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Leiterschaft nichts genützt Die geeintgts sozialistische Partei dürfe nicht mit Lloyd George konkurrieren. Ihre erste Ausgabe sei die Kritik und ihre kritische Stellung dürfe sie um keinen Preis auf- geben. Aus den halbbclvubten Massen müsse sie eine klassenbewußte Arbeiterschaft machen. H u n t e r W a t t s fS. D. P.) erinnert daran, daß die ganze internationale Bewegung für soziale Reformen eintrete. Der Acht« stundentag sei eine derartige Forderung. Die Ultrarevolutionäre vergessen, daß es nicht allein darauf ankomme, die Armee ins Feld zu schicken, sondern man müsse auch die Kräfte der Armee erhalten. Es gebe zwei Arten der Sozialreform: eine reaktionäre und eine revolutionäre. Zu den letzteren Reformen gehörten die Ernährung der Schulkinder, der Achtstundentag, die Selbsterhaltung der Arbeits- losen. Der Prüfstein der wirklichen Sozialreform sei: Ist die Reform geeignet, die Arbeiterschaft in eine bessere Lage zu versetzen, um den Klassenkampf erfolgreicher durchführen zu können? ES sei kindisch, sich zu dieser Zeit noch den Palliativmitteln zu widersetzen. Fräser sMarxistnche Gesellschaft, Aberdeen ) erklärt, daß es den bürgerlichen Parteien bisher immer gelungen sei, die Wirksam- keit der zugestandenen sozialen Reformen zu vereiteln. Er befür- wartet eine revolutionäre Taktik. Russell S m a r t(B. S. P.) bemerkt, daß er sich auS dem Sumpfe der bürgerlichen Sozialreform herausgearbeitet habe und keine Lust verspüre, wieder hineinzuplumpsen. Wenn man dem Teufel den kleinen Finger reiche, so werde er bald die ganze Hand nehmen. Unter allen Umständen müsse vermieden werden, den An« schein zu erwecken, als sei man auf der Seite der Sozialreformer, die nur danach strebten, die Ziele des Sozialismus zu verdunkeln. Soziale Reformen gewährten die Regierungen nicht, weil sie ihnen geneigt wären, sondern weil sie vor den revolutionären Parteien Angst hätten. K e m r e d y<S. D. P.) spricht gegen den Abänderungsantrag. Man dürfe die Mittel nicht mit dem Zweck verwechseln. Manche feien der Ansicht, daß die Löhne eine fixe Quantität bildeten. Das sei nicht wahr. Alles, was zur Stärkung des kämpfenden Pro« letariats diene, müsse dem Sozialismus willkommen sein. Würde zum Beifpiel der Achtstundentag nicht eine große Stärkung der Arbeiterklasse bedeuten? Er stimme für die Anwendung aller Mitteh die die Bewegung dem Ziele näher brächten. S w a n s o n fS. D. P.) bemerkt, daß die I. L. P. bisher die revolutionären Methoden der S. D. P. stets kritisiert habe, und heute komme sie mit impossibilistischen Vorschlägen. Man müsse aufpassen, daß das Pendel, das in den letzten Jahren zu weit nach rechts geschlagen habe, nun nicht zu weit nach links hinnberschlage. G a m e r sJ. L. P.) erklärt, daß er früher selbst zu den Im- possibilisten gehört habe, aber ein tieferes Studium des Sozialismus habe ihn kuriert. Man arbeite zu viel mit Analogien, die nicht not- wcndigcrweise die Wahrheit enthielten. Man rede davon, daß es besser' sei, dem kapitalistischen Tiger das Herz zu durchbohren, als ihm nacheinander die Scknurrbarlhaare auszurupfen. Auch in der Doktrin schlügen viele Genossen über die Schnur. Manche benützten Marx nicht als eine Fackel, sondern als eine Krücke. Er sei für ein Uebergangsprogramm. Die neue Partei müsse sich revolutionärer Methoden bedienen und das Ziel fest im Auge behalten. Ward(Sozialistische Gesellschaft in Achton-Mackerfield) führt aus, daß die bürgerlichen Parteien versuchten, die sozialistische Be- wegung in der Sozialreform zu ersticken. Er sei Bergarbeiter und habe Gelegenheit gehabt, die Wirkung des AchtstundenlagSgesetzes zu beobachten. Die verminderte Arbeitszeit hätten die Kapitalisten durch eine raffiniertere Ausbeutungsmethode illusorisch gemacht. Die Reform habe dazu geführt, daß augenblicklich die Bergarbeiter Großbritanniens entschlossen seien, in den Generalstreik zu treten, um den unerträglichen Druck abzuschütteln. Die neue Partei solle sich hüten, sich für Reformen verantwortlich zu machen, die nachher von der Arbeiterschaft als fehlschlagend empfunden würden. Nur der Sozialismus könne den Arbeitern dienen. ES müsse eine Grund« läge für die Partei geschaffen werden, die diese scharf von allen übrigen Parteien trenne. Die Abstimmung ergab, daß sich 86 Delegierte für die AuS« merzung des PaffuS und 77 dagegen erklärten. Hierauf vertagte sich die Konferenz auf eine Stunde. ».» « In dem gestrigen Bericht heißt est«Die Grüße der deutschen Partei überbrachte' Genoffe Bebel." DaS ist nicht richtig, es muß Genosse Queich heißen._ Oer Zugenäkllvg des Klalfenltaates. Macht mich zum Herrn des Unterrichts und ich werde euch die Welt umgestalten." In diesem Ausspruch des einstigen Pädagogen L e i b n i z kommt die übertriebene ideologische Bedeutung zum Ausdruck, die das Bürgertum der Erziehung damals beimaß. Diese Meinung von der hohen Bedeutung der Pädagogischen Beeinflussung des Menschen herrscht auch heute noch in den Kreisen des Burger- tums. Als die praktische Folge dieser theoretischen Auffassung zeigt sich das energische Bestreben des' Bürgertums, alle Einrich- tungcn, die der Erziehung de? Rhenschengeschlechts dienen, unter seinen Einfluß zu bringen. Wie alle Erziehungsanstalten des Staates dient insbesondere die Volksschule den Interessen des durch die Ausbeutung der breiten Schicht des Volkes zur Herrschaft ge- . langten Bürgertums. Mit der EntWickelung der modernen Ar- beiterbewegung stieg in der herrschenden Klasse des Staates das Bedürfnis, ihren Einfluß auf die heranwachsende Arbeiterschaft über dit Zeit des Volksschulzwanges hinaus auszudehnen. Es charakterisiert die bürgerliche Jugendbewegung, daß die Wurzeln der evangelischen Jünglingsvereine bis in die Zeit deS schändlichen Sozialistengesetzes hineinragen. Geradezu brennend für die Herr» schenken Klassen wurde die Frage des Jugendfangcs, als die Ar- beiterschaft sich anschickte, die Erziehung ihres Nachwuchses selbst in die Hand zu nehmen. Und als die Arifciterfchaft ihr Vorhaben kraft threr Organisationen auf der ganzen Linie energisch durch- führte, da war für die bürgerliche Gesellschaft das Signal gegeben, sich mit Vehemenz auf die der Volksschule entwachsene Jugend des Proletariats zu stürzen. Tie Negierung des Staates als der gcschäftsführcnde Ausschuß der herrschenden Klasse setzte die ganze Staatsmaschinerie in Bewegung, um die schulentlassene Arbeiter- fügend den Interessen der herrschenden Klasse zu unterwerfen. Die Bo l ks s chu lbi ldu ng auf die schulentlassene Jugend auszv dehne n bis zum Eintritt ins Heer, das ist der Zweck der staatlichen Jugendpflege. die mit der bei der diesjährigen Eröffnung des Preußischen Ab- geordnetcnhauseS gehaltenen Thronrede ihren feierlichen Einzug in Preußen gehalten und mit der Gründung eines Fonds in Höhe von 1 Million Mark, auf Kosten der preußischen Steuerzahler natürlich, ihre finanzielle Grundlage erhalten hat. Die Richtlinien der königlich-preußischen Jugend.pflege" wurden durch den Erlaß deS preußischen Kultusministers vom 18. Januar 19N festgelegt. Ter Inhalt deS bedeutsamen Erlasses darf als die Frucht einer fleißigen Arbeit angesehen werden, die von der Zentralstelle der Bolkswohlfahrt seit mehreren Jahren mit Eifer betrieben worden ist. Die serwichtigeErlaßdespreußischen Kultus- Ministers gewinnt neuerdings für die Arbeiter- schaft eine besondere Bedeutung, weil gegen- wärtig alle treuen Diener des Staates emsig am Werke sind, ihn in die Praxis umzusetzen. In Preußen entwickeln die staatlichen Beamten, unterstützt von einem Heer freiwilliger Helfer, einen wahren Bienenfleiß, den von ihrem hohen Herrn geforderten Jugendfang in Angriff zu nehmen. Tic königlich-preußische Jugend./pflegc" kennzeichnet sich zu- xechst dadurch, daß sie eine widerliche Heuchelei ist und auch im Trunüe genommen nichts anderes sei'n will. Mit gleisnerischen Mitteln, die auf den Freiheits- und Selbständigkeitstrieb der Jugend spekulieren, suchen ihre Förderer unter Verschleierung des wahren arbeiterfeindlichen Zweckes die Jugend an sich zu locken. In jedem Orte des Staates werden allenationalen" Männer, voran die staatlichen Beamten, Lehrer, Pfarrer, Richter und Offi- ziere, dann die Anhänger der freien Berufe, Aerzte, Anwälte, Landwirte, Gewerbetreibende, Ingenieure und andere in Gemein- schaft mit allennationalen" Turn-, Sport-, Wander-, religiösen und militärischen Vereinen, sofern sieauf dem Boden einer Vater- ländischen Gesinnung stehen", unter der strategischen Führung des Bürgermeisters auf die Jugend losgelassen. Auch die Fortbildungs- schule wird zu diesem politischen Zwecke mißbraucht. Im Anschluß an die Schule werden Gesang-, Turn-, Sport-, Wander-, Ver- gnügungs- und literarische Vereine gegründet, die alle das gleiche Ziel erstreben: die proletarische Jugend der modernen Arbeiter- bewegung zu entfremden. Wenn jemals das Marxsche Wort von der einen reaktionären Masse eine Berechtigung hatte, dann hier im Kampfe des Bürgertums um die Jugend der Arbeiterschaft. Mit Mitteln, die äußerlich harmlos und einwandfrei erscheinen, als da sind: Jugendheime, Ausflüge, Unterhaltungsabende, Museumsbesuche sucht die reaktionäre Masse die Arbeiterjugend während ihrer freien Zeit vollständig mit Beschlag zu belegen". Mindestens einmal im Jahr soll in jedem Ort ein gemein- s a m e s Fest veranstaltet werden. Das Fest wird als eine Art Nationalfest der deutschen Jugend durch die Rede eines National- Heros, vielleicht eines leibhaftigen Ministers, seinen besonderen Charakter erhalten. Der mit lautem Tamtam von allen Kreisen des Bürgertums in Szene gesetzte nationale Rummel soll, so hofft man, die ganze Fugend des Ortes anlocken, wie der Jahrmarkt die Bauern eines Torfes anzieht. Daß die staatliche Jugendpflege* beileibe nicht der Pflege der Jugend dient, vielmehr einen für die Arbeiterschaft sehr ernsten und gefährlichen Zweck verfolgt, wird in dem oben erwähnten Erlaß des preußischen Kultusministers ausdrücklich betont. Danach ist die Pflege so zu gestalten,daß der Jugend ein dauern- der Gewinn für Leib und Seele zuteil wird". Dieser eigentliche Zweck der Jugendpflege" soll strenggeheim gehalten werden; er sollüberall mit Sorgfalt" aus- geführt werden, aberohne nach außen irgendwelches Aufheben davon zu machen". Dieser Satz in dem Erlaß des Kultusministers fordert also offen zur Heuchelei auf, und zwar nachdrücklichst, denn er ist der einzig« Satz in denGrund- sätzen und Ratschlägen" des Erlasses, der sich durch seinen Sperr- druck auszeichnet. Eine recht tatkräftige Unterstützung wird der staatlichen Jugendpflege von der Militärbehörde zuteil, wodurch ihr charakteristisches Bild nur vervollständigt wird. Hat doch der Mli- tarismuS des Klassenstaates ein ganz besonders lebhaftes Interesse an dieser königlich-preußischen Jugenderziehung. Die Militär- behörden versehen die Jugendlichen, die an den Ausflügen der Jugendpflege" teilnehmen, mit vollständiger kriegsmäßiger Aus- rüstung: mit Uniform und Schießprügel, auch mit Zelten und Kochapparaten zum Biwakieren, mit schmetternden Trompeten und flatternden Standarten, überhaupt mit allem, was zum Kriegsspiel gehört. Selbst die so unzugänglichen Kasernen werden den auf dem Kriegspfade befindlichen Jugendlichen bereitwilligst zur Verfügung gestellt. Die Hoffnung, die die Militärbehörde hieran knüpft, die Jugend möchte sich zeitig an die Atmosphäre der Kaserne gewöhnen, dürfte bei dem gesunden Freiheitssinn und dem ausgeprägten Selbstbewußtsein unserer Proletarierjugend nicht in Erfüllung gehen. Wenn die dumpfe Kasernenluft überhaupt eine Wirkung auf die frohe Arbeiterjugend auszuüben imstande ist, kann es nur die sein, daß der Widerwille der arbeitenden Jugend vor der Kaserne nur gesteigert wird. Dieser von allen Kreisen de? Bürgertums gegenwärtig so heiß geführte Kampf um die proletarische Jugend gewinnt von Tag zu Tag an Schärfe und Ausdehnung. Kaum hat die staatliche Jugendpflege begonnen, so stellt die bürgerliche Presse ihr schon das Zeugnis eines guten Erfolges aus. um dann f ü r e i n e Erweiterung des 1 M i l li o n e n so n d s Stimmung zu machen. Dem preußischen Steuerzahler soll im nächsten Jahr für dieses arbeiterfeindliche Werk noch mehr Groschen abgeknöpft werden! Nach einer weiteren Meldung der bürgerlichen Presse ermun- tert die Reichsregierung die deutschen Bundes- Staaten, das preußische Beispiel nachzuahmen. Sachsen ist bereits gefolgt, und die anderen Staaten werden nicht lange auf sich warten lassen. So dürfte der Kämpf um die Ar- beiterjugend, von der Regierung des Klassenstaates geleitet und inanziert, gar bald in allen Teilen des Reiches heftig entbrennen. Damit gewinnt die Frage der Jugendbewegung, von den Regierungen zu einer politischen Frage erhoben, ins- besondere für die Arbeiterschaft eine sich immer steigernde Be- deutung. Handelt es sich doch um ein Stück eigenen Fleisches und Blutes, um den Nachwuchs der Arbeiterschaft, der hier vor dem Ansturm der reaktionären Masse zu verteidigen ist. Da ist es die heiligste Pflicht eines jeden Arbeiters, seine Kinder vor den Fall- ilricken seiner Feinde zu bewahren. DieS geschieht am besten da- durch, daß er seine Kinder sofort nach der Schul- entlassung der freien Jugendbewegung zu- ührt.siezurTeilnahmeandenVeranstaltungen der Jugendausschüsse der organisierten Arbeiterschaft, zum Besuch der mit großen Opfern errichteten Arbeiter-Jugendhe'ime und zum Abonnement auf dieArbeiter-Jugend". diese ausgezeichnete, von der Jugend gern gelesene Jugendzeitung, veranlaßt. Stärkung unserer Jugendbewegung ist das Mittel, mit dem wir den Anschlag des KlassenstaateS auf unsere Jugend abwehren können. Fördern wir alle eifrig und opferfreudig die proletarische Jugendbewegung und die heuchlerische Jugendpflege des Klassenstaates wird ein schmähliches Klassenfiasko erleiden! preußische likhörden gegen den Berliner volhschor. llnS wird geschrieben: Neben den freien Jugendorganisationen, die die Behörden seit Jahr und Tag mir rücksichtsloser Kon- icquenz verfolgen, versucht man neucrdingS in Berlin auch dem Berliner Volkschor zu Leibe zu gehen. Den erwünschten Anlaß dazu hat man in dessen im F r ü h j a h r d. I. erfolgten Beitritt zum Arbeiter-Sängerbund gefunden. Kaum war er erfolgt, so ließ sich das Provinzialschulkollegium der Provinz Brandenburg vom Berliner Polizeipräsidium eingehend darüber De- richt erstatten. Und obwohl dieser Bericht verhältnismäßig günstig ausgefallen sein soll, verfügte das Kollegium kurzerhand an den Magistrat von Berlin , daß dieser dem Volkschor die ihm eit 7 Jahren freundlicherweise als UebungSlokal zur Verfügung gestellte Aula des S ophienrealgymna siumö auf der Stein st raße zu entziehen habe, was auch geschah. Ein mündlicher Protest seitens des Dirigenten deS BolkschorS beim Provinzialschulkollegium gegen dieses ungeheuerliche Vorgehen war ebenso erfolglos wie eine gleichlautende Eingabe an den preußischen Kultusminister. Die Verfügung blieb in Kraft, und am 1. Oktober hat der Berliner Volkschor sein ihm lieb und beinahe unentbehrlich gewordenes Heim verlassen und in einem Restaurations- saal(Residenzfestsäle, Landsberger Straße 31) Unterkunst suchen müssen. Damit aber ist, was auch dem Provinzialschulkollegium und dem Kultusminister deutlich genug klar gemacht worden war, was aber wahrscheinlich diese in ihrem Vorgehen gegen den Chor gerade bestärlt hat, geradezu die Weiterexistenz des Berliner Volkschors in Frage gestellt. Die Dinge liegen in dieser Beziehung etwa folgendermaßen: Der Chor ist im Jahre 1904 als ein gemischter Chor von Ange- hörigen der arbeitenden Klasse Berlins , meist Mitgliedern der Freien Volksbühne, gegründet worden. Er hatte von Anfang an den einzigen Zweck,bei seinen Mitgliedern das Interesse und Ver- ständnis für die Werl « der großen Tonmeister zu wecken und zu fördern, sowie billige künstlerische Konzerte für die Kreise des arbeitenden Volkes zu veranstalten". An diesem Ziel hat der Chor stets festgehalten. Nebenabsichten hat er nie gehabt und nie verfolgt Auch der Beitritt zum Arbeiter- Sängerbund hat diesen seinen rein künstlerischen Charakter nicht verändert. Ausdrücklich war er, seiner Eigenart entsprechend, seitens des Bundes von der Mitwirkung an den Maifeiern, von der Teil- nähme an gemeinsamen Liedereinübungen, sowie der Pflicht, alle seine Mitglieder einer Organisation zuzuführen, entbunden worden. Letzteres war schon deshalb unumgänglich, weil der Chor sich zur Hälfte aus weiblichen Mitgliedern zusammensetzt, die zum Teil schlechterdings nicht organisierbar sind. Auch und erst recht als Glied des Arbeiter- Sängerbundes konnte er also nur eine Aufgabe: der Arbeiterklasse Berlins die herrlichsten Werke der Tonkunst in möglichst hoher künstlerischer Vollendung auS eigener Kraft für billigstes Geld zu vermitteln. Die besten Berliner Orchester, ausgezeichnete Solisten, soweit sie nicht unerschwingliche Honorare verlangten, zog er zur Mitwirkung heran. Mit ihrer Hilfe hat er in den sieben Jahren seiner Existenz Werke von Haydn und Händel , Schubert und Schumann, Bach und Beethoven , Mendelssohn, Liszt und Wagner der Ber -iner Arbeiterschaft nahe- gebracht. In sogenannten Einführungsabenden suchte er zuvor die Konzertbesucher in den Geist und Gehalt der aufzuführenden Werke einzusühren. Er veranstaltete ferner, ohne Orchester, allerhand Liederabende, um die Liederwerke unserer bedeutendsten Lieder« komponisten der Arbeiterschaft deutlich und genußreich zu machen. So gab er einen Liederabend von Hugo Wolff und Löwe, Richard Strauß , LiSzt, BrahmS , Schumann, sowie mehrere Volkslieder- abende. Joachim mit seinem Quartett hat noch 1906 bei ihm seine herrliche Kunst gezeigt; selbst Orchesterkonzerte veranstaltete der Chor, wenn er glaubte, auf diese Weis« seinen Mitgliedern und Konzertbesuchern die künstlerische Eigenart irgend eines bedeutenden Tonkünstlers klar macheu zu können. WaS die Freie Volksbühne für die Berliner Arbeiterschaft ans dem Gebiet deS Theaters ist, suchte der Volkschor aus dem der großen Tonkunst zu sein und immer mehr zu werden. Und stets war allein der künstlerische Gehalt der Werke, die er zur Aufführung zu bringen suchte, bei deren Auswahl entscheidend. Dabei bot er olles, was er aufführte, für das billigste Geld. Seine Eintritlspreise betrugen stets nur zwischen 69 und 75 Pf. Nicht oft wurde der Arbeiterschaft Berlins für ähnlich geringes Geld ähnlich künstlerisch Hohes geboten mit Ausnahme vielleicht einiger bürgerlicher Veranstaltungen, die aber offen den Stempel eine« Al- moscns an die Besucher aus der Arbeiterbevölkerung auf ihren Pro» grammen trugen und tragen. Was aber der Volkschor darbot, waren Leistungen von Männern und Frauen der Arbeiterklasse, aus eigener Kraft, ohne Almosencharalter, ausschließlich für ihre Klassen- genossen, getreu dem Worte von Karl Marx : Die Befreiung der Arbeiterklasse, auch die künstlerische, kann allein das Wert der Ar- beitcrklasse selber sein l Allerdings: alle diese Leistungen deS Volkschors waren nur bei äußerster, eiserner Sparsamkeit möglich. Die wenigsten von denen, die den Chor kennen, haben eine Vorstellung von dem. was die Veranstaltung solcher Konzerte, wie der Chor sie bisher zu bieten imstande war, kostet, ganz abgesehen von den persönlichen Opfern, die seine einzelnen Mitglieder noch extra dafür bringen müssen. Es ist darum nicht richtig, was hier und da in der Berliner Arbeiter» schaft über den Volkschor verbreitet ist, als ob er im Golde schwämme. DaS ist so wenig richtig, daß er vielmehr von Aufführung zu Aus- führung in Geldsorgen ist. Ein kleiner Reservefonds, aus einigen besonders günstigen Konzertjahren aufgesammelt, ist längst ver- braucht. Der eine Winter 1919/11, in dem die Volkskonzerte aus bisher nicht feststellbar gewesen Gründen von einigen Tausend Menschen weniger besucht waren, brachte ihm ein Defizit von 2999 M., das nur mit äußerster Mühe durch freiwillige Spenden einiger wohlhabender Parteigenossen und Freunde des ChorS einiger- maßen gedeckt werden konnte. Eben deshalb war nun auch der Besitz der städtischen Aula in der Steinstraße für den Chor von so durchschlagender Bedeutung: für sie brauchte er außer Feuerung und Licht keinerlei Miete zu zahlen. Dazu kam, daß jede� Alkoholgenuß bei den Chorabenden ausgeschlossen war, was das geistige Niveau der Nebungsstunden nur zu erhöhen vermochte. Das alles ist aber nun mit einem Schlage vernichtet. Der Chor muß entweder für seinen künftigen UebungSsaal eine teuere Miete zahlen, die er nicht erschwingen kann, oder er muh die Mete durch Druck auf seine Mitglieder zum Alkoholgenuß an den UebungSabenden zu ersetzen suchen. DaS aber kann zur Folge haben, daß ein großer Teil von ihnen, namentlich die Damen den Chor verläßt. In jedem Falle ist also die nächste Zukunft des Chors aufs schwerste gefährdet und niemand anders hat das veranlaßt, als das brandenburgische Provinzialschulkollegium und der preußische K u l t u S m i n i st e r. Und sie haben eS b e w u tz t und a b s i ch t« lich veranlaßt, denn sie sind über die Verhältnisse des ChorS durch dessen Schreiben an sie eingehend orientiert gewesen I Trotzdem bringen sie ein Unternehmen an den Rand der Existenz, das alle Welt als eine ernsthafte und bedeutsame Kulturleistung anerkennen muß! Freilich, das alle« jst ja nur eine neue Illustration mehr zu dem Bilde, was die Arbeiterklasse schon allzulange kennt:diepreußischenBehördensürKultur gegen jedes Kulturwerk, das dem Schöße der organisierten und aufrechten Arbeiterklasse ent- springt! In diesem Augenblick nun wendet sich der Berliner Volkschor um Hilfe an die. aus deren Kreis er entstand, für derenKulturfortschritt er arbeitet: an die Berliner Arbeiterschaft. Er wird den Schlag, den ihm preußische Behörden versetzten, überwinden, doppelt und dreifach überwinden, wenn die Berliner Arbeiter ihm Treue halten und seine Veranstaltungen lebhaft und nachdrücklich unterstützen. Der Chor kann nur bestehen, wenn seine Konzerte bis auf den letzten Platz besucht sind; cS ist Ehrenpflicht der Berliner Arbeiterschajt. dafür zu sorgen, daß das in Zukunft stets der Fall ist. Schon das nächste