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klaffe aller Länder, und Aufgabe der Sozialdemokratie sei,'eS dahin zu bringen, daß bei allen Nationen dieser Wunsch von der gesamten Bevölkerung geteilt werde. Des deutschen Kanzlers Ab- sage an die Kriegshetzer komme gerade zu rechter Zeit, um jetzt vor den Neichstagswahlen den Wählern die Augen zu öffnen. Unter dem Beifall der Zuhörer kennzeichnete Genosse Psannkuch die eigenartige Haltung, die in der Neichstagsdebatte der Kronprinz zur Schau getragen habe. Durch ihn, der mit dem Märchen vom Liberalismus der Kronprinzen" aufgeräumt habe, sei dafür ge- sorgt worden, daß das Volk endlich aufwachen werde. Das starke Heer, das man mit einer immer ärgeren Auspowerung des deut- schen Volkes geschaffen habe und zu erhalten suche, sei nicht eine Gewähr für den Frieden, sondern eine ständige Kriegsgefahr. Hier unterbrach der Referent seine Ausführungen, weil in- AWischen der Genosse Huysmans- Brüssel, der Sekretär des internationalen sozialistischen Bureaus, erschienen war, um eine Ansprache zu halten. Ein langauhaltender Beifallsturm dankte dem Redner. Genosse Pfannkuch setzte dann sein Referat fort. An- knüpfend an Huysmans ' Ausführungen hob er hervor, daß in dem Kampf, den in allen Ländern das Proletariat ausfechten müsse, die Sozialdemokratie Deutschlands bisher an erster Stelle ge- standen habe und auch weiter es nicht an sich fehlen lassen werde. Gegen den Kapitalismus, der die Eroberungspolitik brauche, habe der Kampf sich zu richten. Gegen den Militarismus, der am Lebens. mark des Volkes zehre, müsse Sturm gelaufen werden. Wenn bei den bevorstehenden Reichslagswahlen der schwarzblaue Block so dezimiert werde, daß die Sozialdemokratie entscheidenden Einfluß erlange, so sei das die beste Friedensbürgschaft.Nieder mit den Lebensmittelverteurern, nieder mit den Kriegshetzern, nieder mit unseren Gegnern hoch die Parteil" schloß Pfannkuch unter stürmischen Zustimmungskundgebungen der Zuhörer. Die der Versammlung vorgelegte Resolution wurde e i n st i m m i g angenommen. Der Vorsitzende Genosse H e n t s ch e l rief die Versammelten auf zu rastloser Agitationsarbeit, die am Tage der Reichstagswahlen die Wähler Mann für Mann an die Wahlurne bringen müsse, um für die Sozialdemokratie zu stimmen. Mit einem begeisternden Hoch auf die Sozialdemo- kratie wurde die Versammlung geschlossen. Zu derselben Zeit war eine zweite Versammlung in dem Garten der Brauerei abgehalten worden, der nach Absperrung des vollbesetzten Saales sich gleichfalls rasch gefüllt hatte und eine noch größere Zahl von Genossen aufnahm als der Saal. Nachdem hier Genosse Dobrohlaw den Vorsitz übernommen hatte, bestieg Genosse Hans Weber die Rednertribüne und geißelte das Treiben der Kriegshetzer. Auch hier wurde die Resolution ein- stimmig angenommen. Nach Schluß der beiden Versammlungen ergoß aus Saal und Garten ein Menschenstrom sich in die Schönhauser Allee hinaus. Polizei konnte man hier auf der Straße auch jetzt fast nirgends bemerken, aber sie saß bereit in ihren Wachen und wartete auf Arbeit. Gesundbrunnen . �11 Uhr. Der Riesensaal von BallschmiedcrS Kastanienwäldchen, in dem die Bevölkerung des Gesund- brunnens und der angrenzenden Bezirke gegen den räuberischen Ueberfall der Italiener protestieren will, ist halb gefüllt von solchen, die ganz besonders zeitig da sein wollten, um sich auf alle Fälle einen guten Platz zu ergattern. Bald zeigte sich, wie recht sie daran taten. Denn in ununterbrochenen Zügen kamen jetzt die Prolc- tarier, und bald war der Saal obwohl Stühle und Tische fast vollständig herausgeräumt wurden überfüllt. In drangvoller, fürchterlicher Enge standen Tausende von Arbeitern und Arbeiterinnen und harrten des Moments, da sie ihrem Unmut über den durch die kapitalistische Errpansionspolitik hervorgerufenen Krieg Ausdruck geben konnten. Nach �12 Uhr schritt die Polizei zur Absperrung. Da dieselbe jedoch die Massen überhaupt nicht mehr in das Haus lassen wollte obwohl in dem geräumigen Garten viel Platz war, stauten sich bald Tausende vor dem Eingang und wurde dadurch von der Polizei auf diesem Wege das so beliebte Verkehrshindernis geschaffen. Nachdem einer unserer Genossen die Polizei nachdrücklich auf das Verkehrte ihreS Vorgehens hingewiesen hatte, wurde endlich der Garten freigegeben und dasVerkehrshindernis" war beseitigt. Punkt 12 Uhr wurde die Versammlung durch ein sehr stimmungsvoll vorgetragenes Lied des ArbeitergesangvereinS vom Gesundbrunnen eröffnet. Sodann ergriff Reichstagsabge» ordneter Genosse Lehmann das Wort zu seinem Referat. In ausführlicher Weise schilderte der Redner, daß alle die Kriege der letzten Zeit mebr oder weniger Raubzüge waren, hervor- gerufen durch das Expansionsbedürfnis der Staaten. Redner weist auf die Kriege zwischen China und Japan , Spanien und Amerika , England und Transvaal sowie auf den russisch-japani- schen Krieg hin, deren Ursachen alle denselben Motiven entspränge». Auch Deutschland ist an der Expansionspolitik erheblich beteiligt, so z. B. als es Kiautschou auf S9 Jahre von den Chinesen pachtete". Allerdings ist die erste Pachtrate noch heute nicht bs- zahlt. Besonders bemerkenswert ist der Ausgang des russisch . japanischen Krieges. Der allgemein so gefürchtete Koloß Ruß- land wurde von Japan nach allen Regeln der Kunst geschlagen. Wichtig ist auch, daß fast alle Kriege der neueren Zeit eine Revolution zur Folge hatten und daß die Herrschenden gezwungen werden, Konzessionen zu machen. Nach dem, was bekannt ge- worden ist, bekommen jetzt die Chinesen ein wesentlich besseres Wahlrecht, als es die Preußen bisher besitzen. Redner wendet sich dann ausführlich der Marokkofrage zu und zeigt, wie nahe. wir einem volksverwüstenden Kriege waren. Bei dem räuberksthen Ueberfall der Italiener hat sich wieder einmal gezeigt, wie wenig Verlaß auf die europäischen Regierungen ist. Keine europäische Macht hat gegen das Vorgehen Italiens protestiert, obwohl dasselbe gegen Kriegsbrauch und Kriegsrecht verstößt. Auch Deutschland habe das widerspruchslos geduldet, trotzdem die Türken immer glaubten, sich auf die deutsche Regierung besonders verlassen zu können. In schamloser Weise morden die Italiener entgegen dem Kriegsrecht Gefangene. So betrachtet man die Araber, die als Einwohner der Türkei beistehen wollen, als Aufständische und mordet sie in Massen hin, nur weil sie keine Soldaten sind. Auch unschuldige Frauen und Kinder werden niedergeschossen. Di- europäischen Nationen sind alle an diesem Borgehen schuld, da sie es ja in anderen Fällen ebenso getrieben haben. So ist das Vor- gehen des deutschen Generals Trotha im südwestafrikanischen Kriege, der ungezählte Frauen und Kinder dem Hungertode preis- gab, noch in aller Gedächtnis. Auch in Italien hat sich wieder ge- zeigt, daß die Sozialdemokratie die einzige Partei ist. die den Mut hat. gegen solche Raubzüge zu demonstrieren. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß sich der sogenannte Sozialdemokrat De Felice dazu hergegeben hat, begeisterte Kriegsberichte zu schreiben. Unsere italienische Bruderpartei dürfte dafür sorgen, daß er so- bald wie möglich gezwungen wird, der Partei, mit der er nichts zu schaffen hat. den Rücken zu kehren. Aber auch derjenige Teil des Volkes, der letzt krregsbegeistert ist, wird bald merken, welches Verbrechen die italienische Regie- rung durch die Provokation dieses Krieges begangen hat. Schon jetzt ist die italienische Regierung nicht in der Lage, in Süditalien auch nur annähernd das Elend zu beseitigen, das dort herrscht, so daß alljährlich viele Tausende gezwungen sind, auszuwandern. Wie- viel größer wird das Elend nach dem Kriege werden. ES muß unsere Aufgabe sein, die Aufklärung über die Ge- Meingefährlichkeit der Kriege in immer weitere Kreise dringen zu lassen, um so auf die Dauer Kriege unmöglich zu machen, wollen sich nicht die Regierungen gleichzeitig der Gefahr von Revolutionen aussetzen, die vielleicht Königskronen wie Papierfetzen fliegen lassen.(Stürmischer Beifall.) Nachdem Genosse Lehmann geendet, ergriff Genosse Huysmans-Brüssel das Wort zu xiner begeisternden An­sprache in deutscher Sprache. Die Ausführungen Huysmans ' werden mit jubelndem Beifall ausgenommen. Die sodann zur Abstimmung gebrachte Resolution wurde mit groß ter Einmütigkeit angenommen. Zum Schluß sangen noch di- Lerantwortlicher Redakteur: Richard Barth . Berlin . Für den Arbeitersänger ern Lied und dann gingen die Massen, getragen von dem hehren Gefühl, daß der Sozialismus nur allein Kultur, Freiheit und Frieden bringen kann, wieder nach Hause. Eine Viertelstunde später zeigte der Gesundbrunnen wieder das ge- wohnte Bild. Auf dem Wedding . IndenP h a r u s s ä l e n", Müllerstraße, versammelten sich zwischen fünf- und sechstausend Personen, die zwei große Säle und den weiten Garten füllten. Bald nach 11 Uhr gab es in dem oberen Saal, wo man ohne Tische eng beisammen saß, nur noch Stehplätze; die Galerien, die Bühne wurden dicht besetzt und noch vor halb zwölf Uhr sperrte die Polizei den oberen Saal ab. Schnell füllte sich der untere Saal, der bald darauf ebenfalls abgesperrt wurde. Für die vielen kleinen Trupps won Besuchern, die gegen 12 Uhr anrückten, blieb nur noch der Garten, den eine tausendköpfige Menge trotz Nässe und Kälte besetzt hielt. Pünktlich zur anberaumten Zeit wurde die Versammlung im oberen Saal eröffnet, feierlich eingeleitet von den? SängerchorWedding " mit dem begeisternden Gesang der Internationale". Als Redner trat der Reichstagsabgeordnete Robert Schmidt auf, der in seiner ruhigen sachlichen Weis« den Per- sammelten erklärte, warum die Sozialdemokratie die Arbeiterschaft zum Protest gegen den italienisch-türkischen Krieg auffordert. Uns, der großen internationalen Friedenspartei falle die Aufgabe zu, die Stimme der Menschheit, die Stimme der Humanität laut er- schallen zu lassen, wenn ein wilder Krieg ausbricht. Das Leid des Proletariats der einen Nation sei Grund genug für das Proletariat der anderen Nationen, ihre Sympathien zu bezeugen. Man solle nicht glauben, daß wir uns über unsere Stärke täuschen, aber wir wüßten auch ganz genau, daß wir eine stetig wachsende Macht dar- stellen, mit der die Regierungen aller Länder immer mehr rechnen müssen. Der Redner besprach neben der den Weltfrieden bedrohen- den Kriegslage die Verhältnisse im deutschen Vaterlande, die jüng- sten Vorgänge im Reichstag und forderte zum Schluß zur Unter- stützung der großen Kulturbewegung, wie sie die Sozialdemokratie darstellt, auf.(Allgemeiner großer Beifall.) Die Versammlung mutzte auf kurze Zeit vertagt werden, weil der aus Moabit erwartete Genosse Vandervelde noch nicht erschienen war. Im unteren Saal hatte unterdessen Frau Bertha Lung- w i tz einen Vortrag gehalten und Robert Schmidt begab sich nach Beendigung seiner ersten Rede in den Garten, wo er von der hergerichteten Tribüne herab in ausführlicher Rede den Wunsch unp Willen der internationalen Sozialdemokratie zum Frieden unter den Völkern verkündete. Einen erhebenden Eindruck machte es, als nach dem stürmischen Beifall, den die Rede auch hier aus- löste, der Gesang derInternationale", wieder vom Sängerchor Wedding " vorgetragen, den Garten durchbrauste und dann die Ber- sammlung begeistert aufgenommene Hochrufe auf den Sozialismus ausbrachte. Im oberen Saal hatte man trotz der erdrückenden Fülle ruhig auSgehalten und 1 Uhr war längst vorbei, als Bandervelde endlich erschien. Donnernder Applaus begrüßte den Gast, auf den aller Äugen gerichtet waren. Er dankte für den herzlichen Empfang und hielt eine temperamentvolle Ansprache, französisch von Ledebour übersetzt, die ihm wieder reichen Applaus brachte. Eine zweite An- spräche mußte er im unteren Saale halten, wo er zum Teil deutsch sprach. Hier hatte Robert Schmidt zum dritten Mal eine Rede halten müssen, bis Vandervelde folgte und nach diesem L e d e- b o u r. Die vorgelegte Resolution fand überall ungeteilte Zustimmung. In größter Ruhe lösten sich die drei Versammlungen, die letzte um halb drei Uhr, aus. Die Polizei verhielt sich sehr reserviert, war aber zahlreich vertreten und hatte unter anderem in der Maschinenfabrik von Sentker eine fliegende Wache eingerichtet. Als Vandervelde mit seinen Begleitern im Auto abfuhr, wurden ihm von den auf der Straße versammelten Genoffen noch lebhafte Hochrufe ausge- bracht. Moabit . Im Herzen des vorjährigenKriegsschauplatzes ", in der Wiclef- straße im.Moabiter Schützenhaus", tagte die Versammlung. Nichts erinnert mehr an jene aufregenden Tage. S«hon anderthalb Stunden vor Beginn der Versammlung kommen die ersten. Räch und nach füllt sich der Riesensaal. Bald nach �12 muß ihn die Leitung absperren, nachdem vorher durch Entfernen der Tische auf einige Augenblicke Luft geschaffen war. An 3000 Männer und Frauen sind im großen Saal versammelt; der kleinere wird zu Hilfe ge- nommen. Auch er kann nicht alle aufnehmen, die gekommen sind, um zu proiestieren gegen den wahnfinnigen italienischen Tripolis - Raubzug und zu manifestieren für ihren unerschütterlichen Willen zum Weltfrieden. Und überall auf dem Hofe, der Straße, dem schon recht herbstlichenSommergarten" noch Massen, genug, um noch eine dritte, gleich imposante Versammlung zu füllen. Eingeleitet wurden beide Versammlungen stimmungsvoll durch denMoabiter Männerchor". Hierauf ergreist das Wort Genosse Banderveldc-Brüssel, Vorsitzender des Jnter« nationalen sozialistischen Bureaus: Indem wir gegen den Raubzug der italienischen Regie- rung nach Tripolis protestieren, vrotestieren wir gegen die gesamte kapitalistische Kolonialpolitik. Selbstredend bedeutet unser Protest nicht Parteinahme für oder wider eines der beiden leidend beteiligten Völker. Gegen beide Völker sind wir von den gleichen brüderlichen Empfindungen beseelt. Wir schätzen die vielen vortrefflichen Eigenschaften des türkischen Volkes, und wir gedenken dankbar der hohen und unsterblichen Verdienste Italiens um Kunst und Wissenschaft. Wenn nur unseren Protest erheben, so liegt dem auch nicht irgendwelche Bevorzugung einer oder der anderen der beiden Regierungen zugrunde. Das jungtürkische Regiment hat große Hoff- nungen erweckt, diese aber enttäuscht und brutale Verständnis- losigkeit gegenüber der Arbeiterbevölkerung bewiesen. Ta- gegen hatte das italienische Ministerium Giolitti politische und soziale Reformen versprochen und zählte die Sozialisten zu seiner Mehrheit. Statt der versprochenen Reformen ist der Brigantenzug nach Tripolis gekommen. Wir sehen die schlimmsten Gräuel vor unseren entsetzten Augen. Männer, Frauen un> Kinder werden hingeschlachtet.(Stürmische, minutenlange Pfuirufe.) So bringt die italienische Regie- rung Elend über die Bewohner eines fremden Landes. Aber sie gefährdet auch Taufende und Abertausende eigener Lands- leute. die bisher als Arbeiter, Handwerker, Kaufleute ruhig und friedlich im Orient ihren Geschäften nachgingen, sie ge- fährdet die Sicherheit Europas , indem sie den Fanatismus der muselmännischen Welt provoziert. Auch das trägt bei, den Zorn der Mohammedaner zu erwecken, daß der Angriff ausgeht von einem Bundesgenossen des Kaisers, der sich mehr- fach als Schutzherr der Muselmänner vorstellte.(Lebhaftes Hört, hört!) Aber die bürgerliche Welt, die bürgerliche Presse außerhalb Italiens hat kein Recht, sich pharisäisch über Italien zu entrüsten. Die kapitalistische Kolonialpolitik ist überall dieselbe. Man denke nur an die Gräueltaten der Engländer in Indien , an die Scheußlichkeiten im Burcnkriege, wo Männer. Frauen, Kinder in den berüchtigten Kvnzentra- tionslagern dem trockenen Tode entgegengeführt wurden, an die Ausrottung der Hereros durch Trotha(stürmische Pfui- rufe), an die Gräuel, die unter der Aegide Leopolds(sehr gut!) vielleicht des ruchlosesten Kapitalisten, der je auf dem Throne gesessen hat(stürmische Zustimmung) im Kongolande verübt wurden, von dem jetzt ein Teil dem deut» schen Kolonialland angezipfelt wird. Die unselige Marokkopolitik, und der tripolitanische Bri- aanti-nzua gehören eng zusammen. Es ist eine Politik, die Inseratenteil verantw.: Th. Glocke, Berlin . Druck«.Verlag: vorwärt» ebenso gefährlich für den Fortschritt, wie für die Freiheit und den Frieden ist. Hat doch der Präsident der türkischen Depu- tiertenkanimer, Achmed Riza, an das sozialistische Bureau so- wie an bürgerliche Politiker Europas mit Recht geschrieben, daß diese Kriegspolitik alle fremdenfeindlichen und alle rc aktionären Instinkte in der mohammedanischen Welt aufruft und das so hoffnungsvoll begonnene Werk der Modernisic rung. Kultivierung und freiheitlichen Gestaltung der Türkei auf das schwerste gefährde. Wohl am schlimmsten aber ist die Gefahr, die für den Weltfrieden aus dieser Politik erwächst. Eben haben wir erst wieder gesehen, wie einflußreiche Kreise dabei sind, die Völker untereinander zu verhetzen und wie die auswärtige und die innere Politik sich verschlingt. Der deutsche Kronprinz hat durch seine Gesten der Kriegsrede Beifall zugerufen, die Herr v. Heydebrand, der ungekrönte König von Preußen, im deutschen Reichstage gegen England hielt.(Lebhaftes Hört, hört! und Bewegung.) Aber gerade dieser Vorgang zeigt uns auch mit dankenswerter Deutlich- keit, wo der allerschlimmste Feind des Völkerfriedens zu suchen ist. Genossen und Genossinnen! Das preußische Junkertuni ist die schlimmste Gefährdung des Weltfriedens, wie es der schlimmste Feind der Freiheit und des Proletariats ist. (Stürmischer, minutenlanger Beifall.) Und die Macht des preußischen Junkertums wurzelt in dem preußischen Wahl- recht, dem rückständigsten und reaktionärsten Wahlrecht in Europa. (Lebhaftes Hört, hört! und anhaltende Zustini- mung.) Parteigenossen, indem Ihr gegen das Wahlunrecht in Preußen kämpft, kämpft Ihr für den Frieden Europas . Nur der Sozialismus vermag den Schandtaten der Kolonial- Politik ein Ende zu bereiten und die Beseitigung des preu- ßischen Wahlunrechts ist eine Hauptetappe auf dem Wege, der zum Sozialismus und damit zum Völkerfrieden fuhrt. (Stürmischer, anhaltender Beifall.) Mit Jubel begrüßt, übersetzte darauf Genosse Ledebour. der durch ein Halsleiden verhindert worden ist, selbst ein Referat zu übernehmen, den französischen Teil der Rede des Genossen Vandervelde ins Deutsche. Anknüpfend an die letzten Worte Banderveldes betont auch Genosse ReichstagSabgeordnetcr Frank die große Bedeutung des Soziaiismus für den Frieden. Die Arbeiterschaft hat. wie wir eben gesehen, bessere Gesandten und Botschafter für den Frieden als die bürgerliche Gesellschaft. Sie beschützen den Frieden besser als Kaiser und Könige, die sich besuchen, umarmen und küssen, und nach Hause gekommen, neue Kanonen und Kriegsschiffe bc- stellen. Ueberall finden dagegen die Gesandten der Arbeiter den Willen, einheitlich und fest für den Frieden einzutreten. Nicht den italienischen Arbeitern, fondern den Pfaffen und den weit- lichen Machthaber» gilt unser Protest. Dem italienischen Volk, das zu gleicher Zeit wie das deutsche die nationale Einheit, wenn auch durch ein besseres Mittel, durch die Revolution, erhielt, dem alten Kulturvolk gehören unsere Sympathien ebenso, wie dem tür- tischen, das eben dabei war, durch eine Reihe kultureller Maß- nahmen sich in die Reihe moderner Völker einzureihen. Er schildert dann, wie schlecht Italien beraten war, seinen vielen Jubiläen auch noch diesen Jubiläumskrieg anzureihen. Nicht würdig des Italiens eines Garibaldi, sondern des Italiens eincZ Rinaldo Rinaldini seien die Plündereien und Arabermassakres. Unschuldige Frauen und Kinder niederzumetzeln, ist eines großen Volles ebenso unwürdig wie der Einfall, den Soldaten SKaßcndirnen nachzuschicken. Solche Taten sind ein Schandfleck europäischer Kultur, die schon die vergangenen Jahrhunderte verurteilt haben. Italien kann daher keinen Anspruch erheben, als ein gesitteteres Land angesehen zu werden, als die Türkei , die jetzt eben erst durch die Jungtürken kulturell kultiviert werde. Doch haben die Arbeiter Italiens keine Mitschuld an diesen Verbrechen. S :« protestieren ebenfalls dagegen. Wissen sie doch, daß sie die Leid- tragenden des Tripolisabenteuers fein werden. Dasselbe kann von sich nicht die bürgerliche Gesellschaft Europa ? behaupten. Liest man ihre Presse, so muß man glauben, daß Vernunft auch ein Exportartikel sei. Handelt es sich um Kolonialerwerbungen dcS eigenen Landes, führe sie das Schwert fortgesetzt im Munde. Italien aber bezichtige sie der Verletzung der Moral. Die hohen unübersteiglichen Zollmauern, mit denen sich die modernen Staaten umgeben, sind der Grund, weshalb jedes Land auf Kolonialaben» teuer ausgeht. ES sucht eigene geeignete Absatzgebiete für seine Jndustrieprodukte und Gebiete, die die benötigten Rohstoffe liefern. Asien , das früher daS Dorado der kolonialtteibenden Mächte war. ist ihnen zu heiß geworden, seitdem die Völker durch kraftvolle Revolutionen sich beginnen, selbst zu befreien. Darum sehen wir im selben Moment, wie die Aufteilung Afrika ? vollendet wird. Die Franzosen annektieren Marokko . Italien Tripolis und Deutschland einen Teil vom Kongo. Alle begehen Raub, ändern wird sich das erst durch den Sozialismus. Der Sieg des Sozialismus ist der Sieg des Frieden». Nur die Durchdringung der Staaten mit Demokratie, der fich m Deutschland als stärlstes Bollwerk das preußische Dreiklassenparlament entgegcnstcmmt, bietet die Gewähr des endlichen Sieges der Friedensidec. Die Arbeiter Deutschlands waren auf dem Posten und werden auf dem Posten bleiben. Sie reichen den italienischen und den türkischen Arbeitern die Bruder- Hand. Die Arbeiter aller Länder dürfen überzeugt sein, daß dio deutschen Arbeiter alle Gelüste der herrschenden Klassen auf kolo- niale Abenteuer bei der ReichStagSwahl hinwegfegen werden. So schloß Genosse Frank unter lebhaftem Beifall der Versammlung. Die Resolution wurde einstimmig angenommen. Die Vorbereitungen der Polizei. Herr v. Jagow demonstrierte mit seiner bewaffneten Macht ebenfalls. Namentlich die Straßenecken in der Nähe des Dräselschen Lokals waren mit SchutzmannSpostcn besetzt, die zum Schloß führen» den Brücken mit Doppclposten. In der elften Stunde sah man im Schloß, im Marstav. ja. so» gar im Dom größere Schutzmannsausgebote verschwinden. Radfahr» Patrouillen belebten vor und nach den Versammlungen die Straßen. Auch in einem leerstehenden Laden im Hause Neue Friedrichstt. 50 und im Geschäft von Gebr. Groh, Neue Friedrichstraße Ecke Kaiser- Wrlhelmstraße. hielten sich SchutzmannSaufgebote auf. Starke Polizeiaufgebote sah man am RcichStagsgebäude. wo einige hundert Schutzleute versammelt waren, und in der Nähe des Brandenburger ToreS . Von den Außenvierteln begaben sich am frühen Vormittag massenhaft Schutzleute nach dem Innern der Stadt zu. Vielleicht erwartete man einen DemonstrationSzug durch die StraßeUnter den Linden ". Auch besonder» vor derNeuen Welt" fand sich die Polizei zeitig und zahlreich ein. Jeder der vier Zugänge zum Garten dcü Lokals war mit zwei bis drei Schutzleuten besetzt. Auf der gegen- überliegenden Seite der Straße patrouillierten Beamte in Uniform und Zivil. Ordonnanzen waren zur Stelle. Mehrere Polizei- offiziere wachten darüber, daß der Beamtenapparat nach allen Regeln preußischer Ordnung funktioniere� So hatten die Vertreter der Staatsgewalt an der Stätte unserer Friedensdemonstration ein etwas kriegerisch anmutende» Etraßenbild errichtet. Allerdings ganz überflüssiger Weise, wie der Verlauf unserer Beranstaltunz Vor den meisten übrigen Lokalen war da» Polizeiaufgebot weniger massenhaft. Und da die Polizei fich den abziehenden Vcr- sanunlungsbesuchcrn gegenüber außerordentlich reserviert verhielt, so kam e» nirgends zu Zusammenstößen und den häßlichen Szenen, wie sie sich leider vielfach bei den verflossenen Wahlrcchtsdemon» strationen abgespielt haben._ Buckdruckerei u. VerlaoSanstalt Paul Singer u. Co., Berlin LW.'