Choler» i» Heere! Oa»»S, S. November. Meldung der Bgenee HavaS.) Ans Malta wird gemeldet, daß fich der Gesundheitszustand in Tripolis zu verschlechtern scheint. Gestern wurden in den Straßen der Stadt ungefähr fünfzig Leichen von durch Cholera»der Hunger verstorbenen Eingeborenen gefunden. Auch in den Palmenpflanzungen befinden fich noch viele Leichname. Uuter den italienischen Soldaten werden täglich etwa vierzig Cholerafälle festgestellt. Türkische Kampfberichte. Paris , S. November. Wie der«Agence HavaS' auZ Konstantinopel gemeldet wird, hat nach einer amtlichen Nachricht ein italienischer Kreuzer im Roten Meer ein t 2 r l i s ch e S Transportschiff in der Nähe von A l a b a beschossen und zum Sinken gebracht. Der größte Teil der Mannschaft wurde gerettet. Der Deputierte R a h m i hat der Kammer w Konstantinopel aus Tripolis ein Telegramm gesandt, das vom 3. d. MtS. datiert ist und die Nachricht enthält, die Türken hätteu am Z. d. M Tripolis angegriffen und die italienische» Stellungen außerhalb der Brfestigungs. werke der Stadt genommen. Nach einer Meldung aus Tripolis vom S. d. M. hat eine östlich der Stadt vor Feschlum aufgestellte türkische Batterie einige Geschosse aus die auf der Reede liegenden Schiffe und in die Stadt geschleudert, während Araber in einer Palmenpflanzung aus dem Hinterhalt auf die Italiener feuerten, die unter dem Schutz der Schiffsgeschütze einen kräftigen Gegenstoß führten. Die italienische Darstellung.. Tripolis , 6. November. (Meldung der.Agencia Stefani.) Die italienische Artillerie fügte der feindlichen Artillerie und Infanterie vorgestern ernstliche Verluste zu. Die Türken haben sicherlich Kenntnis von der Ankunft der italienischen Verstärkungen. Ihre Offiziere erkennen, daß die italienischen Stellungen gegenwärtig uneinnehmbar sind. Die Türken müssen die Araber ernähren, um wenigstens zu versuchen, sie zusammen bei sich zu halten. Die Schwierigleit der Lage offenbart sich in Taten offenen Aufruhrs gegen die Türken. Vorgestern plünderte eine Gruppe von Arabern eine kleine Karawane mit Lebens- Mitteln, die für die Türken bestimm» war. Diese versuchten, sie in ihren Besitz zu bringen und die Plünderer zu bestrafen, aber die Araber septen sich mit den Waffen zur Wehr, und die Türken sahen sich gezwungen, einzulenken. Die Kapitäne Moizo und Piazza haben vorgestern Erkundungsflüge unternommen Moizo gelangte bis über Ainzara hinaus und warf zwei Bomben in ein feindliches Lager. Er fand, daß sich die Streitkräfte de» Feindes stark ver- mindert hätten. Auch Piazza konnte mit Erfolg zwei Bomben auf feindliche Abteilungen werfen. Die Flieger fanden. daß sich das Oberkommando der arabisch-türkischen Truppen in Suk el Giama befindet.— General B r i c c o l a meldete aus B e n g h a f i. daß er den Platz und die anderen von seiner Division besetzten Orte zur Ver- teidigung eingerichtet habe. Infolge der letzten steinen Gefechte haben sich die vor unseren vorgeschobenen Posten umher- streitende» Marodeure der Beduinen zurückgezogen, und die italieni- schen Truppen beherrschen jetzt das Gelände bis zum Fluß des BarkaplateauS._ Die Revolution In China . Die Nachgiebigkeit des Thrones. Peking , 5. November. Der Thron hat die National- Versammlung aufgefordert, ein Wahlgesetz für das Par- lament zu verfassen und die Wahlen vorzunehmen. Der Thron willigte auch ein,. die von den Revolutionären gebildete politische Partei anzuerkennen. Die revoliitionäre Flotte. Schanghai , 6. November. Drei kaiserliche Kanonen- boote von der Flotte des AdmiralS Sah liefen gestern in den hiesigen Hafen ein, um Lebensmittel und Munition an Bord zu nehmen. Heute früh gingen sie zu den Rebellen über. AIS die Flagge der Rebellen hochging, sah man, wie die Mannschaften der Schiffe Freudentänze aufführten und ein- ander die Hände schüttelten. Die Ordnung in Schanghai wurde bisher nicht gestört. Im Arsenal werden SSaffen und Munition unter die Rclrulcn der Aufständischen verteilt, die allen Schichten der Bevölkerung, besonders aber studentischen und Handelskreisen angehören. ES sind wahreKnaben unter ihnen, die meisten wissen mit Feuerwaffen überhaupt nicht umzugchen. Die Straßen, in denen die Menge sich in fröhlichster Stimmung bewegt, bieten mehr das Bild eine? öffentlichen Feiertags, als das einer Revolution. Die Fremden werden höflich gegrüßt. Ein Fort bei Wusung ist zu den Rebellen ubergcgange»; hjx Besatzung eines anderen Forts ist noch un- schlussig. Erfolge der Revolution. Schangbai, g. November. Die Umgebung von Schanghai , Wusung, Hangtschou und S u n g k t a n g ist in den H ä n- chen der Revolutionäre. Sutschou ist. zu ihnen über- gegangen. Di« Aufständischen erließen Prostamationen. durch die die Likinzölle aufgehoben werden und nur die Seezölle auf- rechterhalten bleiben. AuanschikaiS Weigerung. Peking , 6. November. Duanfchikai weigert sich noch immer, das Amt eine» Premierministers anzunehmen. Die Regierung unterhandelt mit einer internationalen Gruppe wegen einer Anleihe. Tie Frage der Sicherheit erzeugt hierbei Schwierigkeilen. Ein deutscher Kreuzer in Schanghai . Berlin , 6. November. Der große Kreuzer Gneilenau hat den Befehl erholten, nach Wusing-Reede zu gehen zur Wahrung der deutschen Interessen in Schanghai . Seine Ankurft ist dort am 8. d. M. zu erwarten Er wird in Nanking durch das Kanonenboot Tiger ersetzt, so daß die funkentelegraphlsche Ver- bindung Hankau— Kiautschou gesichert bleibt. ZentrumshalhuIatloneD. Man weiß, daß das Zentrum allen Maßnahmen, die das Wahl- recht der breiten Masse des Volkes mehren können, abgeneigt ist. Es widersetzt sich der Wahlrcform in Preußen mit einer Harmackigkeit. die sich von der der Konservativen nur dadurch unterscheidet, daß zu ihr die Unehrlichkeit kommt. ES will auch nicht«iiimal von einer gc- rechten und einigermaßen glcichinSßlgcn Abgrenzung der Wahlkreis« etwa« wissen. Natürlich geschieht das nicht a»S Parteiintercsie— wer könnte so schnöde von dem Zentrum denken, dem Wahr- heit und Recht über alle« geht und das auch bei seiner Haltung in der Frage der WahlkreiSeinteilung einzig und allein Gründe der Gerechtigkeit und de» Allgemeinwohl» walten läßt. Neben der bloßen Kopfzahl— so lesen wir in der.Kölnischen Volks«' zeitung'— müssen auch die örtlichen Verhältnisse Einfluß auf die Zusammensetzung der Volksvertretung ausüben, denn ein Staat ist nicht bloß eine Anhäufung von Menschen, sondern besteht auch aus Grund und Boden, und seine Bedeutung wird durch Einwohnerzahl und Flächenraum bestimmt. Darauf folgt eine lange Aufzählung alles dessen, was die Stadt olles dem Lande und seiner Bevölkerung verdankt— als ob die ländliche Bevölkerung der Industrie und den Städten nicht ebenso viel verdankte I Immerhin ist das rheinische ZentrumSblalt so gnädig, den Großstädten und den Jndustriebezirken zuzugestehen, daß sie ihrer Bedeutung entsprechend nicht mehr im Reichstage zur Geltung kommen. Und um hier Wandel zu schaffen, rückt daS Blatt mit folgendem sauberen Plänchen heraus: Will man der Frage der Teilung der großen Wahlkreise nähertreten, so muß man vor allem darauf sehen, daß die G e- samtinteressen dieser Kreise eine angemessene Vettretung finden. In den Städten und Industriezentren gehen die Interessen weit auseinander, durch eine Teilung der Wahlkreise würde ihnen aber keine entsprechende Vertretung gesichert. Gewiß könnte eine geschickte WahlkreiSgeometrie den Lide- ralen das eine oder andere Mandat in die Hände spielen, in der Hauptsache aber würden die Sozialdemokraten den Vorteil haben. Große Minderheiten würden dabei leer ausgehen. Schon 1807 erhielten in den vier Riesenwahl« kreisen des rheinisch-westfälischen Industriegebietes die Sozialdemokraten l3S OOv Stimmen und drei Mandate, das Zentrum lLSvvü Stimmen und ein Mandat, die Nationalliberalen 120 000 Stimmen, aber kein Mandat. Da drängt sich unwillkürlich der Gedanke der Ver- hältniswahl auf. Das Gros der Wahlkreise ist räumlich ausgedehnt genug. Eine Zusammenlegung, um Wahlkreise mit mehreren Mandaten zu gewinnen und so die Einführung der Berbältniswahl zu ermöglichen, wäre kaum Wünschens- wert. ES würde nur das Band zwischen dem Kreise und seinem Abgeordneten lockern. Anders steht es bei den Riesenwahllreisen, die an und für sich eine Einheit bilden. Hier würde jede Teilung etwas Willkürliches haben. Will man ihnen daher eine stärkere Vertretung geben, so wäre eS gewiß ernster Erwägung wert, ob man nicht für diese Kreise die Ver- hältniswahl einführen will. Städte wie Berlin , München . Ham« bürg, die jetzt in mehre Wahlkreise eingeteilt sind, würde man dann allerdings wohl am besten als Einheit nehmen.' Auf d»ese Weise will das Zentrum die.Gesamtinteressen' der Riesenwahlkreise wahren I Wie uneigennützig und selbst- loSl In Wirklichkeit»st da» Ganze eine der Jesuitereien wie man sie beim Zentrum gewohnt ist. Die kleineren und mittleren Wahlkreise bleiben unberührt, das Zentrum, das hier heimisch ist, läßt daran nicht rütteln und läßt sich daS Uebergewicht. daS es durch sie hat, nicht nehmen. Aber die Riesenwahlkreise, wo«S mehr und mehr durch die Sozialdemokratie verdrängt worden ist und immer weiter verdrängt wird, da kann eS bei der Verhältniswahl, wo seine Minoritäten i»S Gewicht fallen, nur gewinnen. Darum: im„Ge- samtinteresse'. b. h. im ZentrumSinleresse her mit der Verhälrntswahl in den Riesenwahlkreisen I In den vier Wahlkreisen deS In- dustriebezirks, wo da» Zentrum jetzt nur einen und von lSl2 vielleicht gar keinen Abgeordneten mehr hat, würde eS, wenn dieser Bezirk neun Abgeordnete erhielte, unter der Verhältniswahl drei Mandate einheimsen. Und wenn man Köln -Stadt und Köln - Land zusammenlegte und für den so gewonnenen Bezirk, der dann 000 000 Eniwohiier zählte, drei Abgeordnete bewilligte, könnte das Zentrum bei der VerhälliiiSwahi darauf rechnen, wenigsten» einen Sitz für seinen geliebten Trimborn zu retten, während unter den jetzigen Umständen die beiden Kölner Kreise wohl bald der Sozialdemokiatie anheimfallen und Karl Trimborn sich ouS Köln in einen EifelwahlkreiS flüchten muß! Man sieht. daS Zentrum hat feine Gründe, wenn e» für die Großstädte und die Jndustriebezirke eine Vermehrung der Sbgeord- nelen und die Verhältniswahl fordert. Zur cebensmitteltenernng. Ein Erfolg sozialdemokratischer Kritik. Im Stadtvcrordnelenkollegium zu Leipzig wurde kürzlich die sozialdemokratische Interpellation über die herrschende Teuerung verhandelt. Die bürgerliche Mehr« heit— die gerade vom Richtfest des Völkerschlachtdenlmals kam, also in bester»patriotischer' Stimmung' war— und auch der Rat wollten durchaus nicht anerkennen, daß ein Notstand existiere. So lehnte denn die bürg�liche Mehrheit die sozialdemokratischen An- träge ab, die an den Rat das dringende Ersuchen richteten,.bei der Lande»- und Reichsregierung unverzüglich Schritte dahin zu unteritehmen, a) daß die NahrungSmittelzölleauf» gehoben, d) die Grenzsperre für die Einfuhr von Vieh und Fleisch beseitigt und o) daS System der Getreideeinfuhr- icheine abgeschassl werde.' Ferner»daß kommunale Ein» r i ch t u n g e n getroffen werden, durch die unserer Bevölkerung mög- lichst billig« Nahrungsmittel verniitielt werden.' Natürlich geißelten unsere Genoffen das Verhalten der Bürger- lichen und de» Rate» in scharfer Weise. Dem Oberbürgermeister Dr. Dittrich stieß die sozialdemokratische Kritik bitter auf. Er klagte über.frevelhafte Art', in der.eine gewisse Preffe'(die .Leipziger Volks Zeitung') die Haltung de» Rate» kritisiere. Natür- lich vienle den klagende» Herren Genoffe Seger al» Redakteur dieser .gewissen Presse' in gebührender Weise. Diese.frevelhafte' sozialdemokratische Kritik hat aber doch der« artig in der Oeffentlichkeit gewirkt, daß sich der Ra» nunmehr ver- anlaßt sieht, zum mindesten für.seine' Arbeiter etwa» zu.sorgen'. Er unterbreitet nämlich dem Stadlverordnetenkolleg,um eine Vorlage um Gewährung von Beihilfen an«inen Teil der städtischen Beamten, Arbeiter. Pensionäre usw. Der Rat schreibt zur Begründung seiner Vorlage: Nachdem in der letzten Zeil verschiedene LebenSbedürf« nisse gestiegen lind, steht zu befürchten, daß namentiich kinderreiche Familien während de« bevorstehen- den Winters, n bedrängt« Verhältnisse geraten könne». Der Rai hält«S deshalb neben den vom Ooerbürger- meister Dr Dittrich in der StaStverordnetensitzung vom 18. Oklover in Aussicht' gestellten Maßnahmen für angezeigt, die erwähnten Beihilfen zu gewähren. Da» ist da» glatte Eingeständnis, daß die sozialdemokratischen Vertreter mit ihrer Kritik im Rechte waren. Doch darf da» natür« lich ein hochwohllöblicher Rat nicht«ingestehen.— Dies« Beihilfe soll cine einmalige sein und nach de» Beschlüssen de» Rate» gewährt werden den verheirateten oder verwitweten städtischen Beamten. Angestellten. Hilfsarbeitern und Arbeitern— und zwar auch den weiblichen, die die Ernährer ihrer Familien sind—. soweit sie. auS- schließlich etwaig» dienstlicher Nebenbezüge, wie ZShlgeld. Be- lleidungSgelv, Ueberftundenenlschädigung und dergleichen, ein jährlich feste» oder durchfldnirlliche» Diensteinlommen von nicht n»ehr al« lsoo m. beziehen ,- ferner den im Siuhestande stebenden verheirateten oder verwitweten ehemaligen städtischen Beamten, die nicht mehr ql» 1000 M. Pension beziehen, und den Witwen ehemaliger städtischer Beamten, die nicht mehr al» 000 M. Pension beziehen; schließlich den in» Ruhestände stehenden verheirateten oder verwitweten ehe« maligen städtischen Arbeitern und den Witwen ehemaliger städtischer Arbeiter. Die einmalige Bethilfe soll bei einem Kinde unter tv Jahren 40 M., bei 2 oder 3 Kindern unter 10 Jahren SO M. und bei mehr als 3 Kindern unter 10 Jahren 00 M. betragen, und zur Hälfte sofort nach Erteilung der Zustimmung der Stadtverordneten und zur anderen Hälfte am IS. Januar 1912 ausgezahlt werden. Der Rat will sich dabei vorbehalten, bei besonder» kinderreichen Familien noch über 60 M. hinauszugehen. Der durch die Gewährung dieser Beihilfen entstehende«uswand läßt sich nach der Meinung deS RateS nur schwer schätzen, doch hofft er mit 210000 Mark auszukommen. Erfordert iedoch, um in besonderen Fällen etwas höher gehen zu können, ein Berechnung»- geld von 2V0 000 Mark. Mit dieser.Sorge' des Rate» um.seine' Arbeiter ist natür- sich der übergroßen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung Leipzig » noch nicht geholfen. Gerade sie trifft ja die nunmehr auch vom Rat anerkannte Not ganz besonder», als sie außer der Not der Teuerung auch noch die doppelt schwere Rot der Arbeit»« losi gleit trifft, von der ja die städtischen Arbeiter und vor allen Dingen die Beamten — verschont sind. Darum hat der Rat seiner Vorlage noch ein soziale» Mäntelchen umgehängt, indem er für die Speisung der Kinder in den Schulen, für die Errichtung zweier neuen Speiseanstalten und für die Unterstützung sämtlicher bestehenden Speise- anst alten Mntel verlangt. Wie.durchgreifend' diese.Hirse' gedacht ist, geht aus dem RalSschreiben hervor, in dem e» heißt, daß für die Speisung armer bedürftiger Kinder in den Schulen während des kommenden Winters ein Berechnung»- geld in Höhe von 30 000 Mark, und für die Errichtung zweier neuen Speiseanstalten sowie zur Unterstützung samt« sicher Speiseanstalten.bei einem etwaigen Fehlbetrage' ein Berechnungsgeld von 40 000 M. gefordert wird. Daß diese 70 000 M. bei einer Bevölkerung von über einer halben Million Menschen nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein können, weiß natürlich auch der Rat der Stadt Leipzig . Den Brotwucherern und LebenSmitlelverteurern jedoch direkt zu Leibe zu gehen, verbietet ihm sein und seiner Klaffengenossen JnteressenegoiSmuS. Da ist schon vor- teilhafter, au» dem in letzter Linie doch nur von der arbeitenden Be» völkerung gefüllten Stadtsäckel Mittel für loziale Kuren zu entnehmen, und sei es auch nur, um dem JndifferentiSmuS auf» neue die Auge» zu trüben._ Politische dcbcrlicht. Berlin , den 6. November 1911. Jungliberale Phraseure. In unserer Montags-Cxtraausgabe haben wir bereits unter dem Titel..Jungliberale Halbheit" den kuriosen rheto- rischen Eiertanz gekennzeichnet, in dem sich auf dem am Sonn- abend in Karlsruhe abgehaltenen Jungliberalen Parteitags der Rechtsanwalt Dr. Kauffmann-Stuttgart als Bericht- erstatter des jungliberalen Vorstandes produzierte. Wie Herr Kauffmann sich bei der Erörterung des Ausbaues der heutigen Rcichsverfassung und der Kolonialfragen als geübter Phrasen» jongleur erwies, so auch in seinen Ausführitngen über die von den Nationalliberalen bei der nächsten Reichstagswahl zu be- folgende Taktik. So meinte er zum Beispiel: .Unser Ziel muß sein, eine ausschlaggebende Stellung des Liberalismus im neuen Reichstag zu erkämpfen. Es ist ganz richtig, daß die Liberalen durch ein prinzipielles Zusammengehen mit der Sozialdemokratie die Konservativen und das Zentrum in ihrem Mandatsbestand sehr erheblich schwächen könnten, aber ebenso sicher ist, daß der Mandatsgewinn dabei mindestens im gleichen Umfang der Sozialdemokratie wie dem Liberalismus zugute kommen würde. Aber was wäre die Folge davon? Werden die Kon- servativen auf SO Mandate heruntergebracht— und da» liegt durchaus im Bereich der Möglichkeit—, und kommt der Liberalismus auf 140 und mehr Mandate, so ergibt eine ein» fache Berechnung, daß die Regierung zu jeder Ge- setzesvorlage die Mithilfe des Zentrum» brauchte, so daß also die Folge der ganzen Großklockpolitik keine andere wäre als eine verstärkte Machtstellung deS�Zentrum» im Reichstage. Der Liberalismus wird also vor den Hauptwahlen den Kampf gegen die So- zialdemokratie mit derselben Entschiedenheit zu führen haben wie den gegen die Reaktion, und er wird sich für die Stich. Wahlen erst festlegen dürfen, wenn der Ausgang der Hauptwahl zu übersehen ist. Der Liberalismus wird, wenn er sich nicht selbst opfern will, weder die eine noch die andere Stichwahlparole vor den Hauptwahlen aus- geben dürfen, und nach den Hauptwahlen wird er sie ausgeben müssen, ohne jede falsche Sentimentalität, lediglich unter dem Gesichtspunkt der Verstärkung seiner eigenen Machtposition. Die nationalliberale Partei wird daher ouch vor einem Stichwahlabkommen mit der Sozialdemokratie nicht zurückschrecken dürfen.' Soweit aus diesen Worten der Jdeengang der junglibe- ralen Herren entnommen werden kann, sollen also oie Libe- ralen die Konservativen nicht so stark schwächen, dah eine nationalliberal-konservative Mehrheit ausgeschlossen wäre. aber gleichzeitig soll auch eine konservativ-klerikale Mehrheit verhindert werden. Wenn es also nicht gelingt, ausschließlich das Zentrum zu dezimieren— und das schaffen die Jung- liberalen nicht—, gibt es ein schwereres Stichwahlexempel, dessen Lösung der jungliberale Gemütömensch dann auch die in der Hauptwahl heftig bekämpfte Sozialdemokratie gnädigst zulassen will. Kluge Leute seiner Art setzen sich jedoch häufig zwischen zwei Stühle. So wird es wohl auch den Liberalen bei den kommenden Wahlen passieren. Charakteristisch ist übrigens, daß bei den Jungliberalen fast noch eine größere Begeisterung für Kotoniälerwerbungen und Kolonialkriege herrscht als bei den Rechtsnationall�e- ralen. Selbst Herr Rebmann, der von den westfälischen Kon» servativ-Liberalen als„Großblock-Vater" verspottete Führer der Nationalliberalen in Baden, machte in Kolonial- schwärmerei. Er sagte u. a.:„Zorn und Scham erfüllt un» über unsere äußere Politik. Zorn, daß kein deutscher Mann in der Regierung ist, der die Waffen, die ihm das deutsche Volk in die Hand gedrückt hat, zu gebrauchen weiß. Fern sei es von uns, einen frivolen Krieg herbeiführen zu wollen. Aber wer das Schwert in der Hand hat und es n i ch t z u g e b r a u ch e n w e i ß.— das muß uns mit Scham erfüllen.(Stürmischer Beifall.) Unsere Parole für die kam- Menden Wahlen fei: vorwärts und aufwärts I(Stürmischer'. minutenlanger Beifall.) Die Jungliberalen' unterschekden sich nur noch von den „Sllfen" durch ihre ftärlere Vorliebe für schöne Phrasen und politische Ausschneiderei._ Lindequist.- Herr v. Lind equ ist soll nach einer Mitteilung«ine» Berliner MitwgSblatteS sich durch die offiziösen Beschimpfungen in seiner persönlichen Ehre verletzt fühlen(was allerdings eine
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