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dieses Einschätzungskommisfionsborsitzenden Bereits feit 1892 fast regelmäßig beanstandet werde» mußten. Den, tüchtigen OrtSoberhaupi wurde unter anderem ein Fall von offenem Steuer- betrug nachgewiesen, wo er eine Einnahme von 2000 M., die Pacht­summe eines Ackers, nicht mit in seiner Steuereinschätzung angeführt hatte. Man kann sich danach ungefähr vorstellen, wie dieser Herr Steuereinschätzungskommisstonsvorsitzende seine agrarischen Kollegen eingeschätzt" hat. Als Entschuldigung für seine Bergehen führte der Gutsherr schwere Schicksalsschläge an, die er erlitten haben will. Dabei konnte sofort festgestellt werden, daß er 4000 M. im Jahre 1905 und 5000 M. im Jahre 1907, seinen beiden schicksalsschweren Jahren, z u r S p a r k a s s e getragen hat, bei der übrigens sein Guthaben in den letzten acht Jahren von 2000 auf 23000 M. gestiegen ist. Das Gericht verurteilte den zuverlässigen Steuereinschätzer schließlich wegen fortgesetzter Steuerhinterziehung zu 4068 M. Geldstrafe._ Die finnlose Schärfe des Militärstrafgesetzes erfährt durch folgende, vor dem Oberkriegsgericht des 9. Armee- korps in Altona   stattgefundcne Verhandlung eine grelle Beleuch- tung. Am 2. Juli befanden sich einige Soldaten in einer Kantine des Lockstcdtcr Lagers in feucht-fröhlicher Stimmung. Laut ge? sungene Rcservelieder gemahnten an die baldige Freiheit. Zwei ilnieroffiziere begaben sich in das Lokal, um Ruhe zu stiften. Nach- dem sie hinausgegangen waren und draußen vor der Tür standen, wurde ihnen aus der Kantine her ein Bierrest über den Rock ge- gössen. Der Musketier Kuschmirek bezeichnete den Musketier Revers von der 1. Kompagnie des Infanterieregiments Nr. 31 in Altona  als den Täter. Dieser geriet daraufhin in Haft. Gegen ihn wurde die Anklage verfügt. Das Divisionsgcricht sprach ihn indes frei, da die Möglichkeit nicht ausgeschlossen sei, daß K. sich irre. Dieses Erkenntnis hat der Gerichtsiherr angefochten mit der Begründung, daß R. hätte verurteilt werden müssen. Während der ersten Ver- Handlung hat sich zum Glück die Qualität des Hauptbclastungs- zugen erheblich verschlechtert. Gegen Kuschmirek schwebt nämlich eine Untersuchungssache wegen Diebstahls zum Nachteile eines Kameraden. Der Feldwebel des Angeklagten, der den K. wegen seiner Zuverlässigkeit auf die Probe stellte, bekundet außerdem, Kuschmirek habe zuerst mit derselben Bestimmtheit, mit der er später R. bezichtete, den Musketier Marquardt als den Täter be- zeichnet. Der Angeklagte bestreitet mit aller Entschiedenheit jegliche Schuld. Kuschmirek läßt sich durch keine Frage davon abbringen, daß R. der Täter sei. Der Feldwebel des K. bezeichnet diesen als einen schlechten Soldaten. Trotz alledem hält der Vertreter der Anklage den Schuldbeweis für gelungen. Ein tätlicher An- griff liege auch vor; denn nach der Judikatur des Reichsmilitär- gcrichts sei dieses Verbrechen aus Z 97 M.-St.-G. mit jeder demon- slrativ gegen den Körper des Vorgesetzten gerichteten Handlung ge- geben. Konstruiere man einen minder schweren Fall, so sei eine Strafe von einem Jahre, andernfalls von drei Jahren Ge- f ä n g n i s am Platze. Das seien die gesetzlichen Mindeststrafen. Man bedenke: drei Jahre Gefängnis für einige Tropfen Bier, durch die die Majestät eines Unter- osfiziers verletzt sein soll. Das Oberkriegsgericht gewann nicht die Ueberzeugung, baß der Angeklagte der Täter sei, und sprachihn frei. Langjährige Unterschlagungen im«t. Infanterie- Regiment. Vor dem Kriegsgericht in T h o r n hatten fich 13 Musketiere, Unteroffiziere, Vizefeldwebel und Unterzahlmeister wegen Diebstahls, Unterschlagung, Bestechung, Anstiftung usw. zu verantworten. ES handelt sich um jahrelange schmutzige Geschichten im zweiten "Bataillon des 01. Infanterie» Regiments. Aus dem Menageraum wurden Waren, wie Kaffee, Zucker. Reis, Konserven, Fleisch, Schmalz, Speck, Eier, Butter, Salz, Petroleum, die für den Äüchengebrauch angeliefert waren, beiseite geschafft. Auch Patronenhülsen wurden unter- schlagen. Ein Zeuge Mittelzwey bekundete, daß er mit anderen Sol- daten zu dem Vizefeldwebel Busse, der geheiratet hatte, eine Wagen- ladung von etwa 8 bis 10 Zentner nach dessen Wohnung schaffen mnßte. ES handelte sich um Kartoffeln, Kohlen, einen Hakben Zentner Holz, mehrere Säcke und verschlossene Kisten. Aehnlich sagten verschiedene andere Zeugen aus. Schließlich legte auch der Angeklagte Musketier Trippler ein umfassendes Geständnis ab. Er schaffte im Austrage Franks Kaffee. Zucker, Schmalz. Butter und Fleischkonserven zu dem Kantinenwirt Gretzinger, der sehr noble Passtonen hatte und alsOberleutnant in Zivil" kostspielige Reisen machte. Als Trippler auf Urlaub war, wollte ihn Gretzinger brieflich zu falschen Aussagen verleiten. Er sollte den Verdacht auf die unschuldigen Unteroffiziere Skrodzki und Dreher lenken, damit Unteroffizier Frank und Sergeant Raguse auf freien Fuß kämen; dafür sollte es einenBlauen  " geben. Gretzinger habe ihn sogar überreden wollen, einen Belastungszeugen zu erschießen I Die Gerichtsverhandlung ergab neben vielen anderen Tatsachen, daßgewisse Damen" tagelang in der Küche untergebracht und ver- pflegt wurden, und daß dort mehrfach Gelage stattfanden. Gretzinger lieferte allein kurz vor Weihnachten 1910 auf einmal zwei Sack un- gebrannten Perlkaffee, vier bis fünf Sack Salz, 30 bis 40 Pfund Speck und 20 bis 25 Pfund Kakao an den Kaufmann Begdon. Kriegsgerichtsrat Dr. Rehdans als Verttetxr der Anklage führte aus, daß sich die Behörden darüber klar seien, es sei erst ein Teil der Unterschlagungen bekannt. WaS glücklich herausgebracht sei, bilde nur den kleineren Teil von dem, was wirklich verübt worden ist. Verschiedene Zeugen konnten wegen dringenden Verdachts der Mittäterschaft nicht vereidigt werden. AuS ihren Bekundungen und den Aussagen der Angeklagten gehe aber hervor, daß noch recht vieles andere geschehen sei. Die Angeklagten wurden bis auf zwei Sergeanten sämtlich ver- urteilt. Die Strafen liegen zwischen 19 Tagen gelindem Arrest und 1 Jahr« Monaten Gefängnis, außerdem gegen neun An- geklagte auf Degradation oder Versetzung m die zweite Klasse des SoldatenstandeS. Gegen eine Anzahl Zivilpersonen wird»och vor der Straf- kämm« verhandelt werden.__ Prügel als militärisches Erziehungsmittel. Seit langer Zeit bilden die Mißhandlungen beim 10. Husaren- rcgiment in Schleswig   unausgesetzt den Gegenstand gerichtlicher Verhandlungen. Während der letzten Zeit haben 250 UnterfuchungS- sachen die Kriegsgerichte beschäftigt. Bckanittlich sind die Miß- Handlungen besonders von den Maunschasten der älteren Jahrgange gegen die Rekruten verübt worden. Die dritte Eskadron des Re- giments, in der das Uebel am meisten verbreitet war, hat auf Ver- onlassung der Militärbehörden zu einem anscheinend radikal wirkenden Gegenmittel gegriffen: Man schickte kurzerhand den ganzen Rekrutenjahrgang 1909/10 nach Flensburg   vor die ErmittclungS- obteilung des dortigen DivisionSgerichtS und ließ jeden Mann einzeln von einem KriegSgerichtSrat vernehmen unter der strikten Auslage, er habe in einem«erfahren gegenllnbekanitt" die volle Wahrheit zu sagen und jeden einzelnen Fall der ihm bekannt gewordenen Mißhandlungen zu Protokoll zu geben. Diese Recherchen trugen dem Gefreiten der Reserve Wehde von der S. Eskadron eine Auflage ein. In Gemeinschaft mit einem anderen Gefreiten hatte er den Rekruten PrieS, weil er angeblich sein Zaumzeug nicht gründlich geputzt habe, dafür recht gründlich verprügelt. Das Kriegsgericht erkannte wegen dieses Vergehens aus sieben Tage Mittelarrest. Auf die Berufung des Angeklagten hin verlief auch die Beweis- ausnähme vor dem Oberkriegsgericht des 9. Armeekorps für ihn un- günstig. Der Ankläger bemerkte, es seien äußerst schlechte Zustände bei dem Regiment gewesen. Dem wüsten Treiben der älteren Jahr- gänge müsse mit allen gesetzlichen Mitteln ein Ende gemacht werden. Deshalb sei die Berufung zu verwerten. Das Oberkriegsgericht lvarf eine Strafe von sieben Tagen gelinden Arrest aus. Mildernd komme in Betracht, daß der Vorgang schon recht weit zurückliege. Außerdem treffe die Strafe den Angeklagten in seinem Zivilberufe schwerer als früher._ RdmUchhcitcn. Paris  , 10. November.(Eig.«er.) Für die Geheimpolitik ist jetzt der internationale Krach gekommen. Die Geheimverträge werden jetzt sönnlich sackweise herbeigeschleppt und als Makulatur in die Senkgrube geworfen. Die deutsche Regierung hat den jetzigen Ver- trägen geheime Abmachungen anhängen lassen. Die französische  Kammerkommission für auswärtige Angelegenheiten, der der Respekt vor der diplomatischen Geheimwissenschaft gründlich vergangen ist, hat die von Herrn de Selves angebotene Aufklärung nur unter der Bedingung annehmbar erklärt, daß der Bekanntmachung kein Wider- stand entgegengesetzt werde. Natürlich weiß man schon, WaS in den Geheimabmachungen steht: Die Bestimmung über die Berufung des Haager Schiedsgerichts in Streitfällen, die sich aus den Verträgen ergeben und die ausdrückliche Anerkennung des Protektorats in Marokko  . Der Artikel über daS Schiedsgericht war schon in einer halboffiziösen Mitteilung imTemps" bekannt gemacht. Oeftcmicb. Die politische Demonstratio» des Deutschen Kronprinzen im österreichische« Parlament. Wien  , 10. November. Abgeordnetenhaus. Im Ver- laufe der Budgetdebatte kam der tschechische Sozialdemokrat N e m e c aus die gestrige Anwesenheit des Deutschen Kronprinzen im Reichs- t a g zu sprechen, die darauf schließe» lasse, daß sich um den Krön- Prinzen eine zum Kriege drängende Kamarilla bilde, und bemerkte: Wir müssen Deutschlands   wegen den Heeresstand vermehren und Dread- noughts bauen. Daher gehl eS uns sehr viel an, wenn unsere Ver- bündele» eine Kriegshetze veranstalten. Deutschland   unterstützt unsere Politik militärisch, drängt uns aber wirtschaftlich von den Balkanländern ab, schädigt uns also direkt. Der Redner wurde mehrfach von christlich-sozialen und deutschen   Abgeordneten, welche auf Deutschlands   Bundcshilse beim serbischen Konflitt hinwiesen, unter- brachen. P o l l a u f(Alldeutscher) stellte gegenüber Nemce fest, daß die Vorgänge am deutschen   Kaiserhofe die Sozialdemokraten gar nichts angingen:es werde ihnen nicht gelingen, die strahlende Ehre des Hohenzollernhauses irgendwie zu beschmutzen". franhmeb. Herv6 verurteilt. Paris  , 10. November. Der Chefredakteur Gustave Herve  und der Geschäftsführer Auroy derGuerre sociale", die vor einigen Monaten wegenBeleidigung der Armee" undVer- herrlichung verbrecherischer Taten" verurteilt worden waren und gegen dieses Urteil Einspruch erhoben, hatten, erschienen heute vor dem Schwurgericht. Herve wurde zu zwei Jahren Ge- fängnis und 1000 Frank Geldstrafe, Auroy zu sechs Mo- naten Gefängnis und bOO Frank Geldstrafe verurteilt. Der spanische Panthersprung. Paris  , 9. November.  (Eig. Ber.) Die spanische Regie- r u n g hat einen Kreuzer nach Tanger   geschickt. Der Vorwand ist nicht ganz so bei den Haaren herbeigezogen wie die famose Intervention von Agadir   denn in Tanger   haben Sanitätsmotzregeln wirflich«ine Erregung der Eingeborenen hervor- gerufen und die Vorgänge in Tunis   zeigen, welche Gefühle die europäische   Raubpolitik bei den, afrikanischen Muselmanen aus- löst aber ein Vorwcmd bleibt diese Situation gleichwohl. Die spanische Demonstration folgt merkwürdig prompt der Veröffent- lichung des Geheimvertrages, mit der derMatin" der spanischen  Regierung im kritischen Augenblick zu Hilfe gekommen ist. Die Welt kennt nun denRcchtsswndpunkt" Spaniens   und soll ver- stehen, warum auch die Diplomatie von Madrid   mit der Faust philosophiert. Natürlich kann die spanische Regierung, die nicht ein- mal mit den Riff-Kabylen fertig geworden ist, nicht daran denken, das ihr im Geheimvertrag zugestandene Gebiet in einem Krieg mit Frankreich   zu verteidigen. Aber sie kann sich auch nicht ohne Wider- stand mit der Rolle des Düpierten abfinden. Die spanische Monarchie ist genau in derselben politischen Situation wie die Jungtürken  , die für ihre Herrschaft im Innern zu fürchten haben. Allerdings ist sie noch weit weniger fähig, sich zur Wehr zu setzen. Das eine aber vermag sie immerhin, durch ihre Demonstration just bor der Beratung des deutschen  -französischen Abkommens die Situation im französischen   Parlament zu verwirren und das Ministerium Caillaux   in eine unangenehme Lage zu bringen. Sicherlich wird nur eine weltabgewendcte Ideologie ein ent- rüstetes Bedauern darüber empfinden, daß Caillaux  , als sich ihm die Möglichkeit bot. Marokko   zu gewinnen und im Kongo   ein Ab- kommen zu finden, das die dort interessierten Kapitalisten nicht schädigt, die geheime Abmachung DelcasseS mit Spanien   mit einem Fußtritt beseitigte. Mit dem Begriff dernationalen Ehre", wo- mit man vor den Volksmassen Staat macht, haben die Diplomaten niemals eine Entsagungsmoral rechtfertigen wollen. Machiavelli  ist nicht der Leichenbitter der feudalen, sondern der Geburtszeuge der modernen Politik. Aber schließlich selbst unter dem Stand- Punkt privatrechtlicher Biedermeierei betrachtet, könnte der Geheim- vertrag als bedingter Raubpakt als gegen die guten Sitten verstoßend, für ungültig erklärt werden. Zweifellos ist Spanien  bemogelt worden. Die französische   Regierung behauptet, der Zug nach Fez sei nicht unternommen worden, weil die Regierung des Sultans zu schwach gewesen sei, um die Sicherheit und öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, was Spanien   zur Einverleibung seiner Einflußsphäre berechtigt hätte, sondern nur, um die Autori  - tat des Sultans noch zu verstärken. Und wenn Herr Caillaux am Sonntag ungeniert die Notwendigkeit. Marokko   dem fran- zösischen Kolonialreich einzuverleiben proklamiert hat. so hat die spanische Regierung sich frevelhaft darüber hinweggesetzt, daß der politische Zustand Marokkos   und die scherifische Gewalt durch gar nichts bedroht waren. Aber das alles ist Nebensache. Frankreich  hat den Großmächten Marokko  , das sie nicht besaßen, abgekauft und hat keine Lust, sich die politische Unmöglichkeit eines Doppelprotek- torats aufzuladen und zwei Drittel des Wegs von Tanger   nach Fez von Spanien   besetzen zu lassen. Wenn Delcasse wirklich den unglaublich törichten Vertrag geschlossen hat, so soll er ihn mit seiner politischen Zukunft bezahlen. Vor Spanien   und seinenhistorischen Rechten" braucht sich der französische   Raub-JmperialiSmus wahrhaftig nicht zu genieren. Anders wäre es freilich, wenn ihm ein Protektor in England 'erschiene. Und in dieser Beziehung gibt der heutige Leitartikel desTempS" wirklich zu denken. Soll schließlich auch die fran. zösische Diplomatie geleimt worden sein? Welch Tiefsinn steckt doch in der kapitalistischen   Regierungskunst der betrogenen Be- trüger! Spanien  . Die Ordnttngsbcstic bei der Blutarbeit. Madrid  . 11. November. Am 20. d. M. tritt ein Kriegs« g e r i ch t zusammen, welches über 22 Angeklagten, die an dem Aufruhr in Cullera  , Provinz Valencia  , teilgenommen hatten, das Urteil sprechen wird. Das Kriegsgericht wird in Sueca tagen. da in Cullera   nicht genügend Lokalitäten zur Abhaltung der Ver- Handlung vorhanden sind. Die Zivilanwälte haben sich geweigert, angesichts der ihnen ge st eilten Be- dingungen die Verteidigung der Angeklagten zu übernehmen. Infolgedessen werden militärische Ver- t e i d i g e r ernannt werden. Für jeden Angeklagten wird ein militärischer Anwalt bezeichnet. Es heißt, daß acht Angeklagte zum Tode verurteilt werden würden. Die Hinrichtung der Delinquenten durch den Strang wird am 26. November statt­finden. Cnglanä. Das allgemeine Wahlrecht. London  , 8. November.  (Eig. Ber.) Der Ministerpräsident hat dem Lande mit seiner Erklärung, daß die Regierung beabsichtige, im nächsten Jahre eine Wahlrechtsvorlage einzubringen, nach der jeder Mann über 21 Jahre das Stimmrecht haben soll, eine große Ueberraschung bereitet. Einer von dem Arbeiterparteiler Henderson geführten Deputation des Ver- bandes für das allgemeine Wahlrecht teilte er mit, daß die Regie- rung auf dem Standpunkt stehe, daß das Wahlrecht eines Mannes auf seiner Eigenschaft als Bürger beruhe und daß niemand mehr als eine Stimme haben dürfe. Der ganze Wahlrechtswirr- w a r r, der jetzt bestehe, müsse hinweggefegt werden. Die einzig vernünftige Grundlage für das Wahlrecht werde dadurch ge- schaffen, daß ein Mann, der die Bedingungen, die er niedergelegt habe, erfülle und der in dem Wahlkreis, in dem er sein Wahlrecht beanspruche, wohne, automatisch, ohne eigene Anstrengung, durch die Bermittelung eines öffentlichen Beamten und auf Kosten der Oeffentlichkcit ju seinem vollen Wahlrecht gelange. In bezug auf das F r a u e n st i m m r e ch t stehe er noch immer auf seinem alten ablehnenden Standpunkt; die Vorlage würde aber in einer solchen Gestalt eingebracht werden, daß das Parlament, wenn es dieses wünsche, das Frauenstimmrecht durch ein Amendement beschließen könne. Wenn die Regierung ihr Wort hält, so stehen wir vor einer Reform, die für das englische Parteileben von wirklich revolutio- närer Bedeutung sein wird. Nicht nur würde die Reform drei Millionen neue männliche Wähler und unter Umständen 10 Mil- lioncn weibliche schassen; auch das Pluralwahlrecht würde abge- schafft werden und durch die Beseitigung des kostspieligen Re- gistrierungswesens würde die Arbeiterschaft zum ersten Male in der politischen Arena den besitzenden Klassen gleichgestellt werden. Soziales. Erfolge ber Säuglingsfürsorge in Freiburg   i. vr. Seit dem Jahre 1896 hat die Stadt Freiburg   in Baden   die Bekämpfung der Säichlingssterblichkeit in ihren Aufgabenkreis hin- eingezogen. Es wurde zunächst beschlossen, sowohl an verheiratete als auch an ledige Mütter Stillprämien, und zwar in Höhe von 3 Mark wöchentlich für die Zeit von 2% Monaten zu gewähren, unter der Voraussetzung, daß die Mutter ihr Kind vollkommen selbst nährt. Zum Bezug von Stillprämien sind berechtigt Familien, die ein tägliches Einkommen von nicht über drei Mark bei Vorhanden- sein eines Kindes, von 50 Pf. mehr für jedes weitere Kind de- ziehen. Im letzten Jahre erhielten 353 Mütter Stillprämien, dar- unter 38 ledige. Von den Ehefrauen waren 15 mit Beamten, 145 mit gelernten und 155 mit ungelernten Arbeitern verheiratet. 33 Gesuche wurden abgelehnt. Eine weitere sehr wichtige Einrichtung war die, daß die der Armcnbehörde unterstellten Kinder statt in Anstaltspflege in Einzel- pflege getan wurden. Diese Pflegestellen wurden durch Damen des Luisen-Frauenvercins, die städtischen Armenkontrolleure und die staatliche Polizeipflegerin unter ständiger Kontrolle gehalten. Außer- dem find die Ziehmütter verpflichtet, einmal monatlich das Kind bei der ärztlichen Fürsorgestelle vorzustellen. Auch die Ziehmütter von der Armenpflege nicht unterstellten Kindern müssen monatlich einmal diesen Weg machen. Der Erfolg dieser Maßnahmen ist ein erstaunlich großer ge- Wesen. Die allgemeine Säuglingssterblichkeit, die 1900 in Freiburg  24 Prozent der Lebendgeborcnen betragen hatte, sank 1905 auf 17,3 und 1910 auf 11,0 Prozent. Dabei ist die Sterblichkeit der unehelichen Säuglinge bedeutend stärker zurückgegangen als die der ehelichen. Sie sank in dem genannten Zeitraum von 48,3 auf 12,9 Proz., also etwa auf ein Viertel, während die der ehelichen von 20,9 aus 10,6 Proz., also auf die Hälfte zurückging. Seit 1907 steht Freiburg   in bezug ans die Säuglingssterblich- keit an unterster Stelle in Baden. Im letzten Jahre starben im ganzen Großherzogtum von je 100 lebendgcborenen Kindern 15,7 schon vor Erreichung des ersten Lebensjahres, bei den ehelichen be- trug die Ziffer 15,2, bei den unehelichen 21,9. (Siehe auch 4. Beilage.} Hus Induftrlc und Handel* Waggonmangel und Fcicrschichten. In jedem Herbst hört man Klagen über unzureichende Ge- stellung von Waggons in den Kohlenbezirkcn. In dieser Jahres- zeit ist der Bedarf an Waggons besonders groß, einmal weil die Eindeckungen der Kohlenkonsumcuteii, speziell auch für den Winterbedarf, sehr umfangreich sind, und gleichzeitig auch die Rübencrnte erhöhte Anforderungen an den Wagenpark stellt. In diesem Jahre hat nun aber die Rübcnkuliur einen nur geringen Ertrag geliefert; einige Zuckerfabriken haben wegen Mangel an Rüben den Betrieb gar nicht eröffnet, andere produzieren nur kurze Zeit. Von dieser Seite ist demnach die Inanspruchnahme des rollenden Eisenbahnmaterials weniger stark als wie im Vor- jähre. Trotzdem wird aus dein Ruhrrevier in diesem Jahre über besonders großen Wagenmangel geklagt. Verschiedene Zechen mußten schon wieder holt Feier schichten einlegen. Für die betroffenen Arbeiter ist das natürlich sehr unangenehm, aber auch allgemeine wirtschaftliche Interessen werden berührt. Zu einem ganz erheblichen Teile ist der Waggonmangel eine Folge schlechter Organisation. Das Material wird nicht genügend aus- genutzt, manchmal laufen die Wagen spazieren. Da sieht man leere und volle Wagen aus verschiedenen Direkiionsbezirkm einem Ziele zustreben. Der volle Wagen geht nachher wieder leer zu- rück. Seine Hin- und Herfahrt hätte erspart werden können. Auch haben die Wagen infolge zu langsamer Be- und Entladung oft sehr viel tote Zeit. Die Errichtung von besonderen Organi- sationsbureauS in den verschiedenen Bezirken könnte die Uebel- stände in erheblichem Umfange beschränken. Die Kosten dafür deckte schon allein die zu erzielende Einschränkung des Rangier- diensteS. Ferner sollte die Eisenbahnverwaltung endlich dazu übergehen, nach amerikanischem Vorbilde für Massengüter, deren Entladung keine besondere Vorsicht voraussetzt. Waggons mit selbst- tätiger Entladeeinrichtung zu beschaffen. Wenn beides geschieht, dann müssen die Klagen über Wagenmangel verstummen und die Betriebe sind nicht mehr unliebsamen Störungen ausgesetzt.