dieses Einschätzungskommisfionsborsitzenden Bereits feit 1892fast regelmäßig beanstandet werde» mußten. Den, tüchtigenOrtSoberhaupi wurde unter anderem ein Fall von offenem Steuer-betrug nachgewiesen, wo er eine Einnahme von 2000 M., die Pachtsumme eines Ackers, nicht mit in seiner Steuereinschätzung angeführthatte. Man kann sich danach ungefähr vorstellen, wie dieser HerrSteuereinschätzungskommisstonsvorsitzende seine agrarischen Kollegen„eingeschätzt" hat. Als Entschuldigung für seine Bergehen führteder Gutsherr schwere Schicksalsschläge an, die er erlitten haben will.Dabei konnte sofort festgestellt werden, daß er 4000 M. im Jahre1905 und 5000 M. im Jahre 1907, seinen beiden schicksalsschwerenJahren, z u r S p a r k a s s e getragen hat, bei der übrigenssein Guthaben in den letzten acht Jahren von 2000 auf 23000 M.gestiegen ist.Das Gericht verurteilte den zuverlässigen Steuereinschätzerschließlich wegen fortgesetzter Steuerhinterziehung zu 4068 M.Geldstrafe._Die finnlose Schärfe des Militärstrafgesetzeserfährt durch folgende, vor dem Oberkriegsgericht des 9. Armee-korps in Altona stattgefundcne Verhandlung eine grelle Beleuch-tung. Am 2. Juli befanden sich einige Soldaten in einer Kantinedes Lockstcdtcr Lagers in feucht-fröhlicher Stimmung. Laut ge?sungene Rcservelieder gemahnten an die baldige Freiheit. Zweiilnieroffiziere begaben sich in das Lokal, um Ruhe zu stiften. Nach-dem sie hinausgegangen waren und draußen vor der Tür standen,wurde ihnen aus der Kantine her ein Bierrest über den Rock ge-gössen. Der Musketier Kuschmirek bezeichnete den Musketier Reversvon der 1. Kompagnie des Infanterieregiments Nr. 31 in Altonaals den Täter. Dieser geriet daraufhin in Haft. Gegen ihn wurdedie Anklage verfügt. Das Divisionsgcricht sprach ihn indes frei,da die Möglichkeit nicht ausgeschlossen sei, daß K. sich irre. DiesesErkenntnis hat der Gerichtsiherr angefochten mit der Begründung,daß R. hätte verurteilt werden müssen. Während der ersten Ver-Handlung hat sich zum Glück die Qualität des Hauptbclastungs-zugen erheblich verschlechtert. Gegen Kuschmirek schwebt nämlicheine Untersuchungssache wegen Diebstahls zum Nachteile einesKameraden. Der Feldwebel des Angeklagten, der den K. wegenseiner Zuverlässigkeit auf die Probe stellte, bekundet außerdem,Kuschmirek habe zuerst mit derselben Bestimmtheit, mit der erspäter R. bezichtete, den Musketier Marquardt als den Täter be-zeichnet. Der Angeklagte bestreitet mit aller Entschiedenheit jeglicheSchuld. Kuschmirek läßt sich durch keine Frage davon abbringen,daß R. der Täter sei. Der Feldwebel des K. bezeichnet diesen alseinen schlechten Soldaten. Trotz alledem hält der Vertreterder Anklage den Schuldbeweis für gelungen. Ein tätlicher An-griff liege auch vor; denn nach der Judikatur des Reichsmilitär-gcrichts sei dieses Verbrechen aus Z 97 M.-St.-G. mit jeder demon-slrativ gegen den Körper des Vorgesetzten gerichteten Handlung ge-geben. Konstruiere man einen minder schweren Fall, so sei eineStrafe von einem Jahre, andernfalls von drei Jahren Ge-f ä n g n i s am Platze. Das seien die gesetzlichen Mindeststrafen.Man bedenke: drei Jahre Gefängnis für einigeTropfen Bier, durch die die Majestät eines Unter-osfiziers verletzt sein soll.Das Oberkriegsgericht gewann nicht die Ueberzeugung,baß der Angeklagte der Täter sei, und sprachihn frei.Langjährige Unterschlagungen im«t. Infanterie-Regiment.Vor dem Kriegsgericht in T h o r n hatten fich 13 Musketiere,Unteroffiziere, Vizefeldwebel und Unterzahlmeister wegen Diebstahls,Unterschlagung, Bestechung, Anstiftung usw. zu verantworten.ES handelt sich um jahrelange schmutzige Geschichten im zweiten"Bataillon des 01. Infanterie» Regiments. Aus dem Menageraumwurden Waren, wie Kaffee, Zucker. Reis, Konserven, Fleisch, Schmalz,Speck, Eier, Butter, Salz, Petroleum, die für den Äüchengebrauchangeliefert waren, beiseite geschafft. Auch Patronenhülsen wurden unter-schlagen. Ein Zeuge Mittelzwey bekundete, daß er mit anderen Sol-daten zu dem Vizefeldwebel Busse, der geheiratet hatte, eine Wagen-ladung von etwa 8 bis 10 Zentner nach dessen Wohnung schaffen mnßte.ES handelte sich um Kartoffeln, Kohlen, einen Hakben Zentner Holz,mehrere Säcke und verschlossene Kisten. Aehnlich sagten verschiedeneandere Zeugen aus.Schließlich legte auch der Angeklagte Musketier Trippler einumfassendes Geständnis ab. Er schaffte im Austrage Franks Kaffee.Zucker, Schmalz. Butter und Fleischkonserven zu dem KantinenwirtGretzinger, der sehr noble Passtonen hatte und als„Oberleutnantin Zivil" kostspielige Reisen machte. Als Trippler auf Urlaub war,wollte ihn Gretzinger brieflich zu falschen Aussagen verleiten. Ersollte den Verdacht auf die unschuldigen Unteroffiziere Skrodzki undDreher lenken, damit Unteroffizier Frank und Sergeant Raguse auffreien Fuß kämen; dafür sollte es einen„Blauen" geben.Gretzinger habe ihn sogar überreden wollen, einen Belastungszeugenzu erschießen IDie Gerichtsverhandlung ergab neben vielen anderen Tatsachen,daß„gewisse Damen" tagelang in der Küche untergebracht und ver-pflegt wurden, und daß dort mehrfach Gelage stattfanden. Gretzingerlieferte allein kurz vor Weihnachten 1910 auf einmal zwei Sack un-gebrannten Perlkaffee, vier bis fünf Sack Salz, 30 bis 40 PfundSpeck und 20 bis 25 Pfund Kakao an den Kaufmann Begdon.Kriegsgerichtsrat Dr. Rehdans als Verttetxr der Anklage führteaus, daß sich die Behörden darüber klar seien, es sei erst ein Teilder Unterschlagungen bekannt. WaS glücklich herausgebracht sei,bilde nur den kleineren Teil von dem, was wirklich verübt wordenist. Verschiedene Zeugen konnten wegen dringenden Verdachts derMittäterschaft nicht vereidigt werden. AuS ihren Bekundungen undden Aussagen der Angeklagten gehe aber hervor, daß noch rechtvieles andere geschehen sei.Die Angeklagten wurden bis auf zwei Sergeanten sämtlich ver-urteilt. Die Strafen liegen zwischen 19 Tagen gelindem Arrestund 1 Jahr« Monaten Gefängnis, außerdem gegen neun An-geklagte auf Degradation oder Versetzung m die zweite Klasse desSoldatenstandeS.Gegen eine Anzahl Zivilpersonen wird»och vor der Straf-kämm« verhandelt werden.__Prügel als militärisches Erziehungsmittel.Seit langer Zeit bilden die Mißhandlungen beim 10. Husaren-rcgiment in Schleswig unausgesetzt den Gegenstand gerichtlicherVerhandlungen. Während der letzten Zeit haben 250 UnterfuchungS-sachen die Kriegsgerichte beschäftigt. Bckanittlich sind die Miß-Handlungen besonders von den Maunschasten der älteren Jahrgangegegen die Rekruten verübt worden. Die dritte Eskadron des Re-giments, in der das Uebel am meisten verbreitet war, hat auf Ver-onlassung der Militärbehörden zu einem anscheinend radikalwirkenden Gegenmittel gegriffen: Man schickte kurzerhand den ganzenRekrutenjahrgang 1909/10 nach Flensburg vor die ErmittclungS-obteilung des dortigen DivisionSgerichtS und ließ jeden Manneinzeln von einem KriegSgerichtSrat vernehmen unter der striktenAuslage, er habe in einem«erfahren gegen„llnbekanitt" dievolle Wahrheit zu sagen und jeden einzelnen Fall der ihm bekanntgewordenen Mißhandlungen zu Protokoll zu geben. Diese Recherchentrugen dem Gefreiten der Reserve Wehde von der S. Eskadron eineAuflage ein. In Gemeinschaft mit einem anderen Gefreiten hatteer den Rekruten PrieS, weil er angeblich sein Zaumzeug nichtgründlich geputzt habe, dafür recht gründlich verprügelt. DasKriegsgericht erkannte wegen dieses Vergehens aus sieben TageMittelarrest.Auf die Berufung des Angeklagten hin verlief auch die Beweis-ausnähme vor dem Oberkriegsgericht des 9. Armeekorps für ihn un-günstig. Der Ankläger bemerkte, es seien äußerst schlechte Zuständebei dem Regiment gewesen. Dem wüsten Treiben der älteren Jahr-gänge müsse mit allen gesetzlichen Mitteln ein Ende gemacht werden.Deshalb sei die Berufung zu verwerten. Das Oberkriegsgerichtlvarf eine Strafe von sieben Tagen gelinden Arrest aus. Milderndkomme in Betracht, daß der Vorgang schon recht weit zurückliege.Außerdem treffe die Strafe den Angeklagten in seinem Zivilberufeschwerer als früher._RdmUchhcitcn.Paris, 10. November.(Eig.«er.) Für die Geheimpolitik istjetzt der internationale Krach gekommen. Die Geheimverträge werdenjetzt sönnlich sackweise herbeigeschleppt und als Makulatur in dieSenkgrube geworfen. Die deutsche Regierung hat den jetzigen Ver-trägen geheime Abmachungen anhängen lassen. Die französischeKammerkommission für auswärtige Angelegenheiten, der der Respektvor der diplomatischen Geheimwissenschaft gründlich vergangen ist,hat die von Herrn de Selves angebotene Aufklärung nur unter derBedingung annehmbar erklärt, daß der Bekanntmachung kein Wider-stand entgegengesetzt werde. Natürlich weiß man schon, WaS in denGeheimabmachungen steht: Die Bestimmung über die Berufung desHaager Schiedsgerichts in Streitfällen, die sich aus den Verträgenergeben und die ausdrückliche Anerkennung des Protektorats inMarokko. Der Artikel über daS Schiedsgericht war schon in einerhalboffiziösen Mitteilung im„Temps" bekannt gemacht.Oeftcmicb.Die politische Demonstratio» des Deutschen Kronprinzenim österreichische« Parlament.Wien, 10. November. Abgeordnetenhaus. Im Ver-laufe der Budgetdebatte kam der tschechische Sozialdemokrat N e m e caus die gestrige Anwesenheit des Deutschen Kronprinzen im Reichs-t a g zu sprechen, die darauf schließe» lasse, daß sich um den Krön-Prinzen eine zum Kriege drängende Kamarilla bilde, und bemerkte:Wir müssen Deutschlands wegen den Heeresstand vermehren und Dread-noughts bauen. Daher gehl eS uns sehr viel an, wenn unsere Ver-bündele» eine Kriegshetze veranstalten. Deutschland unterstütztunsere Politik militärisch, drängt uns aber wirtschaftlich von denBalkanländern ab, schädigt uns also direkt. Der Redner wurdemehrfach von christlich-sozialen und deutschen Abgeordneten, welche aufDeutschlands Bundcshilse beim serbischen Konflitt hinwiesen, unter-brachen. P o l l a u f(Alldeutscher) stellte gegenüber Nemce fest, daßdie Vorgänge am deutschen Kaiserhofe die Sozialdemokraten gar nichtsangingen:„es werde ihnen nicht gelingen, die strahlende Ehre desHohenzollernhauses irgendwie zu beschmutzen".franhmeb.Herv6 verurteilt.Paris, 10. November. Der Chefredakteur Gustave Herveund der Geschäftsführer Auroy der„Guerre sociale", dievor einigen Monaten wegen„Beleidigung der Armee" und„Ver-herrlichung verbrecherischer Taten" verurteilt worden waren undgegen dieses Urteil Einspruch erhoben, hatten, erschienen heute vordem Schwurgericht. Herve wurde zu zwei Jahren Ge-fängnis und 1000 Frank Geldstrafe, Auroy zu sechs Mo-naten Gefängnis und bOO Frank Geldstrafe verurteilt.Der spanische Panthersprung.Paris, 9. November.(Eig. Ber.) Die spanische Regie-r u n g hat einen Kreuzer nach Tanger geschickt. DerVorwand ist nicht ganz so bei den Haaren herbeigezogen wie diefamose Intervention von Agadir— denn in Tanger habenSanitätsmotzregeln wirflich«ine Erregung der Eingeborenen hervor-gerufen und die Vorgänge in Tunis zeigen, welche Gefühle dieeuropäische Raubpolitik bei den, afrikanischen Muselmanen aus-löst— aber ein Vorwcmd bleibt diese Situation gleichwohl. Diespanische Demonstration folgt merkwürdig prompt der Veröffent-lichung des Geheimvertrages, mit der der„Matin" der spanischenRegierung im kritischen Augenblick zu Hilfe gekommen ist. DieWelt kennt nun den„Rcchtsswndpunkt" Spaniens und soll ver-stehen, warum auch die Diplomatie von Madrid mit der Faustphilosophiert. Natürlich kann die spanische Regierung, die nicht ein-mal mit den Riff-Kabylen fertig geworden ist, nicht daran denken,das ihr im Geheimvertrag zugestandene Gebiet in einem Krieg mitFrankreich zu verteidigen. Aber sie kann sich auch nicht ohne Wider-stand mit der Rolle des Düpierten abfinden. Die spanischeMonarchie ist genau in derselben politischen Situation wie dieJungtürken, die für ihre Herrschaft im Innern zu fürchten haben.Allerdings ist sie noch weit weniger fähig, sich zur Wehr zu setzen.Das eine aber vermag sie immerhin, durch ihre Demonstrationjust bor der Beratung des deutschen-französischen Abkommens dieSituation im französischen Parlament zu verwirren und dasMinisterium Caillaux in eine unangenehme Lage zu bringen.Sicherlich wird nur eine weltabgewendcte Ideologie ein ent-rüstetes Bedauern darüber empfinden, daß Caillaux, als sich ihmdie Möglichkeit bot. Marokko zu gewinnen und im Kongo ein Ab-kommen zu finden, das die dort interessierten Kapitalisten nichtschädigt, die geheime Abmachung DelcasseS mit Spanien mit einemFußtritt beseitigte. Mit dem Begriff der„nationalen Ehre", wo-mit man vor den Volksmassen Staat macht, haben die Diplomatenniemals eine Entsagungsmoral rechtfertigen wollen. Machiavelliist nicht der Leichenbitter der feudalen, sondern der Geburtszeugeder modernen Politik. Aber schließlich selbst unter dem Stand-Punkt privatrechtlicher Biedermeierei betrachtet, könnte der Geheim-vertrag— als bedingter Raubpakt— als gegen die guten Sittenverstoßend, für ungültig erklärt werden. Zweifellos ist Spanienbemogelt worden. Die französische Regierung behauptet, der Zugnach Fez sei nicht unternommen worden, weil die Regierung desSultans zu schwach gewesen sei, um die Sicherheit und öffentlicheOrdnung aufrecht zu erhalten, was Spanien zur Einverleibungseiner Einflußsphäre berechtigt hätte, sondern nur, um die Autori-tat des Sultans noch zu verstärken. Und wenn Herr Caillauxam Sonntag ungeniert die Notwendigkeit. Marokko dem fran-zösischen Kolonialreich einzuverleiben proklamiert hat. so hat diespanische Regierung sich frevelhaft darüber hinweggesetzt, daß derpolitische Zustand Marokkos und die scherifische Gewalt durch garnichts bedroht waren. Aber das alles ist Nebensache. Frankreichhat den Großmächten Marokko, das sie nicht besaßen, abgekauft undhat keine Lust, sich die politische Unmöglichkeit eines Doppelprotek-torats aufzuladen und zwei Drittel des Wegs von Tanger nachFez von Spanien besetzen zu lassen. Wenn Delcasse wirklich denunglaublich törichten Vertrag geschlossen hat, so soll er ihn mitseiner politischen Zukunft bezahlen.Vor Spanien und seinen„historischen Rechten" braucht sichder französische Raub-JmperialiSmus wahrhaftig nicht zu genieren.Anders wäre es freilich, wenn ihm ein Protektor in England'erschiene. Und in dieser Beziehung gibt der heutige Leitartikeldes„TempS" wirklich zu denken. Soll schließlich auch die fran.zösische Diplomatie geleimt worden sein? Welch Tiefsinn stecktdoch in der kapitalistischen Regierungskunst der betrogenen Be-trüger!Spanien.Die Ordnttngsbcstic bei der Blutarbeit.Madrid. 11. November. Am 20. d. M. tritt ein Kriegs«g e r i ch t zusammen, welches über 22 Angeklagten, die andem Aufruhr in Cullera, Provinz Valencia, teilgenommen hatten,das Urteil sprechen wird. Das Kriegsgericht wird in Sueca tagen.da in Cullera nicht genügend Lokalitäten zur Abhaltung der Ver-Handlung vorhanden sind. Die Zivilanwälte haben sichgeweigert, angesichts der ihnen ge st eilten Be-dingungen die Verteidigung der Angeklagten zuübernehmen. Infolgedessen werden militärische Ver-t e i d i g e r ernannt werden. Für jeden Angeklagten wird einmilitärischer Anwalt bezeichnet. Es heißt, daß acht Angeklagtezum Tode verurteilt werden würden. Die Hinrichtungder Delinquenten durch den Strang wird am 26. November stattfinden.Cnglanä.Das allgemeine Wahlrecht.London, 8. November.(Eig. Ber.) Der Ministerpräsident hatdem Lande mit seiner Erklärung, daß die Regierung beabsichtige,im nächsten Jahre eine Wahlrechtsvorlage einzubringen,nach der jeder Mann über 21 Jahre das Stimmrechthaben soll, eine große Ueberraschung bereitet. Einer von demArbeiterparteiler Henderson geführten Deputation des Ver-bandes für das allgemeine Wahlrecht teilte er mit, daß die Regie-rung auf dem Standpunkt stehe, daß das Wahlrecht eines Mannesauf seiner Eigenschaft als Bürger beruhe und daß niemand mehrals eine Stimme haben dürfe. Der ganze Wahlrechtswirr-w a r r, der jetzt bestehe, müsse hinweggefegt werden. Dieeinzig vernünftige Grundlage für das Wahlrecht werde dadurch ge-schaffen, daß ein Mann, der die Bedingungen, die er niedergelegthabe, erfülle und der in dem Wahlkreis, in dem er sein Wahlrechtbeanspruche, wohne, automatisch, ohne eigene Anstrengung, durchdie Bermittelung eines öffentlichen Beamten und auf Kosten derOeffentlichkcit ju seinem vollen Wahlrecht gelange. In bezug aufdas F r a u e n st i m m r e ch t stehe er noch immer auf seinem altenablehnenden Standpunkt; die Vorlage würde aber in einer solchenGestalt eingebracht werden, daß das Parlament, wenn es dieseswünsche, das Frauenstimmrecht durch ein Amendement beschließenkönne.Wenn die Regierung ihr Wort hält, so stehen wir vor einerReform, die für das englische Parteileben von wirklich revolutio-närer Bedeutung sein wird. Nicht nur würde die Reform dreiMillionen neue männliche Wähler und unter Umständen 10 Mil-lioncn weibliche schassen; auch das Pluralwahlrecht würde abge-schafft werden und durch die Beseitigung des kostspieligen Re-gistrierungswesens würde die Arbeiterschaft zum ersten Male inder politischen Arena den besitzenden Klassen gleichgestellt werden.Soziales.Erfolge ber Säuglingsfürsorge in Freiburg i. vr.Seit dem Jahre 1896 hat die Stadt Freiburg in Baden dieBekämpfung der Säichlingssterblichkeit in ihren Aufgabenkreis hin-eingezogen. Es wurde zunächst beschlossen, sowohl an verheirateteals auch an ledige Mütter Stillprämien, und zwar in Höhe von3 Mark wöchentlich für die Zeit von 2% Monaten zu gewähren,unter der Voraussetzung, daß die Mutter ihr Kind vollkommen selbstnährt. Zum Bezug von Stillprämien sind berechtigt Familien, dieein tägliches Einkommen von nicht über drei Mark bei Vorhanden-sein eines Kindes, von 50 Pf. mehr für jedes weitere Kind de-ziehen. Im letzten Jahre erhielten 353 Mütter Stillprämien, dar-unter 38 ledige. Von den Ehefrauen waren 15 mit Beamten, 145mit gelernten und 155 mit ungelernten Arbeitern verheiratet. 33Gesuche wurden abgelehnt.Eine weitere sehr wichtige Einrichtung war die, daß die derArmcnbehörde unterstellten Kinder statt in Anstaltspflege in Einzel-pflege getan wurden. Diese Pflegestellen wurden durch Damen desLuisen-Frauenvercins, die städtischen Armenkontrolleure und diestaatliche Polizeipflegerin unter ständiger Kontrolle gehalten. Außer-dem find die Ziehmütter verpflichtet, einmal monatlich das Kindbei der ärztlichen Fürsorgestelle vorzustellen. Auch die Ziehmüttervon der Armenpflege nicht unterstellten Kindern müssen monatlicheinmal diesen Weg machen.Der Erfolg dieser Maßnahmen ist ein erstaunlich großer ge-Wesen. Die allgemeine Säuglingssterblichkeit, die 1900 in Freiburg24 Prozent der Lebendgeborcnen betragen hatte, sank 1905 auf17,3 und 1910 auf 11,0 Prozent. Dabei ist die Sterblichkeitder unehelichen Säuglinge bedeutend stärker zurückgegangen als dieder ehelichen. Sie sank in dem genannten Zeitraum von 48,3 auf12,9 Proz., also etwa auf ein Viertel, während die der ehelichen von20,9 aus 10,6 Proz., also auf die Hälfte zurückging.Seit 1907 steht Freiburg in bezug ans die Säuglingssterblich-keit an unterster Stelle in Baden. Im letzten Jahre starben imganzen Großherzogtum von je 100 lebendgcborenen Kindern 15,7schon vor Erreichung des ersten Lebensjahres, bei den ehelichen be-trug die Ziffer 15,2, bei den unehelichen 21,9.(Siehe auch 4. Beilage.}Hus Induftrlc und Handel*Waggonmangel und Fcicrschichten.In jedem Herbst hört man Klagen über unzureichende Ge-stellung von Waggons in den Kohlenbezirkcn. In dieser Jahres-zeit ist der Bedarf an Waggons besonders groß, einmal weil dieEindeckungen der Kohlenkonsumcuteii, speziell auch für denWinterbedarf, sehr umfangreich sind, und gleichzeitig auch dieRübencrnte erhöhte Anforderungen an den Wagenpark stellt. Indiesem Jahre hat nun aber die Rübcnkuliur einen nur geringenErtrag geliefert; einige Zuckerfabriken haben wegen Mangel anRüben den Betrieb gar nicht eröffnet, andere produzieren nurkurze Zeit. Von dieser Seite ist demnach die Inanspruchnahmedes rollenden Eisenbahnmaterials weniger stark als wie im Vor-jähre. Trotzdem wird aus dein Ruhrrevier in diesem Jahre überbesonders großen Wagenmangel geklagt. Verschiedene Zechenmußten schon wieder holt Feier schichten einlegen.Für die betroffenen Arbeiter ist das natürlich sehr unangenehm,aber auch allgemeine wirtschaftliche Interessen werden berührt.Zu einem ganz erheblichen Teile ist der Waggonmangel eine Folgeschlechter Organisation. Das Material wird nicht genügend aus-genutzt, manchmal laufen die Wagen spazieren. Da sieht manleere und volle Wagen aus verschiedenen Direkiionsbezirkm einemZiele zustreben. Der volle Wagen geht nachher wieder leer zu-rück. Seine Hin- und Herfahrt hätte erspart werden können.Auch haben die Wagen infolge zu langsamer Be- und Entladungoft sehr viel tote Zeit. Die Errichtung von besonderen Organi-sationsbureauS in den verschiedenen Bezirken könnte die Uebel-stände in erheblichem Umfange beschränken. Die Kosten dafürdeckte schon allein die zu erzielende Einschränkung des Rangier-diensteS. Ferner sollte die Eisenbahnverwaltung endlich dazuübergehen, nach amerikanischem Vorbilde für Massengüter, derenEntladung keine besondere Vorsicht voraussetzt. Waggons mit selbst-tätiger Entladeeinrichtung zu beschaffen. Wenn beides geschieht,dann müssen die Klagen über Wagenmangel verstummen und dieBetriebe sind nicht mehr unliebsamen Störungen ausgesetzt.