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Der christliche Artikel schließt mit der Drohung, daß auch Zentrumsredakteure manches wüßten:Man trägt ihnen oft z. B. seit langem unbezahlte Schneiderrechnungen und pikante Ehegeschichten führender Genossen zu." Unser Parteiblatt antwortete mit der Ankündigung einer Klage gegen denBayerischen Kurier" und fügte hinzu, daß es nunmehr wegen der Schwere des Vorwurfs gezwungen sei. die bisher geübte Reserve aufzugeben: Wir werden zu der Verhandlung gegen den Bayerischen Kurier" zunächst drei katholische Geistliche, darunter einen hervorragenden Führer der Zentrumsfraktion des Landtages, als Zeugen laden lassen. Diese erste Serie vonZeugen, denen, jenach der Entwickelung des Prozesses, weitere Serien folgen werden, mag dann unter Eid vor der breitesten Oeffentlichkeit des Gerichts die«per- sönliche Kampfesweise" und dieErpresser- taktil" der.Münchener Po st" in das rechte Licht rücken." Seitdem hatten die Verleumder imBahrischen Kurier" keine ruhige Stunde mehr. Man hatte keine größere Sorge, als um jeden Preis diesen Prozeß zu verhüten. Die wissenden Männer des Zentrums setzten dem Blatte so lange zu,, bis es sich zur Selbstentleibung entschloß, und, indem es der Münchener Post" eine demütige Ehrenerklärung ausstellte, sich selbst als jämmerlichen Verleumder bekannte. DerBayrische Kurier" verstand sich nämlich zu folgendem Vergleich: 1. Der.Bayrische Kurier" hat... einen Artikel veröffentlicht, in welchem der sozialdemokratischen.Münchener Post' u. a. Er- presserpvlitik. schäbige Methode, Feigheit vorgeworfen, und worin fie aus eine Stufe mit der Revolverpresse gestellt wird. Der Privatbeklagte nimmt hiermit die in jenem Artikel enthaltenen Beleidigüngen mit dem Ausdrucke des Bedauerns zurück und erklärt, daß oieindemArtikel enthaltenen beleidigenden Angriffe jeder tatsächlichen Grundlage cnt- b ehren. Er widerruft sie daher hiermit in aller Form. 2. Der Privatkläger ist ermächtigt, diesen Vergleich auf Kosten des Privatbeklagten je einmal in der.Münchcner Post", dem Bayrischen Wochenblatt", dem.Bayrischen Kurier", im.Eisen- bahner" und denMünchener Neuesten Nachrichten" in der für amt- liche Bekanntmachungen üblichen Form öffentlich bekannt zu geben. 3. Der Privatbeklagte trägt die bisher entstandenen Kosten." Der Fall wird im Reichstagswahlkainpf nicht vergessen werden. Je gemeiner, roher und lügenhafter jetzt die Zentrumspresse gegen die Sozialdemokratie tobt.umso wichtiger ist dieses ultramontane Selbst- z e u g n i s. Denn das führende Zentrumsblatt Münchens ist nun- mehr geständig: 1. Daß die Zentrumspresse die Gegner brutal, sinnlos und schmutzig verleumdet. 2. Daß dagegen die sozialdemo- kratische Presse nicht nur die Gesetze des Anstandes befolgt, sondern auf den Gegner jede mögliche menschliche Rücksicht nimmt. 3. Daß Zentruinsführer und Zentrumsgeistliche allen Grund haben, es mit allen Mitteln zu vermeiden, daß sie unter dem Gerichtseid über die Moral eines sozialdemo- kratischen Blattes aussagen müssen! Selbst mit dem Mittel. daß sie das eigene Parteiblatt zum moralischen Selbst- mord zwingen!_ Die Zarenschmach in Teutschland. Am lt. d. MtS. findet vor dem Ehrengericht der Anwalts- kammer für die Provinz Brandenburg die Verhandlung gegen den Genossen Dr. Karl Liebknecht statt, die vom ersten Zivilsenat des Kammergericht« angeordnet worden ist. Die Vorgeschichte dieses Falle? ist bekannt. Im Okiober vorigen Jahres wandte sich der Rechtsanwalt Schwabe in Berlin an den Jiistizmiiiister mit dem Antrage, gegen Liebknecht wegen seines Auftretens auf dem Magdc- burger Parteilage einzuschreiten. Der Justizminister gab' dem An- trage des Denunzianten sofort bereitwillig statt und setzte den be- hördlichen Apparat in Bewegung, um Liebknecht wegen seines flam- Menden Protestes gegen die Zarenschmach an den Kragen zu gehen. Im Verlauf von einigen Monaten wurde auf Veranlassung des Justizministers in den entsprechenden Instanzen die Fwge erwogen, od man gegen den Gcnosien Liebknecht ehrengerichtlich oder Ürofrechtlich vorgehen könne. Der OberreichSanwalt wieder Oberstaatsanwalt in Naumburg und der Erste Staatsanwalt in Magdeburg fanden kein« gesetzliche Handhabe für die strafrechtliche Verfolgung unseres Genossen und entschieden deshalb diese Frage in verneinendem Sinne. Daraufhin richtete der Ober- staaiSanwalt am Kammcrgericht an den Vorstand der AnwallSkammer in Berlin den Antrag, ein ehrengerichtliches Verfahren gegen Lieb- knecht einzuleiten. Dieser Antrag wurde von den SlandeSgenossen Liebknechts abgelehnt. Auf Beschwerde des Oberstaatsanwalts erfolgte am 27. Februar d. I. der Beschluß de« KammergerichlS, der über den ursprünglichen Antrag weit hinausging und unter Abstand- nahiiie von tjnet Voruntersuchung sofort da« Hauptverfohren er- öffiiete. E r st dann also fast ein balbeS Jahr nach seiner Magdeburger Rede erfuhr Geiwsse Liebknecht von dieser ganzen gegen ihn gerichteten Staaisaktion. Bis zu dem Moment der Zu. swlluiig de� KaiumergerichlSbeichlusicS hatte er keine Ahnung, daß ein hochnotpeinliches Verfahren gegen ihn im Gange war. Diese Angelegenheit brichästigte daraufhin auch das preußische «bgeorduetenbauS Die sozialdemokraii'che Fiottlon hatte gegen den Wunsch von Liebknechl aus prinzipiellen Gründen den Amrog-'»gebrach,, daß daS Verfahren gegen unseren Genoffcn ein- gestellt werde. Dieser Antrag., der der bisher geübten Prt�i« dlirwauS enliprach, und dem bisher sietS anstandslos eiitfprochen worden war, wurde aber von der Geschä'tSordnungSkv,i,n,issi»n a b- gelehnt. Indessen konnte dieser Beschluß, der als Ansfinß niederer pol i»scher Nachsucht der ichwarzblauen Majorität de« Ab- geordnetenhouses angesehen werden muß. im Plenum nicht ausrecht erhallen werden, da das Zentrum im letzte» Augenblick umfiel. ES wurde infolgedessen ntt, kleiner Majorität der Antrag an- genommen, daß das-brengerichilichc Verjähren während der Dauer der Session eingestellt werde. Die sür den lt. d. M. angesetzte Verhandlung bietet dem Ge- nassen Liebknecht endlich Gelegenheit, mit dem Vertreter der An- llagebehörde>" dieser Frage die Klinge zu kreuzen. Diese Aus- einandemyung tst für die OeffeMlichkeit durchaus erwünscht. Gibt sie ihr doch wieder einmal Gelegenheit, sich eingehender mit den fürchterlichen Zuständen in, Zarenreiche und der Person des Blut- zaren zu beichältigen, dessen fluchwürdiges Treiben mehr denn je den Abicheu der gesamten Kulturwclt erweckt und den allgemeinen Prolest gegen seine Henkerregierung herausfordert. Das böse Gewissen. Von parlamentarischer Seite gehen der.Post' aller- liebste Indiskretionen über die Motive zu, die die Regierung wid die regierenden Junker veranlaßt haben, trotz einer Fülle wichtiger Beratungsgegenstände auch diesmal wieder den Land» tag verspätet, nämlich erst nach Reujahr einzuberufen. Der Parlamentarier schreibt derPost": Das Staatsministerium scheint nun doch beschlossen zu haben, den Landtag erst nach Neujahr einzuberufen. Für diese Entschließung ist offenbar sie Rücksicht auf die bevor- stehenden Reichstagswahlen maßgebend gewesen. Man besorgt wohl, daß die Verhandlungen deS Abgeord- iietenhauses seitens der Opposition, besonders seitens der Sozialdemokraten, zu Wahlagitationen mißbraucht werden. Wenn, Ivie glaubwürdig verlautet, der Beschlutz des StaatSministerillms sich mit den Wünschen der Konser- vativen deckt, so sind dafür zweifellos auch äh nliche Beweggründe bestimmend gewesen. Man wird aber befürchten müssen, daß durch den Verzicht auf eine Herbst- session in noch höherem Maße das herbeigeführt wird, was man gerade damit vermeiden wollte, denn' es ist geradezu mit Sicherheit anzunehmen, daß die oppositionellen Parteien aus der Richteinberufung des Landtages im Herbste den Schluß ziehen werden, daß die gesetzgeberischen Absichten der Regierung derartig bedenklich seien, daß man damit vor den Wahlen nicht an die Oeffentlichkeit zu treten wage." Die Befürchtung, daß die Verhandlungen des Landtages der Sozialdemokratie den dankbarsten Agitationsstoff geliefert haben würden, ist sicherlich nicht unbegründet gewesen. Ebenso recht sreilich müssen wir derPost" darin geben, daß auch die Nicht- einberufung deS Landtages der Sozialdemolratie dankenswerte Ge- legenheit zur Geißelung der volksfeindlichen borussischen Politik bieten wird!_ Rivalitätsstreitigkeiten im bayerischen Zentrum» In der bayerischen Landtagsfraktion des Zentrum? gab eS in den letzten Tagen allerlei Kämpfe hinter den Kulissen. ES handelte sich um die Wahl des Fraktionsvorsitzendcn nach dem Tode Dallers. Mit der konservativen Richtung rang die von Heim ge- führte bäuerliche Gruppe. Heim unterlag. Zum Fraktions- Vorsitzenden wurde der Landgerichtspräsident L e r n.o gewählt, ein schwarzer Reaktionär, der seine politische Laufbahn als Demokrat und Redakteur an einem demokratischen Blatt begonnen hat. Unpraktische Wissenschaft." In der Tagung des Vereins für Sozialpolitik, die Montag in Nürnberg begann, gab Professor S ch m o l ler in seiner EröffnungS- rede über die politische Befähigung der bürgerlichen Professoren ein recht skeptisches Urteil ab. Er sagte: Wir sind weder ein lediglich wissenschaftlicher Verein, noch ein Verein für praktische Politik. Wir stehen aui der Schwelle, die die Wissenschast init praktischer Betätigliiig vereint. Wir dürfen aber dabei die sittlichen und ethischen Werturteile nicht ausschalten: denn damit würde der Verein seine Bedeutung per- lieren. Ich glaube, daß die ganze Zusammensotzuiig unseres Vereins mehr befähigt für wissenschastliche Untersuchungen; praltische Polit ick treiben können Wissenschaft- liche Kreise nicht; denn wo zwei Professoren zusammenkommen, da gibt es ja bekanntlich drei bis vier Meinungen. Um praktische Politil wirksam zu betreiben, müßten wir viel einseitiger sein. Wir dürfen daher unsere Tore nicht so weit öffnen wie bisher. Wir sind und bleiben also in erster Reihe vorwiegend eine akademische Publikationsgesellschaft." Diese Resignalion der akademischen Sozialpolstiker ist recht be- zeichnend. Im Grunde genommen kann es gar keine schärfere Bankrotterklärung der bürgerlichen Sozial- Wissenschaft geben, als das Geständnis, daß ihre Träger zu praktischer Politil, also zur Uebertragung der Theorie in die Praxis unfähig sind. Und es ist nicht nur die spezifisch politische Feigheit und Charalterlosigkeit preußischer Professoren, die an eine wirkliche Freiheit der Wissenschaft ja nicht mal zu denken wagen, die sie nach dem Geständnis Schmollers zur Politik unfähig macht. ES liegt viel mehr noch an der M e t h o d e der bürgerlichen sozial- wissenschaftlichen Forschung. Die Herren lehnen den Marxismus aus Furcht vor den Konsequenzen von vornherein ab; damit per- sperren sie sich aber zugleich die einzige Methode, die auf die Auf- zeigung strenger kausaler Gesetzmäßigleit in der Geiellschaftswisten- schafl gerichtet ist. Sie ziehen eS vor, trotz ihrerpraktischen Un- fähigkest' ethische, subjektive Regeln für das ihnen richtig scheinende Verhalten der Parteien und Klassen aufzustellen. Und wieder hat Schmoller den Erfolg richtig charakterisiert, wenn er sagt, wo zwei Professoren zusammenlomnien, da gibt eS drei bis vier Meinungen. Diese gänzliche Zeriahrenheit der bürgerlichen Sozialwissenschaft wird freilich ihre hochmiiligen Vertreter nicht davon abhalten, den wisseuschasllichen Sozialismus vom hohen Roß herab in Grund und Boden zu kritisieren._ ES war nicht bös gemeint. AuS Stuttgart wird uns geschrieben: Konrad Haußmann, der voltsparteiliche Reichstags- und Landtagsabgeordnete aus Schwaben , hat, wie berichtet, letzter Tage in einer öffentlichen Versammlung in Stutlgart der Sozialdemo- kratie Krieg angesagt. Bei den kommenden Wühlen werde die Volkspartei ihre ganze Stoßkraft soweit sie über solche verfüge, setzte Herr Haußmann vorsichtig hinzu gegen die Sozialdemo- kratie richten, des Prinzips wegen. Die Antwort des .Vorwärts" auf diesen KricgSnis hat der Vollspartei nicht ge- fallen. Der Chef der Partei. Kammerpräsident v. P a y e r. sucht einzulenken. In einer Versammlung in Mössingen und neuerdings auch in Hellbronn, versicherte er, sein Freund Konrad Hauß- mann habe das nicht so bös gemeint.Daß die Sozialdemokratie neben dem Ziel der Niederwerfung des schwarz-blauen Blocks noch da» andere Ziel der Stimmenzählung verfolgt, ist gerade in diesem Wohlkampf zu bedauern, und die Acußerungen' Hauß- mann« in Stuttgart sind nicht, wie derVorwärts" sagt, eine Kriegsansage. sondern lediglich die Konsequenz der sozialdemokra- tischen Haltung." So Poyer in Heilbronn . Der naive Beschwichtigungsversuch PayerS wird verständlich angesichls der politischen Situation der Vollspartei in Württemberg . Hcilbronn, wo Pnh-r sprach, per- danlt die Volkspartei der sozialdemokratischen Stichwahlhilfe. Durch eigene Kraft hätte die Volkspartei Naumann nicht in den Reichs- tag gebracht. Im volksparteilichen Reichstagswahlkrcis Calw- Herrenberg stehen den 7834 volksparteilichen Stimmen 7386 Jen» trumSstimmen und 3439 sozialdemokratische gegenüber, in Freuden- stadt wurden in der Hauptwahl 1337 gezählt: Volkspartei 8536, Zentrum 6455. Sozialdemokratie 4234. In Balingen , dem Reichstagswahlkreis K. Haußmanns, hat es die Sozialdemokratie in der Hand, den großen Sozialistentöter zu werfen. Schon 4337 hatte Haußmann durch seine ebenso anmaßende wie treulose Politik die Genossen derart erbittert, daß der Beschluß gefaßt wurde, Hauß- mann zu werfen und den Zentrumsmann zu wählen. Von einer energischen Durchführung dieses Beschlusses ist jedoch abgesehen worden. Man glaubte,-die Warnung an die Adresse Haußmanns werde ihn ernüchtern. Auch im 44. Wahlkreis(Ulm ) wird die Sozialdemokratie ein sehr ernstes Wort mitreden. Bei den Landtagswahlen im nächsten Jahre steht es für die Volkspartei noch ungünstiger. 4336 wurde ein Wahl- abkommen sür den zweiten Wahlgang zwischen Sozialdemolratie und Volksparlei vereinbark, bei dem die Sozialdemokratie den größten Teil der Kosten übernahm und der Volkspartei den Löwen- anteil an Mandaten überließ. Bemerkt mag werden, daß im zweiten Wahlgang alle Kandidaten wieder aufgestellt werden können, die relative Stimmenmehrheit entscheidet, während im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit aller abgegebenen Stimmen erforderlich ist. Nach diesem Uebereinkommen zog die Volkspartei ihre Kandidaten in fünf Wahlkreisen zurück; die Sozialdemokratie hingegen zog ihre Kandidaten zugunsten der Volkspartei in fünfzehn Wahlkreisen zurück. Die Sozial- demokratie erlangte drei Mandate, die Volkspartei verdankt dieser recht uneigennützigen Wahlhilfe der Sozialdemokratie acht Landtagssitze. Ohne diese Hilfe wäre die Vollspartei zu einem Häuflein zusammengeschmolzen. Kaum aber war die Landtag?- wähl vorbei, kaum hatte die Vollspartei ihre Mandate in Sicher- heit gebracht, als sie auch schon mit den Nationalliberalen an- bändelte und ein Wahlabkommen zur Reichstags wahlgegen die Sozialdemokratie schloß. Der Hottentottenrummel wurde von der Volkspartei weidlich gegen uns ausgenützt. Die Folge war, daß die Sozialdemokratie von ihren vier Reichstags- sitzen drei einbüßte und nur einen Stuttgart be­hauptete. Diesmal ist die parteipolitische Lage wesentlich anders. Die Zeiten sind vorbei, da die Volkspartei für sozialdemokratische Wahl- Hilfe mit Fußtritten danken konnte. Herr v. Payer scheint das begriffen zu haben, Herr Konrad Haußmann noch nicht. Oeftemneb. Die Teucrnngsdebatte. Wien , 13. Oktober. Abgeordnetenhaus. Bei der heute fort- gesetzten Beratung der Tcuerunasanträge wies Ministerpräsident Baron G a u t s ch die von dem sozialdemokratischen Abgeordneten Dr. Adler bei der Besprechung des Tripoliskonfliktes gegen eine besteundete Macht erhobenenAnwürfe" um so nach- drücklicher zurück, als sie auch einen Oesterreich-Ungarn Verbündeten Slaat betrafen. Ferner wies der Ministerpräsident ganz entschieden den der Regierung gemachten Vorwurf der Untätigkeit in der Teuerungssrage zurück. Die Verhandlungen mit Ungarn hinsichtlich der Fleischfrage würden fortgesetzt, lieber daS Ergebnis dieser Ver­handlungen möge daS Haus sein Urteil fällen, dem er sich dann gewiß beugen werde. Am Schlüsse seiner Rede erklärteder Minister- Präsident, das Teuerungöproblem könne nur unter Berücksichtigung der Interessen aller produzierenden Stände durch Zusammenwirken der Regierung, des Parlaments, der Länder und der Gemeinden gelöst werden._ Der Etat. Im Abgeordnetenhause wurde der Staatsboranschlag ein- gebracht. Das Erfordernis beträgt 2 346 633 333 Kronen. Es wird ein Ueberschuß von 333 333 Kronen heranSgerechnet. Die Ausgaben sind gegen das Vorjahr um 38 Millionen erhöht, zum größten Teil für Swulen. zur 4lnleistützung der großenteils bankrotten Provinz- Verwaltungen, zur Einführung der automatischen Borrückung der Eisenbahner(Angst vor der passiven Resistenz!) und zur Erhöhung der Allivitätszulagen der Staatsbeamten. Wenn der Beitrag zu den mit Ungarn gemeinsamen Angelegenheiten(Heer und Flotte) um 43 Millionen geringer eingestellt ist, so ist daS nur Blendwerk, denn die Delegationen müssen wieder lieue 63 Millionen nach dem Rüstungsprogramm bewilligen. Die Ausgaben für die Landwehr, die in Oesterreich bekanntlich eine ständige aktive Formation ist. sind bereits erhöht. Der Ausgleich im Etat ist nur durch neuen Hundertmillioneiipump möglich. Für Schuldenzahliing, Militär und Eiseiibahnaufivcndllngen ergibt sich denn auch ein Mehrbedarf von 473 Millionen für die nächsten zwei Jahre. Ueber die neuen Steuern kann jetzt genaueres berichtet werden. Die Einkommensteuer wird von 13 333 Kronen Jahres- einkommen an erhöhl, dem Staat das Recht der B n ch e r« e i ii s i ch t gewährt, die Gebühren für Versicherungen werden ver- teuert, die Tantiemesteuer desgleichen und schandenhalber verteuert man dein Rennpublikum auch daS Wetten beim Totalisator und den Buchmachern. Für Kteinwohilungsbau wird zwar eine weitere Er« Mäßigung der Steuer gewährt, sie beträgt aber inuner noch 17 Prozent(!), dafür wird die Steuerfrciheiisperiode von MietS- Häusern verkürzt. Die Beamten -, Offizier- und Gendarmengchaltserhöhungen sollen nicht eher in Kraft treten als die Steuererhöhinigen und zur Herein- briiigung der Zugeständnisse an die Eisenbahner erhöht man die Tarife> Halbheit auf allen Linien; die österreichische Erbsünde. Eine pikante Interpellation. Im Abgeordnetenhause brachten die sozialdemokratischen Abgeordneten Hillebrand, Schiegl und Genossen an den Mi- nisterpräsidenten folgende Interpellation über die Beteili- gung der Mitglieder des kaiserlichen Hauses an den Kartellen ein: Der Herr Ministerpräsident hat in der Obmännerkonferenz vom 45. September gesagt, daß an derTenerung vor allem die Kartelle und der Zwischenhandel schuld trügen. Leider hat sich der Herr Ministerpräsident mit dieser theoretischen Feststellung begnügt, er hat auS ihr noch keine Praktischen Schlüsse gezogen. Bisher hat die Regierung das Treiben der Kartelle und des Zwischenhandels nicht gestört. Die Volks- Massen sind sehr erstaunt darüber, daß die Worte des Herrn Ministerpräsidenten in so schroffem Widerspruch zu den Taten seiner Regierung stehen. Das Erstaunen der Völker ist um so begreiflicher, da sie beobachten können, daß zwar der Leiter der kaiserlichen Regierung auf die schädlichen Wirkungen der Kartelle hinweist, daß aber gleichzeitig die. Privatdomänen des kaiserlichen Familienfonds und der Mitglieder des kaiser - lichen HauseS an einigen mächtigen. Kfartellen beteiligt find, so insbesondere an dem Zuckerkartcll. dem S p i r i t u s k a r t e l l, an den M i l ch k a r t e l l e n und an dem Eisenkartell. Zwar gehören die kaiserlichen Zuckerfabriken dem Zuckerkartell nicht förmlich an, aber es ist bekannt, daß sie mit dem Zuckerkartell in engsterVer- bindung stehen und seine Preisfeststellungen auch ihrerseits einhalten. Bon den Liebesgaben die der Staat dem Spirituskartell gewährt, bekommen auch die Spiritusbrennereien des Kaisers und der Erzherzoge ihren Teil, was um so erstaunlicher ist, als bekanntlich der Kaiser und die Erzherzoge von-der Personalein kommen st euer befreit sind. An dem Eisen karte ll ist der Erzherzog Friedrich als Haupt- glaubiger und Aktionär der Oesterreichischen Berg- und Hütten- werksgesellschast beteiligt und zur Verteuerung der Milch hat niemand mehr gedrängt als die D o m ä n e n v e r w a l t u n a desselben Erzherzogs. Wir richten daher an den Herrn Ministerpräsidenten die Frage: Welche Konsequenzen gedenkt der Herr Minister- Präsident aus dem Widerspruch zwischen den Ueber- zeugungen der kaiserlichen Regierung und der Praxis des kaiserlichenFamiliensondszu ziehen? Kanada . Das neue Ministerin«. Montreal , 13. Oltober. Sir Fred. Borden hat daS Kabi« nett� gebildet. Monk, der bisherige Führer der konservativeir französischen Kanadier im Unterhause, der das Flottcngesetz von Sir Wilstid Laurier auf das heftigste bekämpfte, hat das Portefeuille der öffentlichm Arbeiten übernommen.