heute noch nicht abgeschätzt werden Stimmenzahl abermals um fast 5200 vermehrt. Wenn auch jene Gebiete zu nehmen, wo ihre Nationsgenossen wohnen. kann, die ungeheuerliche Provokation der Italiener sorgt dafür, anzunehmen ist, daß die 3315 demokratischen Stimmen rest- In Yemen herrscht der Aufstand, in Albanien sind die daß der islamitische Fanatismus erwacht, daß die Türkei den los auf den sozialdemokratischen Kandidaten übergegangen Stämme jeden Augenblick bereit, die Unabhängigkeit des Strieg auch auf das wirtschaftliche Gebiet überträgt und der Masse derer, die sich beim ersten Wahlgang der Stimme Landes zu erklären. Und im Hintergrunde warten die Groß- fein Zweifel, daß dieser Kampf den Italienern Wunden schlagen kann, für die in Tripolis keine Heilung zu finden enthalten hatten, noch rund 1800 Wähler für sich mächte. Desterreich- Ungarn ſieht den Moment herannahen, ist. Dann aber kann die italienische Regierung weit über zu gewinnen. Das wäre insgesamt ein rein sozial- wo es den Wunsch erfüllen kann, mit Saloniki sich freien das hinausgeführt werden, was sie heute beabsichtigt, dann demokratischer Stimmenzuwachs von mehr als 10000 Stimmen Bugang zum Aegäischen Meere zu schaffen. Rußland kann kann sie sich gezwungen sehen, den Krieg auch in der euro­ein Resultat, mit dem wir vollauf zufrieden sein können! daran denken, die Niederlage von 1908 wett zu machen und Weniger zufrieden darf das Zentrum auf den Ausfall sich den freien Durchgang durch die Dardanellen zu sichern. eine Einschränkung des Brandes erst recht nicht zu denken. päischen und asiatischen Türkei zu führen und dann ist an Ser Stichwahl blicken. Denn selbst wenn es sich von vorn- Englands Absichten aber sind noch im Dunkeln. herein klar darüber war, daß es ohne die Hilfe der National- Was wird die Türkei selbst tun? Die Frage flingt So kann der heutige Tag den Beginn des Welt. liberalen das Mandat nicht erobern könne, so blieb doch die seltsam und doch ist die Antwort nicht ganz leicht. Die Türkei rieges bedeuten, wenn es nicht der Latkraft des seinen Erwartungen zurück. Ueber die Tatsache, daß die hat die italienischen Forderungen abgelehnt. Wird sie sich Proletariats gelingt, die Regierungen zur Vernunft Sozialdemokratie 8700 Stimmen gewonnen hatte, während aber der Besetzung von Tripolis mit Gewalt widersetzen? au zwingen. Nicht das ist in der heutigen Situation das Schlimmste, daß die europäischen Großmächte den Krieg nicht das Zentrum nur so eben seine alte Stimmenzahl wieder er- Giner Pariser Meldung der" Agence Havas" zufolge hat die vermeiden wollten, sondern daß ihnen die Ereignisse so langte, suchte es sich durch die Hoffnung zu trösten, daß unter türkische Regierung beschlossen, einer italienischen Landung sehr über den Kopf wachsen, daß sie ihn nicht vermeiden den weit mehr als 30 000 Nichtwählern sehr keinen Widerstand zu leisten. Aber diese Meldung können, nicht können, wenn ihnen nicht das Proletariat starke Zentrumsreserven vorhanden wären, die stammt aus den Stunden vor der Kriegserklärung. feinen Friedenswillen aufzwingt Vor dem Brande, den für die Stichwahl noch auf die Beine zu bringen seien. In Stein Zweifel, die Türkei wollte alle diesen Hoffnungen hat es sich nun aber gründlich ge möglichen Zugeständnisse machen, wollte weiterverhandeln. Deutschlands , Frankreichs und Englands Beherrscher Feinde nur irgend die italienische Regierung entfacht hat, entfachen durfte, weil täuscht! Denn wenn es auch bei der Stichwahl einen Die italienische Regierung hat diese Absichten durch die Kriegs- find, graut ihnen doch allen. Denn so fest ist der Kapitalis­Stimmenzuwachs von 7180 Stimmen aufweisen konnte, so befinden sich darunter doch reichlich 3500„ nationale" und erklärung vereitelt, hat die verbrecherische Gewalttat mit allen mus nicht mehr, daß er heil und ganz aus einem Weltkrieg polnische Stimmen, die für Herkenrath und den polni- Mitteln beschleunigt, um jede Intervention unmöglich zu hervorgehen würde. Einen solchen zu vermeiden, darauf schen Kandidaten beim ersten Wahlgang abgegeben worden machen, ihren Raub so schnell als möglich in Sicherheit zu müssen jetzt alle Anstrengungen gerichtet sein. Die eng­waren. Von den mehr als 30 000 Nichtwählern hat das bringen. Die Türkei wollte um jeden Preis den Krieg ver- lische Regierung scheint, nach den Aeußerungen ihrer Zentrum also nur den zehnten Teil für sich heraus- meiden, die italienische Schandregierung ihn um jeden Preis Preffe zu urteilen, einer Intervention zugunsten der Türkei zuholen vermocht, während es der Sozialdemokratie gelungen führen. Jetzt sind auch die Machthaber in Konstantinopel nicht abgeneigt zu sein. Die deutsche Regierung war, auch für sich noch zirka 2000 Wähler zur Wahlurne zu nicht mehr Herr ihrer Entschließungen; sie müssen müßte alles tun, um mit den Westmächten vereint, Italien tämpfen. Aber können sie kämpfen? Da insgesamt diesmal 75 375 Stimmen abgegeben wur­In Tripolis selbst werden die Italiener mit großer den, die Zahl der Wahlberechtigten aber 104 788 beträgt, Sind die kapitalistischen Regierungen nicht einmal mehr baben sich auch bei der Stichwahl noch annäherno Uebermacht landen; ob die türkischen Truppen in der Lage dazu imstande, soll die Naubsucht des Imperialismus wirklich 30 000 ähler der Stimme enthalten. Diese Zahl find, sich zu widersetzen, ist mehr als fraglich. Sie werden die Gräuel des Weltkrieges über die unglücklichen Völker beweist, daß in der Tat die Nationalliberalen, die im Jahre sich wahrscheinlich ins Innere zurückziehen und einen heraufbeschwören, dann müssen die Herrschenden damit rech 1907 14 664 Stimmen erhielten, sich nicht nur bei der Stich- Guerillakrieg zu organisieren suchen, der den vom nen, daß nicht allein über Krieg und Frieden, daß über das wahl, sondern auch bei der Hauptwahl der Weisung ihrer imperialistischen Machtrausch besinnungslos gewordenen System des Kapitalismus selbst die Ent. Leitung entsprechend der Abstimmung enthalten Italienern noch teuer zu stehen kommen kann. scheidung in ihre Hände gelegt ist. haben. Der Kampf wurde also im wesentlichen Aber den Türken stehen noch andere Mittel zur Ver­geführt( die demokratischen Stimmen, die der Sozialdemo- fügung. Die Voss. 3tg." veröffentlicht ein interessantes Vor dem Kriegsausbruch. frafie zufielen, werden ja aufgewogen durch die nationalen Die Antwort auf das Ultimatum. und polnischen Stimmmen, die sich in der Stichwahl auf das Dokument, einen panislamitischen Aufruf, der von Berlin aus Konstantinopel , 29. September. Die Antwortnote ber Bentrum vereinigten) zwischen Sozialdemokratie und in alle mohammedanischen Weltteile hinausgesandt wurde. Der Zentrum. Und bei diesem Kampfe hat das Zentrum die Aufruf enthält eine Instruktion an die Häupter des Pan- Pforte auf das italienische Ultimatum ist der italienischen Bot­schaft heute früh übermittelt worden. Die Pforte erklärt unter wohlverdiente vernichtende Niederlage er- islamismus und enthält folgende Begründung: Iitten. So widerstandsfähig sich auch der Zen- Nach Lage der Sache kann die Türkei als Kalifat Tripolis nicht langer Begründung, daß sie bereit sei, über wirtschaftliche trumsturm dank der brillanten Organisation des Zentrums mehr abgeben. Ein Abtreten der Kolonie ließe sich vor der 3ugeständnisse an Italien sowie über die Aner. fennung der besonderen Interessen Italiens in erwiesen hat, so flar hat aber auch die Düsseldorfer Wahl mohammedanischen Welt in keiner Weise verantworten, da bewiesen, daß das Zentrum im besten Falle seine fein wie immer gearteter Grund vorliegt. Auch im eigensten Tripolitanien zu verhandeln, unter der Voraussetzung, Position zu behaupten vermag, während die Interesse kann die Türkei an eine Abtretung von Tripolis daß der heutige status quo beibehalten werde und Sozialdemokratie rüstig vorwärts schreitet! nicht denken, weil ihr dadurch erstens als Staat auf dem eine Offupation nicht erfolge. Dabei hat das Zentrum es an den außerordentlichsten Ballan höchstwahrscheinlich überall die größten Wie ergänzend bekannt wird, erklärt die Pforte in ihrer Anstrengungen nicht fehlen lassen. Nicht nur zwischen Haupt- Schwierigkeiten entstehen würden, und zweitens, weil sie der Pforte und der bestehenden Verträge zu wirtschaftlichen und Stichwahl, sondern vor allen Dingen auch am Wahltage dann wahrscheinlich durch ein arabisches Stalifat erfekt selbst hat es eine geradezu fieberhafte Agitation entfaltet. werden würde. Ein Abtreten von Tripolis wäre also gleich 3ugeständnissen bereit. Die Pforte gibt zugleich die Der Kölner Windthorst bund hatte am Stichwahl- bedeutend mit Selbstmord als Kalifat sowohl wie als Staat. Busage, während der Verhandlungen teine militärischen tage etwa 100 Windthorstbündler zur Wahlarbeit entboten. Die Mohammedaner stellen an die Türkei ganz Veränderungen vorzunehmen. Aber auch der katholische lerus dürfte wohl noch nie bestimmte Anforderungen, wobei nicht zu vergessen ist, Panik in Konstantinopel . bei einer Wahl eine solche Agitation betrieben haben, wie daß die panislamitische Organisation in den Händen europäisch ge- Konstantinopel , 28. September. Die Nachricht von der Uebers am Freitag im Düsseldorfer Kreise. bildeter Leute liegt. Agitationszentrum ist nicht etwa der reichung des Ultimatums hat in Stambul Bestürzung her Auch auf sozialdemokratischer Seite hat es natürlich an Drient, sondern eine in Europa gelegene Hauptstadt. vorgerufen. An der Börse brach eine förmliche Banit aus. intensiver Wahlarbeit nicht gefehlt. Und als besonders er- Was diefe Organisation von der Türkei unbedingt ber freuliches Zeichen für die aufpeitschende Wirkung unseres langt, und was fie, wenn es notwendig werden sollte, der Notwendigkeit einer vorzeitigen Ginberufung des Systems der Volksausplünderung und Lebensmittelberteu- über den Kopf des osmanischen Reiches hin- Parlaments zusammen. Die Debatte nahm einen ziemlich erung verdient vermerkt zu werden, daß am Stichwahltage weg, ausführen würde, iſt: Gegen Italien nicht nur die erregten Verlauf. Die Abgeordneten aus Tripolis führten besonders auch die Genossinnen des Wahlkreises eine Boykottierung in der Türkei allein, sondern überall dort in der Welt, Klage über die Zustände in Tripolis sowie über die Unfähigkeit außerordentlich rege Werbearbeit entfaltet haben. wo Mohammedaner zu Hause sind, wie in Aegypten , Indien , Algier , der türkischen Beamten und forderten Abhilfe. Schließlich wurde Tunis , Kerim, Kaukasus usw. Sollten nach dem Konflikt Italiener einstimmig der Wunsch nach baldigster Einberufung es wagen, weiter in der Türkei zu verbleiben, so wird man fie dort des Parlaments geäußert und sofort dem versammelten als Geisel jurudhalten. Das Kalifat aber muß von seinem Ministerrat mitgeteilt

Alles in allem begrüßen wir den Wahlsieg in Düsseldorf als Symptom und Wahrzeichen für die entscheidende Wahl­rechtsschlacht des nächsten Jahres:

Antwortnote sich weiter vorbehaltlich der Hoheitsrechte

Etwa 80 Deputierte traten. heute nachmittag zur Beratung